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Vilnius

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Vilnius
Wappen
Wappen
Flagge
Flagge
Staat: Litauen Litauen
Bezirk: Vilnius
Gegründet: 1323
Koordinaten: 54° 41′ N, 25° 16′ O54.68333333333325.266666666667112Koordinaten: 54° 41′ N, 25° 16′ O
Höhe: 112 m
Fläche (Ort): 401 km²
 
Einwohner (Ort): 548.816 (2010)
Bevölkerungsdichte: 1.369 Einwohner je km²
Zeitzone: EET (UTC+2)
Telefonvorwahl: (+370) 37
 
Status: Stadtgemeinde
Gliederung: 21 Seniūnijos („Ämter“)
 
Bürgermeister: Artūras Zuokas
Webpräsenz:
Vilnius (Litauen)
Vilnius
Vilnius
Die Altstadt von Vilnius

Vilnius ['vilɲus] Audio-Datei / Hörbeispiel anhören?/i (deutsch Wilna, russisch Вильнюс, Вильна, polnisch Wilno, weißrussisch Вільня/Vilnia, jiddisch ווילנע/Wilne) ist die Hauptstadt Litauens und des Distrikts Vilnius (Vilniaus Apskritis). Mit 560.192 Einwohnern (2010) ist sie die größte Stadt des Landes. Sie liegt an der Mündung der Vilnia in die Neris, in einem waldreichen Gebiet nur etwa 40 km von der weißrussischen Grenze entfernt.

Vilnius ist katholischer Erzbischofssitz und mit der 1579 gegründeten Universität Vilnius eine der ältesten Universitätsstädte Europas. Sie trug gemeinsam mit der Stadt Linz den Titel Europäische Kulturhauptstadt für das Jahr 2009.

Im Mittelalter gelang es dem Deutschen Orden nicht, Vilnius einzunehmen, im Gegensatz zu den Hauptstädten der baltischen Nachbarländer Lettland und Estland, Riga und Tallinn. Die Stadt geht im Gegensatz zu den beiden anderen baltischen Metropolen auch nicht auf eine mittelalterliche deutsche Siedlung zurück, sondern war als Hauptstadt Litauens das administrative Zentrum eines ausgedehnten Großreiches, das auf dem Höhepunkt seiner Macht zeitweise von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte.

Vilnius galt seit seiner Gründung als eine der liberalsten Städte Europas, die im Lauf ihrer Geschichte auch verfolgten Juden aus Mitteleuropa und Russland Schutz vor Verfolgung bot. Als „Jerusalem des Nordens” wurde Vilnius zu einem Zentrum der jüdischen Kultur und Aufklärung. Im Holocaust verlor die Stadt fast sämtliche jüdischen Bewohner und somit die Hälfte ihrer Bevölkerung.

Ab dem 16. Jahrhundert schufen italienische Baumeister zahlreiche Bauwerke im Stil des Barock, und noch heute verfügt Vilnius über eine der ausgedehntesten Altstädte in Osteuropa, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Im 20. Jahrhundert war das Gebiet von Vilnius aufgrund seiner ethnischen Zusammensetzung umstritten und wurde nach einem Referendum im Jahr 1920 von Polen annektiert und erst 1939 an Litauen zurückgegeben.

Aufgrund der über 50 Kirchen der Stadt trägt Vilnius auch den Beinamen „Rom des Ostens“. Man sieht von fast jedem Ort aus in der Stadt mindestens vier Kirchtürme.

Namen der Stadt

Die Neris in Vilnius

Entsprechend ihrem multiethnischen und multikulturellen Charakter ist die Stadt unter verschiedenen Namen bekannt. Die Litauer (die heute die deutliche Mehrheit der Bevölkerung darstellen) nennen sie Vilnius; dieser Name setzt sich allmählich auch in anderen Sprachen durch. Auf Polnisch heißt sie Wilno, auf Weißrussisch Вільня/Wilnja, auf Jiddisch Wilne, auf Russisch schließlich hieß sie ursprünglich Вильна/Wilna, wurde ab der sowjetischen Zeit aber nur noch als Вильнюс/Wilnjus bezeichnet. Aus der russischen Bezeichnung ist auch die Eindeutschung Wilna abgeleitet. In der litauischen Sprache bedeuten die Wörter Vilnis und Vilnele soviel wie „Kleine Welle“.

Durch Vilnius fließt ein Flüsschen namens Vilnia (oft in der Verkleinerungsform Vilnelė genannt), das unweit des historischen Stadtkerns (Gediminas-Berg) in die Neris mündet. Andererseits ist ein alternativer Name der Neris *Velija, belegt um 1230 als Велья. Hierzu ist der kleinere Zufluss ursprünglich Diminutivbildung. Von diesem Flussnamen wird der Name der Stadt abgeleitet. Die ältesten Formen aus dem 14. Jahrhundert lauten vor die Wilne, ante Vilnam usw. Die Form Vilnius ist erstmalig 1600 belegt.

Klima

Das Klima in Vilnius ist gemäßigt kontinental. Wärmster Monat ist der Juli mit durchschnittlich 22° C. Der kälteste Monat ist der Januar mit durchschnittlich -8,7° C. Die Jahresniederschlagsmenge lag in den Jahren 1961 bis 1990 im Jahresmittel bei 683 Millimeter pro Jahr. Die Monatsdaten können dem Klimadiagramm entnommen werden.

Geschichte

Karte der Stadt Wilna (1576)

Anfänge

Der Gediminasturm

Einer Legende nach soll Gediminas, litauischer Großfürst seit 1316, bei einer Jagd auf einem Hügel am Zusammenfluss der Neris und Vilnia gerastet haben. Dort träumte er von einem eisernen Wolf, der markerschütternd „laut heulte wie hundert Wölfe“. Der Pfeil, den er auf das Tier abfeuerte, prallte an dessen stählernem Körper ab. Beunruhigt bat er seinen heidnischen Hohepriester Lizdeika um die Deutung dieser Episode: „»Was die Götter dem Herrscher und dem litauischen Staat beschieden haben, mag geschehen: der eiserne Wolf steht auf einem Hügel, auf dem eine Burg und eine Stadt errichtet werden – die Hauptstadt Litauens und die Residenz der Herrscher.« Die Festung aber müsse fest wie Eisen sein, dann würde ihr Ruhm laut durch die Welt hallen (Die litauischen Wörter für laut und berühmt sind identisch).“[1] Zu jener Zeit war die Wasserburg im weiter westlich gelegenen Trakai Sitz des Herrschers.

Soweit die Gründungslegende. Archäologen sehen die Geschichte bodenständiger: Ihren Ausgrabungen nach war das Areal der Stadt bereits im steinzeitlichen Magdalénien besiedelt. Weitere Fundstellen im Stadtgebiet wurden auf das 4. Jahrtausend und das 2. Jahrhundert vor Christus datiert. Im Frühmittelalter siedelten an diesem taktisch vorteilhaften Ort zuerst wohl Balten, später Slawen und seit dem 11. Jahrhundert auch Juden. Bereits im 10. Jahrhundert war auf dem heutigen Stadtgebiet eine hölzerne Befestigungsanlage errichtet worden, um die herum eine Siedlung entstand. Erste Erwähnung in den geschichtlichen Quellen findet Vilnius als Hauptstadt der Litauer 1323. In jenem Jahr sandte Großfürst Gediminas in Latein verfasste Briefe an Kaiser, Papst, verschiedene Ritterorden und Handelsstädte jener Zeit. Darin warb er Kaufleute, Wissenschaftler und Handwerker für „in civitate nostra regia, Vilna dicta“ – sozusagen als hochqualifizierte Gastarbeiter und lockte mit zwei Kirchen, also auch Religionsfreiheit. Diese Toleranz gegenüber den verschiedensten Glaubensrichtungen sollte die Entwicklung der Stadt noch lange bestimmen. Dessen ungeachtet wurde Vilnius wiederholt Ziel von kriegerischen Angriffen des Deutschen Ordens, die jeweils mit Verwüstungen der Stadt und ihres Umlandes einhergingen, so beispielsweise 1365, 1375, 1377, 1383, 1390, 1392, 1394 und 1402.[2]

Polen-Litauen

Blick von der Innenstadt auf den Gediminasturm

Ab 1377 war der ehrgeizige Jogaila Großfürst Litauens. 1385 schloss er mit Polen die Union von Krewo – der Preis dafür war die Christianisierung des Landes. Er löschte das ewige Feuer auf dem Hügel in Vilnius und zerstörte den dazugehörigen heidnischen Tempel. Ein Jahr später, 1386, ließ er sich taufen, heiratete wie vereinbart die polnische Königin Hedwig und bestieg als Władysław II. Jagiełło den Thron des neuen und mächtigen Großreiches aus Polen und Litauen.

Zeitgleich wurde in Vilnius das Magdeburger Stadtrecht eingeführt. Im 15. Jahrhundert erlebte die Stadt ein Periode großer wirtschaftlicher Blüte. In Folge der polnisch-litauischen Union (1385/1569) kam die Stadt zunehmend unter polnischen Einfluss. Damit einher gingen die Versuche der Gegenreformation. Das zu diesem Zweck 1570 von den Jesuiten gegründete Kollegium wurde so 1579 zur Universität (Alma academia et universitas Vilnensis societatis Jesu) mit Privileg des polnischen Königs Stephan Báthory und Segen des Papstes Gregor XII. erklärt. Gleichzeitig wurde Vilnius das wichtigste Zentrum jüdischer Kultur in Nordeuropa. Aufgrund seiner geistigen Bedeutung hatte die Stadt den Beinamen Jerusalem Litauens. Wirtschaftlich begann im 16. Jahrhundert allerdings mit der zunehmenden Dominanz Polens ein langsamer Abstieg Vilnius. Das 17. Jahrhundert war geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen und Heimsuchungen wie Bränden und der Pest. Als verheerend für die Bevölkerung und die Baudenkmäler der Stadt, vor allem aber auch für die Quellen zur Stadtgeschichte, erwies sich die Zeit der so genannten „Sintflut“ (polnisch: Potop), während der Vilnius von 1655 bis 1661 von russischen Truppen besetzt war. Die sechsjährige russische Besetzung schadete der Stadt weit mehr als die nur kurze Zeit andauernden Besetzungen durch schwedische Truppen im Großen Nordischen Krieg in den Jahren 1702 und 1707. Überdies legten verheerende Stadtbrände in den Jahren 1737, 1745 und 1747 erneut große Teile von Vilnius in Schutt und Asche.

Stadtmauer von Vilnius

Zarenreich

Seit 1795 gehörte Litauen und damit Vilnius zum russischen Kaiserreich. Nach dem Aufstand der Polen und Litauer gegen die russische Oberherrschaft im Jahr 1831 wurde die Universität als Hort nationalistischer Umtriebe im folgenden Jahr von den russischen Behörden geschlossen und blieb es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Vilnius entwickelte sich relativ bescheiden im Rahmen einer russischen Gouvernementshauptstadt. Damals wurde in der Stadt mehrheitlich Polnisch gesprochen. Dennoch war sie im 19. Jahrhundert das Zentrum des weißrussischen nationalen Lebens, noch vor Minsk. Die wichtigsten weißrussischen Dichter und Schriftsteller publizierten ihre Werke damals in Vilnius. In der Stadt wurde 1906 auch die erste weißrussische Zeitung „Naša Niva” gegründet.

1896 vermachte der jüdische Geschäftsmann Straschun seine Buchbestände der jüdischen Gemeinde und begründete damit die größte jüdische Bibliothek in Europa. 1900 gehörte Vilnius zu einer der größten jüdischen Städte, 41% der Einwohner waren Juden.[3]

Der Erste Weltkrieg brachte das Ende der zaristischen Herrschaft, als die Ostfront im Sommer 1915 in Bewegung geriet. Deutsche Truppen rückten in das von der russischen Armee kurz zuvor geräumte Wilna am 18. September 1915 ein[4] und besetzten es bis 1918.

Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit

Karte von Litauen bis 1923

Nach der Proklamation des litauischen Staates 1918 (unter deutscher Besatzung, Anerkennung durch das Deutsche Reich im März 1918) wurde Vilnius dessen Hauptstadt. Am 5. Januar 1919 wurde es jedoch durch die Rote Armee besetzt, die im April 1919 durch polnische Truppen wieder aus der Stadt vertrieben wurde. Mit dem Abschluss des Versailler Friedensvertrages im Juni 1919 wurde Litauen international anerkannt, bei der Grenzfestlegung durch die Ententemächte am 8. Dezember 1919 die Zugehörigkeit Vilnius' zu Litauen bestätigt. Auch der litauisch-sowjetische Friedensvertrag von Moskau vom 12. Juli 1920 erkannte die Zugehörigkeit der Stadt zu Litauen an. Während des Polnisch-Sowjetischen Krieges von Juni bis Oktober 1920 war die Stadt zunächst in polnischer, dann wieder in sowjetischer bzw. litauischer, dann wieder in polnischer Hand.

Am 12. Oktober 1920 wurde unter polnischer Besatzung im mehrheitlich polnischsprachigen Südosten Litauens die Republik Mittellitauen proklamiert, die sich erst 1922 formal der polnischen Republik anschloss. In der Stadt Vilnius stellten damals Litauer nach Juden (uber 50 %), Polen und Weißrussen nur die viertstärkste Bevölkerungsgruppe und das Vilniuser Umland hat noch heute eine polnischsprachige Mehrheit.

So war 19 Jahre lang Kaunas die – provisorische – Hauptstadt Litauens. Wilna sank auf den Status einer Provinzstadt im Nordosten Polens herab. Für das kulturelle und wissenschaftliche jüdische Leben in Ostmitteleuropa konnte es seine Bedeutung jedoch bis zum Zweiten Weltkrieg halten.

Zweiter Weltkrieg

Einmarsch motorisierter deutscher Truppen, Aufnahme der Propagandakompanie
Litauischer Polizist mit Hakenkreuz-Armbinde vor als Juden im rassenkundlichen Sinn kenntlich gemachten und für den Einsatz zur Zwangsarbeit vorgesehenen Männern, Aufnahme der Propagandakompanie vom Juli 1942
Als Juden gekennzeichnete Frauen, Aufnahme der Propagandakompanie vom 25. Juli 1942

Als die deutsche Wehrmacht im September 1939 in Polen einmarschierte, wurde der bis dahin polnisch besetzte Teil Litauens gemäß der Absprache des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes von der Roten Armee besetzt. Vilnius wurde am 19. September eingenommen. Für wenige Wochen war Vilnius Teil der Weißrussischen Sowjetrepublik, im Oktober wurde die Stadt formell an Litauen gegeben. Litauen wurde am 15. Juni 1940 von der Roten Armee besetzt. Nach dem Anschluss Litauens an die UdSSR am 3. August 1940 wurde Vilnius wieder Hauptstadt des Landes, der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen.

Als im Sommer 1941 die deutschen Wehrmachtstruppen nach Litauen vorstießen, begann das Ende der jüdischen Geschichte in Vilnius. Die deutsche Besetzung begann am 23. Juni 1941 und endete am 13. Juli 1944, Vilnius wurde Teil des Reichskommissariats Ostland. In der Altstadt wurde das Ghetto Vilnius in zwei Teilen eingerichtet, von denen der kleinere bis zum Oktober 1941 bereits wieder liquidiert wurde, was für mehrere zehntausend Juden den Tod durch Erschießung im Wald von Paneriai (etwa 10 km westlich der Altstadt) bedeutete. Das zweite Ghetto bestand bis 1943, wobei verschiedene so genannte Aktionen auch hier eine weitere Dezimierung der jüdischen Bevölkerung zur Folge hatten. Die verbliebenen Juden wurden in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Später bestand in der Stadt das Kriegsgefangenenlager 195 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.[5]

Litauische SSR und Republik Litauen

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die polnische Bevölkerung vertrieben (nach Schätzungen haben nach der Besetzung durch die Rote Armee etwa 100.000 Bürger polnischer Abstammung die Stadt verlassen) und Vilnius Hauptstadt der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen. Der Stalinismus der Nachkriegsjahre brachte nicht nur eine Verstaatlichung und Sowjetisierung der Wirtschaft, sondern versuchte auch die nationale und religiöse Identität der Litauer zu unterbinden. So wurden auch in Vilnius Kirchen zum Beispiel als Lagerhallen zweckentfremdet, die Ruinen der ehemaligen Großen Synagoge gar abgetragen. Das öffentliche Leben wurde durch strenge Zensur bestimmt.

Der litauische Bevölkerungsanteil in Vilnius stieg in dieser Zeit – unter anderem durch Landflucht als Folge der Zwangskollektivierung der litauischen Landwirtschaft – deutlich an. Daneben förderten die Sowjetbehörden in den ersten Nachkriegsjahren auch den Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Teilen der Sowjetunion. Jedoch gelang es dem Politbüro der Litauischen Kommunistischen Partei, die Ansiedlung von Fremdarbeitern zu begrenzen, so dass der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung bei etwa zwanzig Prozent verharrte, während er in den beiden anderen baltischen Hauptstädten Riga und Tallinn zeitweise auf fünfzig Prozent anstieg.[6]

Auch nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1990 blieb Vilnius Sitz des litauischen Parlaments und der Regierung. Das heutige Vilnius entwickelte sich innerhalb von zehn Jahren von einer sowjetischen in eine Stadt westlich-kosmopolitischen Stils. Auf dem der Altstadt und dem Zentrum (Bebauung rund um den zentralen Gediminas-Prospekt ab der Jahrhundertwende) gegenüber gelegenen Ufer der Neris haben sich in den letzten Jahren die ersten Ansätze für ein modernes Büro- und Geschäftsviertel gebildet, mit dem Vilnius zu einem Anziehungspunkt nicht nur für Touristen werden will. Bislang verlief die Entwicklung mehr oder weniger auf Brachflächen, in absehbarer Zeit werden aber die ärmlichen Holzhaus-Siedlungen, die sich unmittelbar nördlich anschließen, weichen müssen.

Bevölkerung

1875 wurden in der Stadt 82.688 Einwohner gezählt, davon 37.909 Juden (knapp 46 % der Bevölkerung und damit die größte Bevölkerungsgruppe der Stadt). 1902 lebten etwa 80.000 Juden in der Stadt, bei einer Gesamteinwohnerzahl von 162.633 (etwa 49 %). Bis zum Zweiten Weltkrieg war das damals zu Polen gehörende Vilnius eine mehrheitlich von Juden und Polen bewohnte Stadt. Daneben lebten in Vilnius auch viele Weißrussen. Der Zweite Weltkrieg führte zu einem fast völligen Bevölkerungsaustausch. Von den etwa 80.000 Juden, die bis 1939 in Vilnius gelebt hatten, überlebten nur wenige Tausend den Holocaust, und noch weniger blieben in der Stadt wohnen. Der größte Teil der polnischen Bevölkerung wurde nach Westpolen, in die ehemaligen deutschen Ostgebiete umgesiedelt bzw. vertrieben, während im Umland von Vilnius dagegen bis heute noch sehr viele Polen leben. Im Gegenzug kamen Litauer aus den ländlichen Regionen sowie Russen in die Stadt, benötigt für den Aufbau der Stadt als Hauptstadt der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen. Verwaltung, Wissenschaft und vor allem große Industriebetriebe wurden angesiedelt. Die Stadt erlebte ein rasantes Bevölkerungswachstum. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit ging die Bevölkerung von über 576.000 (1989) auf 546.000 (2009) zurück. In den letzten Jahren zeichnete sich jedoch wieder ein leichter Anstieg der Bevölkerung ab.

Im Jahr 2001 zählte Vilnius 542.287 Einwohner. Davon machten Litauer 57,8 % aus, Polen 18,7 %, Russen 14 %, Weißrussen 4 %, Juden 0,5 %, Vertreter anderer Nationalitäten 5 %.

Sehenswürdigkeiten

Kathedrale Sankt Stanislaus
Choral-Synagoge: Blick auf den Toraschrein
Kirche St. Annen (Šv. Onos)
Altstadt von Vilnius: Blick auf die Aušros Vartai („Tor der Morgenröte“, also Osttor)

Die Wahrzeichen der Stadt sind die Ruine der Burg von Gediminas auf dem gleichnamigen Hügel aus dem 14. und 15. Jh. sowie an ihrem Fuße die klassizistische römisch-katholische Kathedrale Sankt Stanislaus mit ihrem etwas abseits stehenden Glockenturm. Der Wiederaufbau des zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgetragenen großfürstlichen Schlosses ist 2011 nahezu abgeschlossen. Die Einweihung des unfertigen Gebäudes erfolgte bereits 2006 im Zuge der damaligen Funktion Vilnius als europäische Kulturhauptstadt.[7]

Ausgehend vom Burgberg bildet das Straßennetz der Altstadt von Vilnius in Richtung Westen und Süden eine fächerartige Struktur. Die Altstadt, die sich an den Hängen auf dem linken Ufer der Neris hochzieht, hat eine Fläche von 360 ha und zählt damit zu den größten und besterhaltenen Europas; seit 1994 zählt sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Viele Baustile hinterließen ihre Spuren, vor allem prägen sie der Barock, aber auch Gotik und Renaissance. Sehenswert sind die St.-Annen-Kirche (Šv. Onos), ein gotisches Backsteingebäude (Flammengotik) zusammen mit der ebenfalls gotischen Bernhardiner-Kirche, die barocke Universitätsanlage mit der Johannes-Kirche (lit. Šv. Jonų).

Bekannt sind auch die barocke Kasimir-Kirche (lit. Šv. Kazimiero), welche dem Nationalheiligen geweiht ist, und das Tor der Morgenröte (Wilna) (polnisch: Ostra brama /litauisch: Aušros vartai). Das alte Rathaus wurde wie die Kathedrale zuletzt in klassizistischem Stil umgebaut. Eine der wenigen alten Kirchen außerhalb der Altstadt ist die von dem Hetman des polnisch-litauischen Staates Michal Kazimier Pac gestiftete St. Peter-und-Paul-Kirche (lit. Šv. Petro ir Povilo), ein Meisterwerk des Barock. Diese Kirche, wie auch das Bild der wundertätigen Madonna in den „Aušros vartai”, ist ein wichtiges Pilgerziel, vornehmlich für polnische Katholiken. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Hauptsynagoge im Stil der italienischen Renaissance und Rokoko zerstört. Von den 105 Synagogen in Vilnius blieb als einziges die Choral-Synagoge erhalten. Interessant ist außerdem der oberhalb der Altstadt gelegene Rasų-Friedhof, wo zahlreiche prominente Litauer und Polen begraben sind (Józef Piłsudskis Herz ist hier bestattet), sowie der zentrale Markt auf dem nördlichen Ufer der Neris.

Am rechten Ufer des Flüsschens Vilnele liegt das Stadtviertel Užupis (deutsch: Hinter dem Fluss), das seit Anfang der Neunziger vom unbeachteten und verwahrlosten Winkel zu einem Künstlerviertel (in unmittelbarer Nähe der Kunstakademie „Dailės akademija”) wurde und nunmehr auch eine exquisite Adresse darstellt.

An die nähere Vergangenheit erinnert das Museum der Opfer des Genozids.

In Vilnius steht der höchste Wolkenkratzer des gesamten Baltikums, der Europa Tower.

Umgebung von Vilnius

Eine moderne Sehenswürdigkeit ist der Fernsehturm, der 326 m hoch ist und in 190 m Höhe über eine Aussichtsplattform verfügt.

Etwa 30 km westlich von Vilnius liegt Trakai, die mittelalterliche Hauptstadt Litauens mit seiner wieder aufgebauten Wasserburg.

Nördlich von Vilnius im Dorf Purnuškės befindet sich der Europapark. Dort soll der geographische Mittelpunkt Europas (lit. Europos centras) liegen. Diese Berechnung französischer Wissenschafter um 1989 ist allerdings wegen fraglicher Gewichtung von Inseln umstritten. Andere Geowissenschafter setzen den Mittelpunkt in der Ukraine nahe der Grenze zur Slowakei an, wobei es keine zwingende Methodik zur Bestimmung eines solchen Punktes gibt.

Universitäten und Hochschulen

Universität Vilnius

Gedenktafel für Stephan Báthory im Campus der Universität von Vilnius

Die Universität Vilnius (Vilniaus universitetas, VU) geht auf ein 1569 eröffnetes Jesuitenkolleg zurück, das 1579 von Stephan Báthory anlässlich seiner Wahl zum litauischen Großfürsten zur Akademie erhoben wurde. Die Vilniuser Universität ist nicht nur die älteste Universität im Baltikum, sondern in ganz Nordosteuropa. (Die älteste Universität in Mitteleuropa ist die Karls-Universität Prag.) Sie steht gegenüber dem Präsidentenpalast.

YIVO

1925 wurde in Vilnius das YIVO (Yidisher visnshaftlekher institut) gegründet. Das YIVO war die erste akademische Einrichtung zum Studium des Jiddischen und der ostjüdischen Kultur. 1940 verlegte es, angesichts der Zeitumstände, seinen Sitz nach New York, wo es bis heute besteht.

Europäische Humanistische Universität

Im Juni 2005 ist die Europäische Humanistische Universität von Weißrussland (wo sie 2004 aus politischen Gründen geschlossen wurde) nach Vilnius übergesiedelt und wird dort als vorläufige Exiluniversität geführt. Sie ist eine Privatuniversität und bietet Europastudien, Sprach- und Politikwissenschaften an.

ISM University of Management and Economics

Die ISM University of Management and Economics wurde 1999 von der Norwegian School of Management BI gegründet und war damit die erste private Universität Litauens. Sie ist eine Business School und hat sich dementsprechend ausschließlich auf Wirtschaftswissenschaften spezialisiert. Die ISM unterhält je einen Campus in Vilnius und in Kaunas. Das Studienangebot umfasst einen vierjährigen Bachelor- sowie zwei verschiedene Master- und einen Promotionsstudiengang. Im Jahre 2007 studierten in Kaunas und Vilnius an der ISM 1772 Studentinnen und Studenten, wobei von diesen 1418 im Bachelor- 330 im Master- und 24 im Doktorandenprogramm eingeschrieben waren.[8]

Darüber hinaus gibt es in Vilnius noch die Technische Gediminas-Universität Vilnius, die Mykolas-Romer-Universität, die Pädagogische Universität Vilnius und die Kunstakademie Vilnius.

Verkehr

Die litauische Hauptstadt liegt verkehrstechnisch auf Grund ihrer Nähe zur stark abgesicherten EU-Außengrenze zu Weißrussland in einer Art „totem Winkel“. Die wichtigsten Verkehrsströme vom Baltikum in die restliche EU verlaufen über Kaunas. Von dort führt eine Schnellstraße ins 100 Kilometer entfernte Vilnius.

Der Bahnhof Vilnius.

Eisenbahn

Der Bahnhof Vilnius ist der wichtigste Personenbahnhof im litauischen Eisenbahnnetz. Neben Nah- und Regionalverkehr besteht auch Fernverkehr. Dem internationalen Verkehr, dessen Hauptziele Moskau und St. Petersburg sind, dienen in erster Linie die Korridorzüge der Relation Russland-Oblast Kaliningrad sowie Kaliningrad-Weißrussland/Ukraine. Des Weiteren existieren Eisenbahnverbindungen ins Ausland Richtung Warschau (über Šeštokai) und nach Minsk. Innerhalb Litauens fährt die Lietuvos geležinkeliai mit ihren Zügen unter anderem nach Kaunas und über Šiauliai nach Klaipėda (Memel).

Fernbus

Vom zentralen Busbahnhof fahren Fernbusse in sämtliche Nachbarländer, und in viele andere Länder der Europäischen Union. Daneben werden auch kleinere litauische Städte von Vilnius aus angefahren. So fährt ein InterCity-Bus der polnischen Eisenbahngesellschaft Polskie Koleje Panstwowe von Vilnius nach Warschau.

Flugverkehr

In unmittelbarer Nähe der Stadt befindet sich der internationale Flughafen Vilnius. Mittlerweile hat verstärkte Konkurrenz zu günstigen Preisen (in die Hauptstädte Europas für unter 150 €) geführt, im deutschsprachigen Raum werden täglich Frankfurt/Main, Berlin, Wien, Hamburg und München angeflogen.

Ein Solaris-O-Bus und sein Konkurrent, die Maršrutka

Straßen

Eine Schnellstraße führt nach Kaunas, ab dort eine Autobahn an die Ostsee zum Fährhafen Klaipėda (Memel), sowie eine Autobahn nach Panevėžys, jeweils mit Anschluss an die Via Baltica (Europastraße 67). Fernstraßenverbindungen bestehen ins nahe Weißrussland und nach Polen.

Öffentlicher Personen-Nahverkehr

Dem öffentlichen Nahverkehr dienen, da Vilnius weder U-Bahn noch Straßenbahn hat, vor allem Omnibusse der Vilniaus Autobusai, Trolleybusse der Trolleybus-Geschellschaft Vilniaus troleibusai und Maršrutka genannte Kleinbusse als Linientaxi, die häufig dieselben Linien bedienen wie die städtischen Busse. Eine erste Trambahnlinie wurde 2005 projektiert – die Realisierung ist fraglich. Die Lietuvos Geležinkeliai (Eisenbahngesellschaft) betreibt ein bescheidenes S-Bahn-ähnliches System von Vorortzügen. Zur Reduzierung von Staus wurde ein Metro-Projekt der Vilnius Metro vorgeschlagen.

Städtepartnerschaften

Söhne und Töchter der Stadt

Literatur

Bibliographien

Werke

  • Abraham Sutzkever: Wilner Getto 1941–1944. Übersetzt von Hubert Witt, Ammann Verlag, Zürich 2009. ISBN 978-3-250-10530-5
  • Rich Cohen: Nachtmarsch. Fischer, ISBN 3-596-15240-2 (Widerstand von Wilnaer Juden), Roman
  • Dunin-Horkawicz, Janusz: Wilna – verlorene Heimat. Erinnerungen eines polnischen Bibliothekars (1933–1945). Hannover 1998 (Kleine historische Reihe des Laurentius Verlages. Bd. 11), ISBN 3-931614-94-8
  • Fishman, David E.: Dem Feuer entrissen. Die Rettung jüdischer Kulturschätze in Wilna. Deutsch-jiddische Ausgabe. Hannover 1998, ISBN 3-931614-97-2
  • Jurga Ivanauskaitė: Die Regenhexe. DTV, ISBN 3-423-13132-2
  • Mascha Rolnikaite: Ich muss erzählen. Kindler, ISBN 3-463-40427-3
  • Sima Skurkovitz: Sima. Bericht einer jüdischen Frau aus Vilnius über die Zeit des Naziterrors. C. Weihermüller, Leverkusen 2002, ISBN 3-929325-05-5
  • Helmuth Schönauer: Der eingecremte Blick auf Vilnius. Roman. Wien 2002, ISBN 978-3-85266-196-4
  • Benjamin Anolik, Lauf zum Tor mein Sohn. Von Wilna durch das Ghetto Wilna und sechs Lager in Estland (= Edition Shoáh & Judaica; 3), Konstanz 2005, ISBN 3-86628-020-3
  • Genrich Agranovskij, Vilnius: Memorable Sites of Jewish History and Culture, Vilnius: Vilna Gaon Jewish State Museum [u.a.] 2005, ISBN 9955-9556-6-X
  • Jüdische Kultur(en) im Neuen Europa – Wilna 1918–1939, hrsg. von Marina Dmitrieva, Wiesbaden 2004 (Jüdische Kultur. Studien zur Geistesgeschichte, Religion und Literatur; 13), S. 85-97
  • Judenmord in Litauen. Studien und Dokumente, hrsg. von Wolfgang Benz und Marion Neiss (= Dokumente, Texte, Materialien // Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin; 33), Berlin: Metropol-Verlag 1999 ISBN 3-932482-23-9
  • Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941, hrsg. von Vincas Bartusevičius, Joachim Tauber und Wolfram Wette (beteiligt Ralph Giordano), Köln [u. a.]: Böhlau 2003, ISBN 3-412-13902-5
  • Kim Priemel: Am Rande des Holocaust. Die Rettung von Juden durch Wehrmachtsangehörige in Vilnius, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), S. 1017–1034
  • Joachim Tauber und Ralph Tuchtenhagen: Vilnius. Kleine Geschichte der Stadt. Köln-Weimar-Wien: Böhlau Verlag 2008, ISBN 978-3-412-20204-0. (Schwerpunkt auf der politischen Geschichte)
  • Tomas Venclova: Vilnius. Eine Stadt in Europa (= Edition Suhrkamp; 2473), Frankfurt 2006, ISBN 3-518-12473-0 ISBN 978-3-518-12473-4 (übersetzt von Claudia Sinnig)
  • Cornelius Hell: Der eiserne Wolf im barocken Labyrinth. Erwachendes Vilnius, Picus Verlag Februar 2009, ISBN 978-3-85452-951-4

Weblinks

 Commons: Vilnius – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Tauber/Tuchtenhagen (2008), S. 15.
  2. Tauber/Tuchtenhagen (2008), S. 16f., 21f. und 33.
  3. Magocsi, P. R. (2002): Historical Atlas of Central Europe. Seattle: University of Washington Press
  4. Casimir Hermann Baer: Der Völkerkrieg, Band 12, Seite 232. Hoffmann Verlag, Stuttgart, abgefragt am 17. September 2010
  5. Maschke, Erich (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962–1977.
  6. Volker Hagemann: Riga • Tallinn • Vilnius. Rundgänge durch die Metropolen des Baltikums. Berlin: Trescher 2008, S. 218
  7. http://fazarchiv.faz.net/faz.html?START=A40&T_TEMPLATE=save&WID=34163-1120091-20809_4
  8. Präsentation im PDF-Format über die ISM University of Management and Economics
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