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Alfred Herrhausen

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Alfred Herrhausen (* 30. Januar 1930 in Essen; † 30. November 1989 in Bad Homburg vor der Höhe) war ein deutscher Bankmanager und Vorstandssprecher der Deutschen Bank.

Unter seiner Führung stieg die Deutsche Bank durch eine Reihe von strategischen Umstrukturierungen und Zukäufen in die Spitzengruppe der international agierenden Geschäftsbanken auf. Er gab der Bank eine neue Unternehmensstruktur, die lange Bestand hatte, und machte sie zum unangefochtenen Marktführer in Westdeutschland.

Herrhausen galt in fachlicher und persönlicher Hinsicht als Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Spitzenmanagern. Viele Beobachter betonten seine unternehmerische und intellektuelle Brillanz, wobei seine häufig unkonventionellen Konzepte und Gedanken oft Kritik von Vorstandskollegen und der Bankenwelt hervorriefen. So betonte er etwa öffentlich, dass Banken mit ihrer Macht verantwortungsvoll umgehen müssten, und forderte – analog zu GorbatschowsGlasnost“ in der Sowjetunion – mehr Transparenz und Offenheit auch für das kapitalistische System.[1] 1987 und erneut 1988 stieß er mit nachdrücklichen Forderungen nach einem wirtschaftlich und moralisch begründeten Schuldenerlass für hochverschuldete Entwicklungsländer auf massiven Widerstand der internationalen Finanzwelt.

Herrhausen wurde 1989 durch ein Bombenattentat ermordet, für das die Rote Armee Fraktion in einem Bekennerschreiben die Verantwortung übernahm. Die Täter wurden nie ermittelt.

Am Tag nach seiner Ermordung zogen etwa 10.000 Menschen in einem Schweigemarsch durch das Frankfurter Bankenviertel.[2]

Leben

Alfred Herrhausen und seine Zwillingsschwester Anne wurden in Essen als Kinder des Vermessungsingenieurs Karl Herrhausen und dessen Frau Hella geboren. Herrhausen besuchte in seiner Kindheit das Carl-Humann-Gymnasium in Essen-Steele und die NS-Ausleseschule Reichsschule Feldafing der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Köln, wo er sich dem Corps Hansea anschloss. Er wurde 1955 bei Theodor Wessels mit der Dissertation Grenznutzen als Bestandteil des Marginalprinzips“ promoviert.[3]

Steiler beruflicher Aufstieg

Nach Tätigkeiten bei der Ruhrgas AG und den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) wurde er vom damaligen Vorstandssprecher Friedrich Wilhelm Christians 1969 zur Deutschen Bank geholt. Dort berief man ihn 1970 zum stellvertretenden und 1971 zum ordentlichen Vorstandsmitglied. 1974 wurde er von der Bundesregierung in die Bankenstrukturkommission berufen. Aufgrund der Scheidung von seiner ersten Frau Ulla im Jahr 1977 geriet Herrhausen innerhalb des Vorstandes in eine gewisse gesellschaftliche Isolation, die Christians durch eine private Einladung schließlich demonstrativ durchbrach. 1983 wurde Herrhausen zusammen mit zwei weiteren „Stahlmoderatoren“ von der Bundesregierung beauftragt, ein Konzept zur Neuordnung des deutschen Stahlmarkts zu erstellen. Nach dem Ausscheiden Wilfried Guths wurde er im Mai 1985 neben Christians einer von zwei Sprechern des Vorstands. Am 11. Mai 1988 rückte er zum alleinigen Vorstandssprecher auf. Herrhausen betrieb den Umbau der Konzernstrukturen der Deutschen Bank mit Nachdruck und machte die Bank zum unumstrittenen Branchenprimus in Deutschland. Schwerpunkte lagen auf einem konsequenten Allfinanzkonzept und der Internationalisierung des Konzerns. Hierzu gehörten die Gründung der Deutsche Bank Bauspar AG und der Deutsche Bank Lebensversicherungs AG sowie die Übernahme der britischen Investmentbank Morgan Grenfell 1989.

Thema Macht und Verantwortung

Herrhausen bemühte sich in zahlreichen Vorträgen und Interviews um ein besseres Image der Banken. Er betonte die Verantwortung der Banken und ihrer Manager. Er beteiligte sich aktiv an der Diskussion um die „Macht der Banken“. Sie hatte sich auch an den zahlreichen Industriebeteiligungen der Deutschen Bank entzündet. Sein bekanntestes, auf die Deutsche Bank bezogenes Zitat war:

„Natürlich haben wir Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern die Frage ist, wie wir damit umgehen, ob wir sie verantwortungsbewusst einsetzen oder nicht.[4]

Eine solche Äußerung war vielen seiner Vorstandskollegen unangenehm, die sich lieber dezent im Hintergrund halten wollten.

„Man muss Macht auch wollen[5]

war ein Motto seines Lebens.

Bankinterne Konflikte

Herrhausen versuchte, eine tiefgreifende Umstrukturierung der Deutschen Bank durchzusetzen. Dies führte zu einer heftigen Auseinandersetzung mit anderen Führungsmitgliedern, in deren Verlauf Herrhausen kurz davor stand, seinen Rücktritt anzubieten. Laut Aussage seiner Frau Traudl (in dem Dokumentarfilm Black Box BRD von Andres Veiel) sollte am Tag seiner Ermordung auf einer Vorstandssitzung über seine Pläne entschieden werden. In seinem auf dem Film aufbauenden gleichnamigen Buch beschreibt Veiel, dass Herrhausens Position in der Bank stark geschwächt war und dass er zwei Tage vor seinem Tod sogar intern seinen Rücktritt erklärt habe.[6]

Schuldenerlass für Entwicklungsländer

Schlagzeilen machte sein Eintreten für einen teilweisen Schuldenerlass für Entwicklungsländer auf einer Tagung der Weltbank in Washington im Jahre 1987.[7] Herrhausen war kurz zuvor bei einer Tagung des Internationalen Währungsfonds auf die Idee gekommen, als ihm der mexikanische Präsident Miguel de la Madrid Hurtado die katastrophale wirtschaftliche Lage seines Landes geschildert hatte.[8] Nach einem zwischenzeitlichen Widerruf wegen massiver Proteste der Finanzwelt stellte er die Forderung abermals im Kreise der Bilderberg-Konferenz des Jahres 1988. Bei der Schuldenkrise der weniger entwickelten Länder handelte es sich damals, nach Herrhausens Diagnose, um ein andauerndes Solvenzproblem, also um eine andauernde Zahlungsunfähigkeit. Noch nie wäre aber ein Solvenzproblem in der Wirtschaft dadurch gelöst worden, dass die Schulden erhöht wurden. Ein teilweiser Verzicht der Gläubigerbanken war nach seiner Ansicht daher nicht nur aus moralischen Gründen geboten, sondern auch im langfristigen Interesse der Gläubiger.[9] Die internationale Bankenwelt war von seinem Vorschlag empört.[8]

Nachdem Walter Seipp, der Chef der Commerzbank, ihm deswegen öffentlich „unsolidarisches Verhalten“ gegenüber anderen Banken vorgeworfen hatte, wies Herrhausen dies mit einer typischen rhetorischen Spitze zurück: Die Deutsche Bank brauche „keine Nachhilfe in Solidarität“, und zudem könne solidarisches Verhalten ja wohl nicht bedeuten, „das Denken einzustellen“.[9]

Nach Herrhausens Tod tat sein direkter Nachfolger Hilmar Kopper den Vorschlag des Schuldenerlasses für die armen Länder als „intellektuelle Bemerkung“ ab, womit die Idee sich mangels Fürsprecher erledigt hatte.[8]

Herrhausen selbst sah sich als potentielles Ziel terroristischer Anschläge. Seit der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer im September 1977 hatte er nach Angaben seiner Ehefrau immer einen Brief im Nachtschrank, in dem stand, dass man bei seiner möglichen Entführung und eventuellen Erpressung der Bundesrepublik Deutschland den Forderungen nicht nachgeben solle.

Persönlichkeit

Ausnahmeerscheinung

Herrhausen galt als Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Spitzenmanagern. Von vielen Beobachtern wurde seine intellektuelle, rednerische und unternehmerische Brillanz hervorgehoben. Dies machte ihn sowohl zu einem gefragten Interviewpartner für die Medien als auch zu einem wichtigen Berater für Politiker wie Helmut Kohl. Gleichzeitig konnte er mitunter unwirsch reagieren, wenn Kollegen und Mitarbeiter seinen Analysen nicht folgen konnten oder seiner Meinung nach ein Thema nicht wirklich verstanden. Er galt als exzellenter Zuhörer. Er konnte seinem Gegenüber das Gefühl geben, dass er dessen Meinung und Person respektiere und sich völlig auf ihn konzentriere. Dabei kam dem sozialen Status seines Gesprächspartners keine besondere Bedeutung zu. Weggefährten bescheinigten ihm die Fähigkeit, mit Arbeitern der Daimler-Benz AG, deren Aufsichtsrat er leitete, ebenso gut umgehen zu können wie mit Studenten und Schülern.[2]

Die von Herrhausen eingeleitete strategische Umgestaltung der Deutschen Bank wird im Rückblick als visionär bewertet, da er Entwicklungen in der Finanzwelt vorhersah und konsequent umsetzte, die sich damals noch kaum abzeichneten und erst Jahre später Realität werden sollten. Dazu gehörte etwa das Allfinanzkonzept oder der Ausbau des Investmentbereichs mit dem Erwerb der britischen Investmentbank Morgan Grenfell.

Unstimmigkeiten mit Vorstandskollegen

Mit seiner starken persönlichen Ausstrahlung, rednerischer Brillanz, seinem energischen Auftreten und einer schonungslosen Offenheit eckte Herrhausen bei seinen Vorstandskollegen oft an. Immer wieder beklagte er sich über die „Bedenkenträger“ im eigenen Haus. Das Missfallen beruhte teilweise auf Gegenseitigkeit: „Herrhausen war ein intellektueller Snob, der andere die Arroganz des Hochbegabten spüren ließ“, erinnerte sich ein früherer Kollege bei der Deutschen Bank. Private Kontakte mit seinen Vorstandskollegen pflegte er nicht.[8]

Eintreten für die Interessen der „Dritten Welt“

Als manager-untypisch wird ferner sein Interesse für die Belange der sogenannten Dritten Welt angesehen. Als einer der ersten sah er die Schuldenkrise der weniger entwickelten Länder sowohl als moralisches Problem der Industrieländer als auch als essentielles zukünftiges Problem für die Bankenwelt an. Sein Eintreten für einen Schuldenerlass erregte internationales Aufsehen und sorgte für erbitterten Widerstand vor allem in der angloamerikanischen Finanzwelt. Wie auch bei mehreren anderen von ihm früh wahrgenommenen Problemfeldern wurde die Idee des Schuldenerlasses später – lange nach Herrhausens Tod – tatsächlich Realität. Es wird teilweise darüber spekuliert, inwieweit er dieses – ursprünglich auf einer Auslandsreise entstandene – Konzept auch dazu nutzen wollte, die Position der Deutschen Bank gegenüber den großen US-Banken zu stärken. Deren Kredite an die armen Länder waren – bedingt durch das damalige amerikanische Bankenrecht – bedeutend schlechter abgesichert als die seines eigenen Instituts, was sie zu potenziellen Kandidaten für eine feindliche Übernahme durch die Deutsche Bank hätte machen können – wenn seine Idee umgesetzt worden wäre.

Familie

Herrhausen war seit 1953 in erster Ehe mit Ulla Sattler, Tochter des Generaldirektors der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW), Paul Sattler, verheiratet. 1974 lernte er während eines Aufenthaltes in Texas seine zweite Frau, die in Österreich geborene Ärztin Waltraud Baumgartner kennen, die er 1977 heiratete. Traudl Herrhausen war nach seinem Tod für die CDU von 1991 bis 2003 Abgeordnete im hessischen Landtag. Herrhausen hatte zwei Töchter, Bettina Herrhausen (* 1959) aus der ersten und Anna Herrhausen (* 1978) aus der zweiten Ehe.

Freundschaft mit einer Andersdenkenden

In einer Talkshow lernte Herrhausen 1982 die 30 Jahre jüngere Politik- und Literaturstudentin Tanja Langer (geb. Neumann) kennen, die dort als Vertreterin der sogenannten No Future-Generation eingeladen war. Die junge, politisch links eingestellte Studentin sagte ihm nach der Show die Meinung. Ihre Kritik und ihre polit-ökonomischen Zukunftsvorstellungen verblüfften ihn, und er forderte sie auf, ihm zu schreiben. Damit nahm eine lange Abfolge von Briefen (ihrerseits) und Telefonaten sowie Treffen ihren Anfang, bis das Attentat dieser „sehr besonderen Freundschaft"[10] nach sieben Jahren ein jähes Ende bereitete. Langer sagte später dazu: „Ich war eine geistige Tankstelle für ihn. Er wollte mit jemandem sprechen, der andere Werte verkörperte, nicht an Geld und Karriere dachte“.[8][11] Herrhausens Ehefrau Traudl lud Tanja Langer zur Trauerfeier ein; vier Jahre später übergab sie Tanja Langer die Briefe, die ihr Mann aufbewahrt hatte, und schenkte ihr als Andenken seinen Füllfederhalter. Tanja Langer verarbeitete die Freundschaft literarisch[10] in ihrem 2012 erschienenen Roman Der Tag ist hell, ich schreibe dir,[12] der auch bestimmte Aspekte des Attentats behandelt.

Ermordung

Denkmal an der Stelle der Ermordung; in eine der Stelen ist ein Satz von Ingeborg Bachmann eingraviert: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, eine Erkenntnis, die die Lebenseinstellung Herrhausens gut zusammenfasst

Am Morgen des 30. November 1989 verließ Herrhausen sein Haus im Ellerhöhweg in Bad Homburg, um sich in seinem Dienstwagen vom Typ Mercedes zur Arbeit fahren zu lassen. Nach einer Fahrzeit von etwa drei Minuten detonierte um 8:37 Uhr[13] im Seedammweg (50.22418.6325) zwischen Taunustherme und Seedammbad eine Bombe, die sich auf einem präparierten Fahrrad am Straßenrand befand. Herrhausen, der hinten rechts im Fahrzeug saß, kam bei dem Attentat ums Leben, sein Chauffeur wurde nur leicht verletzt.

Sprengfalle

Die Bombe befand sich in einem Paket von der Größe einer Schultasche auf dem Gepäckträger des Fahrrads. Sie bestand aus einer schweren Kupferplatte welche auf einer Seite mit etwa 7 Kilogramm des Sprengstoffs TNT beschichtet worden war.[14] Diese in panzerbrechenden Waffen verwendete Anordnung setzt aufgrund des Misznay-Schardin-Effekts die Explosionsenergie zielgerichtet frei (projektilbildende Ladung). Technisch gesehen war es daher keine Hohlladungsmine[15], so wie in dem später aufgetauchten Bekennerschreiben fälschlich behauptet wurde,[16] und was auch Behörden anfangs verbreiteten.[14] Als Herrhausens Wagen durch eine vorher installierte Lichtschranke fuhr (Sprengfalle), explodierte die Bombe, deren Druckwelle genau auf die hintere Seitentür des gepanzerten Mercedes-Benz der S-Klasse traf. Der Wagen wurde durch die Wucht der Druckwelle in die Luft gehoben, gedreht und blieb quer zur Fahrtrichtung liegen.[17] Ein durch die Explosion abgesprengtes, scharfkantiges Teil der inneren Türverkleidung verletzte Herrhausens Oberschenkelschlagader.[17][18] Er starb innerhalb weniger Minuten an starkem Blutverlust.[17]

Vergeblicher Einsatz des Fahrers

Sein Fahrer Jakob Nix war durch Splitter an Kopf und Arm verletzt worden. Während die Personenschützer noch in dem Begleitfahrzeug saßen, ließ er sich aus dem Wagen fallen und ging dann um das zerstörte Fahrzeug herum zu Herrhausens Tür, die aus den Angeln gerissen war. Wegen seines verletzten Arms konnte er aber nicht zugreifen; es gelang ihm nicht, Herrhausen aus dem Wagen zu ziehen. Er wurde kurz darauf von einem der ersten hinzugekommenen Personenschützer vom Fahrzeug weggeführt. Nix litt noch lange Zeit unter dem Trauma, dass er seinem Chef nicht hatte helfen können, zu dem in 19 Jahren Dienstzeit ein enges Verhältnis entstanden war und mit dem er sich duzte.[19] Etwa acht Minuten nach der Explosion wurde von den Personenschützern der Tod Herrhausens festgestellt.[17]

Ungereimtheiten

Der oder die Urheber für das Attentat konnten nie ermittelt werden. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich am Nachmittag des Mordes per Anruf in der Wohnung der Herrhausens zur Tat.[18] Am 2. Dezember 1989 fand man zudem ein Bekennerschreiben[16] der RAF. Der Journalist Christoph Gunkel weist auf aus seiner Sicht ungewöhnliche Umstände hin: Die als Baustelle getarnten Arbeiten, bei denen man die Kabel für die Lichtschranke verlegte (sie waren allerdings von kurzer Dauer; nach Angaben von Augenzeugen wurde nach ihrer Beendigung das Baustellenschild vergessen und stand wochenlang am Rand der Fahrbahn), der große materielle und technische Aufwand sowie der Einsatz einer Bombe militärischer Bauart mit dem Sprengstoff TNT entsprachen nicht der bisherigen Vorgehensweise der RAF.[20] Überdies waren die auffälligen Vorbereitungen zu dem präzise geplanten Anschlag weder der Polizei noch dem Bundeskriminalamt verdächtig vorgekommen, obwohl Herrhausen offiziell zum Kreis der am stärksten gefährdeten Personen in der Bundesrepublik gehörte und die Umgebung seines Hauses ständig überwacht wurde. Dass das normalerweise eingesetzte, vorausfahrende zweite Begleitfahrzeug laut dem damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Richard Meier kurz vor dem Attentat abgezogen worden war,[21] kann als Ungereimtheit des Falles rezipiert werden. Es gibt auch Darstellungen, laut denen das vordere Fahrzeug weit vorausfuhr.

Täterschaft ungeklärt

Hinweise auf die Täter ergaben sich aus dem Bekenneranruf und dem Bekennerschreiben der RAF (Kommando Wolfgang Beer), das zwei Tage nach dem Mord in der Nähe des Tatorts gefunden wurde. Ansonsten tappten die Ermittler im Dunkeln. Hans-Ludwig Zachert, damaliger Präsident des Bundeskriminalamts, sagte im März 1991: „In der Terroristenfahndung treten wir auf der Stelle. Bei dem Attentat auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen gibt es noch immer keine brauchbare Spur.“ Kurz darauf, am 1. April 1991, wurde in Düsseldorf der Vorsitzende der Treuhandanstalt Detlev Rohwedder erschossen.

Aussage eines Kronzeugen

Erst mehr als zwei Jahre nach der Tat, am 21. Januar 1992, präsentierten die Ermittlungsbehörden einen vermeintlich spektakulären Fahndungserfolg. Siegfried Nonne, ein gelegentlich als V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes eingesetztes Mitglied der linksradikalen Szene, belastete in einer umfangreichen Aussage sich selbst, Christoph Seidler, Andrea Klump sowie zwei weitere ihm nur als Stefan und Peter bekannte Männer. Er gab an, dass die vier RAF-Terroristen gewesen seien und vor dem Anschlag längere Zeit in seiner Bad Homburger Wohnung gelebt hätten. Außerdem sei er selbst an der Planung beteiligt gewesen. Der Generalbundesanwalt erließ daraufhin Haftbefehle gegen Christoph Seidler und Andrea Klump, die Meldung über den Fahndungserfolg lieferte wochenlang Material für eine umfangreiche Berichterstattung in der deutschen Presse. In Nonnes Keller wurden äußerst geringe Spuren von Sprengstoff gefunden, allerdings von anderen Substanzen (2,4-Dinitrotoluol, 2,4-Dinitroethylbenzol und Spuren von Nitroglycerin) als dem beim Anschlag verwendeten Trinitrotoluol (TNT).[22] Nonnes Halbbruder Hugo Föller stellte dessen Aussage umgehend in Frage. Er hatte mit seiner Ehefrau lange in der Bad Homburger Wohnung des Kronzeugen gelebt, befand sich jedoch zum Zeitpunkt von Nonnes Aussage im Krankenhaus, wo er vom Bundeskriminalamt vernommen wurde. Er behauptete, er sei erst zwei Monate nach dem Attentat ausgezogen und habe keinen Fremden im Haus gesehen. Föller starb noch im Januar, wenige Tage nach Nonnes Aussage, im Alter von 42 Jahren an einer Lungenentzündung. Andere Bewohner des Hauses bestätigten Föllers Aussage, dass sich zu keinem Zeitpunkt unbekannte Personen länger im Haus aufgehalten hätten.[23]

Widerruf

In einer Sendung des WDR-Magazins Monitor vom 1. Juli 1992 widerrief Nonne vor laufender Kamera seine gesamte Aussage.[24] Er gab gegenüber den Journalisten an, dass er von Mitarbeitern des hessischen Verfassungsschutzes mit kaum verhohlenen Morddrohungen (er sei ja bekanntlich suizidgefährdet, und man könne da nachhelfen[25]) zu seiner Aussage genötigt worden sei. Ein BKA-Mitarbeiter, der einen der Autoren wenige Tage nach der Sendung anrief, bestätigte Nonnes Angaben darin und legte bei einem Treffen mit dem Autor Mitte Juli 1992 Unterlagen vor, aus denen hervor ging, dass der hessische Verfassungsschutz von sich aus mit Nonne Kontakt aufgenommen hatte.[26] In der Folge wurde bekannt, dass Nonne mehrfach in psychiatrischer Behandlung gewesen war und unter Alkohol- und Drogenproblemen litt. Erst vier Tage bevor er sich erstmals mit seinen Aussagen an den Verfassungsschutz gewandt hatte, war er nach halbjährigem Aufenthalt aus der Psychiatrie entlassen worden. Die Diagnose lautete damals: „Länger anhaltende depressive Reaktion mit suizidalen Gedanken, Polytoxikomanie inklusive Morphin, Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau.“[27] Zwei von den Behörden beauftragte Gutachten eines Psychologie-Professors und eines Psychiaters bescheinigten Nonnes Aussagen dennoch Glaubwürdigkeit. Damit entstand allerdings das Problem, ob nun Nonnes erste Aussage oder sein Widerruf als gültig angesehen werden sollte. Die Behörden entschieden sich dafür, seine Aussage als glaubwürdig, das Dementi dagegen als unglaubwürdig einzustufen, wodurch die Haftbefehle gegen die beiden von ihm benannten Täter bestehen blieben. Später kehrte Nonne wieder zu seinen ursprünglichen Aussagen zurück und revidierte somit seinen Widerruf. Als Begründung nannte er erneut, dass er bedroht und genötigt worden sei, diesmal allerdings von den Monitor-Journalisten. Das Ermittlungsverfahren wegen seiner Mittäterschaft wurde 1994 unter der Kronzeugenregelung mit dem Hinweis auf seine Beteiligung an der Aufklärung der Tat eingestellt.

Zweifel

Viele Seiten äußerten Zweifel an Nonnes Glaubwürdigkeit. Seine Aussagen und die darauf aufgebaute Version der Behörden gelten in einer Reihe von Punkten als unstimmig.[27] Am 13. Februar 1995 stellte die Bundestagsfraktion der Grünen eine kleine parlamentarische Anfrage mit dem Titel Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden an die Bundesregierung, die sich in wesentlichen Teilen auf Aussagen des Buches bezog.[24] Die Bundesregierung antwortete, die Aussagen Nonnes würden auch weiterhin als glaubwürdig angesehen.[22] Die Beantwortung der Fragen zur vermeintlichen Präparierung bzw. Erzwingung seiner Aussagen durch Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes wurde mit dem juristisch korrekten Hinweis abgelehnt, dass „die Bundesregierung Maßnahmen dieses Amtes nicht zu bewerten bzw. zu kommentieren hat“. Zu den Fragen, die sich auf die von den Buchautoren aufgedeckten sachlichen Ungereimtheiten in der offiziellen Version bezogen, verwies die Regierung darauf, dass sie keine gutachterlichen Kompetenzen habe.

Aufhebung der Haftbefehle

Das Festhalten des Generalbundesanwalts an Nonnes Aussagen wurde vielfach kritisiert. Schließlich löste sich die Frage von selbst, als sich der vermeintliche Täter Seidler 1996 den deutschen Behörden im Rahmen eines Aussteigerprogrammes stellte und für die Tatzeit ein Alibi präsentierte. Der Bundesgerichtshof hob den Haftbefehl gegen Seidler daraufhin gegen den Willen des Generalbundesanwalts auf. Eine Beschwerde dagegen wurde 1997 mit dem Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen Nonne abgelehnt.[28] Christoph Seidler befindet sich seitdem auf freiem Fuß. Er wurde außerdem von dem Vorwurf der RAF-Mitgliedschaft entlastet, der einzig auf Nonnes Aussagen beruhte. Auch der Haftbefehl gegen Andrea Klump wurde deshalb aufgehoben. Sie wurde wegen anderer terroristischer Verbrechen zu einer Haftstrafe verurteilt, eine Anklage wegen ihrer vermeintlichen RAF-Mitgliedschaft wurde 2001 fallengelassen.[20][29] Erst im Jahr 2004 entschloss sich der Generalbundesanwalt, auch das Ermittlungsverfahren gegen Klump wegen Mangels an Beweisen einzustellen und fortan gegen Unbekannt zu ermitteln.[30]

Der Spiegel bilanzierte im Jahr 2009 zum 20. Jahrestag des Attentats: „(...) die sensationelle Wende [durch Nonnes Aussagen] wurde zur Justizposse, die sich über Jahre hinzog und für die Bundesanwaltschaft in einem Desaster endete.“[20] Die FAZ schrieb zum gleichen Anlass: „Siegfried N. erwies sich als ein Psychopath, dessen Geständnis genau so wertlos war wie später sein Widerruf.“[14]

Aktueller Stand

Wer Alfred Herrhausen tatsächlich ermordet hat, ist nach dem Zusammenbruch der Nonne-Version bis heute ungeklärt. Das offizielle Ermittlungsverfahren läuft „gegen Unbekannt“.[31] Dass der 1993 während einer Aktion der GSG9 in Bad Kleinen ums Leben gekommene Wolfgang Grams an dem Attentat beteiligt war, ist nicht bewiesen. Zwar berichtete der Spiegel bereits im Mai 2001, das BKA würde am Tatort in Bad Homburg gefundene Haare untersuchen,[32] und die FAZ erwähnte in einem Artikel über das Buch Black Box BRD von Andres Veiel: „Das Bundeskriminalamt konnte dank neuer genetischer Analysen eine am Tatort des Mordes an Herrhausen verbliebene Spur eindeutig Wolfgang Grams zuordnen“.[13] Daraus ergaben sich jedoch anscheinend keine verwertbaren Erkenntnisse. Laut einem Sprecher der Bundesanwaltschaft wurden die Ermittlungen im Fall Herrhausen im September 2007 wieder intensiviert. Dabei wurde auch eine Spur zur Sondereinheit AGM/S des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verfolgt, welche Terroranschläge in Westdeutschland planen und durchführen sollte.[33][34]

Ehrungen

Bundesrat, Gedenkstunde für Alfred Herrhausen

10.000 Menschen zogen am Tag nach seinem Tod um die Mittagszeit durch das Frankfurter Bankenviertel. Neben Vertretern der Politik beteiligten sich auch die damaligen Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank und der Commerzbank an dem Schweigemarsch.[2]

Die Deutsche Bank gründete die gemeinnützige Alfred Herrhausen Gesellschaft, die als internationales Forum ausgelegt ist und sich als eine Art Denkfabrik mit neuen Formen des Regierens im 21. Jahrhundert beschäftigt.

In Witten ist die Alfred-Herrhausen-Straße an der Universität Witten/Herdecke nach ihm benannt; außerdem trägt die Straße in Eschborn bei Frankfurt, in der ein Teil des IT-Bereichs der Deutschen Bank seinen Sitz hat, den Namen Alfred-Herrhausen-Allee. Eine Dr.-Alfred-Herrhausen-Allee findet man im Businesspark Niederrhein in Duisburg-Rheinhausen. Das Alfred-Herrhausen-Haus in der Brunnenstraße, dem Sitz des „Initiativkreis Ruhrgebiet“ in Essen, dessen Mitbegründer er war, ist nach ihm benannt, ebenso eine Brücke in der Essener Innenstadt in der Nähe der Essener Hauptfiliale der Deutschen Bank, die Alfred-Herrhausen-Brücke.

Werke

Literatur

Zum Leben und Werk
Interviews und Gespräche
  • Gero von Boehm: Alfred Herrhausen. 28. November 1989. Interview in: Begegnungen. Menschenbilder aus drei Jahrzehnten. Collection Rolf Heyne, München 2012, ISBN 978-3-89910-443-1, S.229-238

Weblinks

 Commons: Alfred Herrhausen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Peter Gillies: Herrhausen, der Ausnahme-Bankier. Welt online, 28. November 2009
  2. 2,0 2,1 2,2 Tim Kanning: 20 Jahre nach dem Tod. Herrhausens Nachlass. FAZ.net, 30. November 2009
  3. Eintrag bei der Deutsche Nationalbibliothek
  4. Arte-Programmarchiv zu Black Box BRD
  5. Lichter, Neßhöver, Slodczyk, S.272
  6. Thomas Moser: Buchrezension zu: Andres Veiel: Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams; Deutschlandfunk, 23. Dezember 2002.
  7. Dieser Mann potenziert das Problem. In: Der Spiegel. Nr. 11, 1989, S. 20-28 (13. März 1989, online).
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 8,4 Harald Freiberger: Alfred Herrhausen. Der gute Mensch aus dem Bankenturm. Süddeutsche Zeitung, 30. November 2009
  9. 9,0 9,1 Die Schnapsidee des Alfred Herrhausen. In: Der Spiegel. Nr. 40, 1988, S. 136-140 (3. Oktober 1988, online).
  10. 10,0 10,1 Der Bankier und die Studentin. Welt am Sonntag, 19. August 2012
  11. Ulli Kulke: „Lieber Alfred …“ Welt online, 30. November 2004
  12. Tanja Langer: Der Tag ist hell, ich schreibe dir. LangenMüller, August 2012, ISBN 3784433057
  13. 13,0 13,1 Andreas Platthaus: Terrorismus als Montagekunstwerk. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Januar 2003, Nr. 22, S.43
  14. 14,0 14,1 14,2 Thomas Kirn: Der ungesühnte Mord. faz.net, 30. November 2009
  15. Eine Hohlladungsmine funktioniert nach dem Munroe-Effekt und ist komplizierter aufgebaut
  16. 16,0 16,1 Bekennerschreiben der RAF
  17. 17,0 17,1 17,2 17,3 Lutz Wernicke: Stammheim 1977. S.95/96
  18. 18,0 18,1 Carolin Emcke: Stumme Gewalt, in Die Zeit, 6. September 2007.
  19. Andres Veiel: Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, Die RAF und Wolfgang Grams. S. 10-13, Fischer Verlag, 2004, ISBN 3596159857
  20. 20,0 20,1 20,2 Christoph Gunkel: Tod in der Lichtschranke. spiegel.de, 30. November 2009, abgerufen am 2. Dezember 2011.
  21. Deutscher Bundestag: Protokoll der 71. Sitzung des Innenausschusses. 7. Dezember 1989, S. 44
  22. 22,0 22,1 Bundestagsdrucksache 13/754 vom 9. März 1995: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen.
  23. Wässrige Phase. In: Der Spiegel. Nr. 11, 1992, S. 53-57 (9. März 1992, online).
  24. 24,0 24,1 Bundestagsdrucksache 13/533 vom 13. Februar 1995: Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion: Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden.
  25. Helmut Lorscheid: Keine Neuauflage der Kronzeugenregelung. Telepolis, 21. März 2002. Zitat: „Nonne zufolge waren zwei Beamte des eigentlich für die Verteidigung des Rechtsstaates und der Demokratie geschaffenen Verfassungsschutzes beim Aufbau ihres ‚Kronzeugen‘ nicht einmal vor indirekten Morddrohungen gegenüber seiner Person zurückgeschreckt. Nonne, psychisch labil, alkohol- und drogenabhängig, wurde seinen Angaben zufolge massiv unter Druck gesetzt. Etwa mit dem Hinweis, man wisse ja, dass er in psychiatrischer Behandlung war und selbstmordgefährdet sei, da könne man ja nachhelfen…“
  26. Alfred Herrhausen: Das nie aufgeklärte Attentat. Deutschlandfunk 7. Januar 1997, 19:15 Uhr [1].
  27. 27,0 27,1 Thomas Kleine-Brockhoff: Christoph Seidler und die Zweifel der Justiz; in: Die Zeit Nr. 4 vom 17. Januar 1997
  28. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 3/1997 vom 17. Januar 1997: Haftbefehl gegen den des Mordes an Dr. Herrhausen beschuldigten Christoph Seidler bleibt aufgehoben
  29. Klump-Prozess: OLG stellt Anklage wegen RAF-Mitgliedschaft ein. Frankfurter Rundschau, 24. April 2001.
  30. Herrhausen-Anschlag / Ermittlungen gegen Andrea Klump eingestellt. Frankfurter Rundschau, 7. Dezember 2004.
  31. dpa-Meldung unter der Überschrift Nehm sucht Unbekannt; in: tageszeitung vom 6. Dezember 2004
  32. Georg Bönisch, Gunther Latsch, Georg Mascolo: Terroristen: Spuren in der Maske. In: Der Spiegel. Nr. 21, 2001, S. 32-36 (21. Mai 2001, online).
  33. Lisa Erdmann: RAF-Anschlag: Ermittler prüfen Stasi-Verwicklung in Herrhausen-Mord; Spiegel-Online, 17. September 2007
  34. David Crawford: The Murder of a CEO: Did East Germany's feared secret police help kill German businessmen? Wall Street Journal, 15. September 2007, abgerufen am 23. November 2009.
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