Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Sexualethik

Aus Jewiki
(Weitergeleitet von Sexualmoral)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Sexualethik ist ein Teilbereich der Angewandten Ethik, der sich mit dem Geschlechtsleben des Menschen und dessen Beurteilung beschäftigt. Die Beurteilung der sozialen Normen und Wertvorstellungen für das sexuelle Verhalten von Mann und Frau (= Sexualmoral), die ebenso vom Volk und von der Kultur wie auch von der Gesellschaft und ihrer Epoche abhängig sind, erfolgt anhand von allgemeinen ethischen Prinzipien.[1] Zentrale Maßstäbe für die Sexualethik sind: die Würde der Person, Freiwilligkeit, Verantwortung und die Menschenrechte.

Bis zum 18. Jahrhundert war die Sexualethik praktisch mit der christlichen Morallehre identisch. Im 18. und 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts, wo der Begriff Sexualethik erstmals in der Literatur verwendet wird,[2] ist sie von der Auseinandersetzung mit christlicher Moral, bürgerlichen Moralvorstellungen und der Frage nach einer natürlichen Sexualmoral (Biologismus) geprägt.

Unter dem Einfluss des Feminismus, der Antibabypille und der Sexuellen Revolution begann ab den 1960er Jahren eine Liberalisierung der Sexualmoral die zu einem Wandel in der Sexualethik führte.

In der Gegenwart werden die vielfältigen Ausdrucksformen menschlicher Sexualität weitgehend akzeptiert und zumindest dahingehend bewertet, ob sie anderen psychischen oder physischen Schaden zufügen oder nicht. Die AIDS-Problematik hat dazu geführt, dass sexuelle Aufklärung und Safer Sex zu einem wichtigen öffentlichen Anliegen der Sexualethik geworden sind.

Häufig diskutierte Themen der Sexualethik sind Sexualerziehung, Masturbation, nichteheliche Beziehungen, Homosexualität, sexuelle Identität und Prostitution.

Abgrenzung

Nach philosophischer Terminologie ist die Sexualethik die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sexualmoral, also die Reflexion über die in der jeweiligen Gesellschaft geltenden Normen und Werte in Bezug auf die menschliche Sexualität. Beide, Ethik und Moral, wirken sich auf die Gesetzgebung aus, sie beeinflussen die Höhe des Schutzalters, das Ehe- und Familienrecht, den rechtlichen Status von Homosexualität und das Sexualstrafrecht. Die Sexualethik hat Berührungspunkte mit der Bioethik, Medizinethik und Sozialethik, wobei ethische Fragen im Zusammenhang mit der Fortpflanzung (Reproduktionsmedizin), wie Samen- und Eizellspenden und Leihmutterschaft, in der Bioethik abgehandelt werden. Fragen zur Familie wie Adoption, Patchworkfamilien, Scheidung und Unterhalt, werden in der Sozialethik behandelt. Die Themen Prostitution und Pornografie werfen auch viele sozialethische, politische und rechtliche Fragen auf, weil sie oft mit Menschenhandel und wirtschaftlicher und psychologischer Ausbeutung in Zusammenhang stehen.

Die religiöse Ethik (theologische Ethik) orientiert sich bei der Beurteilung das moralischen Verhaltens zusätzlich an den ethischen Grundprinzipien der Heiligen Schriften und zieht daher bei einigen Fragen andere Schlüsse als die allgemeine Ethik.

Geschichtliche Entwicklung der Sexualethik in Europa

Antike bis frühe Neuzeit

Die Sexualethik war bis ins 16. Jahrhundert maßgeblich von der kirchlichen Morallehre geprägt. Augustinus von Hippo brachte unter dem Einfluss des Neuplatonismus und der Stoa einen ausgeprägten Sexualpessimismus in die kirchliche Lehre. Nach seiner Erbsündenlehre (Konkupiszenz) verführt das sexuelle Begehren den Menschen zur Sünde. Thomas von Aquin milderte diese Einstellung ab. Er beurteilt die Sexualität als von Natur aus gut, ihr gottgewollter Sinn ist die Fortpflanzung. Jeder nicht „naturgemäße“ oder „vernunftgemäße“ Gebrauch (Ehebruch, Prostitution, Selbstbefriedigung, Coitus Interruptus, Homosexualität) ist Sünde.[3]

Damit war die katholische Lehre bis heute festgelegt: Freude an der Sexualität war immer unter dem Verdacht der Sündhaftigkeit; lediglich Heterosexualität, ausgelebt zum Zwecke der Zeugung und Fortpflanzung und eingebunden in die Institution der christlichen Ehe, wurde moralisch befürwortet und gefördert. Von der protestantischen Ethik wurde dieser Aspekt weitgehend übernommen.

Die Sündenangst führte zu einer Fülle von moralischen Regeln, Beichtspiegeln und Predigten, die oft das Interesse an bestimmten Formen der Sexualität in der Bevölkerung erst weckten.[4]

Zeitalter der Aufklärung und das 19. Jahrhundert

Bis ins 17. Jahrhundert herrschte trotz der kirchlichen Morallehre in Mitteleuropa eine bejahende Einstellung zur Sexualität vor, erste große Einschnitte gab es durch die Pestepidemien und die Syphilis.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts veränderte sich die Wahrnehmung der Sexualität durch den Rationalismus der Aufklärung. Sie führte zu einer patriarchalen Sexualethik, die eine Unterordnung der Frauen unter die Männer und Doppelmoral rechtfertigte. Der "gesunden" und "anständigen" Frau wurde jegliche natürliche erotische Neigung untersagt. Sie hatte treu zu sein, ihr Ersatz für den Sexualtrieb war die Liebe zu den Kindern und zu ihrem Mann. Den Männern wurde hingegen zugestanden, dass sie neben der Ehefrau auch ein sexuelles Ventil brauchen, das sie bei Prostituierten und auch bei Dienstmädchen fanden.[5] Biologistische Einflüsse veränderten die Beurteilung verschiedener Verhaltensweisen, auch sexueller Art, als „krank“ im Gegensatz zu „sündig“. So setzte sich zum Beispiel in der Medizin die Ansicht durch, Selbstbefriedigung sei schädlich. Dieses Argument griffen die Kirchen wiederum auf, um diese und andere Formen der Sexualität zu bekämpfen. Auch kindliche Sexualität wurde nicht mehr geduldet.

20. Jahrhundert

Die am Ende des 19. Jh. entstandene psychologische Wissenschaft stellte die Bewertung menschlichen Sexualverhaltens auf eine neue Grundlage und führte zu einem Aufbrechen der bürgerlichen Scheinmoral. Auch in der Medizin setzte sich zunehmend die Sichtweise durch, dass nicht jedes „andere“ Ausleben von Sexualität, also alles, was nicht direkt zur Fortpflanzung beitrug, zwangsläufig schädlich sein müsse. Die Sexualethik des Christian von Ehrenfels[6] wendet sich bereits gegen die verlogene Doppelmoral der bürgerlichen Sittlichkeit des 19. Jahrhunderts.[7] Sie ist aber noch geprägt von einer großen Skepsis gegenüber einer allzu frei ausgelebten Sexualität, da sie seiner Ansicht nach, vor allem in Bezug auf die Selbstbefriedigung, der Gesundheit und einer „natürlichen“ Entwicklung schadet.[8]

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzten sich im deutschsprachigen Raum neue Normen durch: „Sexualität ohne Schuldgefühle, basierend auf einer Konsensmoral, lustvoll für beide Partner und nicht unbedingt reproduktiv“. Diese führten erwartungsgemäß zu einer heftigen Ablehnung durch die Kirchen.[9] In diesem sexuell liberalen Klima entstanden auch die Erkenntnisse der Sexualforschung von Sigmund Freud (Triebtheorie) und Wilhelm Reich, die die sexuelle Revolution nachhaltig beeinflusst haben.

Der Nationalsozialismus vertrat eine ambivalente Sexualethik. Anfangs forderte er eine konservative Ehe und Fortpflanzungsmoral. Bald wurde aber einerseits die Homophobie und das rassistische Programm der NS-Sexualpolitk deutlich. Andererseits wurde die „Herrenrasse“ zu einem liberalen Ausleben der Sexualität ermuntert und damit die traditionelle christliche Moral aktiv bekämpft.[10]

In den 1950er Jahren erfolgte eine Restauration der christlich-bürgerlich restriktiven Sexualmoral, die sich u.a. in Pornografieverbot und gerichtlicher Verfolgung von Homosexualität manifestierte.

Liberalisierung ab den 1960er Jahren

Bei der ab den 1960er Jahren erfolgten Liberalisierung der öffentlichen Sexualmoral wirkten mehrere Faktoren zusammen.

  • In Deutschland entwickelte sich im Zuge der Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine Gegenbewegung gegen die repressive Sexualmoral der 1950er Jahre, die als Fortführung der NS-Moral angesehen wurde. Diese Kritik traf auch die Kirchen, die ihre traditionelle Moral oft mit dem „gesunden Volksempfinden“ zu untermauern versuchten. Das Christentum wurde in der Sexualmoral schlicht nicht mehr ernst genommen oder der Nähe des Faschismus bezichtigt.[11]
  • Die zweite Frauenbewegung forderte die Selbstbestimmung über die weibliche Sexualität mit dem Recht auf Abtreibung und sie bekämpfte Pornografie und Prostitution als Formen der patriarchalen Unterdrückung der Frauen.
  • Die „Antibabypille“ und die Emanzipation von der traditionellen Moral (sexuelle Revolution) machten Sex ohne Angst vor ungewollter Schwangerschaft vor allem für Jugendliche möglich.

Alle diese Faktoren wirkten sich nachhaltig auf die Sexualethik und die Gesetzgebung aus.

Die von äußeren Autoritäten (Kirche, Staat) bestimmten Regeln wurden durch eine demokratische Verhandlungsmoral (Respekt vor Autonomie, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung) abgelöst.[12]

Seit dem Auftreten von AIDS in den 1980er Jahren steht in der Sexualethik der Aspekt der Verantwortung wieder im Vordergrund. Sexualaufklärung in der Schule und umfassende Information über Sexualität in den Medien werden meist sehr positiv bewertet.

Reaktion der Kirchen auf die Liberalisierung

Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung.

Die katholische Kirche reagierte auf die Liberalisierung mit dem „Pillenverbot“ in der Enzyklika „Humanae Vitae“ 1968. Künstliche Empfängnisverhütung widerspricht aus Sicht der Kirche der „personalen Ganzhingabe in der ehelichen Liebe“.[13] Damit verfestigte sie die traditionelle Moral. Es begann eine innerkirchliche Kontroverse über die katholische Sexualmoral, in der sich namhafte Theologen und Bischöfe gegen die Lehre des Papstes stellten und die bis heute anhält.[14] 1997 spricht Papst Johannes Paul II. von dem deutschen Abtreibungsrecht als einem "Anschlag auf die Würde des Menschen". 1998 zwingt Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe dazu, in kirchlichen Beratungsstellen nicht mehr den für eine Abtreibung notwendigen Beratungsschein auszustellen. In der Folge steigt die katholische Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung aus. Aber katholische Laien gründen den Verein Donum Vitae, der weiterhin die für eine Abtreibung notwendigen Scheine ausstellt. [15]

Auch nach der Entdeckung von AIDS rückte das katholische Lehramt nicht vom Kondomverbot ab und sieht in Enthaltsamkeit und ehelicher Treue den besten Schutz vor einer Ansteckung.[16] Papst Benedikt XVI. stellte allerdings fest, dass der Kondomgebrauch für männliche Prostituierte zum Selbstschutz „ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann“.[17]

Eine vom Vatikan 2013 gestartete Umfrage über Ehe und Familie, zur Vorbereitung für die Bischofssynode im Oktober 2014, kam zu dem Ergebnis: „Die kirchlichen Aussagen zu vorehelichem Geschlechtsverkehr, zur Homosexualität, zu wiederverheirateten Geschiedenen und zur Geburtenregelung, finden bei den Gläubigen kaum Akzeptanz und werden überwiegend ausdrücklich abgelehnt.“[18]

Die evangelische Kirche Deutschlands schwenkte 1971 in ihrer „Denkschrift zu Fragen der Sexualethik“ in eine tolerantere Richtung um. Sie betonte eine positive Grundhaltung zur Sexualität und legte Themen wie Masturbation, vorehelichen Geschlechtsverkehr und Empfängnisverhütung in die Gewissensentscheidung der Einzelnen. Die Ehe mit dem Willen „zu lebenslanger Dauer und Ausschließlichkeit der Geschlechtsgemeinschaft“ steht aber ohne Frage im Zentrum der sexualethischen Überlegungen.[19] Die verantwortliche Sexualität wird auch in einer Stellungnahme der EKD von 1988 zur AIDS-Problematik betont.[20]

Ein für 2014 geplantes Papier der EKD zur Sexualethik, das auf „die gelebte christliche Realität“ eingeht und die lebenslange Ehe nicht mehr als einzige Form von Familie, die „auf den Segen Gottes hoffen kann“, bezeichnet, wurde wegen massiver Kritik von konservativer Seite nicht veröffentlicht.[21]

Gegenwart

In der Gegenwart hat die fortschreitende Säkularisierung der westlichen Welt und der kulturelle Pluralismus die Kirchen als Moralinstanzen in den Hintergrund gedrängt. Die gesellschaftlichen Umstände,

  • Entlastung der Ehe von wirtschaftlichen Versorgungsaufgaben,
  • berufliche Selbständigkeit von Frauen,
  • viele Möglichkeiten der Empfängnisverhütung und
  • steigendes Lebensalter,

machen einen individuellen sexuellen Lebensentwurf möglich. Religiöse oder traditionelle Moralvorstellungen spielen dabei nur mehr für wenige eine Rolle.

Sexuelle Identitäten und Verhaltensweisen, die einst abgelehnt wurden, finden zunehmend Akzeptanz oder werden zumindest offen diskutiert: BDSM in Verbindung mit Sexualität; Bisexualität; Fetischismus; Gruppensex; Homosexualität; Polyamory; Pornografie; Selbstbefriedigung; selbstbestimmte Sexualität von Jugendlichen; Transgender und Transsexualität-

Der tiefgreifende Wandel der Sexualmoral in der "westlichen Kultur", der nach der sexuellen Revolution begonnen hat und nach wie vor andauert, wird auch als Neosexuelle Revolution bezeichnet.

Trotz aller moralischen Veränderungen ist der Wunsch nach Beziehung und sexueller Treue in einer Partnerschaft ungebrochen. Eine erfüllte Sexualität in der Partnerschaft ist, anders als früher, ein hoher Wert.[22]

Zugleich ist die Tabuisierung des Sexuellen oft noch bis heute wirksam geblieben. Ein Indiz hierfür ist der öffentlich „zelebrierte“ sexuelle Tabubruch in westlichen Massenmedien.[23] Ein weiteres typisches Phänomen des Umbruchs im Wertesystem ist die Doppelmoral, also das Auseinanderklaffen der allgemein eingeforderten Normen und Werte mit dem, was im nichtöffentlichen Raum praktiziert wird.

Moderne Sexualethik

Die philosophische Tradition hat sich nicht direkt mit Sexualethik beschäftigt. Die Ethik der Gegenwart bezieht sich daher auf Aussagen der ethischen Klassiker zur „sinnlichen Lust“ und zur Selbstbestimmung des Menschen.

Hedonismus

Für den antiken Hedonismus des Epikur gehört das Streben nach sinnlicher Lust zu den unvernünftigen Begierden, weil es zwar kurzfristig Freude bereitet, aber auf lange Sicht Schmerzen verursacht. Ein ausgewogenes, von emotionaler Gelassenheit (Ataraxie) bestimmtes Leben ist für Epikur das höchste Ziel.

Eudaimonismus

In der Nikomachischen Ethik des Aristoteles gehört die sinnliche Lust zur untersten Stufe des Glücks, den Gütern des Leibes.[24] Wenn die körperlichen Grundbedürfnisse nicht zum Selbstzweck werden und im rechten Maß genossen werden, sind sie eine notwendige Grundlage, um die höchste Stufe der Glückseligkeit, die Weisheit, die der Seele des Menschen am meisten entspricht, zu erreichen.[25]

Prinzipienethik - Deontologie

Immanuel Kant begründet die Menschenwürde in folgender Weise:

„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden. (...)“ [26]

Jeder Mensch ist also nach Kant so zu behandeln, dass er vernünftigerweise dem zustimmen könnte, was die Anderen von ihm möchten.[27]

Zentrum von Kants Moralphilosophie ist die sittliche Selbstverpflichtung durch die Vernunftautonomie, die im Kategorischen Imperativ zusammengefasst ist. Für Kant ist der Mensch „Bürger zweier Welten“. Er ist Naturwesen, dessen Handeln von Bedürfnissen, Lust- oder Unlustgefühlen motiviert wird, und er ist Vernunftwesen. Als solches wird er von der reinen Vernunft bestimmt, die von sich selbst aus praktisch wird, d. h., die Erkenntnis des sittlich Guten verpflichtet direkt zum Handeln. Kant begründet damit den Durchbruch zu einem modernen Verständnis von universaler Entscheidungsfreiheit und individueller Verantwortungsethik.[28]

Die juristische Betonung der Pflicht hat Kant die Kritik eingebracht, dass er der Neigung (= den „natürlichen“ Wünschen und Bedürfnissen des Menschen) keinen Wert beimessen würde. Kant ist aber sehr wohl davon überzeugt, dass Neigungen zum Pflichtgemäßen die Wirksamkeit moralischer Maximen erleichtern können.[29] (Siehe auch: Über Anmut und Würde)

Utilitarismus

Der Utilitarismus des John Stuart Mill verbindet die Anliegen von Hedonismus und Gemeinwohl. Ein Zitat von ihm betont die Selbstbestimmung des Menschen.

„Der einzige Grund, aus dem Gewalt gegen ein Mitglied der Gesellschaft gegen dessen Willen und Recht ausgeübt werden kann, ist der Schutz anderer vor Schaden. Sein eigenes – körperliches oder moralisches – Wohlergehen ist keine hinreichende Rechtfertigung. Jeder Mensch ist treuer Hüter seiner eigenen – körperlichen, geistigen oder seelischen – Gesundheit.“ [30]

Systematik

Ausgehend von diesen Begründungen der allgemeinen Menschenwürde und Autonomie fordert die normative Sexualethik heute, „dass alle Menschen, unabhängig von der sexuellen Orientierung, in ihrer Würde zu achten sind.“[31]

Handlungsempfehlungen

Aus der ethischen Tradition lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für das Geschlechtsleben ableiten:

Die Menschen sollen

  • Verantwortung für die eigene psychische und körperliche Gesundheit übernehmen,
  • ihre Sexualität gewaltfrei und ohne Zwang leben,
  • ihre Sexualität in einer Beziehung und in beiderseitiger Freiwilligkeit leben,
  • Sex im Einvernehmen praktizieren,
  • Verantwortung für die eigene Fruchtbarkeit und die des Partners/der Partnerin übernehmen,
  • Verantwortung für die gezeugten Kinder und für die Familie übernehmen.[32]

Sexualethik in den Menschenrechten

Die auf der Grundlage des Naturrechts und der philosophischen Tradition formulierten fundamentalen Menschenrechte sind für die Sexualethik eine wichtige Argumentationsgrundlage gegen einen Moralischen Relativismus, der unter anderem arrangierte Ehen und Unterdrückung von Homosexuellen mit Kultur und Tradition rechtfertigt. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist der Grundsatz der Sexuellen Selbstbestimmung in den Artikeln 7 - Diskriminierungsverbot, 12 - Recht auf Privatleben, und 16 – Freiwilligkeit bei Eheschließung und Scheidung und Schutz der Familie, verankert.

In mehreren Erklärungen über die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität (2008 und 2011) bekräftigt die UNO den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung aller Menschen. Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität werden nachdrücklich verurteilt.

In der UN-Kinderrechtskonvention ist im Artikel 34 das Recht auf Schutz vor sexuellem Missbrauch festgeschrieben.

Liebe und Erotik

Neben dem Aufstellen von ethischen Regeln, die die Menschen vor Schaden bewahren sollen, betrachtet die Sexualethik auch den Beziehungsaspekt der menschlichen Sexualität.

Die Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden gehört zum Wesen des Menschen. Platon hat sich im Mythos vom Kugelmenschen mit der ursprünglichen Bezogenheit der Geschlechter beschäftigt und diese als Eros bezeichnet. Diese Bezogenheit ist nach Aristoteles der natürliche Ursprung jeder Gemeinschaft und Gesellschaft. Für Hegel ist Liebe, „dass ich mich in einer anderen Person gewinne, dass ich in ihr gelte, was sie wiederum in mir erreicht.“[33]

Die Differenz der Geschlechter ist zwar biologisch bestimmt und auf Fortpflanzung ausgerichtet, der Mensch bringt sich aber als Mann oder Frau durch Kleidung, Schmuck und Verhalten selbst zum Ausdruck. Erotik ist die Verbindung der instinktgebundenen und sinnlichen Komponente der menschlichen Sexualität mit sprachlichem Ausdruck, sozusagen die sexuelle Form der Kommunikation.[34]

Aus ethischer Sicht kann die Erotik ein ehrlicher Ausdruck der Liebe gegenüber dem Anderen sein oder eine Lüge mit dem Ziel der Manipulation. Nach Arno Anzenbacher steht die menschliche Sexualität primär „im Sinnanspruch der Liebe. Sie vollendet, entfaltet, verwirklicht nur, wenn die in ihr waltende Erotik Liebe ausdrückt. (…) Sexualität als gesinnungsloser, 'liebloser' Selbstzweck hat die Tendenz, den anderen (…) zum Objekt, zur Ware zu machen, ihn zu missbrauchen“.[35]

Weil der Mensch geschichtlich ist, lässt sich die Liebe nicht bloß auf die Gegenwart festlegen. Sie steht im Sinnanspruch der Treue. „Damit kommt aber die Ehe als jene Gemeinschaft in Sicht, auf die hin die menschliche Sexualität angelegt ist.“[36]

Lustbefriedigung und Prostitution

Bei der Frage der Bewertung sexueller Lustbefriedigung ohne Beziehungsperspektive wird der Unterschied zwischen den beiden Hauptrichtungen der Ethik, Deontologie und Utilitarismus deutlich.

Deontologie

Anzenbacher argumentiert deontologisch, die menschliche Sexualität ist primär auf eine dauerhafte Beziehung ausgerichtet (Treue, Ehe).[37] Nach dieser Sichtweise ist jede Form von Sexualität, die dieses Ziel von vornherein ausschließt, wie One-Night-Stands oder der Kontakt mit Prostituierten, abzulehnen. Aus deontologischer Sicht ist Prostitution auch deshalb ethisch nicht zu rechtfertigen, weil ein Verkauf von sexuellen Dienstleistungen der Würde des Menschen, der ein „Zweck an sich selbst“ ist,[38] widerspricht.

Der kirchlichen Morallehre liegt der deontologische Ansatz zu Grunde in Verbindung mit dem christlichen Menschenbild. Sie betont die sittliche Würde der sexuellen Begegnung als besonderen Ausdruck der Liebe, die den menschlichen Bedürfnissen nach Zuwendung, Körperkontakt und Zärtlichkeit entspricht. Ein kurzfristig-egoistisches Interesse am Körper des Anderen verletzt diese Würde, deshalb ist für die christliche Ethik die Ehe der optimale Schutzraum für eine menschenwürdige Sexualität.[39]

Viele Feministinnen vertreten ebenso einen deontologischen Standpunkt mit Betonung der Prinzipien Gleichberechtigung und Menschenwürde, was wiederum zur Kritik der Lustfeindlichkeit des Feminismus geführt hat. Die Ansicht, dass eine „sexuelle Zusammenkunft von Menschen, bei der das gegenseitige Begehren klar im Vordergrund steht“, abzulehnen ist, weil sie „das menschliche Subjekt verdinglicht“, stößt auch bei vielen feministisch eingestellte Frauen auf Widerspruch.[40]

Utilitarismus

Für den Utilitarismus steht der gemeinsame Nutzen aller Beteiligten im Vordergrund. Gegen einen One-Night-Stand hat diese Theorie dann nichts einzuwenden, wenn er auf gegenseitiger Übereinstimmung beruht und jeder einen persönlichen Gewinn daraus zieht. Gegen Prostitution ist dann nichts einzuwenden, wenn sie auf einer fairen Geschäftsbeziehung basiert und die Prostituierten den Kunden auch ablehnen können.[41]

Überschneidung von Deontologie und Utilitarismus

Beide Theorien überschneiden sich, wenn eine Handlung mit einer Güterabwägung beurteilt wird. Diese Überschneidung wird auch als indirekter Utilitarismus bezeichnet. Ethische Prinzipien haben darin die höchste Autorität, weil sie Sicherheit bieten, in Notlagen werden sie aber dahingehend geprüft, ob sie immer noch dem allgemeinen Glück dienen bzw. Leid vermeiden können.[42] Für eine Person, die eine monogame Beziehung nicht aufs Spiel setzen möchte, wäre ein One-Night-Stand nicht gerechtfertigt, weil er den höheren Wert der eigenen Ehe gefährdet.[43] Andererseits ist in einer Ehe mit einem Mann, der die Frau schlägt, eine Scheidung (und Wiederheirat) gerechtfertigt. Eine Trennung verstößt zwar gegen das Prinzip der Treue in der Ehe, verhindert aber großes Leid.

Beide Theorien sind sich darin einig, dass zumindest die ethischen Grundprinzipien, wie sie in den Menschenrechten formuliert sind, nicht unterschritten werden sollen. Ein Sexualkontakt darf den anderen nicht schädigen, und die Verpflichtungen, die aus den eventuellen Folgen des gemeinsamen Geschlechtsverkehrs (Schwangerschaft, Infektion, finanzielle Verpflichtungen) entstanden sind, müssen übernommen werden.

Scham

Das Schamgefühl, das bei Nacktheit in den Kulturen ganz unterschiedliche Ausprägungen, von Bedeckung nur der Geschlechtsteile bis zur Ganzkörperverschleierung erfahren hat, ist der Gegenbegriff zur Erotik. Aus ethischer Sicht bringt Scham die Verantwortung zum Ausdruck, „durch Bedecken des eigenen Körpers andere nicht zu sexuellen Empfindungen und Aktionen zu verleiten“.[44]

Eine Folge des Schamgefühls ist die allgemein akzeptierte Norm, dass Geschlechtsverkehr nur im Privaten und nicht in der Öffentlichkeit ausgeübt wird.

Die gewaltsame Überschreitung der Schamgrenze bzw. der Intimsphäre als Provokation und sexuelle Annäherung ist besonders bei anvertrauten Personen wie Kindern, Jugendlichen oder Patienten abzulehnen. Eine in fast allen Kulturen geächtete Überschreitung der Intimsphäre ist der Inzest.

Theorie und Praxis

In der Praxis zeigt sich, so eine in Deutschland durchgeführten Studie von Jakobs Krönung aus dem Jahre 2012: „eine erfüllte Partnerschaft steht auf der Liste der Lebensziele von Männern und Frauen ganz oben“.[45]

Ein Rigorismus durch Gebote und Verbote, der vor allem von der deontologisch geprägten Sexualethik vertreten wird, stößt aber viele Menschen vor den Kopf, die versuchen, ihre sexuellen Bedürfnisse mit Verantwortung in ihr Leben zu integrieren. Die meisten Menschen in Deutschland kennen und respektieren die dort vorherrschenden sexualethischen Grundprinzipien, gegenseitige Treue, Liebe, Respekt und Wertschätzung,[46] ohnehin, so die Studienautoren.

Nach Simon Blackburn erwarten Menschen aber im Rahmen dieser Grundprinzipien eine „Ethik der Achtung und des Wohlwollens“,[47] die ihre „besonderen Rechte, Normen oder Tugenden“ zur Liste der „relevanten Rechte, Normen oder Tugenden“ hinzufügt, weil sie dem Gemeinwohl dienen. Nach Simon Blackburn kann der indirekte Utilitarismus gerade dies leisten, was aus seiner Sicht ein großer Vorteil gegenüber der Deontologie ist.[48]


Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung.

Bitte Belege für diesen Artikel bzw. den nachfolgenden Abschnitt nachreichen!

Religiöse Sexualethik

Christliche Sexualethik

Im Allgemeinen beansprucht das Christentum in seinen unterschiedlichen Strömungen, dass die Moral der westlichen Gesellschaft durch den christlichen Glauben auf Grundlage des neutestamentarischen Verständnisses des Alten Testaments heraus geprägt sei; dies gilt aber nur sehr eingeschränkt für die westliche Sexualethik.

Geschichtliche Entwicklung

Das Christentum bediente sich in neutestamentarischer Zeit im Bereich der moralischen Verbote an seinem Verständnis des so genannten mosaischen Gesetzes. Geschlechtsverkehr von Unverheirateten, Ehebruch, Inzest und Homosexualität galten für Christen als nicht akzeptables Verhalten. Die Gebote bezüglich kultischer Reinheit spielten für Christen jedoch keine Rolle mehr. Neu war im Heidenchristentum schon früh eine Wertschätzung der Ehelosigkeit, um sich Gott besonders zur Verfügung stellen zu können, etwas, das im Urchristentum oder im Judenchristentum so nicht bekannt war. Ebenso war neu, dass nicht nur die tatsächliche sexuelle Handlung, sondern auch das gezielte Denken an eine verbotene sexuelle Handlung als Fehlverhalten gewertet wurde. Ebenso wurde Wiederheirat nach einer Scheidung als Ehebruch angesehen.

Abtreibung ist im Neuen Testament nicht erwähnt, wurde aber von den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte durchgehend abgelehnt. Im Verlauf der Kirchengeschichte wurden die alt- und neutestamentlichen Gebote unterschiedlich stark betont und Verstöße unterschiedlich konsequent verurteilt. In der römisch-katholischen Kirche entwickelten sich zusätzliche Regeln, die nicht direkt in der Bibel aufgeführt sind, z. B. der Zölibat von Priestern und das Verbot künstlicher Empfängnisverhütung.

Heute

Praktisch alle evangelischen sowie orthodox-christlichen Kirchen lehnen Ehebruch, Promiskuität und Pornographie ab. Bei manchen Fragen der Sexualethik liegen die Meinungen bzw. Überzeugungen dagegen weit auseinander.

Konservative Christen aller Konfessionen halten sich auch heute noch weitgehend an die Sexualethik, die in der Zeit des Neuen Testaments herrschte, und lesen das Neue Testament nicht bloß als beschreibendes, sondern als ein vorschreibendes Werk. Dies betrifft sowohl die Ehe (Eph 5,21–33 EU) als auch die Ehelosigkeit (1 Kor 7,32–35 EU), die durch die Beziehung zu Christus eine tiefere, religiöse Bedeutung erlangen; aber auch die Rolle der Frau, die dadurch von einem patriarchalen Frauenbild geprägt ist (1 Tim 2,8–15 EU). Liberale Christen berücksichtigen in ihrer Sexualethik stärker die Motivationen der Handelnden und lassen diese im Hinblick auf Evangelische Freiheit gegenüber das Liebesgebot wiegen. Einen Gesetzeskodex sehen sie im Neuen Testament nicht. In diesem Zusammenhang ist auch die feministische Theologie zu sehen, die eine wörtliche Auslegung/Exegese der biblischen Sexualethik als patriarchal ablehnt.

Sexualethik im Judentum

Der Sexualität wird im Judentum seit Alters her gänzlich ohne die sündhafte Anhaftung christlicher Sexualmoral ethischer ganzheitlicher Ausdruck verliehen. Sexualität wird im Judentum eindeutig bejaht und positiv konnotiert, dies gilt heute, mit Einschränkungen, auch für homosexuelle Juden. Dies ist positiv für die psychische Sexualhygiene.

Rituelle Unreinheit

Die jüdische Religion geht vom Gebot der kultischen oder rituellen Reinheit aus. Rituelle Unreinheit im religiösen jüdischen Sinne ist weder mit Sünde, im jüdischen Verständnis, noch mit physikalischer Verschmutzung gleichzusetzen. Die kultische Reinheit kann auch ohne bewusstes Handeln verlorengehen, etwa durch Samenerguss, Geburt, Berührung eines Toten oder durch Menstruation. Ebenso wird jemand im religiösen rituellen jüdischen Sinne unrein, der z. B. eine menstruierende Frau berührt, da in ihr ein Absterbeprozess stattgefunden hat. Daher führt auch der Geschlechtsakt während der Menstruation zum Zustand der Unreinheit.[49] Sie können durch Akte der rituellen Reinigung, etwa in einer Mikwe, aufgehoben werden.

Sexualethische Gebote

Neben dem Aspekt der rituellen Reinheit gibt es sexualethische Gebote im Judentum. Einerseits gibt es negative sexualethische Gebote, z. B. Verbote sexueller Handlungen, die in jüdischen Schriften eindeutig als Fehlverhalten bezeichnet werden, wie z. B. Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe.[50] Aufgrund ihrer Interpretation dieser Schriften werten orthodoxe Juden praktizierte sexuelle männliche Homosexualität als schwere Unreinheit. Im konservativen und im liberalen Judentum werden die Mitzwot im Gegensatz zum orthodoxen Judentum freier, moderner und erleichtert ausgelegt und beachtet. So sind beispielsweise im Reformjudentum Segnung gleichgeschlechtlicher Paare für Homosexuelle generell zugelassen, im konservativen Judentum teilweise. Andererseits gibt es positive sexualethische Gebote, Aufforderungen zum Sex in der Ehe und besonders die Pflicht zur Beachtung und Befriedigung der weiblichen Sexualität durch den Ehemann.

Sexualhygiene

Das gezielte Denken an eine verbotene sexuelle Handlung wird nicht als sündig angesehen, sondern nur das eventuell praktizierte tatsächliche sexuelle Fehlverhalten. Dies kommt der psychischen Sexualhygiene der jüdischen Männer, Frauen und Jugendlichen zugute.

Muslimische Sexualethik

Die Handhabung von Themen im Bereich der Sexualethik variiert im Islam sehr stark nach Geographie und Gesellschaftsschicht. Im Allgemeinen gilt die Ehe als Manifestation des Göttlichen Willens. Die islamische Tradition bezeichnet sie als essenziell und erachtet Ehelosigkeit als eine üble Gegebenheit, die voll Bösem ist. Im Islam ist der Oralverkehr grundsätzlich explizit nicht verboten, wird jedoch von vielen Islamischen Gelehrten als dem Naturell des Menschen zuwider betrachtet. Daher ist das Ejakulieren in den Mund verboten (haram). Analverkehr ist bei den Sunniten verboten (haram), bei den Schiiten dagegen makruh (erlaubt, aber verpönt).

Buddhistische Sexualethik

Im Gegensatz zu den meisten anderen Glaubensrichtungen, spielt die Sexualethik im Buddhismus keine so wichtige Rolle in der Vermittlung von Werten. Trotzdem gibt es auch hier klare moralische Vorstellungen. Sie ergeben sich aus den fünf Grundsätzen:

  1. Vermeide es, anderen Lebensformen zu schaden – sei liebevoll und freundlich
  2. Vermeide es, das nicht Gegebene zu nehmen – praktiziere Großzügigkeit
  3. Vermeide es, sexuellen Ehebruch zu begehen – sei zufrieden
  4. Vermeide es, zu lügen – sei ehrlich
  5. Vermeide es, Dich zu berauschen – sei aufmerksam

Obzwar der Buddha in den Pali Schriften nur Ehebruch als sexuelles Fehlverhalten definierte, haben spätere buddhistische Kommentatoren, wie Vasubandhu und Tsongkhapa, sexuelles Fehlverhalten u.a. damit definiert, dass auch Geschlechtsverkehr durch Anus und Mund "sexuelles Fehlverhalten" seien. Der Dalai Lama hatte in seinem Buch Jenseits des Dogmas buddhistische Regeln zitiert, denengemäß homosexuelle Sexualpraktiken als unkorrektes Verhalten eingestuft werden. Der Dalai Lama bezieht sich in seinen Aussagen zur Homosexualität auf diese beiden Autoren. Allerdings sieht er "die Möglichkeit, diese Regeln im Kontext von Zeit, Kultur und Gesellschaft zu verstehen. […] Wenn Homosexualität zu den (heute) akzeptierten Normen gehört, ist es möglich, dass es akzeptabel sein könnte.“ Diese Aussagen traf er bei einem Treffen zu diesem Thema mit einer Gruppe homosexueller Buddhisten am 11. Juni 1997 in San Francisco.[51] Steve Blame berichtet über die Ansicht des Dalai Lama: "Er fände nichts Schlimmes an Homosexualität, sagte er. Es ginge doch um die Qualität der Liebe, nicht um ihre Orientierung. Außerdem sei es für ihn eine Grundregel, andere Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Egal, um was es dabei geht."[52]

Für buddhistische Mönche und Nonnen wird durch die Vinaya jegliche Form von Geschlechtsverkehr untersagt.

Sexualethik im Kulturvergleich

Im Vergleich verschiedener Kulturen und Gesellschaften offeriert die allgemein anerkannte Sexualmoral einen offeneren Umgang mit Sexualität, in anderen ist sie dagegen deutlich strenger als im europäischen Raum.

So gibt es normative Unterschiede, beispielsweise zu folgenden Teilaspekten:

„Universelle Normen“, die für alle Gesellschaften und Kulturen gelten, gibt es nicht. Einige Normen gelten kultur- und gesellschaftsübergreifend weitgehend übereinstimmend:

Diese Normen werden manchmal unter speziellen Riten (Religion) oder gegenüber Menschen, die als niederer oder nicht als Teil der Gesellschaft angesehen werden (Geächtete, Kriegsgegner), missachtet.

BDSM

Eine widersprüchliche Sonderrolle spielt BDSM, das auf Einvernehmlichkeit der beteiligten Partner basiert. Hierbei nimmt einerseits die gesellschaftliche Akzeptanz sadomasochistischer Verhaltensweisen in westlichen und einigen asiatischen Gesellschaften seit einigen Jahrzehnten zu und sadomasochistische Symbole werden verstärkt von Künstlern, Film, Literatur, Musik und Werbung aufgenommen. Andererseits geraten Menschen, die BDSM praktizieren, in vielen Ländern nach wie vor in den Blickpunkt unterschiedlichster Gesetzgebungen, Boulevardmedien und „anti-pornografischer“ Feministinnen.

Seitens der Religionsgemeinschaften gibt es gegenwärtig keine klaren Aussagen zu sadomasochistischen Praktiken, die in Einvernehmlichkeit praktiziert werden.

Die rechtliche Beurteilung von BDSM unterscheidet sich international sehr stark. In Deutschland, den Niederlanden, in Japan und in den skandinavischen Ländern stellen diese Praktiken grundsätzlich keine Straftat dar. In Österreich gibt es keine gefestigte Rechtslage, während in der Schweiz BDSM-Praktiken teilweise strafbar sein können. Im Rahmen des Spanner Case urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch am 19. Februar 1997 in Case of Laskey, Jaggard and Brown v. The United Kingdom; (109/1995/615/703-705) February 1997, dass jeder Staat der EU eigene Gesetze gegen Körperverletzung erlassen darf, unabhängig davon, ob die Körperverletzung einvernehmlich ist oder nicht.

In der Schweiz ist der Besitz von „Gegenständen oder Vorführungen […], die sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben“ seit der Verschärfung des Schweizerischen Strafgesetzbuches Art. 135 und 197 am 1. April 2002 strafbar. Dieses Gesetz kommt einer pauschalen Kriminalisierung von Sadomasochisten nahe, da bei fast jedem Sadomasochisten Medien zu finden sind, die diesen Kriterien entsprechen.

In Deutschland setzt die von der Feministin Alice Schwarzer herausgegebene Zeitschrift Emma ihre „PorNO-Kampagne gegen Frauenhass und Gewaltpornographie“ fort. In ihr vertritt Schwarzer unter anderem die Auffassung, dass sado-masochistische Praktiken generell mit verurteilenswerter Gewalt gegenüber Frauen gleichzusetzen sind und Pornographie generell der „Propagierung und Realisierung von Frauenerniedrigung und Frauenverachtung“ dient.

Generell wird die ideengeschichtlich aus den 1960er Jahren stammende Vorstellung, dass der Hauptzweck jeder Pornografie nicht die sexuelle Erregung des Betrachters, sondern die Unterdrückung der Frau sei, von Kritikern der Kampagne, unter anderem unter Hinweis auf homosexuelle Pornografie im Allgemeinen und lesbische BDSM-Pornographie im Besonderen, in Frage gestellt. Schwarzers Argumentation folgt einer Entwicklung, die vor mehreren Jahrzehnten in den USA begann (vgl. Samois) und dort seitdem zwischen verschiedenen Feministinnen unter der Bezeichnung „Feminist Sex Wars“ erbittert um die Legitimität von Pornografie und BDSM ausgefochten wird.

Schwarzers bekannteste Aussage in diesem Zusammenhang wurde erstmals in Emma, Heft 2, 1991 veröffentlicht:

„Weiblicher Masochismus ist Kollaboration!“

Die Existenz weiblich-dominanter Sadomasochisten wird durch die Thesen Schwarzers genauso wenig aufgegriffen und anerkannt, wie der auch bei der Herstellung sadomasochistischer Materialien essentielle Grundsatz des „Safe, Sane, Consensual“.

Befürworterinnen aus den Reihen des Sex-positiven Feminismus wie Pat Califia und Gayle Rubin argumentieren, dass dieser Typ feministischer Kritik an Pornografie traditionelle normative Vorstellungen von Sexualität reproduziere, nach denen – gleich einem Dominoeffekt – jegliche Toleranz gegenüber mehr oder weniger von der Norm abweichenden Sexualitätsformen zu katastrophalen gesellschaftlichen Wirkungen führe. Gayle Rubin fasste den zugrundeliegenden Konflikt über das Thema „Sex“ innerhalb des Feminismus später wie folgt zusammen:

„Es gab zwei Richtungen feministischen Gedankengutes zu dem Thema. Die eine kritisierte die Beschränkung des weiblichen Sexualverhaltens und verwies auf den hohen Preis für das sexuelle Aktivsein. Diese Tradition feministischer Gedanken zum Thema Sex forderte eine sexuelle Befreiung die sowohl für Frauen als auch für Männer funktionieren sollte.
Die zweite Richtung betrachtete die sexuelle Befreiung als inhärent bloße Ausweitung männlicher Vorrechte. In dieser Tradition schwingt der konservative antisexuelle Diskurs mit.“[53]

Seit 1987 sind in Deutschland mehrere Anläufe zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative gescheitert.

Nichteinvernehmliche Praktiken

Weitgehende Übereinstimmung gibt es bei der Ablehnung von Kindesmissbrauch, Inzest und nichteinvernehmlichem Sadismus. Diese Sexualformen sind oft gesellschaftlich geächtet, mit einem Tabu belegt und werden nicht als Teil einer akzeptierten Sexualität, sondern als Devianz betrachtet.

Strafrechtlich verfolgt werden in vielen Gesellschaften sexuelle Handlungen gegen den Willen eines Beteiligten, also Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Gleiches gilt für sexuelle Handlungen mit Partnern wie Kindern (sexueller Missbrauch von Kindern) und Tieren (siehe Zoophilie, „Sodomie“), von denen man annimmt, dass sie nicht wissentlich einwilligen können. In (West-)Deutschland wurde das Verbot sexueller Handlungen mit Tieren 1969 durch die Große Strafrechtsreform aufgehoben, jedoch mit der Gesetzesänderung vom 13. Juli 2013 wieder grundsätzlich verboten (§ 3 S. 1 Nr. 13 TierSchG) und wird als Ordnungswidrigkeit verfolgt.

Literatur

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://universal_lexikon.deacademic.com/121762/Sexualethik
  2. Christian von Ehrenfels: Sexualethik. Bergmann, Wiesbaden 1907 Volltext: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-buch?bid=AC06481367
  3. Walter Schaupp: Thesenpapier für die Vorlesung: Ethik der menschlichen Geschlechtlichkeit. Theol. Uni Graz, Sommersemester 2010 S. 23f http://www-theol.uni-graz.at/cms/dokumente/10001105/a72daed5/AK+MOTH+%28Sexualethik%29+SS10.pdf
  4. Vgl. dazu: Uta Ranke Heinemann: Eunuchen für das Himmelreich. München: Heyne, 1999; ISBN 978-3453165052
  5. http://www.dirnenlied.de/page20/page23/page23.html
  6. Christian von Ehrenfels: Sexualethik. 1907 ebd.
  7. ebd. S. 54
  8. ebd. S. 63
  9. Dagmar Herzog: "Sexy Sixties". in: Christina von Hodenberg, Detlef Siegfried Hg.: Wo 1968 liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht, 2006; S. 83 Teilweise abrufbar auf Google Books: http://books.google.de/books?id=twcW9JsA2-0C&printsec=frontcover&hl=de
  10. Herzog ebd. S. 84
  11. Herzog ebd. S. 92ff
  12. Schaupp ebd. S. 10ff
  13. vgl.: Katechismus der Katholischen Kirche 2370 http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P8C.HTM
  14. Herzog ebd. S. 99ff
  15. http://www.br.de/themen/kultur/inhalt/religion/familiensynode-vatikan-sexualmoral100.html
  16. YouCat: Jugendkatechismus der Katholischen Kirche. Pattloch, 2011; Nummer 414 ISBN 978-3629021946
  17. ebd.
  18. http://religion.orf.at/stories/2629125/
  19. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43144316.html
  20. http://www.ekd.de/EKD-Texte/74413.html
  21. http://www.wdr5.de/sendungen/diesseitsvoneden/ekd112.html
  22. Schaupp ebd. S. 12
  23. Ein anschauliches Beispiel sind die Reaktionen auf den Sieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest 2014 http://www.rollingstone.de/news/meldungen/article577036/conchita-wurst-besonnenheit-gegen-homophobie.html
  24. NE I 8 http://www.textlog.de/33423.html
  25. NE X 6 http://www.textlog.de/33548.html
  26. GdMdS, 1785; Zitiert nach: http://www.theologie.uni-wuerzburg.de/uploads/media/Skript_Sexualethik_1._Einleitung_03.pdf
  27. ebd.
  28. Peter Köck: Handbuch des Ethikunterrichts. Auer Verlag: Donauwörth, 2002; S. 55f ISBN 978-3403036630
  29. ebd.
  30. On Liberty, 1859; Zitiert nach: Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen: Handbuch und Atlas. Walter de Gruyter,1985; S. 535 Teilweise abrufbar auf Google Books: http://books.google.at/books?id=yWypQ4r68owC&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
  31. http://www.zeit.de/2013/35/freiheit-ethik-zusammenleben/seite-3
  32. vgl. Schaup ebd. S. 37
  33. Arno Anzenbacher: Einführung in die Philosophie. Niederösterreichisches Pressehaus: St. Pölten - Wien. 1985; S. 232 - Quellenangabe für das Hegel-Zitat: Rph. § 158
  34. Anzenbacher ebd. mit Bezug auf P. Ricoeur
  35. Anzenbacher ebd. S. 233
  36. Anzenbacher ebd.
  37. siehe voriger Absatz
  38. siehe oben Absatz: Prinzipienethik - Deontologie
  39. II. Vatikanisches Konzil: Pastorale Konstitution „Gaudium et Spes“ Nr. 49; http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_ge.html; EKD 1988 ebd.
  40. http://diestandard.at/1363711262098/Im-Bett-mit-dem-Feminismus
  41. vgl. zum Unterschied von Deontologie und Utilitarismus: Simon Blackburn: Gut Sein. Eine kurze Einführung in die Ethik. Primusverlag: Darmstadt, 2004; S. 93ff ISBN 978-3896782458
  42. Blackburn ebd. S 95ff
  43. vgl.: Bettina Schöne - Seifert in: Andreas Vieth, Christoph Halbig, Angela Kallhoff Hg.: Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt: Eine Kontroverse um die "Konkrete Ethik". De Gruyter, 2008; S. 208 Teilweise abrufbar in Google Books: http://books.google.at/books?id=mgo3M9PFXHwC&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
  44. Hans Rotter. Sexualität. in: Hans Rotter, Günter Virt: Neues Lexikon der christlichen Moral. Tyrolia: Innsbruck -Wien, 1990; S. 688 ISBN 3-7022-1754-1
  45. Jakobs Krönung Studie: Partnerschaft 2012 - Zwischen Herz und Verstand. Berichtsband S. 2; http://www.jacobs-studie.de/archiv Zip Archiv 28 MB
  46. Studie: Partnerschaft 2012 ebd. S. 28 f
  47. Blackburn ebd. S. 98
  48. Blackburn ebd.
  49. Levitikus 15 EU
  50. Levitikus 18 EU
  51. Die buddhistische Sexual-Ethik überdenken von José Ignacio Cabezón, Tibet und Buddhismus Nr. 107, 4/2013, S. 36–40
  52. Treffen mit dem Dalai Lama "Er hat die ganze Zeit gekichert" MTV-Moderator Steve Blame
  53. Übersetzt nach: Gayle Rubin: Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality; in Carole S. Vance (Hrsg.): Pleasure and Danger: exploring female sexuality; Boston: Routledge & Kegan Paul, 1984; ISBN 0-04-440867-6; S. 267–319.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Sexualethik aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.