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Ruth Kellermann

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Ruth Kellermann, geborene Hesse (* 23. Juni 1913 in Berlin) war eine deutsche Historikerin, Rassen- und Volkskundlerin sowie Frauenfoscherin, die an der Erfassung und Begutachtung von Roma für die Rassenhygienische Forschungsstelle z.T. freischaffend arbeitete. Ein deshalb gegen sie 1984 eröffnetes Ermittlungsverfahren wegen Mordes wurde 1989 eingestellt.

Leben

Ihre Eltern waren der Gewerbelehrer Georg Hesse und seine Frau Frieda geborene Gohde. Von 1919 bis 1923 besuchte sie in Berlin die Volksschule und danach die Lutherschule, die sie im März 1932 mit der Reifeprüfung abschloss.[1] Ab Sommersemester 1933 studierte sie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Vorgeschichte, Volkskunde, Anthropologie und Rassenkunde[2], Geologie, Germanistik, Dänische Sprache, Geschichte, Zeitungswissenschaft sowie Philosophie.[1]

1938 promovierte sie in Berlin mit der Dissertation: Der Kimbernzug Versuch seiner Festlegung auf Grund der vorgeschichtlichen Bodenfunde. Während des Studiums entwickelte sie ein Interesse an „Zigeunern“ und lernte Romanes.[1]

Zigeunerexpertin der Rassenhygienischen Forschungsstelle

Nicht identifizierte Mitarbeiterin Robert Ritters (Bildmitte) bei der Arbeit auf einem Lagerplatz von Schaustellern 1938 in Hamburg
Der gleiche Wohnwagen, links Robert Ritter
KZ Ravensbrück, Frauenlager. (Foto von 2008)

Von Oktober 1938 bis Juli 1939 war sie wissenschaftliche Angestellte der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) in Berlin.[3] 1939 heiratete sie und zog nach Hamburg. Zumindest bis Mitte 1942 war sie für die RHF als freie Mitarbeiterin tätig: Sie befragte Roma und erstellte Gutachten vor allem über im Raum Hamburg lebende Roma.[1] Hierzu wertete sie zusammen mit anderen Mitarbeitern der Forschungsstelle zunächst die Unterlagen der Hamburger polizeilichen „Zigeunerdienststelle“ aus.[4]

Ein wegen Mord mitangeklagter Zigeunerspezialist der Hamburger Kriminalpolizei sagte 1985 aus: „Die von Frau Dr. Kellermann vorgenommenen Befragungen waren sehr häufig und umfangreich bis zum Abtransport am 20. Mai 1940, aber auch danach erfolgten derartige Befragungen in zahlreichen Fällen“.[5]

Weitere Arbeitsschwerpunkte waren die vornehmlich in Böhmen und Mähren beheimateten Lalleri[6] sowie „Zigeunernamensforschung“. Kellermann führte, teilweise unterstützt von ihrer RHF-Kollegin Ruth Helmke, ihre Befragungen auch im KZ Ravensbrück fort. Sie versprach den weiblichen Häftlingen Haftentlassung wenn sie sich sterilisieren ließen. Viele von ihr befragte Roma gaben später an, sie seien von Kellermann beschimpft, bedroht und misshandelt worden.[7]

Zigeunerexpertin nach 1945

Die von Kellermann vor 1945 gesammelten Zigeunermaterialien gab sie nach Kriegsende teilweise an die Hamburger Kripo ab, dabei ist ungeklärt ob sie dafür eine Vergütung erhielt.[8] Dort hielt sie auch vermutlich Vorträge für die Polizeibeamten. 1961 nahm sie an einer Arbeitstagung der Sachbearbeiter für die Bekämpfung des Landfahrerunwesen des LKA teil und referierte dort u.a. über die „Zigeunersprache“.[9]

Skandalisierung Kellermanns NS-Vergangenheit und Prozesse

Nachdem die Akten der Hamburger NS-Behörden für die Betroffenen nach Protesten zugänglich geworden waren, erstatte 1984 die Rom und Cinti Union (RUC) Strafanzeige gegen Kellermann wegen Beihilfe zum Mord.[10]

Die RUC hatte in den im Staatsarchiv Hamburg erhaltenen „Landfahrerakten“ entsprechende Hinweise gefunden. Die Ermittlungen verliefen schleppend; bei einer Hausdurchsuchung wurden allerdings von Kellermann angefertigte Stammbaumübersichten sowie weitere Unterlagen die von ihr zum Zweck der „Rassendiagnose“ erstellt wurden und die sich noch in ihrem Besitz befanden beschlagnamt. Die Staatsanwaltschaft sagte gegenüber dem Hamburger Abendblatt auf dessen Anfrage am 21. November 1985, es seien bislang jedoch keine Gutachten Kellermanns gefunden worden.[11] Personen die in den beschlagnamten Stammbäumen vorkommen, lassen sich als Häftlinge im KZ Auschwitz nachweisen.[12]

Am gleichen Tag sollte Kellermann im Rahmen einer von der „Koordinationsstelle FrauenstudienFrauenforschung" der Universität Hamburg organisierten Ringvorlesung „Frauenarbeit - Frauenleben" zum Thema „Frauenarbeit im 19. Jahrhundert" im Museum für Hamburgische Geschichte referieren.[13]

Die Veranstaltung wurde von Mitgliedern der RCU gesprengt. Giovanna Steinbach, eine Überlebende des Zigeunerlager Auschwitz[14] und des KZ Ravensbrück warf Kellermann vor „Du hast meine Familie ins Lager gebracht!" sie spuckte der Referentin ins Gesicht. Rudko Kawczynski, RCU Vorstandsmitglied verlas ein Flugblatt in dem Kellermanns Arbeit für das „berüchtigte Rassenhygienischen Forschungsinstitut“ darstellt wurde und Kellermann als Verantwortliche für die Begutachtung und damit letztlich auch die Deportationen und Sterilisationen benannte. Kawczynski informierte die Anwesenden über die Strafanzeige gegen Kellermann. Kellermann beantragte eine einstweilige Verfügung gegen die RCU und unterlag.[2]

„Nach Überzeugung der Kammer war die Antragstellerin während der Zeit von 1938 bis zum Kriegsende in einem Bereich tätig, in dem ihre Arbeit zumindest dazu beigetragen hat, die Verfolgung und Vernichtung der Zigeuner zu ermöglichen. Auch wenn die Antragstellerin zu Beginn ihrer Tätigkeit nicht im vollen Umfang die verbrecherischen Absichten der politischen Führung und ihrer Vorgesetzten erkannt und überblickt haben mag, wird sie doch aufgrund ihrer Stellung, ihrer Ausbildung und den ihr wie jedermann zugänglichen Quellen zumindest im Verlauf ihrer Arbeit erkannt haben müssen, dass sie Zuarbeit für die spätere Vernichtung der Zigeuner geleistet hat.“

Urteilstext[15]

Das Strafverfahren gegen Kellermann wurde am 3. Mai 1989 eingestellt, da der Beweis nicht erbracht werden konnte, dass ihre Arbeiten für die RHF als Planung eines Völkermordes anzusehen seien, auch wenn ihr nicht unbekannt geblieben sein könne, dass zumindest eine Dezimierung der unter den Begriff Zigeuner fallende Minderheit durch die NS-Machthaber geplant gewesen sei.[16]

Auch die internationale Presse berichtete nun über Kellermann als Schreibtischtäterin.[3]

Schriften

  • Der Kimbernzug Versuch seiner Festlegung auf Grund der vorgeschichtlichen Bodenfunde. Dissertation an der Friedrich-Wilhelms-Universitat zu Berlin. Würzburg 1938

Weitere Veröffentlichungen, besonders tsigannologische sind von Kellermann nicht bekannt.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Joachim S. Hohmann: Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie. "Zigeunerforschung" im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1991, S. 287
  2. 2,0 2,1 Paul Behrens: „Vollzigeuner" und „Mischlinge". Die ehemalige Rassenforscherin Ruth Kellermann verteidigt ihren Ruf. In: Die Zeit, 7. Februar 1986, Ausgabe 7
  3. 3,0 3,1 siehe Literatur Kathrin Kompisch: Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus
  4. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg 2009
  5. Die Verfolgung und Deportation der Sinti und Roma in Hamburg durch die Nationalsozialisten, Kapitel: Kellermann
  6. Tobias Joachim Schmidt-Degenhard (2008): Robert Ritter (1901-1951). Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“. (Diss. Tübingen) S. 194.
  7. Die Verfolgung und Deportation der Sinti und Roma in Hamburg durch die Nationalsozialisten, Kapitel: Kellermann
  8. Hohmann 1991, S. 287f.
  9. Hohmann 1991, S. 288.
  10. Staatsanwaltschaft (StA) Hamburg, Akten des Verfahrens gegen Dr. Ruth Kellermann u. A., 2200 Js 2/84, als Archivalie u.a. bei Sybil Milton (1995): Vorstufe zur Vernichtung. Die Zigeunerlager nach 1933. In: VfZ Heft 1 1995, S. 118 genutzt.
  11. Kathrin Herold: Die Erinnerung wird besetzt. Bleiberechtsproteste der Rom & Cinti Union an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Magisterarbeit Bremen 2006 S. 24f.
  12. Hohmann 1991, S.290
  13. Behrens 1986, Datum Herold S. 2006 S. 24-25, die Artikel des Hamburger Abendblattes sind kostenpflichtig online verfügbar, die Überschriften sind frei.
  14. Laut einem anderen Artikel in Die Zeit war ihre Häftlingsnummer Z-3709[1] Diese Häftlingsnummer gehört zu Giovanna Lafrentz geboren am 4. Februar 1929 in Hamburg-Wandsbek. Da dieser Nachname unter den Häftlingen ausgesprochen selten ist, gehören die anderen Häftlinge mit dem gleichen Nachnamen vermutlich zu ihrer Familie. Gertrude L. Z-3710 geboren am 1. September 1930 in Luwitz trägt mit Datum vom 5. Mai 1944 den Vermerk verstorben, bei Giselle L. Z-3696 geboren 19. Mai 1933 in "Handsberk" und Welda-Luise Z-3697 geboren 18. Mai 1936 fehlen die Angaben über den Verbleib (Gedenkbuch Frauen, S. 239). Die Männer erreichten am 14. bzw. 15. März 1943 das Zigeunerlager Auschwitz. Christian L. Z-3299 wurde am 7. Juli 1904 in Kiel geboren, er starb 1943 in Auschwitz, August L. Z-3300 am 24. Mai 1930 geboren in Schoppe und Rolf L. Z-3309 geboren am 30. September 1940 in Hamburg starb auch 1943 in Auschwitz. (Gedenkbuch Männer, S. 98). Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg: Gedenkbuch: Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz Birkenau. Saur, München/London/New York/Paris 1993, ISBN 3-598-11162-2. (Dreisprachig: Polnisch, Englisch, Deutsch)
  15. Zitiert nach Kathrin Herold: Die Erinnerung wird besetzt. Bleiberechtsproteste der Rom & Cinti Union an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Magisterarbeit Bremen 2006
  16. bei Hohmann 1991, S. 290 referierter Urteilstext, Datum der Einstellung und Aktenzeichen S. 383.
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