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Lineage

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Dieser Artikel behandelt Abstammungsgruppen – zu anderen Bedeutungen siehe Lineage (Begriffsklärung).

Als Lineage (['lɪnɪɪdʒ], f., Mehrzahl: Lineages; englisch „Gruppe einer Abstammungslinie“) oder Abstammungsgruppe bezeichnet die Ethnologie (Völkerkunde) einen größeren Familienverband bei ethnischen Gruppen und indigenen Völkern, dessen Mitglieder ihre gemeinsame Abstammung von einer Stammmutter oder einem Stammvater herleiten, in einliniger Abfolge entweder über eine Mütterlinie (Matri-Lineage) oder über eine Väterlinie (Patri-Lineage). Oft können mehr als 10 Ahnen-Generationen namentlich benannt werden.[1] Eine Lineage besteht aus 4 bis 7 blutsverwandten Generationen,[2] arbeitet als eigenständige Solidaritäts- und Wirtschaftsgemeinschaft, verfügt meist über gemeinsamen Landbesitz und wohnt oft als Siedlungsgruppe zusammen.[3] Von den Lineages unterscheidet man die Clans, die sich als Familienverband auf einen nur mythischen oder sagenhaften Urahnen oder auf ein symbolisches Totem beziehen.

Eine umfangreiche Lineage kann sich in größere und kleinere Teile untergliedern, in einzelne Klein- und Großfamilien, als Segmente bezeichnet – ganze Lineages können wiederum die Segmente einer gesellschaftlichen Erblinie bilden (siehe dazu auch segmentäre Gesellschaften).[4]

Mitgliedschaft

Zu einer Lineage gehören sämtliche Nachkommen (beiderlei Geschlechts) der ursprünglichen Stammmutter oder des Stammvaters, viele Lineages haben hunderte von Angehörigen. Die Mitgliedschaft in der Lineage wird allerdings nur über ein Elternteil weitergegeben: In Matri-Lineages gehören Kinder zur Abstammungsgruppe der Mutter, in Patri-Lineages zur Gruppe des Vaters. Dieser Aufteilung entspricht zumeist auch die Wahl des gemeinsamen Wohnsitzes nach einer Heirat: matrilokal bei der Ehefrau oder ihrer Mutter, oder patrilokal beim Ehemann oder seinem Vater. Ehepartner gehören nicht zur eigenen Lineage, sondern kommen fast immer aus anderen Abstammungsgruppen (exogame Heiratsregel: außerhalb der eigenen Gruppe). Nach einer Heirat gehört jeder Partner weiterhin seiner eigenen Lineage an, nur wenige Patri-Lineages rechnen eingeheiratete Frauen zur eigenen Gruppe.

Lineages beschränken sich zwar grundsätzlich auf Mitglieder derselben Abstammung, können aber Außenstehenden in besonderen Fällen durch eine Adoption oder eine andere Form der „fiktiven Verwandtschaft“ (z.B. Schwurbruderschaft oder Blutsbrüderschaft) eine Mitgliedschaft übertragen.[1] Dies kann in Matri-Lineages nur durch eine Frau geschehen, in Patri-Lineages nur durch einen Mann.

Dass Lineages auch Seitenlinien von entsprechenden Geschwisterteilen der Vorfahren umfassen, unterscheidet beispielsweise eine Patri-Lineage von einer adligen Stammlinie des europäischen Kulturraums: Bei ihr bilden nur die jeweils ältesten Erbsöhne die Hauptlinie – jüngere Brüder können eigenständige Nebenlinien bilden, Schwestern dagegen gehören nach einer Heirat zur Linie ihres Ehemannes, wie auch ihre Kinder (begründet im römischen Agnationsrecht).

Siedlungsräume

Langhaus der nordamerikanischen Irokesen (1885)

Die Mitglieder einer Lineage können alle unter einem Dach wohnen, so bot ein Langhaus der matrilinearen Irokesen-Indianer in Nordamerika Unterkunft für bis zu 500 Personen derselben Lineage. Viele Lineages wohnen in kleinen Siedlungen zusammen, als Weiler bezeichnet, oder verteilt über mehrere naheliegenden Ortschaften. Bei den matrilinearen Tolai in Papua-Neuguinea wohnen die Mitglieder einer Lineage auch weit verteilt voneinander, verstehen sich aber weiterhin als Angehörige derselben Familie und verfügen über den gemeinsamen Landbesitz.

Funktionen einer Lineage

Eine Lineage bildet oft eine stabile Solidaritäts- und Wirtschaftsgemeinschaft,[5] sie übernimmt rechtliche, religiöse und politische Aufgaben für ihre Mitglieder und vertritt diese korporativ nach außen, in der Art einer Körperschaft.[1][6]

Mehrere Lineages können Clans (gemeinsamer Abstammung), Allianzen[7], einen Stamm oder eine ganze Gesellschaft bilden. Die soziale Organisation vieler der weltweit 1300[8] Ethnien und indigenen Völker wird von Lineages bestimmt. Bei Völkern mit zwei unterschiedlichen Erblinien (Moiety-System) untergliedern sich diese oft in Lineages als örtliche Untergruppen (Segmente). Bestehen die zwei Erblinien aus einer Mütterlinie und einer Väterlinie, finden sich sowohl Matri- wie auch Patri-Lineages.

In Gesellschaften, die ohne Zentralgewalt (segmentär) und ohne Oberhaupt (akephal) organisiert sind, übernehmen die Lineages auch politische Funktionen. Die gesellschaftliche Ordnung bildet sich dabei durch das Zusammenspiel von Lineages, die als gleichartige und gleichrangige Segmente (Teile) aufgefasst werden. Die Lineages kooperieren durch einstimmige Konsensfindung. Ein gutes Beispiel liefert die umfassend erforschte Konföderation der matrilinearen Irokesen in Nordamerika.

Erforschung

Die britischen Anthropologen Meyer Fortes und Edward Evans-Pritchard beschrieben in den 1940ern die „Lineage-Theorie“ (Deszendenztheorie), nach der ein Lineage-System als Grundlage der politischen Struktur von „segmentären Gesellschaften“ (ohne zentrale Institution) zu verstehen ist.[9] In den letzten Jahrzehnten wird in der Ethnosoziologie an dieser Theorie kritisiert, dass sie der Abstammung im Allgemeinen eine zu große Bedeutung für die soziale Organisation einer Gesellschaft zuschreibe.[10]

Lineages werden mit Clans, Phratrien (Clan-Verbänden) und Moiety-Erblinien übergeordnet als „einlinige Abstammungsgruppen“ zusammengefasst (unilineal descent groups). Sie sind nicht deckungsgleich mit Verwandtschaftsgruppen (Kindreds), diese bestehen aus dem persönlichen Netzwerk einer einzelnen Person zu Verwandten beider Elternteile.

Siehe auch

Literatur

Neueste zuerst:

Weblinks

  • Gabriele Rasuly-Paleczek: ad. Begriff Descent Theory bzw Lineage Theory / ad. Begriff Lineage. (PDF; 1,85 MB) In: Einführung in die Formen der sozialen Organisation. Teil 2/5, Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, 2011, S. 47–63 und 71–78, archiviert vom Original am 21. Oktober 2013; abgerufen am 22. Mai 2014 (58 Seiten; Unterlagen zu ihrer Vorlesung im Sommersemester 2011).
  • Brian Schwimmer: Segmentary Lineages. In: Kinship and Social Organization. Department of Anthropology, Universität Manitoba, Kanada, 1995, abgerufen am 22. Mai 2014 (englisch, maximale und minimale Lineage-Segmente; Teil eines umfassenden Studientutorials zur sozialen Organisation).

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Encyclopædia Britannica: lineage (sociology). In: Britannica Online. , abgerufen am 22. Mai 2014 (englisch): „lineage, descent group reckoned through only one parent, either the father (patrilineage) or the mother (matrilineage). All members of a lineage trace their common ancestry to a single person. A lineage may comprise any number of generations but commonly is traced through some 5 or 10. Notionally, lineages are exclusive in their membership. In practice, however, many cultures have methods for bestowing lineage membership on individuals who are not genetically related to the lineage progenitor. The most common of these is adoption, although other forms of fictive kinship are also used. Lineages are normally corporate, meaning that their members exercise rights in common and are subject to obligations collectively.“
  2. Beispiel einer Familie mit 6 lebenden Generationen bei Gerd Braune: Ottawa: In einer kanadischen Familie leben sechs Generationen. In: Badische Zeitung. 19. Juli 2013, abgerufen am 22. Mai 2014: „Baby Ethan ist das jüngste Mitglied der Familie Steiner in Mississauga bei Toronto. Es ist vermutlich die einzige Familie Kanadas, in der sechs Generationen leben. […] Doreen Byers, seit dem Wochenende Ur-Ur-Ur-Großmutter, zählt 86 Jahre. […] Angeblich liegt der Weltrekord für Viel-Generationen-Familien bei sieben Generationen.“
  3. Gabriele Rasuly-Paleczek: ad. Begriff Lineage. (PDF; 1,85 MB) In: Einführung in die Formen der sozialen Organisation. Teil 2/5, Universität Wien, 2011, S. 71, archiviert vom Original am 21. Oktober 2013; abgerufen am 22. Mai 2014: „ad. Begriff Lineage: Abstammungsgruppen, die auf der Basis der unilinearen Abstammung gebildet werden, werden als Lineages (Linien) bezeichnet. Die Mitglieder der Lineage führen ihre Abstammung entweder auf einen gemeinsamen Ahnherren (bei patrilinearer Deszendenz) bzw. auf eine gemeinsame Ahnfrau (bei matrilinearer Deszendenz) zurück. (vgl. BARGATZKY 1985: S.55) […] Solche Lineages operieren in zahlreichen Gesellschaften als korporative Einheiten. »Patrilineal or matrilineal descent unambiguously defines who is eligible for membership in a corporate group.« (KEESING 1975: S.19)“.
  4. Brian Schwimmer: Segmentary Lineages. In: Kinship and Social Organization. Universität Manitoba, Kanada, 1995, abgerufen am 22. Mai 2014 (englisch).
  5. Lexikoneintrag: Lineage. In: Wissen.de. Abgerufen am 22. Mai 2014: „Lineage ([…] englisch, »Abstammung, Geschlecht«): eine soziale Einheit, die sich aus Personen gleicher Abstammung entweder in väterlicher Linie (Patrilineage) oder mütterlicher Linie (Matrilineage) zusammensetzt und im Allgemeinen exogam ist. Im Unterschied zum Clan können die Mitglieder einer Lineage ihre genealogische Verbindung mit dem Gründer-Ahnen nachweisen. Die Lineage bildet meist eine Wirtschafts- und Solidaritätsgemeinschaft sowie eine Siedlungsgruppe.“
  6. Brian Schwimmer: Descent Group Functions. In: Kinship and Social Organization. Universität Manitoba, Kanada, 1995, abgerufen am 22. Mai 2014 (englisch).
  7. Helmut Lukas, Vera Schindler, Johann Stockinger: Allianzsystem. In: Interaktives Online-Glossar: Ehe, Heirat und Familie. Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, 1997, abgerufen am 22. Mai 2014: „Allianzsystem: Ein Beziehungssystem, das mittels über mehrere Generationen wiederholte Heiraten zwischen unilinearen Deszendenzgruppen oder anderen Verwandtschaftsgruppen festgesetzte und dauerhafte Heiratsbeziehungen produziert bzw. durch diese ausgedrückt wird.“
  8. Der Ethnographic Atlas des amerikanischen Anthropologen George P. Murdock enthält mittlerweile Datensätze zu 1300 Ethnien (Stand Dezember 2012 im InterSciWiki), von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden und werden, beispielsweise im HRAF-Projekt.
  9. Meyer Fortes, Edward E. Evans-Pritchard (Hrsg.): African Political Systems. Oxford University Press, London 1940, S. 7 (englisch; Seitenansicht aus der 4. Auflage von 1950 bei archive.org).
  10. Gabriele Rasuly-Paleczek: Lineage-Theorie. (PDF; 1,85 MB) In: Einführung in die Formen der sozialen Organisation. Teil 2/5, Universität Wien, 2011, S. 47, archiviert vom Original am 21. Oktober 2013; abgerufen am 22. Mai 2014: „Sie war vor allem in Großbritannien verbreitet und ist unter dem Namen »Deszendenztheorie« oder auch »Lineage Theorie« bekannt geworden. In den letzten beiden Jahrzehnten ist dieser Ansatz jedoch stark kritisiert worden (vgl. z. B. die Arbeit von Adam KUPER: Lineage Theory: A Critical Restrospect. In: Annual Review of Anthropology, Vol. 11, 1982, S.71–95)“.
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