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Gewohnheitsrecht

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Das Gewohnheitsrecht ist ungeschriebenes Recht, das nicht durch Gesetzgebung zustande kommt, sondern durch eine andauernde Anwendung von Rechtsvorstellungen oder Regeln, die von den Beteiligten als verbindlich akzeptiert worden sind. Das Gewohnheitsrecht ist im Allgemeinen gleichberechtigt mit Gesetzen.

Beispiele für Gewohnheitsrecht, also Recht, das nicht explizit in Gesetzestexten geregelt wird, sind das deutsche Wappenrecht und das Jedermannsrecht, das in einigen europäischen Staaten (wie zum Beispiel Schweden) das Recht jedes Menschen regelt, die Natur zu nutzen, unabhängig davon, wem der jeweilige Grund und Boden gehört. Besonders im Völkerrecht spielt das Gewohnheitsrecht eine wichtige Rolle: Das Völkergewohnheitsrecht kommt nicht durch Gesetzestexte zustande, sondern wenn gemeinsame Rechtsauffassungen mehrerer Staaten und Regeln im Umgang miteinander durch ihre jahrelange Anwendung (juristisch „Übung“) zum ungeschriebenen Gesetz werden.

Gewohnheitsrecht, das örtlich begrenzt ist – beispielsweise das Gewohnheitsrecht einer Gemeinde –, wird als Observanz bezeichnet.

Das Gewohnheitsrecht in der allgemeinen Rechtsquellenlehre

Begriff

Gewohnheitsrecht entsteht – vereinfacht dargestellt – nicht durch ein förmliches Rechtssetzungsverfahren, sondern durch längerdauernde, stetige, allgemeine und gleichmäßige Übung (longa consuetudo),[1] die von den Beteiligten als rechtsverbindlich anerkannt wird (opinio iuris).[2] Gewohnheitsrecht leitet sich also nicht vom geschriebenen Recht ab, sondern tritt als dessen Konkurrent auf. Fehlt die opinio iuris, handelt es sich um eine bloße Gewohnheit, die allein kein Recht schaffen kann. Rechtmäßig gebildetes Gewohnheitsrecht steht dabei dem geschriebenen Recht grundsätzlich gleich, es sei denn, die Rechtsordnung verlangt ausdrücklich nach einer geschriebenen Regelung.[3]

Das Gewohnheitsrecht ist Teil des positiven Rechts. Dieses Recht ist vom Menschen für den Menschen gesetzt. Das positive Recht unterteilt sich in Gewohnheitsrecht und geschriebenes Recht. Geschriebenes Recht wird als gesetztes Recht bezeichnet, d. h. dass es von staatlichen Organen (in der Regel von der Legislative, zum Teil von der Exekutive) in einer bestimmten Form erlassen worden ist.

Geltung

Gewohnheitsrecht ist in vielen Rechtsordnungen als eigenständige Rechtsquelle anerkannt. So auch in der bundesdeutschen Rechtsordnung. Große Bedeutung hat Gewohnheitsrecht im Völkerrecht.

Unterscheidung zum Richterrecht

Das Gewohnheitsrecht ist nach herrschender Auffassung vom so genannten Richterrecht zu unterscheiden, bei dem bereits geltendes Recht durch die Judikative, also durch die Richter, weitergedacht und weiterentwickelt wird, ohne dass dadurch neues Recht im eigentlichen Sinne geschaffen werden würde.

Neuerdings wird aber vereinzelt ein fließender Übergang von rechtsfortbildenden Einzelfallentscheidungen (also Richterrecht) über die ständige Rechtsprechung (also wenn ein oberstes Gericht eine Rechtsauffassung dauerhaft vertritt) hin zum Gewohnheitsrecht angenommen. Diese Überlegung geht davon aus, dass Präjudizien, also richtungweisende Vorentscheidungen der obersten Gerichte mit der Zeit allgemein bindend werden. Eine klare Unterscheidung zwischen Richterrecht und Gewohnheitsrecht bleibt dennoch bestehen: Während beim Richterrecht die Rechtsprechung (Judikative) befugt bleibt, richterliche Entscheidungen und Weiterentwicklungen aufgrund besserer Einsicht jederzeit zu ändern, kann über das Gewohnheitsrecht (das mit dem geschriebenen Recht gleichberechtigt ist) nur der Gesetzgeber (die Legislative) verfügen. Demnach handelt es sich auch bei der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte nicht um die Bildung von Gewohnheitsrecht.

Aus mehr rechtssoziologischer Sicht wird gegen eine Unterscheidung von Gewohnheits- und Richterrecht argumentiert, dass es die Richter sind, die über die Geltung von Gewohnheitsrecht entscheiden und Gewohnheitsrecht daher letztlich „Juristenrecht“ (Max Weber) sei.[4]

Darüber hinaus kann sich Gewohnheitsrecht unter Umständen aus Richterrecht oder Gerichtsgebrauch entwickeln, „wenn er zu einer entsprechenden tatsächlichen und ständigen Übung führt, die auf der Überzeugung beruht, daß das Geübte Recht sein soll“.[5]

Gewohnheitsrecht in weltlichen Rechtsordnungen

Gewohnheitsrecht in staatlichen Rechtsordnungen

Gewohnheitsrecht in kodifizierten Rechtsordnungen

Gewohnheitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland

Besondere Bedeutung hatte die Lehre vom Gewohnheitsrecht in Deutschland, solange das römische Recht aufgrund der Rezeption als Gewohnheitsrecht galt – grundsätzlich bis zum 1. Januar 1900. Besonders Georg Friedrich Puchta hat die Lehre vom Gewohnheitsrecht im 19. Jahrhundert wissenschaftlich weiterentwickelt, wobei er mit seiner Interpretation insbesondere auf den Widerstand Georg Beselers stieß.

Geltung als Rechtsquelle

Auch in der bundesdeutschen Rechtsordnung ist die Möglichkeit gewohnheitsrechtlich begründeter (einfachrechtlich geltender) Regeln grundsätzlich anerkannt.[6]

Amtsermittlungsbefugnis (§ 293 ZPO)

Ein Gericht ist befugt, das Bestehen und den Inhalt von Gewohnheitsrecht von Amts wegen zu ermitteln § 293 ZPO. Dies auch in der Revisionsinstanz.[5]

Verweis auf Gewohnheitsrecht

In einigen Gesetzesnormen wird auf Gewohnheiten und Bräuche verwiesen, so zum Beispiel in § 346 HGB oder § 242 BGB.

Verbot der Strafbarkeit kraft bloßen Gewohnheitsrechts

In mancherlei Hinsicht wird das Gewohnheitsrecht − das sonst dem gesetzten Recht völlig gleichsteht − vom Gesetzgeber besonders behandelt. So kann z. B. die Strafbarkeit von Handlungen in Deutschland nicht durch Gewohnheitsrecht begründet werden, weil Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes fordert, dass die Strafbarkeit einer Handlung vor ihrer Begehung gesetzlich bestimmt sein muss.

Gewohnheitsrecht in Österreich

Auch in Österreich ist Voraussetzung für die Entstehung von Gewohnheitsrecht eine langdauernde, allgemeine und gleichmäßige Übung (= Anwendung) bestimmter Regeln. Die Übung muss außerdem von der Überzeugung getragen sein, dass die angewandten Regeln Recht sind (opinio iuris).

In diesem Sinne sind im österreichischen Recht eine Reihe von Normen nachweisbar, etwa im Anerbenrecht die Anwendung des Grundsatzes, dass der Übernehmer eines Bauernhofes nach der Übernahme „wohl bestehen“ können muss; das Recht über fremde Wiesen und Felder zu spazieren (ist nur für Wälder im Forstgesetz gesetzlich normiert), Pilze zu sammeln und Blumen zu pflücken.

§ 10 ABGB legt fest, dass auf Gewohnheiten nur in den Fällen Rücksicht genommen werden darf, in welchen sich ein Gesetz darauf beruft. Die Bestimmung ist z. B. auf Verkehrsgewohnheiten (§ 914 ABGB verweist auf die „Übung des redlichen Verkehrs“ für die ergänzende Vertragsauslegung) oder die Handelsbräuche (§ 346 UGB: „Unter Unternehmern ist … auf die im Geschäftsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen.“)

Von einer Mindermeinung in der österreichischen Jurisprudenz (v. a. den Vertretern der „Reinen RechtslehreKelsens) wird bestritten, dass es in Österreich überhaupt Gewohnheitsrecht gibt. Diese Vertreter begründen dies damit, dass die österreichische Bundesverfassung nur die Entstehung von Recht durch Gesetz regle und diese Regelung erschöpfend sein, so dass – wie auch die Ableitung aus der Grundnorm scheitere – für Gewohnheitsrecht kein Raum bleibe. Die überwiegende Meinung in Österreich vertritt, dass die Bundesverfassung zwar nur die Entstehung von Recht durch bewusste Rechtsetzung ausdrücklich behandelt, ihr Schweigen zur Frage des Gewohnheitsrechts aber nicht als dessen völlige Ablehnung zu deuten ist. Ebenso spricht § 10 ABGB nicht gegen die Geltung von Gewohnheitsrecht, sondern engt nur dessen Anwendungsbereich ein.

Siehe auch: Ersitzung

Gewohnheitsrecht in der Schweiz

Art. 1 des Schweizerischen ZGB bezieht das Gewohnheitsrecht ausdrücklich in die anzuwendenden Rechtsquellen mit ein.

Siehe auch: Rechtssoziologie, Historische Rechtsschule, Pandektenwissenschaft

Gewohnheitsrecht im Völkerrecht

Hauptartikel: Völkergewohnheitsrecht

Im Völkerrecht spielt das Gewohnheitsrecht eine große Rolle. Im Völkerstrafrecht gilt das Verbot strafbegründenden Gewohnheitsrechts nicht so strikt.

Gewohnheitsrecht in religiösen Gemeinschaften

Allgemeines

Das Auftauchen von Gewohnheitsrecht bei Religionen hat immer wieder zu Schwierigkeiten oder besonderen Problemen geführt. Insbesondere wurde immer wieder kritisiert, dass „Gewohnheit“ bei einer Stifterreligion automatisch eine willkürliche Verfälschung der ursprünglichen Offenbarung darstellt. Es wird dem aber oft entgegengehalten, dass altertümliche Vorstellungen an moderne Gegebenheiten angepasst werden müssten.

So haben etwa Reformatoren der Katholischen Kirche die Einführung neuer Sakramente vorgeworfen, um dann selbst ihrer Meinung nach nicht authentische Traditionen zu verwerfen.

Die islamische Sunna („gewohnte Handlungsweise“) und der jüdische Talmud („Belehrung, Studium“) sind interpretative Weiterentwicklungen der heiligen Schriften (Koran bzw. Tora). In der Frage, ob die Offenbarung abgeschlossen sei oder nicht, unterscheidet sich das orthodoxe vom Reformjudentum.

Das Gewohnheitsrecht im katholischen Kirchenrecht

Das kanonische Recht, die älteste heute noch geltende und weltweit verbreitete Rechtsordnung, unterscheidet in cc. 23–28 Codex Iuris Canonici drei Arten von rechtsverbindlichem Gewohnheitsrecht: das gesetzesmäßige (secundum legem), das gesetzeswidrige (contra legem) und das Rechtslücken füllende außergesetzliche (praeter legem).

Einzelnachweise

  1. Siehe hierzu OpinioIuris: longa consuetudo.
  2. Siehe hierzu OpinioIuris: opinio iuris.
  3. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum GG, 12. Aufl., 2011, Einleitung Rn 102.
  4. So u. a. Kühl/Reichold/Ronellenfitsch: Einführung in die Rechtswissenschaft. Beck, München 2011, § 6 Rn 18 m.w.N.
  5. 5,0 5,1 BGH, Beschluss vom 13. Mai 1965 – Ia ZB 27/64 – NJW 1965, S. 1862.
  6. BVerfGE 22, 114 (121); 28, 21 (28 f.); 34, 293 (303 f.); 57, 121 (134 f.); 61, 149 (203 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 109 f.; ders., Bd. II, S. 579 f.; Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 433; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum GG, 12. Aufl. 2011, Einleitung Rn 102.
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