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Untergang des Römischen Reiches

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Dieser Artikel behandelt den tatsächlichen Untergang des Römischen Reiches. Für den gleichnamigen Film siehe Der Untergang des Römischen Reiches.

Der Untergang des Römischen Reiches ist ein viel diskutiertes Thema der Altertumswissenschaft. Es geht um die Gründe für den allmählichen Niedergang des weströmischen Reiches, das mit der Absetzung des weströmischen Kaisers Romulus Augustulus im Jahr 476 (bzw. mit dem Tod des letzten von Ostrom anerkannten Kaisers Julius Nepos im Jahr 480) endete, wobei höchst unterschiedliche Theorien entworfen wurden und werden. Zentral ist hierbei vor allem die Frage, ob primär innere Faktoren (z. B. strukturelle Probleme, angebliche „Dekadenz“, religiöse und soziale Umbrüche, Bürgerkriege) oder der Druck durch äußere Angreifer (Germanen, Hunnen, Perser) für die Entwicklung verantwortlich zu machen sind.

Das oströmische/byzantinische Reich überdauerte den Zusammenbruch des weströmischen Kaisertums. Es ging erst 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmed II., bei welcher der letzte byzantinische Kaiser Konstantin XI. den Tod fand, zu Ende.

Überblick

Die Positionen, die in der historischen Forschung zum Ende des Römischen Reiches vertreten wurden und werden, sind sehr vielfältig. Die meisten lassen sich jedoch grob den folgenden vier Ansätzen zuordnen:

  • Dekadenz: Diese vor allem in der älteren Forschung sowie in populärwissenschaftlichen Publikationen weit verbreitete Ansicht geht davon aus, dass das Römische Reich spätestens seit dem 3. Jahrhundert einem moralischen Verfallsprozess ausgesetzt gewesen sei; Macht und Wohlstand hätten langfristig zu einem Werteverfall geführt, der die ökonomische und militärische Stärke des Imperiums schleichend schwinden ließ. Seit der Aufklärung wurde in diesem Zusammenhang oft das Christentum als ein wesentlicher Faktor benannt, während insbesondere marxistisch beeinflusste Gelehrte dagegen vor allem sozioökonomische Krisen verantwortlich machten. Äußeren Angriffen wurde hingegen nur eine sekundäre Bedeutung zugesprochen.
  • Katastrophe: Im Gegensatz zur Dekadenztheorie hat dieser ebenfalls früh formulierte Ansatz auch heute noch Vertreter in der Fachwissenschaft. Diese gehen davon aus, dass es der gewachsene äußere Druck gewesen sei, der im 4. und 5. Jahrhundert zum Untergang Westroms geführt habe. Eine wichtige Rolle wird dabei oft dem Auftreten der Hunnen zugeschrieben, deren Vorstoß gen Westen eine Völkerwanderung ausgelöst habe, der Westrom nicht habe standhalten können. Folgt man dieser Sichtweise, so wurde Westrom von (überwiegend germanischen) Invasoren erobert; sein Ende ist also primär das Ergebnis katastrophaler Ereignisse, die über die Römer von außen hereinbrachen. Aktuelle Vertreter dieser Position sind unter anderem Peter Heather und Bryan Ward-Perkins.
  • Transformation: Weit verbreitet ist in der gegenwärtigen Forschung die Ansicht, es sei irreführend, von den politischen Veränderungen überhaupt auf einen Untergang Roms zu schließen. Vielmehr lasse sich in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht stattdessen ein langsamer Wandlungsprozess beobachten, an dessen Ende sich das Imperium Romanum in die Welt des Mittelalters transformiert habe, ohne dass radikale Brüche zu konstatieren seien. Aktuelle Vertreter dieser Position sind unter anderem Peter Brown, Walter Goffart und Averil Cameron.
  • Bürgerkrieg: In jüngster Zeit wird vermehrt die Position vertreten, das Ende Westroms sei weder durch eine friedliche Transformation noch durch äußere Angriffe verursacht worden, sondern sei vielmehr eine Konsequenz aus jahrzehntelangen Bürgerkriegen gewesen, durch welche Macht und Ansehen der weströmischen Regierung so sehr erodiert seien, dass nach ihrem Kollaps schließlich die Anführer (reges) reichsfremder Söldnerheere (foederati) an ihre Stelle getreten seien und lokale Herrschaften etabliert hätten. Aktuelle Vertreter dieser Position sind unter anderem Guy Halsall, Henning Börm und Christian Witschel.

Ältere Forschungsmeinungen

Lange Zeit galt es unter Historikern und Gelehrten als weitestgehend selbstverständlich, von einem „Verfall und Untergang“ des Imperium Romanum während der Spätantike zu sprechen; lediglich die Ursachen hierfür waren umstritten. In der älteren Forschung gab hierbei vor allem Edward Gibbon den Ton an. In seinem epochalen Werk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire postulierte Gibbon bereits im 18. Jahrhundert die Ansicht, (West-)Rom sei nicht durch äußere Einwirkungen, sondern primär wegen innerer Schwäche untergegangen. Dabei gab er zu einem nicht geringen Teil dem Christentum die Schuld. Dieses habe die alten Kräfte des Römischen Reiches geschwächt. Er schloss sich auch der Dekadenztheorie Montesquieus an, während seine Überlegungen zum Christentum den Ideen Voltaires folgen. Der letztendliche Zusammenbruch sei schließlich eine Folge des Drucks durch die äußeren Feinde auf das innerlich bereits entscheidend geschwächte Imperium gewesen. Noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert gab man oft dem Christentum und dem äußeren Druck durch die Germanen auf das Reich die Schuld am Fall Roms (wobei insbesondere deutsche und britische Gelehrte dies nicht immer negativ bewerteten). Noch Otto Seeck sah die Spätantike als eine reine Verfallszeit an, während Henri Pirenne als Grund für den Zusammenbruch der spätantiken Mittelmeerwelt nicht die Germanen, sondern erst den Ansturm des Islam anführte (siehe Islamische Expansion und Pirenne-These).

Obwohl nicht alle Gelehrten der Meinung waren, innerer Verfall sei am Ende Roms zumindest prominent beteiligt gewesen, dominierte der Dekadenzgedanke dennoch lange Zeit die historische Forschung. Die Vorstellung, große Reiche würden – wie Lebewesen – regelhaft einen Zyklus von Aufstieg, Blüte und Verfall durchleben, wurde bereits in der Antike formuliert (etwa von Herodot und Xenophon in Bezug auf Persien, von Sallust in Bezug auf die Römische Republik). Sie hat im abendländischen Denken bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Es lag daher nahe, auch das Ende des Weströmischen Reiches nach diesem einfachen Muster zu deuten. So sah auch Oswald Spengler in seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes einen zyklischen Verlauf als Grundprinzip der Weltgeschichte: Auf den Aufstieg eines Großreiches folge der Niedergang. Arnold Joseph Toynbee sah ein Versagen der moralischen Instanzen, aber auch den Zufall, der eine Rolle spielte. Diese zyklische Schule findet zum Teil auch heute noch Anhänger, allerdings kaum mehr unter Althistorikern. Die Spätantike wird in diesem Sinne bis heute gerne als Spiegelbild der eigenen Gesellschaft gedeutet, der man ebenfalls Verfallstendenzen zuschreibt.

Neuere Forschungsmeinung

Die populäre Vorstellung, „spätrömische Dekadenz“ habe zum Ende des Imperiums geführt, wird von der großen Mehrheit der Althistoriker schon seit Jahrzehnten nicht mehr vertreten. Heute wird die Spätantike, in deren Zeitraum (etwa 300 bis 600) der Fall Roms fiel, viel differenzierter gedeutet als beispielsweise noch von Otto Seeck. Die lange so dominante Dekadenztheorie wird heute in Fachkreisen als weitgehend obsolet betrachtet, zumal viele neuere Arbeiten die Vitalität der Epoche betonen, wobei sich jedoch Akzente (etwa im kulturellen Bereich) verschoben. Diese Neubewertung hängt auch damit zusammen, dass man die „klassische Antike“ inzwischen weit weniger idealisiert als früher, sondern sich zumeist um eine neutralere Bewertung der anschließenden Epoche bemüht. Obwohl spätestens ab etwa 550 (also erst am Ende der Spätantike) ein gravierender Rückgang der Bildung konstatiert werden kann (zuerst im Westen, dann im Osten), ist es wohl richtiger und wissenschaftlich produktiver, statt von Verfall und Untergang von einer Transformation zu sprechen. Diese aktuelle Mehrheitsmeinung in der Forschung wird allerdings in den letzten Jahren von einigen Gelehrten (z. B. Ward-Perkins 2005) angegriffen. Diese kommen, vor allem ausgehend vom archäologischen Befund, zu einem wesentlich negativeren Befund und sprechen wieder von einem Niedergang, der im 5. Jahrhundert Westrom und im frühen 7. Jahrhundert Ostrom betroffen habe.[1] Auch diese Forscher halten allerdings nicht innere Verfallserscheinungen für die Ursache dieser Entwicklung, sondern Druck durch äußere Feinde und ökonomische Schwierigkeiten.

Doch ist auch der wirtschaftliche Niedergang als Begründung des Verfalls wohl nur bedingt gültig. Im Gegenteil, vielmehr war die Spätantike nicht eine erstarrende Zeit, sondern eine Zeit des Umbruchs und der oft ungebrochenen wirtschaftlichen Vitalität, vor allem – aber anfangs nicht nur – im Osten,[2] auch wenn es wohl in einigen Regionen zu einem Bevölkerungsrückgang kam.[3] Als alleiniges Erklärungsmuster scheidet dieser Faktor dadurch aus, dass nicht nur im insgesamt vitaleren Osten, sondern lange Zeit auch im Westen, selbst nach den zahlreichen Kriegszügen im 5. Jahrhundert, die Wirtschaftskraft regional durchaus noch stark ausgeprägt war, wie die neuere Forschung nachweisen konnte. Beispiele sind Teile Galliens oder Nordafrikas; anders sah es jedoch etwa in Britannien aus.

Das gleiche trifft auf die abwertende Bezeichnung Dominat zu, die eher der Haltung mancher liberaler Historiker des 19. Jahrhunderts entspricht (wie Theodor Mommsen), die im spätrömischen Reich eine Militärdiktatur bzw. eine Despotie erblickten. Die Bürokratisierung nahm zwar zu, auch wenn das römische Reich im Vergleich zu modernen Gesellschaften eher unteradministriert war, allerdings auch die gesellschaftliche Mobilität. Zudem waren viele Züge dieser Entwicklung schon viel früher feststellbar. Das Militär entzog sich oft der Kontrolle des Kaisers, ebenso wie die Kirche und Teile der Aristokratie, was wesentlich schwerwiegender war. In jene Zeit fiel vielleicht auch ein Rückgang der Sklaverei,[4] was aber in der Forschung nicht unumstritten ist, während es wohl verstärkt Kolonate gab (also die Bindung der Bauern an das Land).

Die Schuld, die dem Christentum früher oftmals gegeben wurde, ist ebenfalls differenzierter zu betrachten. So wandten sich viele Männer von höchster Integrität dem Christentum zu und verbrachten ihr Leben im Dienst der Kirche, gingen so aber dem Staat verloren. Andererseits stabilisierte die neue Religion das Kaisertum; dass der noch stärker und früher christlich geprägte Osten das 5. Jahrhundert überdauerte, spricht entschieden gegen die Annahme, das Christentum habe Roms Untergang bewirkt. Die staatliche Bürokratie hatte mit Korruptionsproblemen zu kämpfen, deren Bedeutung inzwischen aber umstritten ist.[5] All jene Forscher, die primär innere Faktoren für den Untergang des Reiches verantwortlich machen, müssen sich dabei grundsätzlich der Frage stellen, wieso der Osten des Imperiums die Krisen des 5. und 6. Jahrhunderts im Unterschied zum Westen praktisch unbeschadet überdauerte und anschließend sogar die Islamische Expansion (in drastisch verringerter Größe) überstand. Eine mögliche Antwort hierauf ist der Verweis auf die lange Kette an Bürgerkriegen, die Westrom im 5. Jahrhundert erlebte und die die Autorität des westlichen, nicht aber des östlichen Kaisertums auf die Dauer vernichteten (so etwa Halsall 1999 und Börm 2013).[6]

Die reguläre Armee war in der spätrömischen Epoche besonders im Westen oft nicht mehr in der Lage, die Grenzen effektiv zu schützen. Gründe waren wohl eine gemessen an den Herausforderungen zu geringe Mannschaftsstärke sowie Rüstungsfortschritte der Germanen; sehr bedeutsam waren aber auch die blutigen innerrömischen Auseinandersetzungen, die seit 402 wie schon im 3. Jahrhundert zu einer Entblößung der Außengrenzen führten. Einen bedeutenden Aderlass stellte zwar auch die Schlacht von Adrianopel (378) dar, doch betraf diese Niederlage vor allem die oströmische Armee. Im Osten stand dem Imperium mit dem Sassanidenreich zudem ein beinahe gleichwertiger Gegner mit einer regulären Armee gegenüber, was dazu führte, dass man dem Westen nur begrenzt helfen konnte. Andererseits waren die Römer den Barbaren grundsätzlich weiterhin überlegen. So behielten die kaiserlichen Truppen nach wie vor in der Regel die Oberhand über die hunnischen und germanischen Kriegerverbände; es ist kein Zufall, dass das römische Heer die weitaus größten Verluste nicht bei der Abwehr äußerer Feinde, sondern in Bürgerkriegen erlitt, so insbesondere in der Schlacht bei Mursa (351) und der Schlacht am Frigidus (394). Sogar die blutige Schlacht auf den Katalaunischen Feldern wird heute von einigen Historikern als ein primär innerrömischer Konflikt interpretiert, bei dem Attila lediglich die Feinde des Flavius Aëtius unterstützt habe.

Die neuere Forschung betont daher vor allem die Finanzierungsprobleme des Reiches: Ostrom konnte aufgrund seiner Wirtschaftskraft und der weitgehend friedlichen inneren Verhältnisse auch im 5. und 6. Jahrhundert eine Armee unterhalten, die ihren Aufgaben insgesamt gerecht werden konnte. Im Westen war dies nach 400 immer weniger der Fall, vor allem weil die Zentralregierung angesichts andauernder Wirren schrittweise die Kontrolle über wichtige Reichsteile einbüßte. Die Vandalen eroberten in den 430er Jahren die reichste weströmische Provinz, Africa, während schließlich weite Teile Hispaniens und Galliens in den 460er und 470er Jahren an die Goten fielen. Das Steueraufkommen Westroms sank dementsprechend dramatisch ab, und die regulären Truppen konnten nicht mehr finanziert werden.

Die notgedrungenen Anwerbungen nichtrömischer Söldner (foederati) nahmen zugleich immer mehr zu, da dies ungleich billiger und zeitsparender war als der Unterhalt regulärer Truppen. Hinzu kam der Druck auf die Grenzen. Westrom gelang es nach Ansicht vieler Forscher zuletzt nicht mehr, die Germanen zu kontrollieren und in den Reichsverband einzubinden.[7] Das vielbeschworene Problem mit „unzuverlässigen“ Barbaren trat übrigens fast nur bei foederati auf, also den als Bundesgenossen unter eigenen Anführern (reges) dienenden Germanen (und auch dort nur sehr selten), nicht bei den ins reguläre Heer integrierten Germanen.[8] Über die Rolle, die die Germanen letztlich bei der Entstehung der mittelalterlichen Welt spielten – besetzten bzw. übernahmen sie das zusammenbrechende Weströmische Reich eher, als dass sie es gewaltsam erobert hätten? –, besteht bis heute keine Einigkeit.[9] Der weitgehend fehlende Widerstand gegen die Germanen kann nach Ansicht mancher Forscher eigentlich nur zweierlei bedeuten: Entweder seien die einst so kriegerischen Römer im Westen auf einmal in Apathie verfallen, oder aber man habe die Barbaren gar nicht als bedrohliche Eindringlinge empfunden, sondern als Neuankömmlinge in den Diensten Roms.[10]

Unfähige oder zu junge Kaiser (Honorius, Valentinian III.) und die Haltung manch eines magister militum, die Waffen gegen die eigenen Leute zu erheben, um so die eigene Position zu stärken, trugen zum Machtverlust des westlichen Kaisertums bei. Manchem Kaiser, wie etwa Majorian, gelang es aber noch in der Endphase, wenigstens zeitweise wieder die Initiative zu gewinnen. Westroms Macht war aber schon vor 476 bzw. 480 zeitweilig nur noch ein Schatten ihrer selbst – die kaiserliche Zentralregierung in Ravenna wurde schließlich von den germanischen Heermeistern ausgehebelt. Als Zäsur gilt die Ermordung des weströmischen Generals Flavius Aëtius 454, der (nicht uneigennützig) mit seinen Armeen die Herrschaft Ravennas in Italien, weiten Teilen Galliens sowie in Katalonien und Dalmatien aufrechterhalten hatte. Als dann Kaiser Anthemius 468 mit dem verzweifelten Versuch scheiterte, das reiche Nordafrika gewaltsam wieder zu unterwerfen, verlor das weströmische Kaisertum alle verbliebene Autorität und wurde 476 als überflüssig abgeschafft.

Die germanischen Föderaten übernahmen um 470 die Verwaltung ihrer Gebiete selbst, sie erkannten aber in der Regel den oströmischen Kaiser zunächst weiterhin als ihren Oberherren an. Noch Justinian war überdies in der Lage, den römischen Herrschaftsanspruch im Westen auch militärisch durchzusetzen – zumindest teilweise und für begrenzte Zeit. Erst die islamische Expansion, die die Kaiser in Konstantinopel für alle Zukunft daran hinderte, im Westen wirksamen Einfluss auszuüben, bedeutete den endgültigen Untergang des Römischen Reiches.

Es ist bislang nicht gelungen, eine eindeutige Antwort auf die Frage zu formulieren, warum das Weströmische Reich unterging. Die angebliche „Dekadenz“ war nach Ansicht der allermeisten heutigen Forscher kein entscheidender Faktor, wenngleich es durchaus Quellenaussagen gibt, die den (angeblichen oder tatsächlichen) „Sittenverfall“ der Oberschicht beklagen - denn derartige Klagen gab es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften. Im kulturellen Bereich dominierten zwar neue Formen, doch war etwa die literarische Produktion noch beachtlich hoch. Im Bereich der Geschichtsschreibung etwa entstanden insbesondere in Ostrom noch bis ans Ende der Antike bedeutende Werke (siehe unter anderem Ammianus Marcellinus, Olympiodoros von Theben, Priskos, Prokopios von Caesarea); zu nennen sind daneben auch Dichter wie Claudian und Corippus oder Philosophen wie Boethius, Simplikios und Damaskios.[11]

Eine Mitschuld am Untergang des Westreiches trugen sicherlich gewisse systemimmanente Mängel in der Verwaltung und der Armee, doch betrafen diese grundsätzlich auch den erfolgreicheren Osten, so dass sie als Erklärung nicht genügen. Vor allem aber war der Westen ökonomisch und militärisch wohl nicht stark genug. Hier setzt zumindest der (umstrittene) Erklärungsansatz von Forschern wie Peter J. Heather an: Seit dem Aufkommen des Sassanidenreichs im 3. Jahrhundert stand dem Imperium Romanum anders als zuvor permanent ein gefährlicher Rivale gegenüber, der die Anspannung aller Kräfte verlangt habe; als mit dem Auftreten der Hunnen und dem dadurch, so Heather, bedingten Beginn großer Völkerbewegungen der Druck auf die römische Nordgrenze stark zunahm, sei zumindest das Westreich überfordert gewesen. Es sei von der Wucht dieser Völkerwanderung (375−568) mit ganzer Härte getroffen worden, zumal dort weniger Truppen lagen als an Donau und Euphrat. Der Westen verfügte wohl nicht über die Bevölkerungszahlen und die hohe Wirtschaftskraft des Ostreichs, und seine Provinzen waren verwundbarer als die des Ostens (siehe auch Rheinübergang von 406) − außerdem gelang es dem weströmischen Staat (so etwa Heather 2005 und Jones 1964) offenbar immer weniger, auf das zum Teil noch immer gewaltige Privatvermögen reicher Senatoren zuzugreifen oder genügend Reichsbewohner zum Militärdienst anzuwerben.

Eine monokausale Betrachtungsweise wird niemals allen diffizilen Problemen gerecht werden. Wahrscheinlich durchschauten die Zeitgenossen die Vorgänge eher noch weniger als die moderne Forschung. So konnten keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergriffen werden, und die literarischen Quellen führen mitunter in die Irre. Sicher ist nur eins: Rom lebte kulturell fort, das Ostreich bestand noch bis 1453 – und die Spätantike, so verheerend gewisse Ereignisse für Teile der Bevölkerung gewesen sind, formte das zukünftige Europa entscheidend mit und aktivierte auch dynamische Kräfte.

Siehe auch

Literatur

  • Hartwin Brandt: Das Ende der Antike. Geschichte des spätrömischen Reiches. 2. Auflage. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51918-0 (sehr knappe, inhaltlich konventionelle Einführung in die Ereignisgeschichte der Jahre von 284 bis 565).
  • Henning Börm: Westrom. Von Honorius bis Justinian. Kohlhammer, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-17-023276-1 (aktuelle Überblicksdarstellung, die vor allem innere Machtkämpfe und Bürgerkriege für den Zerfall des Imperiums verantwortlich macht).
  • Karl Christ (Hrsg.): Der Untergang des Römischen Reiches. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986.
  • Alexander Demandt: Geschichte der Spätantike. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44107-6, S. 445–447.
  • Alexander Demandt: Der Fall Roms. Beck, München 1984, ISBN 3-406-09598-4 (lesenswerte, detaillierte Darstellung der unterschiedlichen Erklärungsmuster für den „Fall Roms“).
  • Walter A. Goffart: Barbarians and Romans A.D. 418–584. The techniques of accommodation. Princeton University Press, Princeton 1980, ISBN 0-691-05303-0 (Goffart entwickelte hier eine einflussreiche, aber umstrittene Theorie, derzufolge die barbarischen Krieger im Imperium kein Land, sondern lediglich einen Anteil an den Steuern erhalten hätten).
  • Guy Halsall: Barbarian Migrations and the Roman West 376-568. Cambridge University Press, Cambridge 2007, ISBN 978-0521-435437 (Halsall hält vornehmlich innere Faktoren für ausschlaggebend für die Entwicklungen und nimmt an, erst der Zerfall des Westreiches habe die Völkerverschiebungen bewirkt, nicht umgekehrt).
  • Henriette Harich-Schwarzbauer, Karla Pollmann (Hrsg.): Der Fall Roms und seine Wiederauferstehungen in Antike und Mittelalter. De Gruyter, Berlin/Boston 2013.
  • Peter J. Heather: The Fall of the Roman Empire. A New History. Oxford University Press, New York 2005, ISBN 0-19-515954-3 (Heather sieht das Auftreten der Hunnen und weiterer äußerer Feinde als Grund für das Ende Roms an: Die Hunnen hätten eine Völkerwanderung ausgelöst, der das Imperium erlegen sei; siehe auch den Aufsatz unten).
  • Peter J. Heather: The Huns and the End of the Roman Empire in Western Europe. In: English Historical Review. Vol. 110, 1995, S. 4–41.
  • Alfred Heuß: Römische Geschichte. 7. Auflage. Schöningh, Paderborn 2000, insbesondere S. 500–506, 601–603.
  • Arnold Hugh Martin Jones: The Later Roman Empire 284–602. A Social, Economic and Administrative Survey. 2 Bände, Baltimore 1986 (Neudruck der Ausgabe in 3 Bänden, Oxford 1964), speziell Band 2, S. 1025–1027 (wichtiges und detailliertes Standardwerk zum Aufbau des spätrömischen Reiches, wenngleich teils überholt und für den Laien nur schwer lesbar).
  • Henri Irénée Marrou: Décadence romaine ou antiquité tardive? IIIe–VIe siècle. Paris 1977.
  • Walter Pohl: Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2005. ISBN 3-17-018940-9.
  • Bryan Ward-Perkins: The Fall of Rome and the End of Civilization. Oxford University Press, Oxford 2005; ND 2006, ISBN 978-0-19-280728-1 (Darstellung des Endes des Weströmischen Reiches, die im Gegensatz zu Walter Goffart diesen Prozess als brutalen Einschnitt, hervorgerufen durch äußere Angreifer, versteht. Ward-Perkins betont, ausgehend vom archäologischen Befund, es habe sich nicht um eine bloße Transformation, sondern um einen Niedergang und Verfall gehandelt).
  • Christian Witschel: Imperium im Wandel. Das Ende des Römischen Reiches im Urteil der modernen Geschichtswissenschaft. In: Praxis Geschichte 1/2014, S. 4-11 (knapper Überblick über die Diskussion).

Weblinks

Anmerkungen

  1. fachwissen. Besprechung bei H-Soz-u-Kult.
  2. Demandt, Spätantike, S. 453.
  3. Jones, LRE, Bd. 2, S. 1038–1040.
  4. Demandt, Spätantike, S. 454.
  5. Jones, LRE, Bd. 2, S. 1063–1064.
  6. Vgl. Guy Halsall: Movers and Shakers. The Barbarians and the Fall of Rome. In: Early Medieval Europe 8, 1999, S. 131 ff.; Börm, Westrom, S. 114 ff.
  7. Demandt, Spätantike, S. 471; Heather, Fall of the Roman Empire, passim.
  8. Jones, LRE, Bd. 2, S. 1038.
  9. Vgl. dazu (meinungsfreudig) Goffart, Barbarians and Romans.
  10. So vor allem W. Goffart. Dagegen siehe jedoch Heather und Ward-Perkins; Heather betont unter anderem die Rolle der Hunnen, deren Angriffe er, ganz im Sinne der älteren Forschung, für entscheidend hält.
  11. Vgl. allgemein bzgl. der Einschätzung der Spätantike in der neueren Forschung die aktuellen Beiträge in Philip Rousseau (Hrsg.): A Companion to Late Antiquity. Malden (Massachusetts) u.a. 2009. Einen deutschsprachigen Überblick bietet auch Rene Pfeilschifter: Die Spätantike. München 2014.
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