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Heinz Reinefarth

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Heinz Reinefarth (1944)
Heinz Reinefarth (links, mit Kosakenmütze) während des Warschauer Aufstandes

Heinz Reinefarth, eigentlich Heinrich Reinefarth (* 26. Dezember 1903 in Gnesen, Provinz Posen, Königreich Preußen; † 7. Mai 1979 in Westerland, Sylt), war ein deutscher SS-Gruppenführer, Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei. Reinefarth war u. a. für die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes verantwortlich, bei der allein im Warschauer Stadtteil Wola 20.000 bis 50.000 Zivilisten von den Truppen unter seinem Befehl erschossen wurden.

Für seine Taten wurde Reinefarth nie belangt. Es gelang ihm im Gegenteil, in der Nachkriegszeit eine politische Karriere einzuschlagen, bei der er Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtages und Bürgermeister von Westerland auf Sylt wurde.

Leben

Reinefarth war der Sohn eines Landgerichtsrates. Nach dessen Versetzung ging er in Cottbus zur Schule und legte dort 1922 das Abitur ab.[1] Noch als Gymnasiast folgte er während des Kapp-Putsches 1920 dem Aufruf des Freikorpsführer Major Buchrucker und ging gemeinsam mit anderen gewaltsam gegen demonstrierende Arbeiter vor.[1] 1923 wurde er Mitglied im Freikorps Oberland. Er studierte Rechtswissenschaft in Jena und war nach der Promotion als Richter tätig. 1932 wurde er Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 1.268.933) und der SS (SS-Nr. 56.634). Zwischen 1932 und 1939 war er in Cottbus als Rechtsanwalt und Notar tätig. Aus seiner 1932 geschlossenen Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor.[2]

Zweiter Weltkrieg

Beim Überfall auf Polen wurde Reinefarth, obwohl Hauptsturmführer der SS, als Schütze der Reserve zur Wehrmacht eingezogen. Im Winter 1939/40 absolvierte er zunächst die Unteroffiziers- und später auch die Offiziersschule. Während des Westfeldzuges gegen Frankreich wurde ihm als Zugführer der 14. Kompanie des Infanterie-Regiments 337 und einem der ersten Nichtoffiziere das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen; diese ungemein prestigeträchtige Auszeichnung förderte seine weitere Karriere.[3] Mitte 1942 wurde er aufgrund während des Russlandfeldzuges schwerer erlittener Erfrierungen wehrdienstuntauglich. Er verließ die Wehrmacht im Rang eines Leutnants der Reserve und wurde als Generalinspekteur der Verwaltung im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren von Juni 1942 bis Mitte 1943 tätig. Am 30. Januar 1942 wurde er zum SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei befördert und war als solcher einer der wichtigsten Mitarbeiter von Ordnungspolizeichef Kurt Daluege.[4]

Heinz Reinefarth, Dritter von links, bei einer Offiziersbesprechung während des Warschauer Aufstands, August 1944.

Nach einem einjährigen Aufenthalt im Hauptamt Ordnungspolizei wurde er im April 1944 zum Höheren SS- und Polizeiführer Warthe und am 1. August 1944 zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei berufen. In dieser Funktion befehligte er zwölf galizische Schutzmannschaft-Kompanien (Einsatzgruppe „Reinefarth“) bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) vom 1. August bis zum 3. Oktober 1944 (Kapitulation der Heimatarmee). Zu den ihm unterstellten Einheiten gehörten das SS-Sonderregiment Dirlewanger mit dem unterstellten II. Bataillon (aserbaidschanisches) / Gebirgsjägerregiment „Bergmann“ unter Hauptmann Hubert Mertelsmann und das verstärkte Waffen-Grenadier-Regiment der SS 72 (russische Nr. 1) unter dem Brigadestabs-Chef Waffen-Sturmbannführer Iwan Frolov der Waffen-Sturmbrigade RONA sowie das I. & II. Bataillon / Ostmuselmanische SS-Regiment unter SS-Sturmbannführer Franz Liebermann. Diese waren von äußerster Brutalität und Verrohung geprägt. Immer wieder kam es neben den Massenmorden (bei denen über 100.000 polnische Aufständische und Zivilisten getötet wurden) auch zu Massenvergewaltigungen und anderen Exzessen, bei denen häufig auch Minderjährige und Kinder Opfer waren (Massaker von Wola). Überliefert ist ein Funkgespräch Heinz Reinefarths mit dem Oberbefehlshaber der 9. Armee Nikolaus von Vormann, in dem er fragt: „Was soll ich mit den Zivilisten machen? Ich habe weniger Munition als Gefangene“[5]. Heinz Reinefarth, Befehlshaber bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, erhielt den Beinamen: „Mörder von Warschau“ bzw. „Der Schlächter von Warschau“ oder auch „Henker von Warschau“. Für seine Taten in Warschau zeichnete das NS-Regime Reinefarth am 30. September 1944 mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes aus.

Reinefarth (Mitte) bei der Ehrung des Millionsten Wartheland-Umsiedlers durch Gauleiter Arthur Greiser (rechts) im Jahr 1944.

Am 2. Februar 1945[6] ernannte ihn Adolf Hitler zum Festungskommandanten der Stadt Küstrin an der Oder (Festung Küstrin), die nach schweren sowjetischen Bombardements am 28./29. März von der Sowjetarmee erobert wurde. Bei den Kämpfen um die Festung Küstrin fielen etwa 5.000 deutsche und 6.000 sowjetische Soldaten. Reinefarth brach entgegen Hitlers Befehl mit einem Teil seiner Truppen aus (nur ca. 1300 erreichten die deutschen Linien) und wurde wegen Feigheit vor dem Feind zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde wegen der kritischen Frontlage nicht vollstreckt; Reinefarth gelang es, sich mit einer Heeresgruppe an der westlichen Front britischen Soldaten zu ergeben.

Bei Ende des Zweiten Weltkriegs hatte er den Rang eines SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei. Danker und Lehmann-Himmel charakterisieren ihn in ihrer Studie über das Verhalten und die Einstellungen der Schleswig-Holsteinischen Landtagsabgeordneten und Regierungsmitglieder der Nachkriegszeit in der NS-Zeit als „Verfolgungsakteur“ und „exponiert-nationalsozialistisch“.[7]

Nachkriegszeit

Reinefarth verbrachte bis 1948 drei Jahre in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Einige Male wurde er nach Nürnberg verlegt, um vor dem Internationalen Militärgerichtshof auszusagen; es kam jedoch zu keiner Aussage. Einem Auslieferungsverlangen Polens wurde nicht stattgegeben. 1948 wurde Reinefarth nach Hamburg in die britische Zone überstellt. Auch die Briten lehnten 1950 Reinefarths Auslieferung nach Polen ab. Der Hintergrund war, wie der Historiker Philipp Marti 2012 herausfand, eine geheimdienstliche Tätigkeit Reinefarths für den amerikanischen CIC.[8] Im Entnazifizierungsverfahren sprach ihn das Spruchgericht Hamburg-Bergedorf 1949 von jeder Schuld frei. Vom Flensburger Entnazifizierungs-Hauptausschuss wurde sogar festgestellt, „der Betroffene habe nicht nur in seinem militärischen, sondern auch in seiner ganzen politischen Gegeneinstellung zum Nationalsozialismus wiederholt Leben und Stellung aufs Spiel gesetzt“[9] und Reinefarth in die Kategorie V (Entlasteter) eingestuft.

Die Ortsgruppe des „Heimatbundes Deutscher Ostvertriebener“ schlug ihn im Herbst 1950 als Flüchtlingsbeauftragten der Stadt Westerland auf Sylt vor, wo er sich nach dem Krieg mit seiner Familie niedergelassen hatte. Im selben Jahr wurde er auch wieder als Rechtsanwalt zugelassen. Von Dezember 1951 bis 1964 war er Bürgermeister von Westerland. Bei der Landtagswahl im September 1958 wurde Reinefarth in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gewählt, zunächst für den GB/BHE, der 1961 mit der Deutschen Partei zur Gesamtdeutschen Partei fusionierte. Der DEFA-Dokumentarfilm Urlaub auf Sylt von Annelie und Andrew Thorndike aus dem Jahr 1957 rückte erneut Reinefarths nationalsozialistische Vergangenheit in den Vordergrund. Nach seinem durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erzwungenen Rückzug aus der Politik war Reinefarth ab 1967 erneut als Rechtsanwalt in Westerland tätig. Die Ermittlungen gegen ihn wurden ohne Anklage eingestellt. Reinefarth starb am 7. Mai 1979 auf Sylt und wurde auf dem Friedhof Sylt-Keitum beigesetzt.[10]

Am 10. Juli 2014 hat der Landtag Schleswig-Holstein angesichts der Gräueltaten Reinefarths den Opfern des Warschauer Aufstandes „sein tiefes Mitgefühl“[11] ausgesprochen und sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, „dass es nach 1945 in Schleswig-Holstein möglich werden konnte, dass ein Kriegsverbrecher Landtagsabgeordneter wird“.[12] Auch die heutige Gemeinde Sylt stellt sich inzwischen der Vergangenheit ihres ehemaligen Bürgermeisters.[13]

Weitere Funktionen:

Auszeichnungen

  • 1939: Eisernes Kreuz II. Klasse
  • 1940: Eisernes Kreuz I. Klasse
  • 25. Juni 1940: Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes
  • 1943: Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern
  • 30. September 1944: Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes

Rezeption

Am 31. Juli 2014, also am Vorabend des 70. Jahrestages vom 1. August 1944, wurde am Westerländer Rathaus auf Initiative der evangelischen Pfarrerin von Westerland, die eine E-Mail aus Polen erhalten hatte,[14] eine Gedenktafel enthüllt.[15] 70 Jahre nach dem Beginn des Warschauer Aufstands, der von SS- und Wehrmachts-Truppen unter Reinefarths Befehl blutig niedergeschlagen worden war, wird auf dieser Tafel in deutscher und polnischer Sprache der mehr als 100.000 Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder aus Polen, gedacht, die damals von den deutschen Besatzern verletzt, geschändet und ermordet wurden.

Sie endet mit zwei Sätzen, die den Bezug dieses Kriegsverbrechens zu Sylt und dem Rathaus, an dem sie angebracht ist, aussprechen: „Heinz Reinefarth, von 1951 bis 1963 Bürgermeister von Westerland, war als Kommandeur einer Kampfgruppe maßgeblich mitverantwortlich für dieses Verbrechen. Beschämt verneigen wir uns vor den Opfern des Warschauer Aufstandes und hoffen auf Versöhnung.“[16]

Der Fall Heinz Reinefarth steht auch im Zentrum des Online-Spiels „Die Schattenjäger“, das 2021 vom polnischen Pilecki-Institut in Berlin entwickelt wurde.[17]

Der polnisch-deutsche Autor Przemek Zybowski schrieb 2023 im Auftrag der Künsterassoziation Limited Blindness den dramatischen Text "Oh wie schön ist das Westerland" über einen fiktiven Enkel Heinz Reinfahrts, der auf dem Maidan 2014 in Kiew seine Familiengeschichte als Transgenerationentrauma wiedererlebt. Der Text erlebte in Regie von Heiko Michels innerhalb der Inszenierung "Zum Ewigen Frieden!" am 9. November 2023 im Theater im Delphi in Berlin seine Uraufführung. Der Geist Heinz Reinefahrts wurde von Martin Heesch verkörpert.[18]

Literatur

Weblinks

 Commons: Heinz Reinefarth – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Philipp Marti: Die zwei Karrieren des Heinz Reinefarth. Vom „Henker von Warschau“ zum Bürgermeister von Westerland. In: Demokratische Geschichte Band 22, Beirat für Geschichte, Malente 2011, S. 167–192.
  2. Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten. Düsseldorf 1986, S. 345.
  3. pamiec.pl: DAS UNBEWÄLTIGTE VERBRECHEN. HEINZ REINEFARTH UND DER WARSCHAUER AUFSTAND Philipp Marti im Gespräch mit Filip Gańczak und Maciej
  4. Landtagsdrucksache 18-4464, S. 497, abgerufen am 22. Oktober 2020.
  5. Daniel Brössler: Warschauer Aufstand: Gedenken an die dunkelsten Tage. Abgerufen am 2. August 2020.
  6. Fritz Kohlase: Küstrins Untergang im Jahre 1945
  7. Landtagsdrucksache 18-4464, S. 285, abgerufen am 22. Oktober 2020.
  8. Philipp Marti: Die zwei Karrieren des Heinz Reinefarth. Vom „Henker von Warschau“ zum Bürgermeister von Westerland. In: Demokratische Geschichte. 22, Malente 2011, S. 167–192. (online hier)beirat-fuer-geschichte.de, S. 176f.
  9. Landtagsdrucksache 18-4464, S. 499, abgerufen am 22. Oktober 2020.
  10. Agnieszka Hreczuk: Der fürchterliche Sylter. 70 Jahre Warschauer Aufstand: Westerland und Ex-Nazi-Bürgermeister Reinefarth. tagesspiegel.de 2. August 2015. Abgerufen am 24. August 2015.
  11. Landtag verurteilt Gräueltaten des ehemaligen Abgeordneten Reinefarth. 10. Juli 2014.
  12. Resolution zum Warschauer Aufstand vom 1. August 1944, LtSH (PDF) Drs. 18/2124.
  13. Gemeinde Sylt: Bekenntnis zur NS-Vergangenheit von Ex-Bürgermeister Heinz Reinefarth, polish-online.de, abgerufen am 26. April 2016.
  14. Silke Nora Kehl: Sylter Pastorin nimmt ehemaligen Nazi-Bürgermeister unter die Lupe. In: nordkirche.de. 25. November 2014, abgerufen am 12. Juli 2021.
  15. taz-Artikel vom 30. Juli 2014: „Beschämt verneigen wir uns“ Die Gemeinde Sylt bekennt sich dazu, dass ihr Ex-Bürgermeister Heinz Reinefarth mitverantwortlich war für die Ermordung von über 150.000 Menschen.
  16. Andreas Förster: Der Henker von Westerland. (Erst jetzt wird daran erinnert … ) In: fluter. 31. Juli 2014 (eingesehen 9. Juli 2021)
  17. Nils Abraham / Thomas Wegener Friis: Serious Games in der Public History: Zur Aufarbeitung des Falls des NS-Kriegsverbrechers und Sylter Bürgermeisters Heinz Reinefarth im digitalen Spiel „Die Schattenjäger“. In: Grenzfriedenshefte. Bd. 69 (2022), Heft 2, S. 209–232.
  18. Ulrich Seidler Von der Schuld der Engel: Ein Theaterspektakel lässt den Pazifismus implodieren. Berliner Zeitung, 8. November 2023, abgerufen am 27. November 2023.
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