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Trient 1475. Geschichte eines Ritualmordprozesses

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Trient 1475. Geschichte eines Ritualmordprozesses ist eine historische Studie von Ronnie Po-Chia Hsia. Die Originalausgabe erschien 1992 unter dem Namen Trent 1475: Stories of A Ritual Murder Trial. 1997 erschien die Übersetzung von Robin Cackett im S. Fischer Verlag.[1]

Ronnie Po-Chia Hsia behandelt in diesem Werk die Blutverleumdung.[2] Den des Ritualmords Beschuldigten warf man üblicherweise vor, ein christliches Kind umgebracht und das Blut in das ungesäuerte Brot des Pessach-Mahls gemischt zu haben.[1] Hsia erzählt, wie die meisten Mitglieder einer örtlichen jüdischen Gemeinde Opfer eines Gerichtsverfahrens wurden. Dieses wurde gegen sie gestartet, nachdem Simon von Trient, ein christlicher Junge, unter mysteriösen Umständen gestorben war. Simon wurde daraufhin zum Märtyrer erklärt. Des Weiteren behandelt das Buch, wie die päpstliche Untersuchung zur Überprüfung des Falles mit einem Misserfolg endete.[3]

Hsias Werk basiert auf einer Quellensammlung aus dem Archiv der Yeshiva University. Sie befindet sich seit 1988 dort und wurde bis dahin niemals ausgewertet.[4] Das Werk gehört gemäß Sigurður Gylfi Magnússon zur angelsächsischen Landschaft, der amerikanischen Mikrogeschichte von Italien.[3]

Synopsis

Ronnie Po-Chia Hsias Quelle für das Buch ist ein umfangreiches lateinisches Manuskript mit Aussagen christlicher Zeugen und erpressten Geständnissen der Juden. Der Hauptteil besteht aus Auszügen der Gerichtsverhandlungen von März 1475 bis April 1476.[1] Hsia beschreibt auf 614 Seiten den Prozessverlauf, dokumentiert das Verhalten der Angeklagten, der Gerichtspersonen und der Kirchenvertreter. Die Geständnisse der insgesamt neunzehn angeklagten Männer und vier Frauen erfolgten alle unter der Folter. Nachdem die Leiche eines etwa achtjährigen Jungen namens Simon am Ostersonntag im Keller einer jüdischen Familie gefunden wurde, machte man die Juden von Trient seinen Tod verantwortlich. Die judenfeindliche Stimmung entzündete sich vermutlich bereits durch die Fastenpredigten des Bernhardin von Feltre. Der Franziskanermönch war an Ostern 1475 in die Stadt gekommen und hatte gegen den Zinswucher der Juden gewettert und Christen für den Umgang mit ihnen gerügt.[4]

Juden von Trient wurden kollektiv des Ritualmordes beschuldigt und in den Kerker des Buonconsiglio gesperrt. Der Richter wollte von den Juden ein Geständnis für den Mord des kleinen Simons und dafür, dass sie in jüdischen Riten christliches Blut verwenden. Das Urteil des Richters stand jedoch unabhängig der Geständnisse von vornherein fest. Schlussendlich wurden die Männer öffentlich hingerichtet.[4] Die vom Ritual ausgeschlossenen Frauen wurden unter Hausarrest gestellt, entrechtet und zwangskonvertiert. Zwischen dem 21. und 23. Juni 1475 wurden neun der zum Tode Verurteilten auf dem Hinrichtungsplatz jenseits des Stadttores bei lebendigem Leib verbrannt. Zwei der Verurteilten baten angesichts der Qualen ihrer Glaubensbrüder um die Taufe, in der Hoffnung ihr Leben zuretten. Sie wurden zwar getauft, jedoch am gleichen Tag geköpft und anschließend verbrannt.[4]

Obwohl der päpstliche Stuhl einen Gesandten zur Investigation sandte, gingen die Verfolgungen weiter. Nachdem die bis dahin verschonten Männer in einer zweiten Prozesswelle im Sommer 1475 verhört wurden, kam es Anfang 1476 zur Hinrichtung zweier Juden durch den Galgen. Einer wurde als ’Dieb’, ’Christenblutesser’ und -’trinker’, ’Vergifter’, ’Verräter’ und ’Feind Christi’ auf das Rad geflochten und dann verbrannt.[4]

Geradezu besessen von der Idee der Kanonisierung des ’Klein Simon’ stachelte der Fürstbischof von Trient Johannes Hinderbach die judenfeindlichen Gewaltausbrüche an und drängte auf die Prozesse. anzunehmen. Alle mit Rang und Namen in Trient nahmen die Vernichtung der Juden als selbstverständlich hin oder wirkten gar an ihr mit.[5] 1588 erteilte Papst Sixtus V. dem kleinen Simon die päpstlichen Weihen.[4] Auch wenn einige den Umgang mit den Juden missbilligten und versuchten dem Unrecht Einhalt zu gebieten, waren sie doch weit weg und weniger entschlossen, wie ihre Gegner. Darunter waren Erzherzog Siegmund von Tirol, der Doge von Venedig, Papst Sixtus IV. und vor allem der von diesem eingesetzte päpstliche Gesandte Baptista Dei Giudici. Dei Giudicis Enthüllungen über den wild wuchernden Simonskult und das den Juden zugefügte Unrecht veranlasste den Papst, eine Kommission von sechs Kardinälen zur Untersuchung der Trienter Vorgänge einzusetzen.[5]

Rezeption

Gemäß Christopher R. Friedrichs von der University of British Columbia argumentiert Hsia, dass am Vorabend der Reformation die christliche Gesellschaft tief fasziniert von der Magie in all ihren Formen war. Gleichzeitig förderte die spätmittelalterliche Frömmigkeit eine Besessenheit von der Idee des Opfers. Wenn Kinder unter mysteriösen Umständen starben, gab es eine Tendenz, ihren Tod der jüdischen Magie zuzuschreiben und sie zu christlichen Märtyrer zu machen. Die Reformation lehnte magische Elemente der christlichen Anbetung ab. Gemäß Friedrichs argumentiert Hsia, dass dies zu größerem Skeptizismus führte, ob Juden tatsächlich christliches Blut nutzten. Hsia erläutere weiter, die Juden erwarben in derselben Zeit bessere Rechtsmittel, um sich gegen solche Anschuldigungen zu verteidigen. Hsia argumentiert, dass so diese speziellen antijüdischen Anschuldigungen abnahmen. Laut Friedrichs setzt Hsia den Trend der Ritualmordverhandlungen in Beziehung zu den religiösen, sozialen und politischen Veränderungen in Deutschland während der Reformationsepoche. Die Art und Weise, wie Geständnisse entlockt wurden (oft unter Folter), um in vorgefasste Vorstellungen der Ankläger von jüdischer Aktivitäten zu passen, haben laut Hsia enge Parallelen mit dem Muster der europäischen Hexenprozesse. Die vertraute Interaktion von Gerichtsverfahren mit religiösen Vorurteilen wird in einem neuen Kontext beleuchtet. Sie wirft für Interessierte wichtige Fragen zum Verhältnis von Kirche und Staat im Frühneuzeitlichen Europa auf.[6]

Christopher R. Friedrichs lobt Hsias akribische Forschung in den lokalen Archiven und seine aufwendig detaillierte Rekonstruktion spezifischer Gerichtsverhandlungen in Endingen, Regensburg und Worms. Friedrichs nennt Hsias Werk einen überzeugenden Versuch, den Trend der scharfen Zunahme der Ritualmordgerichtsverhandlungen in Mitteleuropa im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert und der starken Abnahme ab Mitte des 16. Jahrhunderts zu erklären.[6] Gemäß Volker Hunecke von der Technischen Universität Berlin gelang es Hsia insbesondere aufzuzeigen, wie räumlich und zeitlich weit auseinander liegende Beschuldigungen von Übergriffen gegen Juden miteinander zusammenhängen.[5] Laut Thomas Robisheaux von der Duke University dient das Buch als Beitrag zum Verständnis von Mythosbildung und der Geschichte des Antisemitismus.[7] Julius H. Schoeps nennt Hsias Erzählung der Geschichte des Ritualmordprozesses brillant.[4]

Thomas Robisheaux kritisiert Hsias Antworten auf die Fragen, was einem Mythos Bedeutung und Legitimation verschafft und wie ein Mythos in Frage gestellt wird als nicht immer überzeugen. Laut Robisheaux ist Hasias Aussage, die Reformation habe mit ihrer Haltung zur Magie zur Abnahme der Popularität und Verbreitung des Ritualmordmythos geführt, zu vereinfachend. Der protestantische Angriff auf die Magie in Deutschland war gemäß Robisheaux ein mehrdeutiger und verwirrender Vorgang. Hsia habe nach Robisheaux eine ganze Menge von anderen magischen Überzeugungen und Praktiken nicht effektiv herausgefordert. Robisheaux vermutet, der Untergang des Mythos war eher Teil einer breiten kulturellen und religiösen Bewegung über rituelles Verhalten. Laut ihm muss religiöses Gedankengut und rituelles Verhalten im Allgemeinen generell erforscht werden. Robisheaux findet es unglaubwürdig, dass der Mythos des Ritualmords sich in dem Moment in unwiderruflichem Rückgang befunden habe, in dem andere über ’Hexen’, ’geistesgestörte Frauen’, ’Kriminelle’ und ’Indianer’, besser ausgearbeitet wurden. Er hinterfragt zudem, dass Hsia seine Diskussion über die Eucharistiefrömmigkeit in diesem Teil des Buches fallen ließ. Robisheaux erachtet speziell diesen Aspekt der christlichen Frömmigkeit als zentral für die beginnende Förderung des Mythos. Gemäß Robisheaux hätte Hsia sich mit der Wirkung der protestantischen und katholischen Debatten über das Wesen der Eucharistie auf den Mythos des Ritualmordes beschäftigen sollen. Gemäß Robisheaux hätte die protestantische Herausforderung an die katholische Doktrin der Eucharistie möglicherweise zur Abnahme des Mythos des Ritualmordes beigetragen. Er kritisiert zudem Hsias Verzicht auf anthropologische Theorien über den rituellen Glauben und Praktiken. Dies könnte seiner Meinung nach zu den Schwierigkeiten beigetragen haben, auf die Hsia stößt, den Mythos in den Kontext der lebhaften Debatten über Ritualverhalten in dieser Periode zu stellen. Hsia habe laut Robisheaux theoretische Erkenntnisse aus der poststrukturalistischen Literaturtheorie gewonnen. Diese hätten Hsia beim Aufzeigen der Vernetzung von Recht, Literatur und Populärkultur helfen können. Tatsächlich war der Effekt jedoch nach Robisheaux, den Diskurs über Ritualmord von der Gemeinschaft, Leben und Kultur als Ganzes zu trennen. Robisheaux wirft Hsia vor, menschliche Handlungsweisen herunterzuspielen. Christen und Juden scheinen gemäß Robishaux in einer Sprache gefangen zu sein, die aufgerufen wird, um Ritualmord zu erklären. So haben Lesende nach Robisheaux keinen Zugang zu Motiven und Verhaltensweisen der Personen, die hinter der Sprache stehen. Robisheaux räumt ein, dass dies auf Grund der Art der Quelle ein nachvollziehbares Problem sei.[7] Britta Schmid kritisiert in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, das Werk setze einiges Wissen voraus, da sie sich auf das fünfzehnte Jahrhundert beschränkt. Sie bemängelt die für Laien fehlende Einleitung über die Ursachen des religiös und wirtschaftlich motivierten Judenhass. Gemäß Schmid fehlt der Rückblick auf die im dreizehnten Jahrhundert von der Kirche programmatisch betriebene Ausgrenzung der Juden.[1]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Britta Schmid: Gefolterte Geständige und vorgetäuschte Wunder. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. Mai 1997, abgerufen am 31. Juli 2019.
  2. Christopher R. Friedrichs: Review of The Myth of Ritual Murder: Jews and Magic in Reformation Germany. In: Journal of Church and State. 32, Nr. 2, 1990 ISSN 0021-969X, S. 428–429.
  3. 3,0 3,1 Sigurður Gylfi Magnússon, István M. Szijárto: What is Microhistory?, Theory and practice. Routledge Taylor & Francis Group, London / New York 2013, ISBN 978-0-415-69208-3, S. 181.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 Julius H. Schoeps: Die Blutklage gegen die Juden von Trient. In: taz Archiv. 27. Mai 1997, abgerufen am 31. Juli 2019.
  5. 5,0 5,1 5,2 Volker Hunecke: Review of Trient 1475. Geschichte eines Ritualmordprozesses. In: Zeitschrift für Historische Forschung. 27, Nr. 1, 2000 ISSN 0340-0174, S. 120–121.
  6. 6,0 6,1 Christopher R. Friedrichs: Review of The Myth of Ritual Murder: Jews and Magic in Reformation Germany. In: Journal of Church and State. 32, Nr. 2, 1990 ISSN 0021-969X, S. 428–429.
  7. 7,0 7,1 Thomas Robisheaux: Review of The Myth of Ritual Murder: Jews and Magic in Reformation Germany. In: Journal of Ritual Studies. 5, Nr. 2, 1991 ISSN 0890-1112, S. 133–135.
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