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Zinswucher

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Zinswucher sind Rechtsgeschäfte (insbesondere Kreditverträge), die deutlich überhöhte Zinsen und Gebühren im Vergleich zu marktüblichen Zinsen und Gebühren zum Inhalt haben und deswegen als nichtig eingestuft werden. Nichtige Rechtsgeschäfte entfalten keinerlei Rechtswirkungen.

Allgemeines

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) enthält keine Bestimmungen über die zulässige Höhe des vereinbarten Zinses, also etwa des Vertragszinses bei Krediten. Damit hat sich das deutsche Zivilrecht im Rahmen der Vertragsfreiheit auch für die Zinsfreiheit entschieden. Die Vereinbarung von Zinsart, Zinsberechnung, Zinsberechnungsmethode und Zinshöhe wird damit der freien Parteivereinbarung überlassen.

Im deutschen Bankwesen war dies lange Zeit anders. Für den bankmäßigen Kredit, insbesondere den Teilzahlungsfinanzierungskredit, waren die Zinsen nicht frei verhandelbar. Erst am 1. April 1967 wurden die Zinsverordnung und die Bestimmungen über die Kosten für Teilzahlungsfinanzierungskredite und Kleinkredite aufgehoben[1] und damit die Zinsfreiheit im Bereich der Kreditwirtschaft wiederhergestellt.

Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit von Verträgen erfährt durch die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB ("Sittenwidrigkeit") eine Einschränkung. Auch Kreditverträge unterliegen der richterlichen Kontrolle. Die gesetzliche Vorschrift über die Sittenwidrigkeit ist eine durch Gerichte ausfüllungsbedürftige Generalklausel, unter die auch "überhöhte" Zinsforderungen subsumiert werden. "Wucher" wiederum ist ein "besonders schwerer" Sonderfall von "Sittenwidrigkeit"[2]. Liegt mithin "Wucher" nicht vor, ist jedoch "Sittenwidrigkeit" nicht auszuschließen.

„Wucherähnliche Kreditgeschäfte“

Für ein wucherähnliches Kreditgeschäft ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) erforderlich, dass die Gesamtwürdigung des Darlehensvertrages ein sittenwidriges Ausbeutungsgeschäft ergibt. Dabei müssen folgende objektive und subjektive Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Es muss ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Gesamtleistung des Kreditgebers und der Gesamtbelastung des Kreditnehmers bestehen (objektives Merkmal) und
  • die Vertragsgestaltung muss geeignet sein, den Kreditnehmer einseitig in besonderer Weise zu belasten; das gilt insbesondere für die auferlegten Kreditkonditionen (objektives Merkmal) und
  • der Kreditnehmer lässt sich nur wegen seiner wirtschaftlich schwächeren Lage, Rechtsunkundigkeit oder Geschäftsungewandtheit auf den ihn übermäßig belastenden Vertrag ein, der Kreditgeber erkennt dies oder verschließt sich dieser Kenntnis leichtfertig (subjektives Merkmal).

Hierzu hat der BGH klargestellt, dass alle obigen Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen.[3]

Missverhältnis und Vertragsgestaltung

In § 138 Abs. 2 BGB ist zunächst von einem „auffälligen Missverhältnis“ von Leistung (Kreditgewährung) und Gegenleistung (Zinszahlung) die Rede. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wurde durch die Rechtsprechung des BGH präzisiert. Danach liegt Zinswucher vor, wenn der verlangte Zinssatz doppelt so hoch ist wie der vergleichbare Marktzins (also beispielsweise 8 % gegenüber einem Marktzins von 4 %; die relative Zinsdifferenz beträgt dabei 100 %). Da in Hochzinsphasen die relative Überschreitung immer mehr absinkt, je höher der Marktzins ist, andererseits die Kosten des Kreditinstituts aber nicht in gleichem Maße mit steigen, ist diese Regelung jedoch unbefriedigend; denn die absolute Zinsdifferenz kann bereits dann schon wucherisch sein, wenn die relative Zinsdifferenz noch nicht das Doppelte erreicht hat (also beispielsweise 29 % gegenüber 16 %; relative Zinsdifferenz hier 81,25 %). Deshalb hatte der BGH im Jahre 1990 entschieden, dass ein Unterschied zwischen dem vereinbarten Zins und dem Marktzins von mindestens 12 % p.a. wucherisch ist.[4] Demgemäß ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung regelmäßig zu bejahen, wenn der effektive Vertragszins den effektiven Vergleichszins relativ um rund 100 % oder absolut um 12 Prozentpunkte übersteigt. Dies gilt nicht nur für den reinen Privatkredit, sondern gleichermaßen auch für den gewerblichen Kredit.[5]

Notwendig zur Ermittlung wucherischer Zinsangebote ist regelmäßig ein Vergleich zwischen dem effektiven Jahreszins und dem marktüblichen Zins. Ergibt sich aus alledem, dass Zinswucher vorliegt und eine besonders einseitige Belastung für den Kreditnehmer entstehen würde, handelt es sich um unseriöse Angebote, die zu nichtigen Verträgen führen. Zinswucher ist darüber hinaus auch eine strafbare Handlung (§ 291 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Geschäftliche Unerfahrenheit

Neben den wucherischen Zinsen und der Vertragsgestaltung müssen die so genannten subjektiven Ausbeutungstatbestände erfüllt sein. Zu dieser Fallgruppe nichtiger Kreditvermittlungen und Kreditverträge gehören die geschäftsunerfahrenen oder rechtsunkundigen Kreditbewerber. Diese können die sich auf dem Kreditmarkt bietenden Kreditmöglichkeiten häufig nicht überschauen und einschätzen. Es handelt sich um einen nichtkaufmännischen Personenkreis, der die ungünstigen Kreditbedingungen nicht in ihrer vollen Bedeutung erfassen oder sie jedenfalls nicht hinreichend bedenken kann. Wenn ein Kreditbewerber nicht in der Lage ist, einzuschätzen, dass ein tilgungsfreier Kredit in Kombination mit einer Lebensversicherung wirtschaftlich ungünstiger ist als ein marktüblicher Ratenkredit mit Restschuldversicherung, dann ist er besonders geschäftsunerfahren.[6] Aus der Bürgschaftsrechtsprechung des BGH kann abgeleitet werden, dass Geschäftsunerfahrenheit sowohl aus dem Ausbildungsstand als auch aus der beruflichen Sphäre herrühren kann.[7] Geschäftserfahren sind demnach Geschäftsführer, Mehrheitsgesellschafter einer GmbH und Komplementäre sowie mehrheitlich beteiligte Kommanditisten einer KG[8], weil sie beruflich mit kaufmännischen Fragen betraut sind. Das gilt auch für kaufmännische Angestellte, die beruflich mit Geld- oder Zinsfragen beschäftigt sind. Rechtsunkundig sind Verbraucher, wenn ihnen einzelne gesetzliche Bestimmungen nicht geläufig sind oder sich deren Bedeutung im Einzelfall nicht erschließt. Der rechtsunkundige und geschäftsunerfahrene Kreditnehmer kann die mit einem Kreditvertrag übernommenen Risiken und Belastungen nicht beurteilen.[9]

Wenn Kreditinstitute oder Kreditvermittler diese geschäftliche Unerfahrenheit oder mangelnde Rechtskenntnisse ihrer Kreditbewerber rücksichtslos zum eigenen Vorteil ausnutzen oder sich leichtfertig der Kenntnis verschließen, sind die Verträge wegen Sittenwidrigkeit nichtig (§ 138 Abs. 2 BGB). Das gilt auch, wenn eine Bank die schwächere wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers bei der Festlegung der Vertragsbedingungen bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt hat oder sich jedenfalls aber leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der Kreditnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die Bedingungen eingelassen hat.[10]

Zinsen und Gebühren

Für die Beurteilung der Frage, ob Zinswucher vorliegt, spielt die Bemessungsgrundlage eine wichtige Rolle. Bei Wucherfragen steht der Effektivzins im Vordergrund, der auch alle preisbestimmenden Kosten und Nebenleistungen nach § 6 Abs. 3 Preisangabenverordnung beinhaltet, auch Kreditvermittlungskosten[11], soweit diese nicht ausschließlich im Interesse des Kreditschuldners entstanden sind.[12] Dazu gehören außer dem Nominalzinssatz auch Auszahlungskurs (Disagio), Bearbeitungsgebühren, Tilgungssatz, -beginn und –höhe sowie Zins- und Tilgungsverrechnungstermine, nicht jedoch etwa Bereitstellungszinsen. Bemessungsgrundlage für den Zinswucher ist somit der „effektive Jahreszins“, der die jährlichen und auf die nominale Kredithöhe bezogenen Kosten von Krediten beziffert.

Vergleich zum marktüblichen Zins

Die Vielzahl von Zinsarten, Kreditarten und Laufzeiten erschwert die Ermittlung eines marktüblichen Zinssatzes. Deshalb hatte der BGH den von der Deutschen Bundesbank in ihren Monatsberichten veröffentlichten Schwerpunktzins als wichtigen Vergleichsmaßstab bei Zinswucherfragen bezeichnet und herangezogen.[13] Danach sei der Schwerpunktzins ein geeigneter Vergleichsmaßstab, auch bei Teilzahlungskrediten. Seither wurden die vertraglich vereinbarten Effektivzinsen dem Schwerpunktzins gegenübergestellt, was von den erstinstanzlichen Gerichten von Amts wegen zu erheben war.

Durch den Übergang der Kompetenzen auf die Europäische Zentralbank, die diesen Schwerpunktzins nicht mehr berechnet, ist ein wichtiger Referenzzins für die gerichtliche Ermittlung wucherischer Zinsen entfallen. Seit Januar 2003 wird die EWU-Zinsstatistik geführt. Diese bietet einen Durchschnittszins für „Konsumentenkredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung von über einem bis fünf Jahre“ als Vergleichsmaßstab an. Er bezieht jedoch keine Bearbeitungsgebühren mehr ein (wie dies beim Schwerpunktzins der Fall war) und liegt etwa 40 % unterhalb des Schwerpunktzinses. Die neue Vergleichsgrundlage ist unadjustiert ungeeignet, die Funktion des ehemaligen Schwerpunktzinses als Referenz für marktübliche Zinsen zu übernehmen.[14]

Nicht nur die eigentliche Zinslast, sondern auch zusätzlich erhobene Kosten werden vom BGH[15] bei der Ermittlung einbezogen. Mit Restschuldversicherungen wird das Rückzahlungsrisiko gegen Tod oder Erwerbsunfähigkeit abgesichert. Der Abschluss einer solchen Versicherung bringt beiden Vertragsparteien einen Vorteil, weil sie ihre jeweiligen wirtschaftlichen Risiken eines vertraglichen Scheiterns mindern. Der BGH hält es deswegen für sachgerecht, die Prämien des Kreditnehmers zur Hälfte in die Gesamtbelastung mit einzubeziehen. Zudem werden auch „leistungsfremde“ Kosten wie etwa die Antragsgebühr berücksichtigt. Sie stellen an sich keine Zinsen oder sonstigen Entgelte für die Kapitalüberlassung dar; für den BGH ist jedoch entscheidend, dass sie den Kreditnehmer in gleicher Weise wie Zinsen belasten und dass der Kreditgeber sie außerdem in das Entgelt für die Kapitalnutzung (also den Zins) miteinbeziehen könnte. Da es letztlich von der Vertragsgestaltung abhängt, wie diese Kosten ausgewiesen sind, bezeichnet sie der BGH als „austauschbar“. Auch die Kreditvermittlungskosten werden in die Gesamtbeurteilung einbezogen, weil sie im überwiegenden Interesse der darlehensgewährenden Kreditinstitute liegen.

Rechtsfolgen

Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit oder des Wuchers ist die Nichtigkeit des Kreditvertrages.[16] Der betroffene Kreditvertrag entfaltet keinerlei Rechtswirkung. Der Kreditnehmer kann sich jederzeit auf die Nichtigkeit berufen und braucht für die Zeit der Kapitalnutzung keinen Kreditzins zu entrichten, insbesondere auch keinen Kreditzins in marktüblicher Höhe und auch keinen gesetzlichen Zinssatz[17]; das empfangene Kapital ist zurückzuerstatten, jedoch nur im Rahmen der vertraglichen Rückzahlungsfristen. Wurde eine Restschuldversicherung abgeschlossen, hat die Bank Anspruch auf Erstattung der Hälfte der Restschuldversicherungsprämie, da eine Restschuldversicherung auch bei Nichtigkeit des Vertrages für den Darlehensnehmer einen vermögenswerten Vorteil bringt.[17]

Schweiz

Neben den allgemeinen Bestimmungen im Obligationenrecht betreffend Wucher im Allgemeinen, ist für Zinswucher insbesondere das Konsumkreditgesetz anwendbar. Für den Hypothekarkredit hält zudem Art. 795 ZGB fest, dass die Kantone in eigener Kompetenz Höchst-Zinssätze festlegen können.

Literatur

  • Edgar Mintz, Sozialwucher, Dissertation Heidelberg, 1926
  • Lämmel, Roy: Zins und Wucher im Mittelalter, München 2007. ISBN 3638672646

Einzelnachweise

  1. Verordnung über die Aufhebung der Zinsverordnung und von Bestimmungen über die Kosten für Teilzahlungsfinanzierungskrediten und Kleinkrediten vom 21. März 1967. Bei der Novellierung des KWG im Jahre 1984 wurde die bis dahin in § 23 KWG enthaltene Ermächtigung zum Erlass von Zinsverordnungen gestrichen.
  2. Palandt-Heinrichs, Kommentar zum BGB, § 138 Anm. 4 a; Jauernig, § 138 Anm. 4.
  3. BGHZ 80, 153 [159].
  4. BGH, Urteil vom 13. März 1990, NJW 1990, 1595: Dem Urteil lag das im obigen Beispiel genannte Missverhältnis zugrunde: 29,3 % gegenüber 16,6 %.
  5. BGH NJW 1991, 1810
  6. BGH NJW 1989, 1667.
  7. BGH WM 1994, 680.
  8. BGH ZIP 2000, 65.
  9. BGH 1980, 445, 446.
  10. BGH NJW 1986, 2568.
  11. BGHZ 101, 391.
  12. BGH NJW-RR 1989, 303.
  13. BGH NJW 1987, 181.
  14. Universität Köln, Institut für Bankwirtschaft, Newsletter II/2006, S. 1. (Memento vom 4. Mai 2006 im Internet Archive)
  15. BGHZ NJW 1981, 1206.
  16. Palandt-Heinrichs, § 138 Anm. 4 a; aA Jauernig, 138 Anm. 4a: § 134; in diesem Sinne auch Mugdan, Motive II, S. 1272.
  17. 17,0 17,1 BGH NJW 1987, 181, 182.
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