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Polycythaemia vera

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Klassifikation nach ICD-10
D45 Polycythaemia vera
ICD-O 9950/3
ICD-10 online (WHO-Version 2013)
Wichtigste Sofortmaßnahme: Aderlass (historische Darstellung um 1805)

Die Polycythaemia vera (Abk. PV, auch Polycythämie oder Polyzythämie und primäre idiopathische Polycythaemia rubra vera genannt; englisch primary myelopathic polycythemia; synonym: Morbus Vaquez-Osler und Vaquez-Osler-Krankheit[1]) ist eine seltene myeloproliferative (die myeloische Blutbildung im Knochenmark betreffende) Erkrankung, bei der eine abnorme Vermehrung von roten Blutzellen (Erythrozyten) vorliegt, ohne dass hierfür ein physiologischer Stimulus existiert. Zu den Hauptsymptomen zählen eine vermehrte Blutviskosität bis hin zum Hyperviskositätssyndrom und damit zusammenhängende Durchblutungsstörungen. Auch ein Bluthochdruck kann auftreten. In der Regel ist die Erkrankung relativ gutartig und kann durch Aderlässe behandelt werden. Selten geht eine PV in andere Erkrankungen über (sekundäre Osteomyelofibrose, akute myeloische Leukämie).

Wortbedeutung

Die altgriechisch-lateinischen Bestandteile des Namens beschreiben das Hauptmerkmal der Krankheit:

  • poly (πολύς) = viel
  • cyt bzw. zyt (κύτος „Gefäß“) = Zelle
  • haem(ie) (αἷμα) = Blut(krankheit)
  • vera = wahr, echt

Begriffsdefinitionen

Die Polycythaemia vera, d. h. die „echte“ oder „wahre“ Polyzythämie wird seit 1892 (Henri Vaquez)[2] von anderen Formen der Polyzythämie, den reaktiven oder sekundären Polyzythämien, abgegrenzt.

Reaktive Polyzythämien entstehen allgemein als Reaktion auf einen anderen Stimulus, in der Regel eine Sauerstoffminderversorgung (Hypoxämie), wie sie z. B. bei chronischen Lungenerkrankungen, exzessivem Nikotinkonsum, Schlafapnoe (Atemaussetzer) oder Aufenthalt in großer Höhe (niedrigerer Sauerstoffpartialdruck) auftreten kann. Der menschliche Körper reagiert in solchen Situationen mit der vermehrten Bildung von Erythropoetin („Epo“), was eine vermehrte rote Blutbildung bewirkt. Menschen, die lange Zeit in großer Höhe leben (z. B. im Andenhochland von Bolivien) haben deswegen einen durchschnittlich höheren Hämoglobinwert und höhere Werte für Erythrozyten; sie haben eine „physiologische“ Polyzythämie, die nicht als Krankheit zählt. Sekundäre Polyzythämien können z. B. bei Erythropoetin-produzierenden Tumoren entstehen (sehr selten).

Die Polyzythaemia vera ist dagegen eine Krankheit mit einer genetischen Ursache, entstanden durch eine im Laufe des Lebens zufällig erworbene genetische Störung in hämatopoetischen Stammzellen.[3]

Epidemiologie

Die Prävalenz (Bevölkerungsanteil der Kranken) liegt in den USA bei 1:3.300 (≈ 0,03 %), die Inzidenz (jährliche Neuerkrankungsrate) bei 1:36.000 – 1:100.000,[4] nach anderer Quelle[5] bei 1–2:100.000. Sie ist somit die häufigste Form der myeloproliferativen Erkrankungen. Da es für Deutschland keine epidemiologischen Daten gibt, wurde die schwedische Statistik herangezogen und daraus jährlich 2.000 Neuerkrankungen in Deutschland geschätzt.[6] Das Selbsthilfeforum mpn-Netzwerk spricht von 500 bis 600 Neuerkrankungen pro Jahr.[7] Sie kann in jeder Altersstufe auftreten, der Altersgipfel liegt zwischen der 5. und 6. Lebensdekade. Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten beträgt etwa 2:1. Eine familiäre Häufung (die auf eine Vererbung schließen lässt) kommt vor, ist aber selten.[8]

Verlauf

Oftmals zeigen sich schon bis zu einem Jahrzehnt vor Eintritt der Polycythaemia vera in die chronische Phase einzelne latente Anzeichen der Krankheit, beispielsweise in Form einer mäßigen Vergrößerung der Blut-abbauenden Organe Milz und Leber. Das Blut-bildende Knochenmark hingegen weist keine erkennbaren Veränderungen auf. Die JAK2-Mutation (s. u.) ist jedoch schon nachweisbar.

Generell werden zwei Stadien der Polycythaemia vera unterschieden. Eine erst chronische Phase mit erhöhter Produktion der Erythrozyten kann zwei Jahrzehnte oder mehr bestehen, eine progrediente Spätphase mit diversen, auch akut lebensgefährdenden, Komplikationen kann bei einem Teil der Patienten daran anschließen.[9]

Ursachen und Entstehung

Im Jahr 2005 wurde durch mehrere wissenschaftliche Arbeitsgruppen eine Mutation im JAK2-Gen („Januskinase“ 2, eine Tyrosinkinase) beschrieben.[10][11] Diese Mutation der genomischen DNA führt zu einem Aminosäure-Austausch (Valin gegen Phenylalanin) an Position 617 des JAK2-Proteins („V617F-Mutation“). Das JAK2-Protein spielt eine wichtige Rolle bei der Signaltransduktion in der Zelle. Durch die Mutation wird es aktiviert, so dass betroffene Zellen dauerhaft eine gesteigerte Zellteilungsrate haben. Die V617F-Mutation findet man bei verschiedenen hämatologischen Erkrankungen, aber besonders häufig (in mehr als 90 %) bei der Polycythaemia vera. Die betroffenen blutbildenden Stammzellen sind von der Stimulation durch Erythropoetin (Epo) unabhängig und zeigen eine hundertfach erhöhte Sensitivität auf Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (Insuline-like Growth Factor 1) und IL-3 (Interleukin-3).

Diagnosestellung

In den meisten Fällen wird die Erkrankung dadurch entdeckt, dass bei einem Blutbild – oft im Nebenbefund – eine massive Erhöhung des Hämatokrits, der Erythrozyten oder der Hämoglobinkonzentration auffällt. Seltener führen eher unspezifische Symptome wie Juckreiz, eine leichte Milzvergrößerung, Thrombosen, Tinnitus oder andere klinische Symptome dazu, dass anhand dieser Erstsymptome (Leitsymptome) gezielt nach der Polycythaemia vera gesucht wird.[9]

Diagnosekriterien der WHO

Die Vermehrung der Erythrozyten lässt sich im Labor durch Messung des Hämatokritwertes oder des Hämoglobins sowie des Erythropoetins nachweisen. Auch Leukozyten und Thrombozyten sind im Blutbild meist vermehrt. Die Blutsenkung (BSG) ist dagegen verlangsamt, häufig sind Harnsäure und LDH im Serum erhöht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die in der folgenden Tabelle zusammengestellten Diagnosekriterien aufgestellt.[12]

WHO-Diagnosekriterien[12]
Kriterium Bedingungen
Major 1 Hämoglobin > 16,5 g/dL bzw. >16,0 g/dL bei Männern/Frauen oder

Hämatokrit >49 % bzw. 48 % bei Männern/Frauen oder

erhöhte Erythrozytenmenge (>25 % über dem mittleren Normalwert)

Major 2 Knochenmarkbiopsie zeigt gemessen am Patientenalter Hyperzellularität mit Steigerung aller drei Reihen
Major 3 Nachweis der JAK2 V617F-Mutation oder
Nachweis von JAK2 Exon 12-Mutationen
Minor 1 Erythropoietin-Spiegel im Serum unterhalb des Normalbereichs

Die Diagnose einer Polycythaemia vera kann gestellt werden,
wenn entweder:

  • alle drei Major-Kriterien erfüllt sind,

oder:

  • die ersten beiden Major-Kriterien und das Minor-Kriterium erfüllt sind. Anmerkung: Im Falle einer anhaltenden Erythrozytose mit Hämoglobinwerten von >18,5 g/dL bei Männern (Hämatokrit, 55,5 %), bzw. >16,5 g/dL bei Frauen (Hämatokrit, 49,5 %) wird Major 2 Kriterium für die Diagnose nicht benötigt, falls Major 3 Kriterium und Minor 1 Kriterium positiv sind.

Spezifische und unspezifische klinische Symptome

Erythromelalgie, eine anfallsartige Hauterkrankung, die selten im Zusammenhang u. a. mit PV auftreten kann

Durch die erhöhte Anzahl der Thrombozyten, Granulozyten und Erythrozyten wird das Blut dickflüssiger (Hyperviskosität). Es kann somit zu Durchblutungsstörungen in allen Bereichen des Körpers (insbesondere im Kapillarbereich) kommen, die Gefahr von Thrombosen und in der Folge von Embolien nimmt zu. Gleichzeitig kann auch die Blutungsgefahr steigen, weil die körpereigene Blutstillung als Ganzes nicht mehr einwandfrei abläuft.

Viele der möglichen Symptome der Polycythaemia vera sind nicht spezifisch für die Erkrankung, geben während der Anamnese und während des Krankheitsverlaufs den Ärzten und Patienten wichtige Hinweise. Zu möglichen (nicht bei allen Patienten auch feststellbaren) klinischen Symptomen zählen:[1][9]

Bei fortschreitender Erkrankung können die Zahl der Erythrozyten und auch der Leukozyten und Thrombozyten sinken, die Milz kann an Größe zunehmen, oft in Verbindung mit Myelofibrose und extramedullärer Hämatopoese (Blutbildung außerhalb des Knochenmarks).

Ein Teil der individuell unterschiedlich auftretenden Symptome, insbesondere wenn sie mit Durchblutungsstörungen zusammenhängen, verschwindet oder wird abgeschwächt, sobald die Erkrankung erkannt und behandelt wird, indem der Hämatokritwert in den Normbereich von etwa 45 Prozent abgesenkt wird.

Differentialdiagnose

Sofern bei Patienten sowohl die Anzahl der Erythrozyten als auch die Anzahl der Leukozyten und Thrombozyten erhöht ist, ist die Diagnose einer Polycythaemia vera sehr wahrscheinlich. Sind lediglich die Erythrozyten vermehrt, muss ein umfangreiches differentialdiagnostisches Untersuchungsprogramm durchgeführt werden. Insbesondere ist abzuklären, ob als Ursache eventuell eine Exsikkose, eine Hypoxie, eine Kohlenmonoxidintoxikation, eine Erkrankung des Herzens (z. B. ein Rechts-links-Shunt), ein Hyperspleniesyndrom, paraneoplastische Syndrome, myelodysplastische Syndrome, eine Osteomyelofibrose, neurologische Erkrankungen oder auch Medikamente (z. B. Androgene oder Erythropoetin) ursächlich in Frage kommen.[9][8]

Therapie

Da sich eine endgültige Diagnose über mehrere Wochen hinziehen kann (z. B. bei der genetischen Bestimmung von JAK2), müssen unter Umständen schon während der Abklärung prophylaktisch geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um einen lebensgefährlich hohen Hämatokritwert abzusenken. Im Wesentlichen verläuft eine Therapie auf mehreren Schienen:[9][3]

  1. Senkung des Hämatokritwerts durch regelmäßige Aderlässe bzw. Apherese,
  2. eventuelle Thrombozytenaggregationshemmung zur Verminderung der erhöhten Thrombosegefahr durch Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin) oder Antikoagulanzien (sofern die Blutgerinnung nicht krankheitsbedingt gestört ist)
  3. Zellreduktive Medikamente (Hydroxycarbamid) ("milde Form der Chemotherapie"), falls die anderen Maßnahmen nicht mehr ausreichen oder die Anzahl der Thrombozyten in einem Bereich liegt, der die Thrombosegefahr gefährlich erhöht
  4. Alpha-Interferontherapie als Alternative zur Chemotherapie (derzeit noch nicht offiziell für PV zugelassen)
  5. Ruxolitinib bzw. INC 424 (Handelsname Jakavi des Pharmaunternehmens Novartis), wie auch Givinostat (2017 noch in der Studienphase, d. h. noch nicht zugelassen[15]) ein Januskinase-Inhibitor (-Hemmer), zugelassen seit 2015 bei Resistenz od. Intoleranz gegenüber Hydroxycarbamid oder bei starker Milzvergrößerung und zur Behandlung der Post-Polycythaemia-vera-Myelofibrose.[16]

Sonstige, die Erkrankung individuell begleitende Beschwerden, können nur symptomatisch behandelt werden. Ruxolitinib wirkt jedoch in vielen Fällen auch positiv auf die sogenannten Sekundärsymptome (z. B. Juckreiz, Milzvergrößerung, Müdigkeit).

Aderlass und Apherese

Als wichtigste Maßnahme dienen bei Diagnosestellung häufige (wöchentliche), später (nach Erreichen der Normalwerte) regelmäßige (6 bis 10 Wochen) Aderlässe zur Reduktion der Erythrozyten und in geringerem Maße anderer zellulärer Bestandteile des Blutes.

Gerät zur Erythrozyten-Apherese

Als alternative Maßnahme zu mehrfachen Aderlässen findet die therapeutische Apherese (bekannt als Blutwäsche) Anwendung. Dieses Verfahren filtert die überzähligen Blutbestandteile in einem etwa 20-minütigen Arbeitsgang heraus. Während ein Aderlass den Hämatokrit um maximal 3 Prozent absenkt, lässt er sich bei einer Apherese gezielt um bis 12 Prozent reduzieren. Bei anschließenden gelegentlichen Blutwertkontrollen ist eine erneute Anwendung in drei- bis sechsmonatigem Abstand erforderlich. Derzeit gehört die Apherese nicht zur Standardtherapie und muss ärztlicherseits begründet werden. Wegen der aufwändigen Technik und des damit verbundenen Kostenaufwands wird eine Apherese bundesweit in wenigen Krankenhäusern, kaum in hämatologischen Praxen, durchgeführt.

Häufig steigt während der Behandlung mittels Aderlässen (Phlebotomie) oder Blutwäschen (Apherese) der Anteil der Thrombozyten und der Leukozyten, da durch diese Maßnahmen nur der Anteil der roten Blutkörperchen mittelfristig gesenkt werden kann. Die anderen festen Blutbestandteile (Thrombo- und Leukozyten) werden krankheitsbedingt weiterhin – individuell unterschiedlich – im erhöhten Maße produziert. Nach Absenken des Hämatokrits auf etwa 45 Prozent muss insbesondere der Thrombozytenanteil beobachtet werden.

Thrombozytenaggregationshemmung

Durch die erhöhte Gefahr, dass sich Blutzellen, insbesondere Thrombozyten (Thrombozytenaggregation) verklumpen und Blutgefäße verstopfen (Thrombosen) und dass sich diese Thrombosen lösen und an einer anderen Stelle des Blutkreislaufs den Blutfluss blockieren (Embolie), ist es wichtig, die erhöhte Thromboseneigung zu vermindern. Ursache dieser Neigung zur Thromboembolie sind einerseits die erhöhte Anzahl an Blutzellen (besonders bei stark erhöhten Werten an Erythrozyten[9] und Thrombozyten) und andererseits eine noch nicht gänzlich verstandene Störung des gesamten Regelmechanismus der Blutgerinnung. Bei Vorliegen einer JAK2-V617F Mutation ist die Thromboseneigung zudem durch eine erhöhte Anlagerungsneigung der Granulozyten an den Gefäßwänden erhöht.[17]

Sofern es keine Kontraindikationen (Gegenanzeigen) gibt, wie z. B. eine erhöhte Blutungsneigung, kann durch dauerhafte Einnahme von oralen Thrombozytenaggregationshemmern wie Acetylsalicylsäure (ASS) in relativ niedriger Dosierung (50 bzw. 100 mg pro Tag) das Thromboserisiko vermindert werden.[18] Die Einnahme erfolgt im Allgemeinen schon vor Beginn und parallel zur Aderlasstherapie. In einem Teil der Fachliteratur wird kritisch darauf hingewiesen, derartige Medikamente wegen möglicher Nebenwirkungen nur dann einzunehmen, wenn bereits Thrombosen erfolgt sind und dass gleichzeitig die Erythrozytenmasse strikt zu kontrollieren sei.[9]

Zellreduktive-, Interferontherapie

Solange die notwendige Absenkung des Hämatokrits durch Aderlässe erreicht werden kann und keine thromboembolischen Komplikationen auftreten, ist eine Chemotherapie nicht indiziert. Falls eine zu hohe Anzahl an Leukozyten oder Thrombozyten vermehrt zu Thrombosen und/oder Embolien führt, falls eine sehr starke Milzvergrößerung feststellbar ist und/oder ein nach Aderlässen auftretender wasserinduzierter Juckreiz entsteht, ist zu untersuchen, ob eine Chemotherapie als zytoreduktive Maßnahme (Verminderung der zu hohen Bildung neuer Zellen) sinnvoll sein könnte. Ziel wäre es, die Neubildung insbesondere der Thrombozyten einzuschränken.[3]

Aktuell werden zur Behandlung der in Deutschland zugelassene Hydroxyharnstoff (z. B. Litalir) und die in Deutschland noch nicht zugelassenen Medikamente Alpha-Interferon und in Erprobung Anagrelid eingesetzt. Wie bei jeder Chemotherapie sind Nebenwirkungen nicht auszuschließen. Als Nebenwirkungen können beispielsweise Schleimhautirritationen, Fieber, psychische Veränderungen, Hauttumore, starke Schwankungen der Thrombozytenwerte oder Durchfälle auftreten. In seltenen Fällen kann auch eine akute Leukämie ausgelöst werden.[3]

Weitere Maßnahmen

Aufgrund möglicherweise mit der Erkrankung verbundener, individuell sehr unterschiedlicher Symptome werden eine Reihe von ergänzenden Maßnahmen durchgeführt, die in erster Linie die Begleiterscheinungen lindern sollen. Da hierbei nicht ursächlich eingewirkt werden kann, hängt der Einsatz letztlich von der unmittelbaren Wirkung auf den jeweiligen Patienten ab.

Ergänzend kann die Gabe von Allopurinol wegen eines erhöhten Harnsäureanfalls (besonders während der zytoreduktiven Therapie) zur Prophylaxe eines Gichtanfalls oder einer Uratnephropathie angebracht (indiziert) sein. Im Allgemeinen ist es nicht notwendig, eine asymptomatische Hyperurikämie unter 10 mg/dl zu behandeln.[9]

Ein bei über der Hälfte der Patienten auftretender aquagener Juckreiz, der die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann, kann ergänzend zu Aderlässen nur symptomatisch durch Badezusätze (z. B. Bicarbonat, Stärke), Antihistaminika, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, juckreizmindernde Cremes (z. B. mit Capsaicin) oder eine Phototherapie (nicht ungefährlich wegen einer möglichen Kanzerogenität) mehr oder weniger stark gelindert werden.[3]

Bei einzelnen Patienten mit extrem vergrößerter Milz, die sich medikamentös nicht mehr behandeln lässt, kann ein operativer Eingriff notwendig werden. Seit 2016 kann durch den Einsatz von Ruxolitinib in vielen Fällen eine rasche Verkleinerung der Milz bewirkt werden.

Bei jüngeren Patienten (je nach Gesundheitszustand, bis ca. 65 Jahre) wird im Extremfall und bei weit fortgeschrittener Erkrankung auch eine Knochenmark- bzw. Stammzellentransplantation erforderlich sein.[9]

Als Alternative bei älteren Patienten kann auch eine Radiophosphortherapie in Betracht gezogen werden.[19]

Prognose

Da die Erkrankung im Allgemeinen indolent (schmerzfrei) verläuft und sich über Jahrzehnte hin erstrecken kann, können die Betroffenen ein langes Leben ohne funktionelle Einschränkungen vor sich haben, sofern die Erythrozytenzahl durch Aderlässe dauerhaft kontrolliert wird. Die erforderlichen Aderlässe führen erwünschterweise zu einem Eisenmangel, der zu einer Reduktion der Blutproduktion führt. Begleiterscheinungen des Eisenmangels sind beispielsweise Müdigkeit, Kopfschmerzen, verminderte Leistungsfähigkeit oder Schwindel.

Komplikationen können durch Thrombosen, Vergrößerungen der Milz (Splenomegalie) oder Leber (Hepatomegalie), eine Knochenmarkfibrose (10–20 %[20]) und in seltenen Fällen (1–10 %[20]) – insbesondere nach einer Chemotherapie oder Bestrahlung – durch eine zusätzliche akute myeloische Leukämie entstehen.[9] Eine Schwangerschaft ist trotz der Erkrankung möglich, muss aber wegen des erhöhten Thromboserisikos interdisziplinär intensiv begleitet werden, da das Risiko einer Fehlgeburt oder einer Schädigung der Plazenta sehr stark erhöht ist (etwa 50 % Lebendgeburten).[3]

Literatur

  • Jerry L. Spivak: Polycythaemia vera und andere myeloproliferative Erkrankungen. In: Harrisons Innere Medizin. Deutsche Ausgabe in Zusammenarbeit mit der Charité. 17 Auflage. Band 1, Teil 6, McGraw-Hill, Berlin 2009, ISBN 978-3-86541-310-9, Kap. 103, S. 838–844 (dt. Fassung Isrid Sturm und Bernd Dörken).
  • F. P. Siegel, P. E. Petrides: Angeborene und erworbene Polyzythämien (Übersichtsarbeit). In: Deutsches Ärzteblatt. 105, Nr. 4, 2008 S. 62–68 (aerzteblatt.de).
  • Polycythaemia vera. In: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2012. 263 Auflage. Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2011, ISBN 978-3-11-025166-1, S. 1666.
  • A. Rüfer, A. Tobler, A. Tichelli, W.A. Wuillemin: Myeloproliferative Syndrome: Polycythaemia vera, essentielle Thrombozythämie, Osteomyelofibrose. In: Schweiz Medizinisches Forum. Nr. 43, 2003-10-22 S. 1026–1033 (medicalforum.ch).
  • S. Gesenhues, R. Zisché: Praxisleitfaden Allgemeinmedizin. 6 Auflage. Urban & Fischer, München 2010, ISBN 978-3-437-22443-0, 19 Hämatologie, 19.3.5 Polycythaemia vera und Panmyelopathie, S. 1066f.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Polycythaemia vera. In: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2012. 263 Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2011, ISBN 978-3-11-025166-1, S. 1666.
  2. Ludwig Heilmeyer, Herbert Begemann: Blut und Blutkrankheiten. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 376–449, hier: S. 418 f.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 F. P. Siegel, P. E. Petrides: Angeborene und erworbene Polyzythämien (Übersichtsarbeit). In: Deutsches Ärzteblatt. 105, Nr. 4, 2008 S. 62–68 (aerzteblatt.de).
  4. Eintrag bei Orphanet, Stand 2010, abgerufen 4. Mai 2016.
  5. Wolfgang Gerok: Die Innere Medizin: Referenzwerk für den Facharzt, S. 68, Schattauer Verlag 2007, ISBN 978-3-7945-2222-4
  6. F. P. Siegel, P. E. Petrides: Angeborene und erworbene Polyzythämien. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 105, Nr. 4, 2008, S. 62–68, doi:10.3238/arztebl.2008.0062
  7. Polycythaemia vera (PV): Häufig gestellte Fragen. MPN-Netzwerk e. V., August 2015 (abgerufen 4. Mai 2016)
  8. 8,0 8,1 verschiedene Quellen, darunter das medizinische Portal med2click, abgerufen am 5. März 2012.
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 9,6 9,7 9,8 9,9 Jerry L. Spivak: Polycythaemia vera und andere myeloproliferative Erkrankungen. In: Harrisons Innere Medizin. Deutsche Ausgabe in Zusammenarbeit mit der Charité. 17 Auflage. Band 1, Teil 6, McGraw-Hill Inc., Berlin 2009, ISBN 978-3-86541-310-9, Kap. 103, S. 838–844 (dt. Fassung Isrid Sturm und Bernd Dörken).
  10. R. Kralovics, F. Passamonti, AS Buser u. a.: A gain-of-function mutation of JAK2 in myeloproliferative disorders. In: N Engl J Med 352, 2005, S. 1779–1790. Abstrac
  11. C. James, V. Ugo, JP Le Couedic u. a.: A unique clonal JAK2 mutation leading to constitutive signalling causes polycythaemia vera. In: Nature, 2005, 434, S. 1144–1148
  12. 12,0 12,1 D. A. Arber, A. Orazi, R. Hasserjian, J. Thiele, M. J. Borowitz, M. M. Le Beau, C. D. Bloomfield, M. Cazzola, J. W. Vardiman: The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. In: Blood. 127, 2016, S. 2391–2406, doi:10.1182/blood-2016-03-643544.
  13. 13,0 13,1 Classen, Meinhard., Berdel, Wolfgang E.: Innere Medizin: mit 1246 Tabellen, 216 Kasuistiken, 450 Zusammenfassungen und 183 Praxisfragen. Urban & Fischer, 2004, ISBN 3-437-42830-6.
  14. Häufige Fragen zur Polycythaemia vera. (Memento vom 5. Februar 2012 im Internet Archive) MPD-Netzwerk; abgerufen am 5. April 2012
  15. Klinische Studie zur Wirksamkeit bei Polycythaemia Vera Patienten Stand 2. September 2016.
  16. Rote Liste. Januar 2016.
  17. N. Gupta, B. Edelmann, T. M. Schnoeder, F. C. Saalfeld, D. Wolleschak, S. Kliche, B. Schraven, F. H. Heidel und T. Fischer: JAK2-V617F activates β1-integrin-mediated adhesion of granulocytes to vascular cell adhesion molecule 1. In: Leukemia 31, 2017, S. 1223–1226, doi:10.1038/leu.2017.26
  18. R. Landolfi, R. Marchioli, J. Kutti u. a.: Efficacy and safety of low-dose aspirin in polycythemia vera. In: The New England Journal of Medicine 350, 2004, S. 114–124, PMID 14711910.
  19. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie/Onkologie Stand Juni 2014, abgerufen am 25. Januar 2015.
  20. 20,0 20,1 A. Rüfer, A. Tobler, A. Tichelli, W. A. Wuillemin: Myeloproliferative Syndrome: Polycythaemia vera, essentielle Thrombozythämie, Osteomyelofibrose. In: Schweiz Medizinisches Forum. Nr. 43, 2003-10-22 S. 1026–1033 (medicalforum.ch).
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