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Gorgias von Leontinoi

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Gorgias von Leontinoi (altgriechisch Γοργίας Gorgías; * zwischen 490 und 485 v. Chr. in Leontinoi; † zwischen 396 und 380 v. Chr.) war ein griechischer Rhetoriklehrer und Philosoph. Er wird oft zu den Sophisten gezählt.

Bekannt war Gorgias vor allem als Redner und Lehrer der Rhetorik. Das philosophische Hauptwerk des Gorgias heißt Über das Nichtseiende oder Über die Natur. Hier vertritt er einen vielleicht nur als Parodie gemeinten radikalen Skeptizismus, dem zufolge nichts existiert und nichts erkannt werden kann. Die Überlieferungslage ist schlecht, fast alles, was Gorgias geschrieben hat, ist verloren gegangen. Vollständig erhalten sind die Reden Lobrede auf Helena und Verteidigung für Palamedes.

Bekannt ist der platonische Dialog Gorgias, in dem Gorgias als Gesprächspartner Sokrates' auftritt.

Leben

Gorgias' Vater hieß Charmantides[1], sein Bruder war Arzt und hieß Herodikos.[2] Er blieb unverheiratet und reiste viel.[3] Auf seinen Reisen, die ihn unter anderem nach Athen, Olympia, Böotien, Argos und Larisa führten, war er nicht nur als diplomatischer Gesandter seiner Heimatstadt unterwegs, sondern hielt auch unterhaltsame öffentliche Reden und erteilte privaten Unterricht. Vor allem mit seinem Unterricht hat er hohe Geldsummen eingenommen, in der im 2. Jahrhundert verfassten Reisebeschreibung des Pausanias erzählt dieser von einer goldenen Statue des Gorgias, die er in Delphi gesehen hat und die von Gorgias selbst bezahlt worden ist.[4] Die Statue ist mittlerweile verschollen. 427 v. Chr. sprach er vor den versammelten Bürgern Athens in der Ekklesia, um im Namen Leontinois um Kriegsunterstützung zu bitten. Bei dieser Gelegenheit soll er Bewunderung der Zuhörer erlangt haben.[5]

Als Lehrer des Gorgias werden der Rhetoriker Teisias aus Syrakus und Empedokles genannt. Wie letzterer soll auch Gorgias purpurfarbene Roben nach priesterlicher Art getragen haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Isokrates ein Schüler des Gorgias, auf dessen Grabtafel eine Szene dargestellt war, in der Gorgias Isokrates über ein astronomisches Sphärenmodell unterrichtet.[6] Bereits in der Antike wurde Gorgias als Sophist bezeichnet, von Flavius Philostratos sogar als Vater der sophistischen Kunst angesehen[7]; wenngleich ihn Platon einen Lehrer der Tugend (aretḗ)[8] und andere ihn schlicht einen Redner (rḗtōr) nennen. So sehen ihn wenige moderne Forscher, die die Gruppe der Sophisten enger als üblich fassen, nicht als Sophisten an, die Mehrheit allerdings als einen der Hauptvertreter der Sophistik.[9]

Werke

Von den zahlreichen Schriften des Gorgias kennt man von elf den Titel oder Bruchstücke des Inhalts. Zwei davon sind vollständig erhalten, nämlich die Reden Lobrede auf Helena und eine Verteidigung für Palamedes. Diese elf Schriften sind:

Abhandlungen

  • Über das Nichtseiende oder Über die Natur (Perì tou mḕ óntos ḕ Perì phýseōs)
Bruchstücke dieser Schrift mit zwei verschiedenen Titeln sind in zwei antiken Berichten überliefert[10], deren Quellen unbekannt sind. Der Originalwortlaut der Schrift des Gorgias ist wohl in beiden Berichten nicht wiedergegeben. Die Schrift entstand wahrscheinlich zwischen 444 v. Chr. und 441 v. Chr.[11]
  • Handwerk (Téchnē)
Die Existenz dieser Schrift ist nicht sicher, wird aber allgemein angenommen.[11] Gemeint ist das handwerkliche Rüstzeug des Redners.
  • Begriffslexikon (Onomastikón)
Über dieses Werk ist nichts bekannt, außer dass es Iulius Pollux in seinem eigenen Onomastikon[12] erwähnt.[11]
  • Ein frühes Werk über Optik
Die Existenz dieser Schrift wird aufgrund des Inhalts einiger Fragmente angenommen.[11]

Reden

  • Leichenrede (Epitáphios)
Die Rede ist wahrscheinlich zwischen 427 v. Chr. und 423 v. Chr. entstanden. Da es nur athenischen Bürgern erlaubt war, öffentlich Leichenreden für Athener vorzutragen, ist vermutet worden, dass es sich um eine Musterrede handelt. Eines der erhaltenen Zitate fordert die Einheit der Griechen gegen die sogenannten Barbaren (alle Nicht-Griechen). Was Gorgias an den Toten lobt, ist auf das vermutete Erziehungsprogramm des Gorgias übertragen worden. Schlagworte sind gottartige Tüchtigkeit, das Schickliche, das Gebotene wo es geboten ist, das Nützliche, das Angemessene und die Sehnsucht. Auch finden sich Anklänge an den von vielen Sophisten Vertretenen Gegensatz zwischen der ursprünglichen Natur und dem Gesetz des Staats, an dem der Situation Angemessenen und an den Vorrang des Nützlichen vor dem Gesetz.[11]
  • Olympische Rede (Olympikòs lógos)
Diese nicht datierbare Rede hielt Gorgias während der olympischen Spiele. Wieder ging es unter anderem um die Einheit der Griechen gegen die Barbaren, auch lobt Gorgias die Veranstalter (d.h. Sponsoren) der Festversammlungen.[11]
  • Rede bei den pythischen Spielen in Delphi (Pythikòs lógos)
Diese Rede, von der nichts erhalten ist, hielt Gorgias während der nach den olympischen Spielen zweiten großen panhellenischen Spiele, den pythischen Spielen.[11]
  • Lobrede auf die Bewohner von Elis (Enkṓmion es Ēleíous)
Von dieser Rede ist nur der erste Satz bekannt: „Elis, eine glückliche Stadt.“[11]
  • Lobrede auf Achilles (Achilléōs enkṓmion)
Ob es diese Rede wirklich gab ist nicht sicher.[11]
  • Lobrede auf Helena (Enkṓmion eis Ēleíous)
Diese mittlerweile allgemein als echt angesehene Rede, die in zwei verschiedenen Handschriften überliefert ist, hat Gorgias vermutlich im späten 5. Jahrhundert v. Chr. verfasst. Ihr Ziel ist zu zeigen, dass Helena Paris schuldlos nach Troja gefolgt sei. Möglicherweise handelt es sich um eine rhetorische Übungsschrift.[11]
  • Verteidigung für Palamedes (Ypèr Palamḗdous)
Die in einer Handschrift vollständig erhaltene Rede soll Palamedes gegenüber seinem Gegenspieler Odysseus verteidigen, wozu Gorgias verschiedene rhetorische Techniken und logische Beweise (wie den apagogischen Beweis) anwendet.[11]

Lehre

Erkenntnistheorie und Ontologie

Der wichtigste und wirkmächtigste Beitrag zur Philosophiegeschichte Gorgias' ist die Schrift Über das Nichtseiende oder Über die Natur, die sich wahrscheinlich gegen die Ansichten über das Seiende von Melissos und Parmenides gerichtet hat.[11] Gorgias vertritt dort erkenntnistheoretische und ontologische Positionen. Die drei wesentlichen Annahmen Gorgias' sind, dass weder das Seiende, noch das Nichtseiende existiert. Dass, wenn das Seiende doch existiert, es vom Menschen nicht erkennbar ist und dass, wenn es doch erkennbar ist, diese Erkenntnis anderen Menschen nicht mitgeteilt werden kann.[11] Die Schrift ist sehr unterschiedlich interpretiert worden. So wurde Gorgias als Vertreter eines radikalen Skeptizismus oder Nihilismus angesehen, dem zufolge nichts existiert und der die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt ausschließt.[13] Andere Forscher sehen in den radikalen Thesen Gorgias' lediglich eine Kritik an der eleatischen Annahme eines absoluten Seins, die nicht ausschließt, dass Sinneswahrnehmungen möglich sind. Wieder andere können sich das ernsthafte Vertreten eines völligen Nihilismus nicht vorstellen und sehen in der Schrift eine rhetorische Parodie der Philosophie oder einzelner Philosophen.[14]

In seinem Dialog Menon behandelt Platon kurz Gorgias' Wahrnehmungstheorie[15], die laut Platon Annahmen des Empedokles übernimmt. Gorgias und Empedokles nahmen erstens Ausflüsse (aporroaí) an, die von allem was ist (vom wahrzunehmenden Objekt) ausgehen, die Formen (schḗmata), und zweitens Poren (póroi), durch die die Ausflüsse ins wahrnehmende Subjekt gelangen. Die ausfließenden Formen dürfen nicht zu groß oder zu klein sein sondern müssen genau in die Poren passen. So passen verschiedene Formen in verschiedene Sinnesorgane. Manche werden mit den Augen, andere mit den Ohren und der Nase wahrgenommen.

Rhetorik

Man nimmt an, dass Gorgias sowohl theoretischen wie praktischen Rhetorikunterricht gab.[11] Er hat entscheidend zur Entwicklung einer rhetorischen Kunstprosa beigetragen, indem er, um die psychologische Wirkung der Rede zu erhöhen und auch für die Prosa in gewissen Grenzen eine poetische Ausdrucksweise forderte und die bewusste Anwendung bestimmter stilistischer Schmuckmittel („gorgianische Figuren“) verlangte.

Für die Kunstprosa stellte er formale Regeln auf:

  • Für Sätze, die sich entsprechen sollten, forderte er inhaltlich und formal gleichgebaute (d.h. gleiche Silbenzahl), im Umfang einander genau entsprechende parallele Satzglieder (Isokolon), die nach Möglichkeit in gegensätzlicher Beziehung (als Antithese) zueinander stehen.
  • Für den Schluss eines Satzes oder Abschnitts waren bestimmte Rhythmen, teilweise auch der Reim nötig. d.h. die den gleichen Lautausgang haben (Homoioteleuton).
  • Außerdem sollten die Satzschlüsse (als Klauseln) rhythmisch gestaltet werden.

Wie es bei den Sophisten üblich war, verwendete er paradoxe Wendungen und spitzfindige Argumente, um seine Meinung als wahrscheinlich und richtig hinzustellen. Mit dieser neuen Art der Rhetorik fand er bei seinen griechischen Zuhörern großen Anklang und wurde zu einem gefeierten Vorbild. Neben Prunk- und Festreden (u.a. die Leichenrede auf die im Peloponnesischen Krieg gefallenen Athener) verfasste er zu Unterrichtszwecken Musterdeklamationen.

Ausgaben und Übersetzungen

  • Thomas Buchheim (Hrsg.): Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonien. 2. Auflage, Meiner, Hamburg 2012, ISBN 978-3-7873-2278-7 (Text und Übersetzung)
  • Francesco Donadi (Hrsg.): Gorgias: Helenae encomium. Petrus Bembus: Gorgiae Leontini in Helenam laudatio. De Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-031635-3 (kritische Edition)
  • Gustav Adolf Seeck (Hrsg.): Die griechische Literatur in Text und Darstellung. Band 2: Klassische Periode I. Reclam, Stuttgart 1986, ISBN 3-15-008062-2, S. 358–371 (Lob der Helena, griechischer Text und deutsche Übersetzung)

Literatur

Übersichtsdarstellungen

Untersuchungen

  • Bruce MacComiskey: Gorgias and the new sophistic rhetoric, Southern Illinois University Press, Carbondale (Illinois) 2002, ISBN 0-8093-2397-4
  • Giuseppe Mazzara: Gorgia. La retorica del verosimile, Academia-Verlag, St. Augustin 1999, ISBN 3-89665-057-2
  • Stefania Giombini: Gorgia epidittico. Commento filosofico all’«Encomio di Elena», all’«Apologia di Palamede», all’«Epitaffio». Aguaplano, Passignano sul Trasimeno 2012, ISBN 978-88-97738-12-1

Weblinks

Anmerkungen

  1. Pausanias, Beschreibung Griechenlands 6,17,7 = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A7.
  2. Platon, Gorgias 448b und 456b.
  3. Isokrates, Antidoseos-Rede 156 = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A18.
  4. Pausanias, Beschreibung Griechenlands 10,18,7 = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A7. Leicht unterschiedlich berichten davon auch Cicero, De oratore 3,32,129 = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A7 sowie Athenaios, Plinius der Ältere und Valerius Maximus. Vgl. Thomas Pekáry: Phidias in Rom. Beiträge zum spätantiken Kunstverständnis, Harrassowitz, Wiesbaden 2007, S. 101f.
  5. Diodoros 12,53 = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A4.
  6. Pseudo-Plutarch, Vitae decem oratorum X,838d = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A17.
  7. Flavius Philostratos, Vitae sophistarum 1,9,1 = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A1.
  8. Platon, Menon 95c.
  9. Der Abschnitt zum Leben Gorgias' folgt George B. Kerferd, Hellmut Flashar: Gorgias aus Leontinoi. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 44-51.
  10. Pseudo-Aristoteles, De Melisso Xenophane Gorgia 979a-980b und Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 7,65-7,87.
  11. 11,00 11,01 11,02 11,03 11,04 11,05 11,06 11,07 11,08 11,09 11,10 11,11 11,12 11,13 George B. Kerferd, Hellmut Flashar: Gorgias aus Leontinoi. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 44-51.
  12. Iulius Pollux, Onomastikón Einleitung zum 9. Buch.
  13. Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 6. Auflage, Leipzig 1920, S. 1367.
  14. Theodor Gomperz: Sophistik und Rhetorik, Leipzig/Berlin 1912, S. 1-35.
  15. Platon, Menon 76c-76e = Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker 82A7.
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