Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Pelzfabrik Kailis

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Haupteingang zum Ghetto Wilna (1941)

Die Pelzfabrik Kailis in Wilna (Vilnius, Hauptstadt von Litauen) produzierte in der Zeit der deutschen Besetzung Kleidung für die deutsche Wehrmacht, angegliedert war unter anderem eine Schneiderei. In direkter Nachbarschaft befanden sich ein Konzentrationslager für Juden und ein Lager für Zwangsarbeiter, aus denen die Arbeitskräfte zwangsrekrutiert wurden (Eröffnung des Lagers September 1943; Schließung 3. Juli 1944). Einige Zeit lang bewahrte die Beschäftigung dort jüdische Menschen vor der Ermordung oder dem Transport in die Vernichtungslager.

Geschichte

Gedenktafel und Lageplan des Ghettos

Ghetto Wilna

Im Verlauf des Russlandfeldzugs der deutschen Wehrmacht, Beginn am 22. Juni 1941, erfolgte im selben Jahr auch die Besetzung Litauens. Zusammen mit der Armee kamen Einsatzgruppen mit Angehörigen der Sicherheitspolizei und des SS-Sicherheitsdienstes. Deren Auftrag war im Rahmen des Unternehmens „Barbarossa“ die Ermordung von Juden, Kommunisten, Roma und allen „feindlichen Elementen“. Zusammen mit den deutschen Gruppen machten sofort litauische „Aktivisten“ Jagd auf Bolschewiken und Juden, was sich in sehr kurzer Zeit zur systematischen Ausrottung der jüdischen Bevölkerung entwickelte. Vor der Besetzung, im Dezember 1939, lebten in Litauen etwa 150.000 Juden.[1] Bereits Ende 1941 meldet ein Beteiligter: „Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen, vom EK. 3 erreicht worden ist. In Litauen gibt es keine Juden mehr, außer den Arbeitsjuden incl. ihrer Familien. Das sind in Schaulen ca. 4500, in Kauen 15.000 in Wilna ca. 15.000. Diese Arbeitsjuden incl. ihrer Familien wollte ich ebenfalls umlegen, was mir jedoch scharfe Kampfansage der Zivilverwaltung (dem Reichskommissar) und der Wehrmacht eintrug und das Verbot auslöste: Diese Juden und ihre Familien dürfen nicht erschossen werden!“[2]

Das bedeutende jüdische Viertel der Stadt "Wilna", später Vilnius, von den Juden der Welt als „litauisches Jerusalem“ bezeichnet, wurde am. 6. September 1941 auf Gestapobefehl zu einem jüdischen Ghetto umgewandelt, fast 40.000 Menschen (nach anderer Quelle 60.000)[3] wurden dorthin verbracht. Die jüdischen Anwohner waren zuvor aus ihren Häusern geholt und zum großen Teil umgebracht worden. Im Oktober wurde ein so genanntes „kleines Ghetto“ wieder aufgelöst, nachdem die „nicht produktiven“ Gefangenen ermordet und die arbeitsfähigen in das „große“ Ghetto umgesiedelt worden waren.[4] Im Jahr 1943 werden die Juden der umliegenden Ghettos nach Wilna gebracht, die „Überzähligen“ werden in Ponary umgebracht.

Am 23. und 24. September 1943 wurde das Ghetto Wilna liquidiert. Etwa 3700 arbeitsfähige Männer wurden von den Deutschen in die Konzentrationslager Klooga und Vaivara in Estland oder in das KZ Riga-Kaiserwald in Lettland deportiert. Die Alten und Mütter mit Kindern, insgesamt über 4000 Menschen, kamen in das Vernichtungslager Sobibór oder wurden in Ponary bei Wilna ermordet. Von der Deportation ausgenommen waren etwa 2500 jüdische Arbeitskräfte, die im Heereskraftfahrpark (HKP) sowie in der Pelzfabrik Kailis arbeiteten.[5]

Kurz vor der Liquidierung des Ghettos wurden zwischen 1000 und 1500 jüdische Arbeiter mit ihren Frauen und Kindern in zwei große, mehrstöckige Gebäude in der Mindaugienes-Straße einquartiert. Die beiden, von einem Zaun umgebenen Häuser, lagen gegenüber der Pelzfabrik Kailis. Auf das Lagergelände gelangte man durch ein bewachtes Tor. Die Ernährung der Häftlinge war sehr dürftig, sie bestand aus etwas Brot und manchmal Pferdefleisch. Zum Mittagessen mussten die Häftlinge in die von ihnen „Blocks“ genannten Häuser zurückkehren.[6]

Pelzfabrik Kailis und Lager Kailis

Vladimir Porudominski berichtet 2010 in einer Videodokumentation von seinem in Wilna geborenen Vater, der zusammen mit zwei Brüdern, als gelernter Kürschner in der Pelzfabrik Kailis gearbeitet hatte. Er gehörte zur Leitung der Fabrik und hatte dort die Anfertigung von Pelzmosaiken eingeführt, das sind aus Fellresten hergestellte, teils gemäldeartige Bilder, die als Teppiche oder Wandbehänge genutzt werden. Neben anderen Arbeiten waren diese Erzeugnisse so sehr gefragt, dass eines im Jagdschloss von Hermann Göring und ein weiteres sich bei einem anderen Mitglied der Führung des Nazi-Deutschlands befand. Diese Beschäftigung verlängerte ihm und seiner Familie für zwei Jahre das Leben, bis alle wenige Tage vor der Befreiung umgebracht wurde, zusammen mit fast allen bis dahin dort noch überlebenden jüdischen Gefangenen.[7]

Originalbeschreibung: Litauischer Soldat mit einem Trupp Juden abmarschbereit zur angewiesenen Arbeitsstelle. Alle Juden tragen auf Brust und Rücken ein "J" auf weissem Grund als Kennzeichen ihrer Rassezugehörigkeit.
Von einem deutschen Soldaten aus der Pelzfabrik mitgebrachtes Souvenir-Felljäckchen

Deutschen Soldaten und auch anderen Personen war in der ersten Zeit der Zugang in das der Pelzfabrik unmittelbar angrenzende Ghetto ungehindert möglich. Sie machten mit den Juden Geschäfte, auch waren Juden, unter denen sich zahlreiche gut ausgebildete Facharbeiter und Handwerker befanden, als Arbeitskräfte nicht nur in der Pelzfabrik besonders begehrt. Für Arbeiten tagsüber außerhalb des Lagers wurden sie anfangs in größerem Umfang „wild requiriert“.

Die „Reichspelzfabrik Kailis“ beschäftigte zu dem Zeitpunkt 123 Juden und 53 Jüdinnen. Durch einen Brand, vermutlich durch nicht abgeschaltetes Bügeleisen verursacht, entdeckten die Sicherheitskräfte die besonderen Verhältnisse in der Pelzfabrik: „[...] wurde festgestellt, dass von sämtlichen in der Fabrik Beschäftigten laufend Diebstähle an Wehrmachtsgut verübt worden war [sic!]. Insgesamt wurden 16 Personen festgenommen, davon 13 erschossen und die übrigen mit Gefängnisstrafen belegt [...] Weiter wurde ermittelt, dass der Wirtschaftsleiter der Fabrik, der sich als Volksdeutscher ausgegeben hatte, Volljude war und in die aufgedeckten Diebstähle verwickelt ist.“[8] Im Januar 1942 waren es insgesamt 537 Personen, die bei Kailis arbeiteten.[9]

Die Bedeutung der litauischen Industrie insgesamt für die deutsche Wehrmacht war beträchtlich. Allein die Aufträge aus dem Herbst 1941 umfassten ein Volumen von 4.841.800 RM. Mit Termin der Fertigstellung zum 15. Oktober 1941 erhielt die Pelzwerkstatt beispielsweise den Auftrag, 4790 Stück Pelze und 9000 Pelzkrägen zu arbeiten.[8]

Im August 1943 wurde erwogen, die Pelzwarenfabrik Kailis von Wilna nach Riga zu verlegen. In Absprache mit dem Reichskommissar wurde jedoch beschlossen, dass „eine Verlagerung nach Riga nicht mehr in Frage kommt. Die Pelzwarenfabrik wird ihren bisherigen Betrieb [...] weiterführen. Für die dort beschäftigten Juden soll ein Fabrik-Kz. innerhalb des Fabrikgeländes errichtet werden“.[10] Damit wurde auch der Gedanke hinfällig, das Fabrikgelände dem Kraftfahrzeugpark der Wehrmacht zur Verfügung zu stellen.[10]

Die Hauptarbeit in der Pelzfabrik mit der dazugehörenden Schneiderei bestand im Reinigen und Sortieren von Militärkleidung. Andere Gefangene arbeiteten in der Elektrogerätefabrik Elfa, gegenüber dem Lager. Einige Frauen blieben im Lager und betreuten die Kinder, oder sie arbeiteten in der Bäckerei. Obwohl es verboten war, versuchten die Häftlinge ein Mindestmaß an kulturellem Leben aufrecht zu erhalten.Im ersten Gebäude gab es im Keller und unter dem Dach eine Betstube, im zweiten Block eine Schule für die Kinder. Für die Jugendlichen wurden Musikabende organisiert und es gab Auftritte jüdischer Schauspieler und Sänger.[11]

In den ersten Wochen nach der Liquidierung des Wilnaer Ghettos gelang es einigen Juden in das Lager Kailis zu flüchten. Mitte Oktober 1943 umstellten die SS und Angehörige einer litauischen Sondereinheit die Wohnblöcke, nachdem die Männer in die Pelzfabrik gebracht worden waren. Sie wählten 30 Menschen aus, die nicht zu den Familien gehörten oder die ihnen verdächtig erschienen. Diese brachten sie nach Ponary, wo sie erschossen wurden. Trotzdem fanden anschließend noch 200 „illegale“ Juden Zuflucht im Lager Kailis. Einen Teil von ihnen registrierte der Leiter der Pelzfabrik, Friedrich, als Arbeiter. Den anderen Teil schickte er in Absprache mit dem Major Plagge vom Heereskraftfahrpark 562 in das Lager Subocz-Straße.[5]

Am Morgen des 27. März 1944 wurden die Kinder des Lagers durch den SS-Unterscharführer Richter zu einem Appell zusammengerufen. Es wurde erklärt, dass sie zu einer medizinischen Untersuchung in das nahe gelegene Militärkrankenhaus gebracht würden. Da solche Aktionen bereits öfter stattgefunden hatten, schöpfte man keinen Verdacht. Aus dem Krankenhaus wurden die Kinder dann von SS-Männern und einer litauischen Einheit auf Lastwagen gezerrt. Etwa 200 Kinder wurden mit großer Wahrscheinlichkeit in Ponary erschossen. Wenigen Kindern gelang es, sich im Krankenhaus zu verstecken und ins Lager zurück zu kehren, einigen soll es gelungen sein, vom Lastwagen zu springen.[12]

Am 3. Juli 1944 wurde durch Angehörige der Außenstelle der Sicherheitspolizei und des SD Wilna auch das Lager Kailis liquidiert, die meisten Häftlinge wurden von ihnen in Ponary erschossen.[13]

Weblinks

 Commons: Ghetto Vilnius – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Skroblies/Jetter, S. 30.
  2. Skroblies/Jetter, S. 21. Sekundärquelle: Karl Jäger, Bericht 1. Dezember 1941, in: Bartusevicius u. a., S. 309.
  3. www.avivshoa.co.il: Ghettoliste ZRBG Lenkungsgruppe. 28 Januar 2011. Abgerufen 27. Februar 2016.
  4. Skroblies/Jetter, S. 27.
  5. 5,0 5,1 Benz/Distel: Primärquelle: Marianne Viefhaus: Für eine Gemeinschaft der «Einsamen unter ihren Völkern». Major Plagge und der Heereskraftpark 562 in Wilna, S. 106. In: Wolfram Wette (Hsgr.): Zivilcourage. Empörte Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Frankfurt am Main, 2003, S. 97-113.
  6. Benz/Distel. Primärquelle: Die Juden von Wilna. Die Aufzeichnungen des Grigorij Schur 1941-1944. München 1999, S. 204, 207ff., 211.
  7. www.juedische-lebensgeschichten.de: Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Nordrhein-Westfalen. Video, Interview mit Vladimir Porudominski am 5. Mai 2010 durch Thomas Roth und Lew Walamas, NS-Dokumentationszentrum Köln. Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe, durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Abgerufen 26. Februar 2016.
  8. 8,0 8,1 Joachim Tauber: Arbeit als Hoffnung: Jüdische Ghettos in Litauen. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2015, S. 185ff., 201.
  9. Vgl. LCVR R-743, ap. 5, b. 21, BL. 5 Rückseite, Litauisches Statistisches Amt, Monatliche Übersicht über die Tätigkeit des industriellen Betriebes, hier Kailis vom 18. bis 31. Januar 1942.
  10. 10,0 10,1 Benz/Distel. Primärquelle: Kriegstagebuch Wehrwirtschaftskommando Wilna (früher Außenstelle des Wwi Kdo Kauen), 1.7.-30.9.1943, in BArch Berlin, R 91/Kauen-Land/10.
  11. Benz/Distel. Primärquelle: Die Juden von Wilna. S. 208f., 211: Aussage Jack A., 29 August 1996 in No. Woodmere, Interview Nr. 19 III des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education.
  12. Benz/Distel. Primärquelle: Die Juden von Wilna. S. 214ff.; Aussage Arie J., 15. Oktober 1963, in: BArch Ludwigsburg, B 162/2512, B, 5841.
  13. Benz/Distel: Antrag der StA Frankfurt am Main. 4 Js 1106/59 vom 7. September 1961 auf Eröffnung einer gerichtlichen Voruntersuchung gegen Schmitz u. a., in BArch Ludwigsburg, B 162/2517, Bl. 8273.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Pelzfabrik Kailis aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.