Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Julius Tandler

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gedenktafel für Julius Tandler am Julius-Tandler-Familienzentrum (Wien-Alsergrund)
Julius-Tandler-Familienzentrum (Wien-Alsergrund)
Strassentafel Julius-Tandler-Platz
Gemeinsame Grabstätte für Tandler, Danneberg und Breitner

Julius Tandler (geb. 16. Februar 1869 in Iglau; gest. 25. August 1936 in Moskau) war Arzt und sozialdemokratischer Politiker, der hauptsächlich in Österreich wirkte. Er nimmt durch seine anatomischen Forschungsarbeiten einen bedeutenden Platz in der Geschichte dieses medizinischen Faches ein. Noch größere Bedeutung hatte er allerdings für die Geschichte des Wohlfahrtswesens in Wien mit seinem „geschlossenen System der Fürsorge“. Tandler vertrat mehrfach in Aufsätzen und Vorträgen die Forderung nach der Vernichtung bzw. Sterilisierung von „unwertem Leben“.

Leben

Überblick

  • 1910: Universitätsprofessor in Wien;
  • 1919/20: Unterstaatssekretär für Volksgesundheit;
  • 1919–34: Mitglied der Wiener Landesregierung; schuf viele soziale Einrichtungen (Kindergärten, Schulzahnkliniken, Kinderübernahme- und Mutterberatungsstellen, etc.); förderte besonders den Arbeitersport;
  • 1936: als Berater für Spitalsreformen nach Moskau berufen;

Biographie

Julius Tandler wurde in Iglau im damaligen Kronland Mähren geboren, besuchte aber das Gymnasium Wasagasse in Wien Alsergrund. Danach studierte er Medizin, wobei er Kurse in Anatomie bei Emil Zuckerkandl belegte. Nachdem Zuckerkandl verstarb übernahm Tandler im Jahre 1910 dessen Lehrstuhl. Als Reaktion auf die Berufung Tandlers folgte noch im März desselben Jahre ein Artikel in der Zeitung "Deutsches Volksblatt" mit der Überschrift "Die Verjudung der Wiener Universität", wobei der Autor sich eindeutig gegen Tandler aussprach. So meinte dieser, dass Tandler "mehr Jude als Anatom" sei. Deswegen mangele es Tandler an der entsprechenden Qualifikation. [1]

In den Kriegsjahren 1914 bis 1917 war er Dekan der Medizinischen Fakultät. Am 9. Mai 1919 wurde er von der österreichischen Nationalversammlung zum Unterstaatssekretär und Leiter des Volksgesundheitsamtes bestellt. Dagegen protestiere der "Verein deutscher Ärzte" und erhob Einspruch gegen die Berufung des "Nichtfachmannes und Juden" Tandler. [2]

In seiner Funktion als sozialdemokratischer Wiener Stadrat betreute er die Jugendfürsorge. Dabei wurde er von christlichsozialen Kollegen diffamiert, indem sie meinten, dass in den von Tandler initiierten Jugendhorten in Wien "jüdische Schweinereien" gezüchtet würden.[3]

Die Wiener Universität war ein "Hort des Antisemitismus":[4] So " wurde Tandlers Lehrveranstaltungen von deutschnationalen Studierenden gesprengt und seine Assistenten und Studenten verprügelt [...] Da diese antisemitischen Umtriebe die körperliche Unversehrtheit seiner Mitarbeiter und Studenten gefährdeten sowie den Lehr- und Forschungsberieb störten, war er gezwungen beim Dekan der medizinischen Fakultät und beim Rektor zu protestieren [...] Tandler war sich bewußt, dass er nicht das zufällige Opfer irgendeines Rowdytums war. In seinem Vorgehen gegen die antisemitischen Gewaltaktionen mußte er sich somit mit dem Bild, das die Gesellschaft von ihm - als Juden - hatte, aktiv auseinandersetzten. Die Folge war keine Leugnung des ihm "vorgeworfenen" Jude-seins, die umso hartnäckiger wurde, je massiver sich die Angriffe gegen ihn gestalten [...] Dies zeigte sich im November 1923 als einige Studenten gewaltsam in sein Institut eindrangen. Als Tandler sich ihnen in den Weg stellte und nach ihrem Begehren fragte, sagten sie ihm, dass sie Juden suchten. Er antwortet ihnen, dass er Vorstand des Instituts und Jude sei, worauf sie ihn befremdet verließen. In dieser Situtation der Bedrängnis und der anitsemitischen Aggression legte er somit ein Bekenntnis zum Judesein ab. Er wurde zum Juden gemacht und akzeptierte diese Attribuierung".[5]

Als die Judenfeindlichkeit und die Erschwernisse in Forschung und Lehre zunahm, übernahm Tandler einen Lehrauftrag in China. Bei der Reise nach China im November 1933 passierte er das Rote Meer und den Berg Sinai, dabei bekannte er sich in seinem Tagebuch erneut zum Judentum: "Mystische Geburtsstätte der 10 Gebote und der auf sie gestützten Sittlichkeit. Und vor mir erscheint der Moses von Michelangelo, ercheint der Zorn des großen Gesetzgebers und die Unwürdigkeit der Juden. Und in rasender Eile läuft das Schicksal dieses MEINES Volkes vor mir ab, bis zum heutigen Tag, der Leidensweg eines Volkes, das vor Leid nicht sterben kann, unstet und flüchtig im Fluch gesegnet". Dabei beschrieb er das jüdische volk als SEIN Volk und bekannte sich somit zum Judentum. Tandler identifizierte sich weiter mit der Legendendengestalt des ewig, wandernden Juden Ahasverus :"Ahasver zieht sichtbar über die Wellen des Roten Meeres. Sie teilen sich nicht, er belibt trockenen Fußes, denn er schwebt wie das Leid des jüdischen Volkes unausschöpfbar und unabwendbar." Obwohl er mit 30 Jahren zum Katholizismus konvertiert war, sieht er sich wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt. So "begreift [er] seine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk als ein auferlegtes Schicksal, das er sich nicht selbst ausgesucht hat. Er wird gejagt und als Jude verfolgt. Sein eigenes, freiwillig abgelegtes Bekenntnis sollte ihn eigentlich zum Katholiken machen. Dieses wird von der Gesellschaft, in der er lebt, allerdings nicht anerkennt. Für seine Mitmenschen bleibt er der "Jude Tandler".".[6]

Im Jahr 1920 wechselte er vom Volksgesundheitsamt zur Stadt Wien, wo er als Stadtrat für das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen in den nächsten Jahren mit vor allem für einen Ausbau der Fürsorge arbeitete. Er engagierte sich besonders gegen die als „Wiener Krankheit“ bezeichnete Tuberkulose. In den frühen dreißiger Jahren wirkte Tandler auch im Rahmen der Hygiene-Sektion des Völkerbundes mit, der Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen. Im Zuge der Februar-Ereignisse des Jahres 1934 wurde Julius Tandler zwangspensioniert.

Wirken

Tandler gehörte in seiner Zeit zu den führenden Anatomen der Universität Wien, der sich unter anderem einer wissenschaftlichen Untersuchung des Schädels Joseph Haydns widmete. Neben seinem Wirken als Arzt war sein Verdienst ein Bemühen eines Umstieges von einem Sozialsystem, das nur auf Barmherzigheit beruhte, auf eines, das auf dem Recht gegenüber der Gesellschaft basierte. So errichtete Tandler in Wien zahlreiche soziale Einrichtungen, die heute noch bestehen, wie Mütterberatungsstellen, Säuglingswäschepakete oder Eheberatungsstellen. 1923 initiierte er die Schaffung des heutigen Julius-Tandler-Familienzentrums als Kinderübernahmestelle der Gemeinde Wien. Gemeinsam mit dem Chirurgen Leopold Schönbauer errichtete er in Wien die erste Krebsberatungsstelle. Unter ihm kaufte auch die Stadt Wien als dritte Stadt weltweit Radium, damit im Krankenhaus Lainz Krebspatienten bestrahlt werden konnten. Bei der Finanzierung dieser Einrichtungen half ihm sein persönlicher Freund, der Wiener Stadtrat Hugo Breitner, der Tandler scherzhaft als seinen teuersten Freund bezeichnete.[7]

Sonstiges

Die Urne mit seiner Asche wurde 1950 in einem gemeinsamen Urnendenkmal für ihn sowie für Hugo Breitner und Robert Danneberg in der Feuerhalle Simmering beigesetzt (Abteilung ML, Gruppe 1, Nr. 1A).

Im Alsergrund, dem 9. Wiener Gemeindebezirk, wurde ein Platz nach ihm benannt. Der Julius-Tandler-Platz befindet sich direkt vor dem Franz-Josefs-Bahnhof.

Werke

  • Anatomie des Herzens (1913)
  • Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere (1913)
  • Topographie dringlicher Operationen, 1916;
  • Lehrbuch der systematischen Anatomie, 4 Bände (1918–24)
  • Das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien (1931)
  • Ehe und Bevölkerungspolitik, Wiener Medizinische Wochenschau (1924)

Literatur

  • A. Magaziner: Die Wegbereiter (1975)
  • K. Sablik: Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer (1983)
  • W. Maderthaner (Redaktion), H. Breitner, J. Tandler (1997)

Einzelnachweise

  1. Albrecht Scholz, Caris-Petra Heidel:Sozialpolitik und Judentum: Schriftenreihe Medizin und Judentum; Heft 5 (zum 5. Medizinhistorisches Kolloquium über "Medizin und Judentum"), Union Druckerei, 1. Auflage Dresden 2000, S. 112.
  2. Albrecht Scholz, Caris-Petra Heidel:Sozialpolitik und Judentum: Schriftenreihe Medizin und Judentum; Heft 5 (zum 5. Medizinhistorisches Kolloquium über "Medizin und Judentum"), Union Druckerei, 1. Auflage Dresden 2000, S. 112.
  3. Albrecht Scholz, Caris-Petra Heidel:Sozialpolitik und Judentum: Schriftenreihe Medizin und Judentum; Heft 5 (zum 5. Medizinhistorisches Kolloquium über "Medizin und Judentum"), Union Druckerei, 1. Auflage Dresden 2000, S. 113.
  4. Albrecht Scholz, Caris-Petra Heidel:Sozialpolitik und Judentum: Schriftenreihe Medizin und Judentum; Heft 5 (zum 5. Medizinhistorisches Kolloquium über "Medizin und Judentum"), Union Druckerei, 1. Auflage Dresden 2000, S. 114.
  5. Albrecht Scholz, Caris-Petra Heidel:Sozialpolitik und Judentum: Schriftenreihe Medizin und Judentum; Heft 5 (zum 5. Medizinhistorisches Kolloquium über "Medizin und Judentum"), Union Druckerei, 1. Auflage Dresden 2000, S. 114.
  6. Albrecht Scholz, Caris-Petra Heidel:Sozialpolitik und Judentum: Schriftenreihe Medizin und Judentum; Heft 5 (zum 5. Medizinhistorisches Kolloquium über "Medizin und Judentum"), Union Druckerei, 1. Auflage Dresden 2000, S. 114-115.
  7. Der Anatom als Pionier sozialer Einrichtungen in der Ärztewoche Nr. 6/2007 abgerufen am 16. März 2009

Weblinks

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Julius Tandler aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.