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Industrielle Landwirtschaft

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Industrialisierter Ackerbau auf einer LPG in der DDR 1990
Auf Effizienz getrimmt: Das „Schweinehochhaus“ bei Maasdorf
Putenstall in North Carolina (USA)

Als industrielle Landwirtschaft (auch maschinengerechte Landwirtschaft oder Agrarwirtschaft) wird im engen Sinne ein Typ von Landwirtschaft bezeichnet, der industriespezifische Produktionsweisen verwendet. Kennzeichen solcher Betriebe sind ein hoher Spezialisierungsgrad, die Verwendung technischer Verfahren, ein hoher Kapital- und Energieeinsatz, eine hohe Produktivität und der Übergang zu standardisierter Massenproduktion. Die Entwicklung zur industrialisierten Landwirtschaft betrifft nicht nur einige wenige dabei entstandene Agrarindustrie-Unternehmen, sondern auch Betriebe, die sich z. B. in Familienbesitz befinden. In den Vereinigten Staaten ist der Prozess für die Mehrzahl der Betriebe vollzogen.[1]

Im weiten Sinne werden alle Agrarsysteme, bei denen Maschinen zum Einsatz kommen, als Industrielle Systeme bezeichnet. Sie stehen damit den traditionellen Landwirtschaftsformen gegenüber, deren Arbeitsschritte ausschließlich durch menschliche und ggf. tierische Arbeitskraft bewältigt werden.[2]

Agrarindustrielle Betriebe sind grundsätzlich Großbetriebe. Nach Helmut Klüter vom Institut für Geographie und Geologie der Universität Greifswald liegen die Mindestgrößen bei:

  • Viehanlagen mit mehr als 500 Rindern (GV), und/oder mehr als 2000 Schweinen oder mehr als 380 Sauen mit 3000 Ferkeln und/oder mehr als 9000 Geflügeltieren, wobei die Besetzung einer Stallanlage 600 Tiere nicht überschreitet
  • Betrieben mit mehr als 500 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.[3]

Eine industrielle landwirtschaftliche Produktionsweise geht mit einer enormen Beeinflussung und Veränderung der natürlichen Ökosysteme einher. Es kommt zu einer rapiden Abnahme der Artenvielfalt zugunsten der großflächigen Anlagen und einer künstlichen, einseitigen Manipulierung des ökologischen Gleichgewichtes zugunsten der Nutzpflanzen und Nutztiere. Grundlage dafür ist der massive Einsatz von Pestiziden. Die Landschaft muss überdies „maschinengerecht“ geformt werden, so dass natürliche Strukturen (Weiher, Randstreifen, Streuobstwiesen) in weiten Teilen entfernt werden. Solche Agrarlandschaften werden häufig als „Agrarsteppe“ bezeichnet.[4][5]

Als Gegenentwurf zu der rein auf ökonomischen Gewinn und Produktivität ausgerichteten industriellen Landwirtschaft begreift sich die bäuerliche Landwirtschaft. Für eine bäuerliche Landwirtschaft ist die Existenz einer Hofstelle typisch. Eine Hofstelle ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der Landwirt auf dem Betriebsgelände wohnt.

Umweltrecht

In der Tierhaltung liefert das deutsche Umweltrecht Anhaltspunkte für die Grenze zwischen einer bäuerlichen und einer industriellen Landwirtschaft. Überschreitet der (geplante) Tierbestand in einem Betrieb der Tierhaltung einen bestimmten, vom Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) vorgegebenen Schwellenwert, so entsteht eine Pflicht zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung, wenn der Tierhalter seinen Betrieb vergrößern oder an einem neuen Standort Ställe bauen will. Betriebe, die den Schwellenwert überschreiten, gelten als „große gewerbliche Tierhaltungsanlagen“.[6]

§ 3b des UVPG (UVP-Pflicht aufgrund Art, Größe und Leistung der Vorhaben) bestimmt in Absatz 1: Die Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht für ein in der Anlage 1 aufgeführtes Vorhaben, wenn die zur Bestimmung seiner Art genannten Merkmale vorliegen. Sofern Größen- oder Leistungswerte angegeben sind, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn die Werte erreicht oder überschritten werden.[7]

Eine UVP entfällt u.a. dann, wenn in einem Betrieb nicht mehr als 42.000 Hennen in Intensivhaltung, 84.000 Junghennen, 30.000 Stück Mastgeflügel in Intensivhaltung, 250 Rinder, 1000 Kälber, 1500 Schweine, 560 Zuchtsauen einschließlich dazugehöriger Ferkel oder 4500 Ferkel gehalten bzw. aufgezogen werden.

Baurecht

Auch nach dem deutschen Baugesetzbuch ist der Unterschied zwischen industrieller und bäuerlicher Tierhaltung von Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf das Bauen im Außenbereich von Städten und Gemeinden.

Gemäß § 35 BauGB (Bauen in Außenbereich), Absatz 1, Satz 1[8] ist das Bauen in einem Gebiet ohne entsprechende Regelungen in einem Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan nur dann zulässig, wenn der Bau „einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt […]“. Diese Regelung setzt voraus, dass es sich um die Erweiterung eines bereits bestehenden Betriebs handelt. Neubauten abseits bestehender Hofstellen bedürfen also der Genehmigung durch die zuständigen Kommunen.

Durch § 201 BauGB (Begriff der Landwirtschaft)[9] wird der Kreis derjenigen weiter eingeschränkt, die das Privileg eines Rechts auf ein Bauen ohne ausdrückliche Berücksichtigung in einem Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan genießen. Als „Landwirtschaft“ gelten in diesem Paragrafen neben dem Ackerbau, der gartenbaulichen Erzeugung, dem Erwerbsobstbau, dem Weinbau, der berufsmäßigen Imkerei und der berufsmäßigen Binnenfischerei nur eine solche Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, bei der das Futter zum überwiegenden Teil auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Flächen erzeugt werden kann. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der Unterschied in der Bedeutung der Begriffe Betrieb und Unternehmen: „Irgendwo“ liegende Flächen eines Agrarunternehmens können für die Flächenberechnung im Sinne des § 201 nicht berücksichtigt werden, da der juristische Begriff „Betrieb“ auf eine räumlich zusammenhängende Einheit verweist.

Durch das deutsche Baurecht soll Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, der unkontrollierten Vermehrung von Bauten, die der Tierproduktion dienen, und der unkontrollierten Erhöhung der Tierzahlen Einhalt zu gebieten.

Kritik

Extrem artenarme „Agrarsteppe“ in der Region Palouse (USA)

Zu den ökologischen Auswirkungen der Industrialisierung der Landwirtschaft gehören vor allem Bodenverdichtung, Bodenerosion, Bodenversalzung sowie das Eindringen von Agrarchemikalien in das Grundwasser. Hinzu kommen im Zusammenhang mit der Massentierhaltung ungelöste Fragen des Tierschutzes.[1]

Von Kritikern wird für die industrielle Landwirtschaft die Gefahr gesehen, dass landwirtschaftliche Produkte mit industriellen Werkstücken auf eine Stufe gestellt werden, die in einer Fabrik am Fließband oder mit Robotern zu jeder Zeit in gewünschter Menge hergestellt werden. Eine solche Auffassung führe zwangsläufig dazu, aus Rohstoffen, Ressourcen und Nutztieren das Äußerste herauszuholen.[1]

Kritisiert wird auch die mit der industriellen Landwirtschaft in der Regel verbundene Weltmarktorientierung, die die Ernährungssicherheit gefährde, da die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von unvorhersehbaren Preisschwankungen der von ihnen im- und exportierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse verstärkt werde, während die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln zugunsten der für den Export bestimmten Produkte zurückgehe.[10]

Kritisiert wird schließlich, dass durch das deutsche Umwelt- und Baurecht solchen Tiererzeugern, auf deren Tierhaltungsanlagen die Attribute „groß“ und „gewerblich“ de iure nicht anwendbar sind (s.o.), nach wie vor die Möglichkeit gegeben wird, ihre Tierbestände auch dann ohne Einspruchsmöglichkeit durch Behörden oder Organe der kommunalen Selbstverwaltung zu erhöhen, wenn die Grenze der Gesamtbelastbarkeit der Region bereits erreicht oder überschritten ist. Dadurch sind eine stetige Erhöhung des Nitratgehalts im Grundwasser der betroffenen Kommunen und eine Zunahme von Atemwegserkrankungen durch hohe Ammoniak-Emissionen als Folge intensiver Düngung mit Gülle kaum aufzuhalten.

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Industrielle Landwirtschaft – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Kurt Baldenhofer: Lexikon des Agrarraums. Gotha 1999, S. 215f.
  2. Christian Lauk: Sozial-Ökologische Charakteristika von Agrarsystemen. Ein globaler Überblick und Vergleich. In: Social Ecology Working Paper 78. Institute of Social Ecology, Wien 2005.ISSN 1726-3816. S. 24.
  3. Helmut Klüter: Von der Dominanz der Agrarindustrie zum Garten der Metropolen, Materialien zur Diskussion „Nachhaltige Landwirtschaft: Mecklenburg-Vorpommerns Zukunft?“ Greifswald 2012.
  4. F. Golter, H. Wenk: Agrarsteppe oder bluehendes Land? In: DLZ Die landtechnische Zeitschrift. 1988 - auf der FAO-Homepage
  5. Renate Nimtz-Köster: Tod im Kreiselmäher. auf: Spiegel-online. 14. April 2001.
  6. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Bundesministerin Aigner: „Die Privilegierung großer gewerblicher Ställe wird abgeschafft“. Pressemitteilung Nr. 119 vom 25. April 2013.
  7. § 3b UVPG
  8. § 35 BauGB
  9. § 201 BauGB
  10. Uwe Hoering: Agrar-Kolonialismus in Afrika. Eine andere Landwirtschaft ist möglich. VSA, Hamburg 2007, ISBN 978-3-89965-248-2.
  11. The Samsara Food Sequence, Zeit, 15. Oktober 2013
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Industrielle Landwirtschaft aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.