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Begriffsgeschichte

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Begriffsgeschichte bezeichnet einen Zweig der Geisteswissenschaft, besonders der Geschichts- und Kulturwissenschaften, der sich mit der historischen Semantik von Begriffen auseinandersetzt. Dabei werden die Herkunft und der Bedeutungswandel der Begriffe als eine entscheidende Grundlage unseres heutigen Kultur-, Begriffs- und Sprachverständnisses verstanden.

Genese und Gegenwart

Herkunft

Das Wort taucht zuerst in Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte auf. Nicht geklärt ist, ob dieser Ausdruck von Hegel selbst geprägt wurde oder beim Verfassen der Vorlesungsnachschrift entstanden ist. Danach bezeichnete Hegel so einen Typ der so genannten „reflektierten Geschichte“, die als Geschichte der Kunst, des Rechts und der Religion in die Geschichte der Philosophie übergeht. Dieses Verständnis blieb ein Einzelfall und hat sich nicht durchgesetzt.

Medien und Vertreter

Besonderen Auftrieb bekam die Begriffsgeschichte im 20. Jahrhundert durch die Herausgabe des Historischen Wörterbuchs der Philosophie, der Geschichtlichen Grundbegriffe und der Zeitschrift Archiv für Begriffsgeschichte. Die Begriffsgeschichte wird als Methodik in den Geisteswissenschaften interdisziplinär eingesetzt; so sind z. B. der Philosoph Joachim Ritter, der Historiker Reinhart Koselleck und der Soziologe Erich Rothacker bedeutende Vertreter dieser Disziplin. Die historische Semantik reagierte auf Vorwürfe an die traditionelle Ideengeschichte, historische Diskontinuitäten, soziale Kontexte und sprachliche Konstituenten allgemeiner „Ideen“ zu vernachlässigen.[1]

Kritik

Der Ansatz der Begriffsgeschichte wurde jedoch auch kritisch betrachtet, wie die unten stehenden Zitate belegen: Begriffe seien an und für sich nicht geschichtlich, und daher könne es keine Begriffsgeschichte geben (Frege); historische Betrachtungen seien kein Ersatz für inhaltliche Analyse (Röhl).

Zitate

Kierkegaard
„Die Begriffe haben nämlich ebenso wie die Individuen ihre Geschichte und vermögen ebensowenig wie diese, der Gewalt der Zeit zu widerstehen.“[2]
Gottlob Frege
„Die geschichtliche Betrachtungsweise, die das Werden der Dinge zu belauschen und aus dem Werden ihr Wesen zu erkennen sucht, hat gewiss eine große Berechtigung; aber sie hat auch ihre Grenzen. Wenn in dem beständigen Flusse aller Dinge nichts Festes, Ewiges beharrte, würde die Erkennbarkeit der Welt aufhören und Alles in Verwirrung stürzen. Man denkt sich, wie es scheint, dass die Begriffe in der einzelnen Seele so entstehen, wie die Blätter an den Bäumen und meint ihr Wesen dadurch erkennen zu können, dass man ihrer Entstehung nachforscht und sie aus der Natur der menschlichen Seele psychologisch zu erklären sucht. Aber diese Auffassung zieht Alles ins Subjective und hebt, bis ans Ende verfolgt, die Wahrheit auf. Was man Geschichte nennt, ist wohl entweder eine Geschichte unserer Erkenntniss der Begriffe oder der Bedeutungen der Wörter.“[3]
Hans Christian Röhl
„Wo klare Begriffe fehlen, dient die Geschichte der Begriffe und Ideen als Ersatz.“[4]

Kuriosum

Obwohl sich Gottlob Frege vehement für die Überzeitlichkeit und damit auch Ungeschichtlichkeit von Begriffen ausgesprochen hatte, wurde der Nachdruck eines seiner Hauptwerke – „Grundgesetze der Arithmetik“ – als Nachdruck 1998 mit dem Untertitel „Begriffsgeschichtlich abgeleitet“ veröffentlicht (richtig: „Begriffsschriftlich abgeleitet“).[5]

Literatur (Auswahl)

Begriffsgeschichtliche Handbücher:

  • Historisches Wörterbuch der Philosophie
  • Geschichtliche Grundbegriffe
  • Rolf Reichardt / Hans-Jürgen Lüsebrink (Hrsg.): Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820, Oldenbourg, München 1985 ff.
  • K. Barck u. a. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Stuttgart/Weimar 2000–2005.

Sekundärliteratur zur Begriffsgeschichte:

  • Terence Ball: Transforming Political Discourse. Political Theory and Critical Conceptual History, Oxford & New York 1988.
  • Mark Bevir / Hans Erich Bödeker (Hrsg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Wallstein-Verlag, Göttingen 2002.
  • Carsten Dutt: Herausforderungen der Begriffsgeschichte, Heidelberg: Winter 2003.
  • Carsten Dutt: Historische Semantik als Begriffsgeschichte: Theoretische Grundlagen und paradigmatische Anwendungsfelder. In: Historische Semantik. Hrsg. von Jörg Riecke. De Gruyter, Berlin/Boston 2011, S. 37–50.
  • Hans Ulrich Gumbrecht: Dimension und Grenzen der Begriffsgeschichte. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2006.
  • Clemens Knobloch: Überlegungen zur Theorie der Begriffsgeschichte aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht, in: Archiv für Begriffsgeschichte 35 (1992), S. 7–24.
  • Reinhart Koselleck (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Klett-Cotta, Stuttgart 1979.
  • Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichten. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006.
  • Ernst Müller, Falko Schmieder (Hrsg:): Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften: Zur historischen und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte, de Gruyter, Berlin 2008.
  • Ernst Müller (Hrsg.): Begriffsgeschichte im Umbruch?, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004.
  • Melvin Richter: The History of Political and Social Concepts. A Critical Introduction, New York & Oxford 1995.
  • Werner Zillig: Lexikologie und Begriffsgeschichte. In: Lexikologie. Ein Internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen. Bd. 2. Berlin / New York 2005 (HSK 21.2). S. 1829–1837.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. etwa Bevir / Bödeker 2002, 9ff. K. Palonen: Begriffsgeschichte und/als Politikwissenschaft, in: Archiv für Begriffsgeschichte 44 (2002), 221-234.
  2. zitiert nach Bernd Rüthers; Christian Fischer: Rechtstheorie. – 5. überarb. Aufl. - Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60126-2, Rn. 171 (ohne Nachweis)
  3. Frege, Gottlob: Die Grundlagen der Arithmetik: eine logisch mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. – Centenarausgabe. - Meiner: Hamburg 1986, S. VII (7 f.)
  4. Röhl, Klaus F.; Hans Christian Röhl: Allgemeine Rechtslehre. 3. Auflage. C. Heymanns, Köln u.a. 2008, § 1 IV, S. 10
  5. Künne, Wolfgang: Die Philosophische Logik Gottlob Freges, Frankfurt am Main 2010, S. 536.
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