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Atopie (Philosophie)

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Die Atopie (griechisch ατοπία atopía „Ortlosigkeit“, „nicht zuzuordnen“, „von hoher Originalität“) bezeichnet die Unbeschreiblichkeit und Unverortbarkeit des selten zu Erlebenden, des Herausgehobenen, des Originals im besten Sinne. Atopie wird entweder verstanden als ein Ethos, eine − an sich oder anderen − beobachtbare (Erlebnis-)Qualität, oder als ein Ideal (etwa im Geniekult der Epoche der Romantik).

Atopie als ethische Bestimmung bei Platon

Der ursprüngliche Gebrauch des Wortes findet sich in Platons Gastmahl, in dem er Sokrates als atopos bezeichnet. Sokrates ist zur Siegesfeier des Agathon eingeladen, versenkt sich aber in ein Gespräch mit Agathons Nachbarn:

"Sokrates ist wieder zurückgegangen und steht in der Vordertüre eines Nachbarhauses und will trotz meiner Einladung nicht hereinkommen. (...) Denn das ist so eine Sitte, welche er an sich hat: zuweilen geht er abseits, wo es sich gerade trifft, und bleibt stehen."[1]

Atopos meint in diesem Zusammenhang, dass sich Sokrates unangemessen und für alle anderen in unerwarteter Weise verhält d.h. dass er sich dem üblichen gesellschaftliches Ethos entzieht ("das ist so seine Sitte"). Der Atopos ist zwar Teil der Gesellschaft, fügt sich aber nicht 'hinein', d.h. er hat keine bestimmbare Position und benimmt sich in einer Weise, die man heute 'unangepasst' nennen würde.

Atopie als Erlebnisqualität

Der liebende Mensch, gleichgültig worauf sich seine Verehrung und Entflammtheit richtet, sei es auf eine geliebte Person, einen mystisch verstandenen Gott oder ein Idol, zeigt sich, sofern es eben nicht nur „Schwärmerei“ sondern „Ergriffenheit“ ist, außerstande, den „Gegenstand“ seiner Liebe auf Eigenschaften festzulegen, erklärt das „obskure Objekt der Begierde“ für einzigartig und unvergleichlich.

Die Zuordnung von Eigenschaften (Attributierung) aus der banalen Alltagswelt erschien dem ernsthaft Liebenden als ein Verrat (Sakrileg) an der ureigenen Liebe selbst. Das hat niemand eindringlicher beschrieben und analysiert als Roland Barthes in seinem berühmten EssaybandFragmente einer Sprache der Liebe“ aus dem Jahre 1977. Doch genau besehen ist es ein Alltagsphänomen aller „Normalsterblichen“, dass die Eltern die Beziehung zu ihren Kindern zwar beschreiben, schönreden oder verfluchen können, indes die Tiefe ihrer Gefühle zu den eigenen Sprösslingen als atopisch, also unbeschreiblich erkennen.

Die Naturreligion spricht daher von „Tao“, dem „Ursprünglichen“ und „Ungeschiedenen“, ähnlich die Mystik, die ontologische Philosophie und Theologie spricht von „Seinsfülle“. Die eher sinnliche, weltzugewandte Dichtung nennt es „das Füllhorn“ oder prosaischer „die Inspiration“. Die psychologische Wissenschaft erforscht es unter dem Leitbegriff Kreativität oder spezieller als „das Fließen“ (Flow-Erlebnis).

Wo nun die Atopie beschreibbar ist, ist sie nicht verortbar. Hier geht es dann um eine Anarchie der Erlebnisformen, die Barthes konsequent in seinen Vorlesungen über das Neutrum (1979) zu einer generellen Paradigmenkritik ausweitet. Das Neutrum ist das diskursive Pendant der Liebe, denn auch es setzt die strukturalistische Dichotomie der Begriffe und dadurch ihre äußere Polemik außer Kraft. R. Koselleck schreibt in Bezug auf die Geschichtswissenschaften, dass Historiker atopoi sein müssen, wenn sie denn unvoreingenommen über Staatsgeschichte referierten. Es geht bei der Atopie also nicht nur um die (unmögliche) Zuweisung von Eigenschaften (z.B. bei Liebenden), sondern auch um die unmögliche Positionierung des Urteilenden, Schreibenden usw. Insofern sind Erlebnis- und Ethos-Aspekte der Atopie eng miteinander verwoben.

Vorkommen

Den meisten Erwachsenen ist Atopie vertraut als die „rosarote Brille“ jener Phasen der Verliebtheit, Kunstfreunden als das Genie und das Auratische, Lesern als das „Du sollst dir kein Bildnis machen“ in Max Frischs „Stiller“, das auf das Gottesbild der „Zehn Gebote“ zurückverweist, oder Bert Brechts “Geschichten von Herrn Keuner“. Atopie als Erlebnisqualität erfährt sich auch in Momenten der Fassungslosigkeit, z.B. bei Eklats und generell in Situationen, mit denen man zunächst nichts anzufangen weiß, die einen 'sprachlos' machen. Eine Situation ist atopisch, wenn man sie nicht zuordnen kann.

Literatur

Belege

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Atopie (Philosophie) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.