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Mahnmal für die Sinti im Altwarmbüchener Moor

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Das Mahnmal im Altwarmbüchener Moor von Hannover, Moorwaldweg im Stadtteil Misburg-Nord

Das Mahnmal für die Sinti im Altwarmbüchener Moor in Hannover erinnert an die Sinti der Stadt, die im Dritten Reich vom Sammellager im Altwarmbüchener Moor in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.[1] Standort des Mahnmals ist der Moorwaldweg im Stadtteil Misburg-Nord, circa 250 m nach dem Abzweig von der Kirchhorster Straße.[2]

Geschichte

Mittelalter bis 1918

Der älteste bekannte Beleg für das Auftreten von Sintis in Deutschland ist ein Eintrag im Mittelalter zum Jahr 1407 in einem Hildesheimer Ratsweinherren-Register.[3] Doch schon im 15. Jahrhundert setzte auch die Diskriminierung der Sinti und Roma ein. Sie wurden als Fremde betrachtet und oft mit Abneigung und Hass bedacht, vor allem wegen ihrer ungebundenen, nicht sesshaften Lebensweise.[4]

So wurden 1770 in Hannover 5 Mitglieder einer „Zigeuner- und Räuberbande“ aufgrund einiger Diebstahls-Delikte allesamt zum Tode verurteilt.[3]

In der Neuzeit brachten es einige Sinti zu einem bescheidenen Wohlstand, etwa als Pferdehändler, Schausteller, Musiker oder Antiquitätenhändler.[4]

Schon im 19. Jahrhundert waren die Behörden jedoch bestrebt, Sinti und Roma durch den Entzug von Wandergewerbescheinen sesshaft zu machen.[3]

Am 19. Oktober 1900 wurden in Hannover - bei einer reichsweit durchgeführten Zählung - 6 sesshafte Familien mit insgesamt 29 Personen festgestellt. Im selben Jahr wurde durch die Stadt erstmals ein Sammelplatz eingerichtet in der Schulenburger Landstraße vor Hainholz [3]

Großes öffentliches Ansehen erwarb sich der aus Hannover stammende Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann. Dennoch betrieb das deutsche Kaiserreich eine die als Zigeuner bezeichneten Menschen diskriminierende, sogenannte „Landfahrerpolitik“.[4]

Weimarer Republik 1918 – 1933

In der Zeit der Weimarer Republik gab es in Hannover mehrere Stellplätze für die Wagen von Sinti und Roma, zum Beispiel den in der Schulenburger Landstraße, der aufgrund seiner Größe umgangssprachlich seinerzeit auch „Zigeunerdorf“ genannt wurde. Manche der Sinti wohnten jedoch auch direkt in der Stadtmitte, etwa in der Altstadt oder der Calenberger Neustadt, zum Beispiel in den (durch die Luftangriffe auf Hannover im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstörten) Straßen Bockstraße, Bergstraße oder die Bäckerstraße.[1]

Drittes Reich 1933 bis 1945

Die Verfolgung der Sinti und Roma war im Dritten Reich durch die Nationalsozialisten anfangs zunächst eine verschärfte Form der schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik betriebenen „Landfahrerpolitik“.[4] Doch auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 wurden zwangsweise zahlreiche Sterilisierungsmaßnahmen an Sinti und Roma durchgeführt.[3]

Erst 1938 kam es im gesamten Reich zu einer größeren Verhaftungswelle, durch die die „Landfahrer“ in verschiedene Konzentrationslager eingeliefert wurden. Gleichzeitig wurde mit Hilfe der schon 1936 eingerichteten Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) die vollständige Erfassung der Sinti und Roma vorgenommen,[4] nachdem Heinrich Himmler seinen Erlass zur zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ am 8. Dezember 1938 herausgab.[3] Koordiniert wurden die Maßnahmen durch die jeweils zuständigen Leitstellen der Kriminalpolizei; in Hannover beteiligt waren aber auch die Gestapo, die Schutzpolizei und Dienststellen der staatlichen Verwaltung.[1]

Das Mahnmal an Stelle des Sammellagers; Blick ins Altwarmbüchener Moor

So wurde 1938 im Altwarmbüchener Moor ein Sammellager durch die Kommune eingerichtet, in das anfangs jedoch nur diejenigen Sinti eingewiesen wurden, die zuvor auf Stellplätzen gelebt hatten.[1] Insgesamt wurden in Hannover so schon Ende Oktober/Anfang November 1938 55 Sinti eingewiesen.[3] Neben dem kommunalen Sammellager im Altwarmbüchener Moor wurden in Norddeutschland auch von anderen Städten solche Lager organisiert, etwa von Braunschweig, Oldenburg oder Osnabrück.[1]

1939 wurde in Hannover - wie bei allen Kripo-Leitstellen in Deutschland - eine eigene Dienststelle für „Zigeunerfragen“ eingerichtet.[3] Im selben Jahr verloren alle diejenigen Sinti, die ein Wandergewerbe ausübten, durch den Festsetzungserlaß ihren Lebensunterhalt:[4] Per Schnellbrief hatte das Reichssicherheitshauptamt am 17. Oktober 1939 angeordnet, „die später festzunehmenden Zigeuner bis zu ihrem endgültigen Abtransport in besonderen Sammellagern unterzubringen“.[3]

In den Jahren 1941 und 1942 war bereits die Mehrzahl der Sinti und Roma im gesamten Deutschen Reich in Konzentrationslager deportiert worden.[4] In Hannover wurden ab 1942 wurden auch diejenigen Sinti, die bis dahin in Mietwohnungen in gelebt hatten, zwangsweise in das städtische Sammellager eingewiesen, wo sie dann in alten Eisenbahnwaggons hausen mußten.[1]

In der Nacht zum 1. April 1943 wurde das Lager im Altwarmbüchener Moor dann plötzlich von Polizisten umstellt und geräumt: „Die Familien wurden mit ihren Kindern auf Lastwagen getrieben“ und zum Bahnhof Fischhof gebracht, von wo aus sie in das „Zigeunerfamilienlager“ im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert wurden.[1] Von den so dort - auch aus anderen Teilen Deutschlands - circa 23.000 angelieferten Häftlingen überlebten nur wenige.[4]

Nach neueren Forschungen (Stand: 2007) wurden im März 1943 aus dem Bereich des heutigen Bundeslandes Niedersachsen mindestens 750 Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert, „davon etwa 100 aus Hannover, von denen 27 aus dem Lager im Altwarmbüchener Moor kamen. Insgesamt wurden aus Hannover von März 1943 bis Februar 1944 mindestens 113 Sinti nach Auschwitz deportiert. Mehr als die Hälfte waren Kinder“.[1]

Hannover in der Bundesrepublik

Die linke Tafel mit den Namen von Opfern
Die rechte Tafel mit weiteren Namen

1982 wurde durch die deutsche Bundesregierung die Verfolgung von Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus als Völkermord anerkannt.[3]

Am 1. März 1996 wurde das Mahnmal am Bahnhof Fischerhof eingeweiht,[3] gestiftet vom Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti e.V.,[5] jedoch - anders als beispielsweise das Mahnmal für die ermordeten Juden Hannovers am Opernplatz[6] - ausdrücklich „Für alle Verfolgten des Nationalsozialismus“.[7]

Am 3. März 1998 wurde schließlich das Mahnmal am Standort des ehemaligen Sammellagers im Altwarmbüchener Moor eingeweiht.[3] Das am 55. Jahrestag der Deportationen der hannoverschen Sinti durch den Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti gestiftete Mahnmal wurde in der Form eines Tores gefertigt. Der Querbalken trägt die Inschrift[1]

„Das Tor von Auschwitz war der Eingang zur Hölle.[1]

In die beiden hölzernen Tafeln sind die Namen und - sofern bekannt - die Geburtsdaten von etwa 80 deportierten Sinti eingraviert, darunter der Name des Boxers Johann Trollmann und fünf weitere Trollmanns.[8] Auf den „Torpfosten“ findet sich mehrfach als symbolischer Schmuck ein Z, das die Sinti und Roma als weithin sichtbares Kennzeichen für „Zigeuner“ tragen mußten in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In die Pfosten sind außerdem die beiden Bibelverse aus Psalm 94, Vers 5 und 8 eingraviert[1] und die christliche ErwartungJesus siegt“.[8]

Rechtsradikale beschädigten das Mahnmal schon 3 Monate nach seiner Einweihung durch Stiefeltritte am Pfingstwochenende so sehr, daß es erneuert werden mußte. So fand eine erneute Einweihung am 19. September 1998 statt.[1]

Nach dem Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann wurde der Trollmannweg im Kreuzkirchenviertel zwischen der Burgstraße und der Kreuzkirche benannt und dort 2008 ein Stolperstein gelegt zur Erinnerung an den Deutschen Meister im Halbschwergewicht von 1933.[3]

Vor dem Haus in der Osterstraße 39 erinnern 7 Stolpersteine an die Sinti-Familie Seeger, die im März 1943 verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde.[3]

Literatur

  • Reinhold Baaske: Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, Katalog zur Ausstellung des Niedersächsischen Verbandes Deutscher Sinti e.V. (107 Seiten, mit Illustrationen), unter Mitarbeit von Dirk Götting sowie den Studierenden Dora Alapi u.a., Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 2004, ISBN 3-89534-557-1
  • Wolfgang Günther: Die preußische Zigeunerpolitik seit 1871 im Widerspruch zwischen zentraler Planung und lokaler Durchführung. Eine Untersuchung am Beispiel des Landkreises Neustadt am Rübenberge und der Hauptstadt Hannover, in: Hannoversche Geschichtsblätter, Neue Folge 38 (1984), S. 127–175
  • Cornelia Maria Hein, Heike Krokowski: "Es war unmenschenmöglich". Sinti aus Niedersachsen erzählen - Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus und Diskriminierung bis heute, hrsg. vom Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti e.V., Hannover: Niedersächsischer Verband deutscher Sinti, 1995, ISBN 3-00-000005-4
  • Rüdiger Fleiter: Stadtverwaltung im Dritten Reich. Verfolgungspolitik auf kommunaler Ebenen am Beispiel Hannovers, zugleich Dissertation an der Universität Hannover 2005 unter dem Titel: Fleiter, Rüdiger: Die Mitwirkung der hannoverschen Stadtverwaltung an der NS-Verfolgungspolitik , Band 10 in der Reihe Hannoversche Studien. Schriftenreihe des Stadtarchivs Hannover, Hannover: Hahn, 2006, ISBN 3-7752-4960-5, S. 277ff.
  • Roger Repplinger: „Leg Dich Zigeuner“. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder, ungekürzte Taschenbuchausgabe, München; Zürich: Piper, 2012, ISBN 978-3-492-30054-4,
  • Klaus Mlynek: Sinti, in: Stadtlexikon Hannover, S. 568
  • Ulrike Dursthoff, Michael Pechel (Redaktion): Mahnmal für die Sinti. Moorwaldweg im Altwärmbüchener Moor, in: Orte der Erinnerung. Wegweiser zu Stätten der Verfolgung und des Widerstands wöhrend der NS-Herrschaft in der Region Hannover, hrsg. vom Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover, Eigenverlag, ohne Jahr [2007], S. 98f.
  • Netzwerk Erinnerung und Zukunft Region Hannover: Orte der Erinnerung: Mahnmal für die Sinti, online

sonstige Medien

  • Erinnerungen in bewegenden Bildern - Werner Fahrenhol, Memo Media Produktion, 2004

Weblinks

 Commons: Mahnmal für die Sinti im Altwarmbüchener Moor (Hannover) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 Ulrike Dursthoff, Michael Pechel (Redaktion): Mahnmal für die Sinti ... (siehe Literatur)
  2. siehe Geokoordinaten über diesem Artikel oben rechts (dort anklicken!)
  3. 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 3,11 3,12 3,13 Klaus Mlynek: Sinti (siehe Literatur)
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 Ulrike Dursthoff, Michael Pechel (Redaktion): Mahnmal für die Sinti ..., S. 21f.
  5. Netzwerk Erinnerung und Zukunft Region Hannover: Orte der Erinnerung: Gedenkstein am Bahnhof Fischerhof, online
  6. Netzwerk Erinnerung und Zukunft Region Hannover: Orte der Erinnerung: Mahnmal für die ermordeten Juden Hannovers, online
  7. siehe dieses Foto
  8. 8,0 8,1 siehe zum Beispiel dieses Foto des Mahnmals
52.4188649.839806
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