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Diskussion:Israel Jacobson

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tachles Newsletter vom 11. Oktober 2019:


In der Harzvorstadt Seesen gründete Israel Jacobson im 19. Jahrhundert eine erste interreligiöse Schule und den berühmten Jacobstempel.

Dieses Jahr stehen Seesen und weitere Wirkungsstätten im Zeichen der Jubiläumsfeier zum 250. Geburtstag von Israel Jacobson, einer der führenden Persönlichkeiten auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Juden und zum Vorkämpfer der jüdischen Reformbewegung im Gefolge der jüdischen Aufklärung, der Haskala.

Israel Jacobson wurde am 17. Oktober 1768 in Halberstadt als einziger Sohn des Kaufmanns und Gemeindevorstehers Israel Jacob in bescheidene Verhältnisse geboren. Jacobson wurde von seinem Vater streng orthodox erzogen und besuchte hauptsächlich jüdische Schulen. Als gehorsamer Sohn kam er zunächst dem Wunsch des Vaters nach und studierte Theologie, wandte sich später dem Kaufmannsstand zu. Im Alter von 19 Jahren zog er als Handlungsgehilfe nach Braunschweig, wo er ein Bankgeschäft gründete, das er sehr erfolgreich führte und sich ein beachtliches Vermögen erwirtschaftete. Jacobson ist 18 Jahre alt, als er 1786 Minna, die Tochter Herz Samsons, heiratet. Nach dem Tod seines Schwiegervaters übernahm er sowohl dessen Stelle als Kammeragent bei Herzog Karl Wilhelm als auch die des Landesrabbiners für den braunschweigschen Weserdistrikt. Dank seines politischen Einflusses konnte Jacobson erfolgreich für die Rechte der Juden und deren Gleichstellung mit der christlichen Bevölkerung eintreten. Nach Gründung des Königreiches Westphalen 1807 durch Napoleon wurde Jacobson finanzieller Vertrauensmann Königs Jérôme, der ein Bruder Napoleons war, sowie auch Präsident des Westphälischen Konsistoriums der Israeliten, einer Institution für religiös-kulturelle Belange von Juden.

Ein Geist der Aufklärung Jahrhundertelang lebten die Juden am Rand der Gesellschaft. In einer bäuerlich geprägten Welt durften sie weder Land besitzen und noch Felder bestellen und auch das zünftige Handwerk blieb ihnen verschlossen. Einige wenige brachten es als Geldverleiher zu Wohlstand, so auch Israel Jacobson. Bis ins 18. Jahrhundert lernten strenggläubige Juden nur so viel Deutsch, wie zur Verständigung mit ihrem Umfeld unbedingt erforderlich war. Dies verfestigte Vorurteile und führte immer wieder zur Benachteiligung der jüdischen Minderheit. Vom Gedankengut der Aufklärung erfüllt, gründete Israel Jacobson im Jahr 1801 in Seesen eine «Religions -und Industrieschule». Jacobson wollte aktiv ein Zeichen setzen und die von Napoleon gesetzlich angeordnete Gleichstellung von Juden und Christen mit Leben füllen.

Wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, dauerte die Gleichstellung der Juden nur bis zur Bundesakte des Wiener Kongresses (18. September 1814 bis 9. Juni 1815, folgend auf den Sturz von Napoleon Bonaparte im Jahr 1814 und seiner Verbannung), bis zu jenem Zeitpunkt, als die deutschen Staaten sie wieder rückgängig machten. Die Gleichstellung hatte Napoleon zwar gesetzlich verordnet, inhaltlich aber wurde sie von deutschen Aufklärern bestimmt.

Wegbereiter in vielerlei Hinsicht Mit der Gründung seines Instituts für arme Judenkinder setzte Jacobson zwei wesentliche Gedanken seiner Zeit um: 1738 war Christian von Dohms Schrift «Über die bürgerliche Verbesserung der ­Juden» zur Hebung ihrer sozialen Lage, unter anderem durch Bildung, erschienen. Verfasst hatte er sein Werk auf die Bitte von Moses Mendelssohn. Dohms Vorstellungen wiederum waren durch die Grafen Mirabeau und Clermont-Tonnère in die Gesetzgebung der französischen Nationalversammlung mit der bürgerlichen Gleichstellung der Juden (1791) eingegangen. 60 Jahre nach Dohms Werk zur Verbesserung der Lebenslage der Juden schlug 1797 der Pädagoge Joachim Heinrich Campe dem Herzog von Braunschweig eine Reform der Volksschulen und ihre Umwandlung zu «Industrieschulen» vor. Schüler sollten, neben Lesen, Schreiben und Rechnen, auch in handwerklichen Arbeiten geschult werden. Die praktische Vorbereitung jüdischer Schüler auf Berufe in Handwerk und Landwirtschaft sollten die überlieferte Einschränkung der Juden auf Geld- und Handelsberufe aufbrechen. Der Schulbetrieb der Jacobson Industrieschule begann am 29. September 1801. Nur ein Jahr nach ihrer Gründung wurden in Jacobsons Reformschule weitere Unterrichtsfächer eingeführt. Von nun an standen auch Sprachen, Mathematik, Naturgeschichte und Geografie auf dem Lehrplan. Ab 1. Januar 1802 wurden auch christliche Bürgersöhne der Stadt in der Schule aufgenommen.

Ausgerechnet Seesen Jacobsons Wahl von Seesen hatte verschiedene Gründe: In Karl Friedrich Wilhelm Zincken 
(1729–1806), dem Schultheiss von Seesen und herzoglichen Hofrat, hatte er einen Befürworter und Förderer gefunden. Zincken fasste Jacobsons Schul-Pläne in konkrete Konzepte, seine guten und direkten Verbindungen zum herzoglichen Hof führten zur erfolgreichen Gründung des ­Lehrinstituts. Es ist vermutlich auch Zincken zu verdanken, dass die Schule direkt dem Staatsministerium und nicht dem geistlichen Konsistorium, bei dem an sich die Zuständigkeit für Schulen lag, unterstellt wurde, dass die an der Schule beschäftigten Juden kein Schutzgeld zu zahlen hatten und die Grundstücke der Schule frei von Abgaben gestellt wurden. Weitere Überlegungen mögen für Israel Jacobson bei der Wahl Seesens eine Rolle gespielt haben, so auch, dass die beschauliche Harzvorstadt weit ab von orthodoxen Kreisen lag.

Entfacher des «Orgelstreits» «Haben wir nicht alle einen Vater? Hat uns nicht ein Gott geschaffen?», lautete der Leitsatz von Israel Jacobson. 1810 wehte der freiheitliche Wind des Königreichs Westphalen durch die deutschen Lande. Jacobson nutzte die Gunst der Stunde und errichtete auf seinem Schulgebäude ein revolutionäres ­jüdisches Gotteshaus: Sein Tempel betonte die verbindenden Elemente der christlichen und der ­jüdischen Religion. Dabei griff er auf die Formensprache der Seesener St.-Andreas-Kirche zurück, nutzte allgemein verständliche Elemente für Gotteshäuser wie Glockenturm und deutsche Predigt.

Gemeinsamer Bezugspunkt der Aufklärer war die Vernunft. Israel Jacobson betonte jedoch stets nachdrücklich die Erziehung zu jüdischem Glauben. Sein Ziel war eine einfache und ehrliche Religionsausübung, die nach den Regeln der Vernunft gestaltet war. Mit seinem Begriff Tempel setzte Israel Jacobson ein Zeichen für die jüdische Re­­formbewegung. Seit der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70 n. d. Z. durch die Römer wünschen sich Juden «nächstes Jahr in Jerusalem». Für Jacobson hingegen war die jüdische Heimat dort, wo Juden seit Jahrhunderten lebten. Die Orgel war die grosse Neuerung der Seesener Synagoge. An ihr entzündete sich der sogenannte Orgelstreit, der zur Spaltung der jüdischen Welt in orthodoxe und Reform-Juden führte.

Die Orgel als Symbol des Reformjudentums Der erste Musiker und vermutlich auch Orgel­bauer, den die Thora erwähnt, ist Juval. Im 1. Buch Mose 4:21 lesen wir: «we schem achi Jubal hu haja awi kol tpes kinnor we ugav» – zu Deutsch: Und der Name seines Bruders war Jubal, er war der Vater von allem wie der Leier und der Orgel.

Ein orgelähnliches Instrument, die Magrepha, soll im zweiten Jerusalemer Tempel gestanden haben. Nach dessen Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 sind aus Trauer um den Verlust des Tempels und somit des zentralen jüdischen Heiligtums Instrumente nicht mehr erlaubt.

Israel Jacobson setzte die Orgel für das Reform-judentum ein. Joachim Frassl hat intensiv über Israel Jacobson geforscht. In seinen Quellen finden sich Hinweise, dass Heinroth in seiner Funktion als Musiklehrer am Seesener Schulinstitut Jacobson zur Einführung der Orgel in den jüdischen Gottesdienst geraten hat.

Nach dem Ende des Königreichs Westphalen 1814 siedelte Jacobson nach Berlin über. 1828 musste er dem Druck orthodoxer Kreise nachgeben und den jüdisch-reformierten Gottesdienst in seinem Berliner Privattempel aufgeben. In der Nacht zum 14. September 1828 starb Jacobson in Berlin an einem Blutsturz. Er wurde auf dem Friedhof an der Schönauer Allee bestattet.

Mehr nur als ein Freund der Assimilation Als Jacobson starb, hatte in den Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden ein grundsätzlicher Wandel eingesetzt. Israel Jacobson als einen Freund der Assimilation zu bezeichnen, wird ihm nicht gerecht. Der Wegbereiter des Reformjudentums war ein gläubiger Jude, aber auch ein Befürworter von Toleranz und Integration. Die Jacobson-Schule und der Tempel sind heute signifikante Erinnerungsorte der Wiege des liberalen Judentums, aber auch der Ort, an dem zum ersten Male jüdische und christliche Kinder gemeinsam unterrichtet und erzogen wurden. Wäre es nach Jacobson gegangen, wäre es sogar eine Schule für Mädchen und Jungen geworden. Eine Vermischung der jüdischen und christlichen Religionen lehnte Jacobson zeitlebens strikt ab. Vielmehr sah er in der schulischen interreligiösen Gemeinschaft das Ziel für eine gemeinsame Bildung des künftigen Bürgers.


Gundula Madeleine Tegtmeyer