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Auswandererbahnhof Ruhleben

Aus Jewiki
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Bis 2012 noch verbliebene Baracke des Auswandererbahnhofs Ruhleben
Auf dem Auswandererbahnhof Ruhleben. Illustration aus Die Gartenlaube von 1895.

Der Auswandererbahnhof Ruhleben war zwischen 1891 und 1914 eine Durchgangs- und Kontrollstation für Emigranten an der Berlin-Hamburger Bahn nahe dem Güterbahnhof Ruhleben. Hier mussten sich die aus dem Osten kommenden Auswanderer registrieren, desinfizieren und ärztlich untersuchen lassen, bevor sie zu den Häfen in Bremerhaven und Hamburg weiterreisen durften. Der Bahnhof wurde von den Transportgesellschaften HAPAG und Norddeutscher Lloyd betrieben, um die Auswandererströme besser kontrollieren zu können.

Vorgeschichte

Verschiedene Faktoren führten Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass Berlin mehr und mehr eine bedeutende Durchgangsstation für Auswanderer geworden war: um 1880 begann die dritte große Auswanderungswelle in die Vereinigten Staaten. Während 1880 der Anteil der Osteuropäer an den Auswanderern von deutschen Häfen nur 13 % betrug, wuchs er schnell an auf über 50 % nach 1891. Gründe waren unter anderem anti-jüdische Pogrome 1882 in Russland, aber auch für Russlanddeutsche und die osteuropäische Landbevölkerung generell entwickelte sich die Lage in ihren Heimatländern zum Negativen.[1] Dank der Fertigstellung der Preußischen Ostbahn von Eydtkuhnen nach Berlin wurde das Reisen aus Osteuropa zu den Überseehäfen erheblich vereinfacht.

Vor der Einrichtung des Auswandererbahnhofs kamen die Auswanderer vor allem am Ost- und Schlesischen Bahnhof an und mussten dann weiter zum Lehrter oder Hamburger Bahnhof, um von dort aus einen Zug Richtung Westen zu erreichen. Die Wartesäle auf den Berliner Bahnhöfen waren oftmals mit einigen 100 Durchreisenden überfüllt, was zu Beschwerden bei der Eisenbahndirektion führte.[2]

Der Betrieb des Bahnhofs

Lageplan der Bahnhofsgebäude aus dem Zentralblatt der Bauverwaltung von 1893

Als die Behörden erkannten, dass der Strom durchreisender Emigranten nicht so schnell abreißen würde, beschloss man, außerhalb Berlins zwischen Ruhleben und Spandau einen separaten Bahnhof einzurichten, den die Züge fortan ohne Zwischenhalt in Berlin anfuhren. Der Auswandererbahnhof nahm am 11. November 1891 seinen Betrieb auf.

Für die Transportgesellschaften hatten solche Durchgangsstationen zwei wichtige Funktionen: Zum einen sollten dort durchgeführte Desinfektionen etwaige Krankheitsausbrüche in den Auswandererhallen der Überseehäfen vorbeugen. Zum anderen richteten sich die Kontrollen gegen solche Auswanderer, die in den Vereinigten Staaten entsprechend der neuen Einwanderungsgesetze abgewiesen und auf Kosten der Transportgesellschaften zurückgeschickt werden konnten.

Im Wartesaal. Illustration aus Die Gartenlaube von 1895.

Auf dem Gelände befanden sich drei Unterkunftsbaracken für jeweils ungefähr 200 Personen. An die mittlere Halle waren Räume für den Fahrkartenverkauf, die Aufsichtsbeamten und für die Auswandereragenten angebaut. Hinzu kamen eine Desinfektionsanstalt mit Duschräumen, eine Isolierstation mit 24 Betten, eine Kantine, sowie ein massives Gebäude mit vier Schlafräumen für jeweils sechs Personen. Später kam noch ein vom Jüdischen Hilfswerk errichtetes Gebäude mit einem Küchentrakt hinzu.[3]

Die aus Wellblech errichteten Baracken waren mit Holz verkleidet. Die beiden Größten waren 80 Meter lang, 10 Meter breit und 6 Meter hoch. Geheizt wurde mit in der Mitte des Raumes aufgestellten eisernen Öfen, von denen ein eisernes Abzugsrohr direkt durch die Decke ins Freie führte.[4]

Die Desinfektionsanstalt wurde aufgrund der großen Hamburger Choleraepidemie von 1892 eingerichtet. Hamburg und Bremen drohten den Transportgesellschaften mit einer vollständigen Sperrung ihres Stadtgebiets für Auswanderer und verlangten fortan eine ärztliche Kontrollkarte aus Ruhleben als Bedingung für die Einschiffung. Zudem wurde neben den Baracken des Auswandererbahnhofs auch ein Lazarett mit 12 Betten errichtet.[5]

Das Ende

Östlich an den Auswandererbahnhof angrenzend entstand 1909 die Trabrennbahn Ruhleben. Aus Angst vor dem Übergreifen von Infektionskrankheiten beschloss man, den wenig attraktiven Bahnhof weiter westlich nach Wustermark zu verlegen. Der Umzug war für 1915 geplant, fand aber nicht mehr statt, da die Auswanderung aus Osteuropa über Deutschland im Ersten Weltkrieg völlig zum Erliegen kam.[6]

Der Auswandererbahnhof wurde 1914 geschlossen. Nach dem Krieg erreichten, auch wegen kontinuierlich verschärfter Einwanderungsbestimmungen in die Vereinigten Staaten bis zur Quotenregelung von 1921, die Auswandererzahlen nicht mehr das Vorkriegsniveau. Allein 1913 hatten mehr als 193.000 sogenannte Durchwanderer den Auswandererbahnhof Ruhleben durchlaufen.[6]

Die verbliebene Unterkunftsbaracke des ehemaligen Auswandererbahnhofs wurde nach Aufhebung des Denkmalschutzes[7] im August 2012 abgerissen. Die Untere Denkmalbehörde des Bezirks Spandau genehmigte den Abriss in Einvernehmen mit der beim Senat angesiedelten Oberen Denkmalbehörde aufgrund wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Vor dem Abriss suchte das Denkmalamt das Objekt noch nach eventuell verbliebenen Relikten ab, fand aber nichts, was für einen Erhalt interessant gewesen wäre. Der Abriss stieß in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung auf Kritik, da man im Ausschuss für Bildung und Kultur nicht informiert worden sei.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Mary Antin: Vom Ghetto ins Land der Verheißung. R. Lutz, Stuttgart 1913, S. 196-198. (online)
  • Tobias Brinkmann, Traveling with Ballin: The Impact of American Immigration Policies on Jewish Transmigration within Central Europe, 1880–1914 in: International Review of Social History 53 (2008), 459–84.
  • Arne Hengsbach: Station der Europamüden. Die Geschichte des Auswandererbahnhofs Ruhleben.. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 70. Jahrgang, 1974, S. 420–429 (PDF-Datei)
  • Karin Schulz: Der Auswandererbahnhof Ruhleben - Nadelöhr zum Westen. In: Die Reise nach Berlin. (Ausstellungskatalog), Siedler, Berlin 1987, ISBN 3-88680-270-1, S. 237–241.
  • Der Auswanderer-Bahnhof in Ruhleben bei Spandau. In: Zentralblatt der Bauverwaltung. Bd. 13, Nr. 14, 1893, S. 142–143 (online).

Weblinks

 Commons: Auswandererbahnhof Ruhleben – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikisource: Der Auswandererbahnhof in Ruhleben – Artikel in Die Gartenlaube von 1895 (Deutsch)

Einzelnachweise

  1. Schulz 1987, S. 237
  2. Anzeiger für das Havelland vom 15. Oktober 1882. Aus: Juden in Mitteleuropa, Ausgabe 2007 (PDF; 1,1 MB)
  3. Schulz 1987, S. 240
  4. Spandauer Anzeiger für das Havelland, 10. April 1912, zitiert nach Schulz 1987, S. 240
  5. Arne Hengsbach: Station der Europamüden. Die Geschichte des Auswandererbahnhofs Ruhleben.. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 70. Jahrgang, 1974, S. 424 (PDF-Datei).
  6. 6,0 6,1 Schulz 1987, S. 241
  7. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  8. Michael Uhde: Entscheidung wurde mit Denkmalschutz-Behörde getroffen. In: Spandauer Volksblatt. 15. Januar 2013 (online).
52.53045813.22373
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