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Ausreisezentrum

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Mit Ausreisezentrum (amtlich: Ausreiseeinrichtung) wird in Deutschland im überwiegend nicht-offiziellen Sprachgebrauch eine Sammelunterkunft bezeichnet, in der ausreisepflichtige Ausländer mit dem Ziel untergebracht werden, sie zur Ausreise aus dem Bundesgebiet zu bewegen.

Kritik am Begriff

Der Begriff Ausreisezentrum ist wegen seines euphemistischen Charakters umstritten. Das Wort kam bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2002 auf den zweiten Platz. In der Begründung der Jury hieß es:

„Dieses Wort soll offenbar Vorstellungen von freiwilliger Auswanderung oder gar Urlaubsreisen wecken. Es verdeckt damit auf zynische Weise einen Sachverhalt, der den Behörden wohl immer noch peinlich ist. Sonst hätte man eine ehrlichere Benennung gewählt.“[1]

Belege dafür, dass das Wort eine amtliche Schöpfung ist, lassen sich allerdings nicht finden. Weder im Landesrecht der 1990er Jahre, noch im ersten (für nichtig erklärten) Zuwanderungsgesetz von 2002, noch im zweiten Zuwanderungsgesetz aus dem Jahre 2004 wird das Wort verwendet. Es findet sich nahezu ausschließlich in den Beiträgen von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen im Rahmen der politischen Auseinandersetzung und in der journalistischen Berichterstattung. Offiziell erwähnt wird das Wort allein auf der Internetseite der Ausreiseeinrichtung Halberstadt.

Rechtliche Grundlage

Die rechtliche Grundlage für die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen bildet das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz. Gemäß § 61 Abs. 2 Satz 1 AufenthG können die Länder Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer schaffen. Vollziehbar ausreisepflichtig sind Ausländer, die unerlaubt eingereist sind, erlaubt eingereist sind, aber ihr vorläufiges Aufenthaltsrecht infolge unterbliebener Antragstellung verloren haben, aufgrund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union ausreisepflichtig wurden oder die durch vollziehbaren Verwaltungsakt (z. B. Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, Rücknahme des Aufenthaltstitels, Ausweisung) ihr Aufenthaltsrecht verloren haben (§ 58 Abs. 2 AufenthG). Obwohl die Vorschrift nicht nur Flüchtlinge, deren Asylantrag erfolglos geblieben ist, sondern grundsätzlich jeden Ausländer ohne Aufenthaltsrecht erfasst, sind die meisten aufgenommenen Personen abgelehnte Asylbewerber.

Von der gesetzlichen Ermächtigung haben vier der 16 Bundesländer Gebrauch gemacht. Ausreiseeinrichtungen bestehen heute in

  • Fürth (Bayern)[2] als Einrichtung der Zentralen Rückführungsstelle Nordbayern,
  • Braunschweig (Niedersachsen),[3] amtlich (seit 1. Januar 2011): Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI),
  • Halberstadt (Sachsen-Anhalt),[4] amtlich: Zentrales Ausreisezentrum des Landes Sachsen-Anhalt bei der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) und
  • Neumünster (Schleswig-Holstein),[5] amtlich: Landesamt für Ausländerangelegenheiten Schleswig-Holstein.

Anlass für die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen

Die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen ist eine Reaktion auf das veränderte Verhalten von Flüchtlingen, die eigenen Personalien schon im Aufnahmeverfahren unmittelbar nach der Einreise ins Bundesgebiet nicht oder nicht richtig anzugeben und dabei Reisedokumente nicht vorzulegen. Der Vorsitzende der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung Wilfred Burghardt erklärte, mehr als 80 Prozent der eingereisten Asylbewerber gäben an, keine Pässe oder sonstige Dokumente zu haben. Viele hätten Ausweis, Geburtsurkunde und andere identifizierende Dokumente verloren, vor der Einreise nach Deutschland vernichtet oder sie werden den deutschen Behörden nicht vorgelegt.[6]

Viele Flüchtlinge wissen, dass die vorgetragenen Fluchtgründe in der Regel nicht ausreichen, um ein dauerhaftes Bleiberecht als Asylberechtigter oder als anerkannter Flüchtling zu bekommen. Die Anerkennungsquote beträgt bundesweit – mit gewissen Schwankungen – in der Regel weniger als 10 %[7]. Eine Rückkehr ins Heimatland lehnen viele jedoch kategorisch ab, weil die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebensbedingungen im Heimatland im Vergleich zum Bundesgebiet oft deutlich schlechter sind. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Betroffenen in Deutschland ein Arbeitsverbot erhalten. Denn der Schutz der sozialen Sicherungssysteme, auch unter den zusätzlichen Einschränkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, übertrifft die Lebensperspektive, die die Betroffenen in ihren Heimatländern vorfinden, je nach Herkunftsland teilweise deutlich.

Wer das Land nicht freiwillig verlässt, wird von der Ausländerbehörde abgeschoben. Da hierfür die Staatsangehörigkeit geklärt sein muss, vernichten oder unterdrücken die Betroffenen ihre Nationalpässe oder werfen diese weg und verweigern Angaben zu ihrer Identität und zum Herkunftsland. In etlichen Fällen geschieht dies mit großer Nachhaltigkeit. Ohne Kooperation des Betroffenen ist eine Passersatzbeschaffung jedoch nahezu unmöglich.

Die Möglichkeiten der Behörden, auch ohne Mitwirkung des Betroffenen wenigstens an Rückreisepapiere zu gelangen, sind begrenzt. Vorführungen vor eine Auslandsvertretung (vor allem bei Personen aus dem subsaharischen Afrika) haben nur dann Erfolg, wenn nach Auffassung der ausländischen Mission ausreichende Hinweise vorliegen, den Betroffenen auch ohne genaue Klärung seiner Identität als eigenen Staatsangehörigen anzuerkennen. Die meisten Staaten verlangen jedoch eine vollständige Identitätsfeststellung durch eine Rückmeldung aus dem Heimatland.

Bemühungen, aufgefundene Nationalpässe zentral zu registrieren, um sie ihren Inhabern zuzuordnen, haben ebenfalls nur geringe Erfolge erzielt. Mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 wurde eine zentrale Fundpapierdatenbank beim Bundesverwaltungsamt eingerichtet (§ 49a und § 49b AufenthG). Bis Ende April 2006 wurden dieser Datenbank 3.288 Dokumente zugeliefert; eine eindeutige Zuordnung konnte bis dahin aber nur in drei Fällen erfolgen.[8]

Ausreiseeinrichtungen sind vor allem von Ländern geschaffen worden, die das Verhalten der Ausreisepflichtigen nicht hinnehmen wollten und sich dadurch in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Das unausgesprochene Ziel der Ausreiseeinrichtungen ist es, die Lebensbedingungen der Betroffenen in Deutschland – bei formaler Beachtung der rechtlichen Mindeststandards – so unattraktiv zu gestalten, dass sie entweder ihre Verweigerungshaltung aufgeben oder das Land verlassen.

Gesetzliches Ziel der Ausreiseeinrichtungen und seine Umsetzung

Gemäß § 61 Abs. 2 Satz 2 AufenthG soll in den Ausreiseeinrichtungen die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise durch Betreuung und Beratung gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden.

Nach der amtlichen Begründung dienen Ausreiseeinrichtungen als offene Einrichtungen der Unterbringung von Personen, die keine oder unzutreffende Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit machen und/oder die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten verweigern. Die Unterbringung in einer zentralen Gemeinschaftsunterkunft solle eine intensive auf eine Lebensperspektive außerhalb des Bundesgebiets gerichtete psycho-soziale Betreuung ermöglichen; sie stelle gegenüber der Abschiebungshaft ein milderes Mittel dar. Die intensive Betreuung trage zur Förderung der Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise oder zur notwendigen Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten bei. Darüber hinaus sei eine gezielte Beratung über die bestehenden Programme zur Förderung der freiwilligen Rückkehr möglich. Den besonderen Bedürfnissen von Frauen, Kindern und Jugendlichen sowie Traumatisierten sei bei der räumlichen und personellen Ausstattung der Ausreiseeinrichtungen Rechnung zu tragen. Die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte werde vereinfacht, die Durchführung der Ausreise könne besser sichergestellt werden.[9]

Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen erblicken darin eine Schönfärberei. Aus ihrer Sicht sind die Einrichtungen bloße Ausreiselager oder Abschiebelager, die die Betroffenen vor allem aus ihren sozialen Bindungen herausreißen und in entfernt liegenden Dschungelheimen in eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit versetzen sollen. Das Ziel der Unterbringung liege vor allem darin, Druck zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung auszuüben. Amtliche Stellen bestreiten dies nicht und entgegnen, kein Ausländer habe nach der erfolglosen Prüfung seines Aufenthaltsbegehrens einen Anspruch auf ein Bleiberecht. Jeder Staat bestimme nach den Regeln des Völkerrechts selbst, wer sich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten dürfe. Gerade gegenüber solchen Ausländern, die ihrer Ausreisepflicht nachkämen, sei es ungerecht, wenn der Staat nicht alle Mittel ausschöpfe, die Ausreisepflicht auch gegenüber den Ausreiseunwilligen mit Nachdruck durchzusetzen.[10]

Tatsächlich bedeutet die Zuweisung zu einer Ausreiseeinrichtung eine deutlich spürbare Herabsetzung der Lebensqualität. Wer sich in eine Ausreiseeinrichtung begeben muss, muss den angestammten Lebensbereich in einer Stadt oder einer Gemeinde verlassen und verliert schlagartig alle sozialen Kontakte zu seinem nahen Umfeld. Die Ausreiseeinrichtung ist mit Bedacht in dünner besiedelten Gebieten angelegt und soll eine erneute Integration erschweren. So wird im Konzept des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ausdrücklich die relativ abgeschiedene Lage (keine unmittelbar angrenzende Wohnbebauung) als Vorteil des Standorts Fürth hervorgehoben.[11] Soweit die Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, aufgehoben war, lebt sie in der Ausreiseeinrichtung neu auf. Der Betroffene findet hier oft nur noch eine Gemeinschaftsunterbringung vor, in der er sich mitunter ein Zimmer mit anderen teilen muss. Individuelle Rückzugsmöglichkeiten und eine Intimsphäre bestehen dadurch kaum. Neben der äußeren Tristesse der Einrichtung (der Standort in Fürth besteht ausschließlich aus Wohncontainern), sollen regelmäßig wiederkehrende Befragungen die Perspektivlosigkeit eines weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet vor Augen führen.

Während des Aufenthalts in der Ausreiseeinrichtung seitens der Behörden in Betracht zu ziehende Maßnahmen[12] sind:

  • Regelmäßige, in der Regel wöchentliche Befragungen über Identität und Herkunftsstaat, sofern hier Unklarheiten bestehen,
  • Aufdecken von Widersprüchen in den bisherigen Angaben, Ermittlungen im Herkunftsstaat (z. B. über deutsche Auslandsvertretungen),
  • Suche nach Identitätsnachweisen oder Glaubhaftmachungsmitteln im Besitz der Bewohner (Führerscheine, Briefe, versteckte Ausweise, Telefonkarten),
  • Anordnung von Aufenthaltsbeschränkungen auf den Stadt- oder Landkreis der Einrichtung, Meldepflichten und Anwesenheitskontrollen,
  • Sicherstellung regelmäßiger Anwesenheit durch tägliche Ausgabe der Essenspakete (statt wöchentlich wie in Gemeinschaftsunterkünften üblich),
  • Anhalten zur gemeinnützigen Arbeitsaufnahme,
  • Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und dessen Überwachung,
  • Kürzung des Taschengeldes bei fortgesetzter Verweigerung der Mitwirkung,
  • bei fehlender Bereitschaft und Nichtbeachtung behördlicher Anordnungen die Organisation gemeinsamer bzw. individueller Botschaftsvorführungen.

Angesichts der insgesamt bedrückenden Situation[13] werden die Verhältnisse in den Ausreiseeinrichtungen von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen als inhuman und menschenunwürdig bezeichnet.[14]

Entwicklung der Einrichtungen

Die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen war und ist unter den Bundesländern sehr umstritten. Die meisten Bundesländer haben sich im Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz ausdrücklich gegen eine zentrale Ausreiseeinrichtung ausgesprochen und planen sie auch für die Zukunft nicht.

Die heute bestehenden Einrichtungen wurden teilweise schon viele Jahre vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes auf der Grundlage ministerieller Erlasse in Betrieb genommen und wurden seit Anbeginn ihres Bestehens von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen kritisiert:

  • Im April 1998 errichtete Niedersachsen die beiden Ausreiseeinrichtungen in Braunschweig und Oldenburg zunächst als Modellversuch Projekt X und führte sie ab 1. August 2000 als dauerhafte Einrichtungen fort. Nach einem Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung vom 9. November 2010 wurde die Einrichtung Oldenburg (Kloster Blankenburg)[15] am 30. Juni 2011 geschlossen.[16]
  • Seit 1. Januar 2002 wurde die Ausreiseeinrichtung Halberstadt (Sachsen-Anhalt) auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber zunächst als Modellversuch, seit 1. Januar 2005 als förmliche Ausreiseeinrichtung betrieben.
  • Im September 2002 wurde die Ausreiseeinrichtung Fürth (Bayern) in Betrieb genommen.[17] Die Inbetriebnahme beruhte ursprünglich auf Art. 4 BayAufnG[18], mit dem sämtliche Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (also nicht nur Asylbewerber, sondern auch Bürgerkriegsflüchtlinge, abgelehnte Asylbewerber, Geduldete und sonst Ausreisepflichtige) generell verpflichtet wurden, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen; die Ausreiseeinrichtung war hiervon eine Form.[19] Der Bayerische Flüchtlingsrat forderte die Schließung des „Ausreiselagers“.[20]
  • Am 1. April 2006 wurde in den Räumlichkeiten des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten in Neumünster (Schleswig-Holstein) eine Gemeinschaftsunterkunft für Ausreisepflichtige eingerichtet, die nach Auffassung des Landes Schleswig-Holstein unter rechtlichen Gesichtspunkten als Ausreiseeinrichtung nach § 61 Abs. 2 AufenthG anzusehen sei.[21] Hinter dieser zurückhaltenden Formulierung steht die politische Umstrittenheit der Einrichtung auch in Schleswig-Holstein. Gegen ihre Errichtung hatte der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein protestiert; er forderte deren Auflösung und eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in den Städten und Kreisen von Schleswig-Holstein.[22]

Nicht alle Einrichtungen haben sich durchgesetzt. Der am 1. Mai 1998 gestartete Modellversuch in Minden-Lübbecke (Nordrhein-Westfalen) wurde am 1. Oktober 1999 beendet. Vorangegangen waren Selbstverletzungen und der Selbstmord eines dort Untergebrachten.[23] Die Mehrheit der nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden befürwortet allerdings weiterhin die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen, um den Druck auf vollziehbar Ausreisepflichtige zu erhöhen.[24]

Die am 1. April 1999 in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) errichtete Ausreiseeinrichtung[25] wurde am 10. Februar 2003 nach Trier verlegt[26] und im Sommer 2011 geschlossen[27].

Anfängliche Pläne, in Hamburg ein im Zollfreihafen verankertes Schiff zu einer Ausreiseeinrichtung umzugestalten, sind aufgegeben worden.

Zweckerfüllung der Einrichtungen, Nebeneffekte

Nach Auffassung der Länder, die Ausreiseeinrichtungen unterhalten, arbeiten diese erfolgreich und haben sich bewährt.[28] Nach Angaben des sachsen-anhaltischen Innenministeriums habe durch intensive Beratung in verschiedenen Fällen die zur Beschaffung von Rückführungsdokumenten erforderliche Identität geklärt werden können. Auch habe die Unterbringung in der Ausreiseeinrichtung zum freiwilligen Verlassen des Bundesgebiets geführt.[29] Allein das Signal, dass ein Aufenthalt in einer Ausreiseeinrichtung in Betracht komme, habe in einigen Fällen zur Preisgabe der Identität geführt.[30]

In Bayern seien von 190 Personen, die von September 2002 bis März 2006 vollziehbar der Ausreiseeinrichtung Fürth zugewiesen worden seien, 36 Personen noch vor Zuzug in die Ausreiseeinrichtung und 48 Personen nach Zuzug untergetaucht. 50 Personen seien nach der Zuweisung freiwillig ausgereist. 4 Personen seien nach erfolgter Identitätsklärung aus der Ausreiseeinrichtung entlassen worden, weil tatsächliche Abschiebungshindernisse vorgelegen hätten. Lediglich 14 Personen seien nach erfolgter Identitätsklärung abgeschoben worden.[31]

Auch in anderen Ländern ist der Anteil der Personen, die die Einrichtung gar nicht erst aufsuchen, oder aufsuchen, aber wieder unerlaubt verlassen, groß: Von 304 den niedersächsischen Ausreiseeinrichtungen zugewiesenen Personen seien nach offiziellen Angaben 137 Personen verschwunden (Jan. 2003). Von 132 der Ausreiseeinrichtung Ingelheim Zugewiesenen seien nach offiziellen Angaben 40 Menschen verschwunden.[32] Im Jahre 2004 seien von 62 der Einrichtung Halberstadt zugewiesenen Personen nur 47 dort erschienen. Über die Anzahl der später untergetauchten lägen gesicherte Erkenntnisse nicht vor.[33]

Damit erfüllen die Einrichtungen auch aus einem anderen Grund ihren Zweck: Ihre bloße Existenz schreckt vielfach so stark ab, dass ein erheblicher Teil der Betroffenen untertaucht und damit zugleich auf die öffentliche Lebensunterhaltssicherung verzichtet. Die in die Illegalität abgetauchten Personen verlieren ihre Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, weil sie an jedem anderen Ort, an dem sie wieder auftauchen, keine Leistungen erhalten, sondern aufgefordert werden, sich unverzüglich in die Ausreiseeinrichtung zurück zu begeben. Damit entfällt der Anreiz für einen weiteren Verbleib, sodass die Betroffenen das Bundesgebiet schließlich verlassen. Über 90 % der Untergetauchten werden nicht mehr im Bundesgebiet angetroffen.[34] Tobias Pieper bezeichnet vor diesem Hintergrund Ausreisezentren als „Illegalisierungsmaschinerie und Experimentierfeld staatlicher Repressionen und Zermürbungstaktiken“.[35]

Literatur

  • Simone Grimm: Die Rückführung von Flüchtlingen in Deutschland. Berliner Wissenschaftsverlag, 2007, ISBN 3-8305-1399-2, S. 149–156.

Einzelnachweise

  1. Jury-Begründung zitiert beim Bay. Flüchtlingsrat, eingesehen am 6. Januar 2011.
  2. Offizielle Homepage (Memento vom 26. Januar 2010 im Internet Archive) des Bayerischen Staatsministerium des Innern.
  3. Offizielle Homepage der LAB Braunschweig.
  4. Offizielle Homepage (Memento vom 9. September 2012 im Webarchiv archive.is) des Landes Sachsen-Anhalt.
  5. Offizielle Homepage (Memento vom 8. Dezember 2011 im Internet Archive) des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten Neumünster.
  6. Warum Deutschland so wenige Asylbewerber abschiebt, Meldung von Die Welt vom 22. März 2015, abgerufen am 13. Januar 2016.
  7. Im Jahr 2010 erhielten 1,3 % der Antragsteller den Asylstatus nach Art. 16 a GG, 14,7 % den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention und 5,6 % (subsidiären) Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG; allein der Flüchtlingsstatus, der vor 2007 im Wesentlichen in weniger als 5 % der Fälle zuerkannt wurde, ist 2008 kurzzeitig auf 33,9 % angestiegen und seitdem wieder kontinuierlich rückläufig. Vgl. Zahlen für 2010, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
  8. Evaluierungsbericht der Bundesregierung (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zum Zuwanderungsgesetz 2006, S. 164, Pdf.-Dok. 2.148 KB.
  9. BT-Drs. 15/420, S. 92 zu § 61 Abs. 2, pdf-Dok. 896 KB.
  10. Antwort des Bayerischen Staatsministeriums des Innern auf eine Schriftliche Anfrage LT-Drs. 14/10202 v. 25. Oktober 2002, pdf-Dok. 23 KB.
  11. Bay. Innenministerium zum Konzept für die Ausreiseeinrichtung Fürth, S. 10, pdf-Dok. 145 KB, bei www.ausreisezentren.de.
  12. Bay. Innenministerium zum Konzept für die Ausreiseeinrichtung Fürth, S. 12/13, pdf-Dok. 145 KB bei www.ausreisezentren.de.
  13. Bilder (Memento vom 4. September 2011 im Internet Archive) von der Ausreiseeinrichtung Fürth auf der Homepage des Bayerischen Flüchtlingsrates.
  14. PRO ASYL nennt Fakten (Link nicht mehr abrufbar), abgerufen am 6. Januar 2011.
  15. Offizielle Homepage der LAB Oldenburg.
  16. Beschluss der Nds. Landesregierung vom 9. November 2010 über die Schließung des Standorts Oldenburg.
  17. Homepage (Memento vom 22. Juni 2008 im Internet Archive) des Bayerischen Staatsministerium des Innern über die Ausreiseeinrichtung Fürth.
  18. Aufnahmegesetz vom 24. Mai 2002 (Bay. GVBl. S. 192).
  19. Siehe Begründung LT-Drs. 14/8632, S. 4, pdf-Dok. 1,19 MB.
  20. Verlautbarung des Bay. Flüchtlingsrates vom 15. März 2003.
  21. Stellungnahme von Schleswig-Holstein (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes 2006, S. 350, pdf-Dok. 8.022 KB.
  22. Presseerklärung des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein vom 4. September 2007.
  23. Antwort des Landesregierung auf eine Kleine Anfrage LT-Drs. 12/3710, pdf-Dok. 108 KB.
  24. Stellungnahme von Nordrhein-Westfalen (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes 2006, S. 233, pdf-Dok. 8.022 KB.
  25. amtlich: Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LUfA) bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD)
  26. Presseerklärung des Arbeitskreises Asyl Rheinland-Pfalz v. 2003 aus Anlass des Umzuges von Ingelheim nach Trier.
  27. Rot-grünes Versprechen gahalten: Schließung der LUfA noch vor dem Sommer 2011, Pressemitteilung vom 8. Juni 2011, abgerufen am 8. Januar 2016.
  28. Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministerium des Innern (Memento vom 19. Januar 2012 im Internet Archive) vom 9. September 2004.
  29. Stellungnahme von Sachsen-Anhalt (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes (2006), S. 324, pdf-Dok. 8.022 KB.
  30. Evaluierungsbericht der Bundesregierung (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zum Zuwanderungsgesetz (2006), S. 169, pdf-Dok. 2.149 KB.
  31. Stellungnahme von Bayern (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes (2006), S. 57, pdf-Dok. 8.022 KB.
  32. FLÜCHTLINGSRAT – Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 93/94, April 2003, S. 4 (Memento vom 1. März 2014 im Internet Archive), pdf-Dok. 1,35 MB, abgerufen am 15. Februar 2014.
  33. Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage LT-Drs. 4/2196 (Memento vom 21. Januar 2012 im Internet Archive), S. 2, pdf-Dok. 68 KB.
  34. Stellungnahme von Bayern (Memento vom 11. Januar 2012 im Internet Archive) zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes (2006), S. 57, pdf-Dok. 8.022 KB.
  35. Tobias Pieper: Das dezentrale Lagersystem für Flüchtlinge – Scharnier zwischen regulären und irregulären Arbeitsmarktsegmenten. PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 136, 34. Jg., 2004, Nr. 3
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