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Marģers Vestermanis

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Marģers Vestermanis im Museum Juden in Lettland
Vestermanis im Mai 1945 auf einer Aufnahme im Museum „Juden in Lettland“, das er 1990 gründete

Marģers Vestermanis (* 18. September 1925 in Riga, Lettland) ist ein lettischer Holocaustüberlebender, Historiker, Gründer und ehemaliger Direktor des Museums Juden in Lettland.

Leben

Jugend und Zweiter Weltkrieg

Marģers Vestermanis wurde als jüngstes von drei Kindern eines Kaufmanns und Fabrikanten in eine großbürgerlich-jüdische, deutschsprachige Familie in Riga geboren.[1] Er besuchte die deutsche Schule seiner Heimatstadt, dann die private jüdische Esra-Schule. Zudem gab ein Rabbiner ihm vom sechsten bis zum fünfzehnten Lebensjahr jüdischen Religionsunterricht.[1] Als die Wehrmacht 1941 Lettland eroberte, wurde er mit 16 Jahren in das von den Nazis errichtete Ghetto Riga verschleppt. Er arbeitete dort als Möbeltischler. Anschließend wurde er im KZ Riga-Kaiserwald interniert, danach musste er Zwangsarbeit auf dem SS-Truppenübungsplatz Seelager und in den benachbarten Lagern Poperwahlen und Dondangen leisten.[2] Bei einem Todesmarsch gelang ihm beim dritten Versuch die Flucht in die Wälder von Kurland, wo er sich dem Widerstand anschloss.[1] 1944 lebte er unter falschem Namen in einem Versteck. Als einziger seiner Familie überlebte er die deutsche Besatzungszeit.

Die Jahre unter sowjetischer Herrschaft

Nach Kriegsende studierte Marģers Vestermanis in Riga Geschichte. Nach seinem Examen arbeitete er im Lettischen Staatsarchiv (Latvijas PSR Centrālais Valsts Vēstures Arhīvs). Er spezialisierte sich auf die Geschichte der lettischen Arbeiterbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts und publizierte Studien u.a. zur Geschichte des 1. Mai. Als er für eine im Jahre 1965, zum 20. Jahrestag des Kriegsendes, erschienene Gedenkschrift des Lettischen Staatsarchivs für die Opfer des Zweiten Weltkrieges ein – sicherheitshalber vorsichtig formuliertes – Kapitel über den Holocaust schrieb,[3] wurde er entlassen und sein Beitrag nicht abgedruckt. Denn darin hatte er die damals geltende Sprachregelung übertreten, der zufolge die lettischen Juden als Bürger der Sowjetunion ermordet worden waren (und nicht als Teil des jüdischen Volkes).[4][5] Gleichwohl erforschte er, neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Lehrer und der nebenberuflichen als Journalist,[1] weiterhin – diskret – die jüdische Geschichte in Lettland.

Im unabhängigen Lettland

Seit der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Lettlands 1990/91 konnte er sich dieser Aufgabe uneingeschränkt widmen. Im Jahre 1990 eröffnete Marģers Vestermanis in Riga das Museum Juden in Lettland.[5]

Er war Mitglied der 1998 einberufenen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte Lettlands unter deutscher und sowjetischer Herrschaft im 20. Jahrhundert und der Kollaboration von Letten mit diesen. Als Berater ist er an einem Dokumentarfilm über den Massenmord an Juden im Wald von Rumbula 1941 beteiligt, der 2016 fertiggestellt sein soll.[6]

An der Universität Lettlands in Riga ist Marģers Vestermanis Dozent für die jüdische Geschichte Lettlands und den Holocaust in Lettland.[1] Über den Holocaust in Lettland hielt er, als Historiker und Zeitzeuge zugleich, zahlreiche Vorträge in seinem Heimatland wie auch in Deutschland.[7]

Auszeichnungen

Schriften (in Auswahl)

  • Pirmais maijs Latvijā, 1893–1919. Vēsturiska izzin̡a. Latvijas valsts izdevniecīva, Riga 1957 (lettisch; deutsche Übersetzung des Titels: Der Erste Mai in Lettland, 1893–1919. Ein historisches Aufblühen).
  • Ar Lībknehta Vāciju. Latvijas un Vācijas proletariāta kopīgās revolucionārās cīņas 1917–1919. Latvijas Valsts Izdevniecība, Riga 1960 (lettisch; deutsche Übersetzung des Titels: Mit Liebknecht in Deutschland. Der gemeinsame revolutionäre Kampf des Proletariats Lettlands und Deutschlands 1917–1919).
  • Der Rote Oktober und die Revolutionierung der 8. Deutschen Armee im Baltikum 1917–1918. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Jg. 11 (1969), S. 87–101.
  • Das SS-Seelager Dondauga – ein Modell für die geplante nationalsozialistische „Neuordnung Europas“. In: Militärgeschichte, hg. vom Militärgeschichtlichen Institut der Deutschen Demokratischen Republik, Jg. 25 (1986), Heft 2, S. 145f.
  • Der lettische Anteil an der „Endlösung“. Versuch einer Antwort. In: Uwe Backes, Eckhard Jesse, Rainer Zitelmann (Hg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus. Propyläen, Berlin 1990. ISBN 3-549-07407-7. S. 426–449.
  • Fragments of the Jewish history of Riga. A brief guide-book with a map for a walking tour. Museum and Documentation Centre of the Latvian Society of Jewish Culture, Riga 1991.
  • Der „Holocaust“ in Lettland. Zur „postkommunistischen“ Aufarbeitung des Themas in Osteuropa. In: Arno Herzig, Ina Lorenz (Hg.): Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus. Shlomo Na’aman zum 80. Geburtstag am 10. November 1992. Hans Christians Verlag, Hamburg 1992. ISBN 3-7672-1173-4. S. 101–130.
  • Juden in Riga. Auf den Spuren des Lebens und Wirkens einer ermordeten Minderheit. Ein historischer Wegweiser. 3. Aufl., Edition Temmen, Bremen 1995, ISBN 3-86108-263-2.
  • Der Holocaust im öffentlichen Bewußtsein Lettlands. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Jg. 5 (1996), S. 35–45.
  • Ortskommandatur Libau. Zwei Monate deutscher Besatzung im Sommer 1941. In: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1997. ISBN 3-86150-198-8. S. 241–259.
  • Die nationalsozialistischen Haftstätten und Todeslager im okkupierten Lettland (1941–1945). In: Ulrich Herbert, Karin Orth, Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1933–1945. Bd. 1. Wallstein-Verlag, Göttingen 1998. ISBN 3-89244-289-4. S. 472–491.
  • Retter im Lande der Handlanger. Zur Geschichte der Hilfe für Juden in Lettland während der „Endlösung“. In: Wolfgang Benz, Juliane Wetzel (Hg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien. Bd. 2: Ukraine, Frankreich, Böhmen und Mähren, Österreich, Lettland, Litauen, Estland. Metropol, Berlin 1998. ISBN 3-926893-48-6. S. 231–272.
  • Holocaust in Lettland. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Tragödie. Muzejs un dokumentācijas centrs Ebreji Latvijā, Riga 1999.
  • (mit Leo Dribins und Armands Gūtmanis): Latvijas ebreju kopiena. Vēsture, traģēdija, atdzimšana. Latvijas Vēstures Institūta Apgāds, Riga 2001. ISBN 9984-601-64-1 (lettisch; deutsche Übersetzung des Titels: Lettlands jüdische Gemeinschaft. Geschichte, Tragödie, Wiedergeburt). (NB: Das Buch entstand aus der Arbeit der oben erwähnten Historikerkommission.)
  • Die Konzentrationslager für Juden während der nationalsozialistischen Besatzungszeit in Lettland 1943 bis 1944. In: Stefan Karner, Philipp Lesiak, Heinrihs Strods (Hg.): Österreichische Juden in Lettland. Flucht – Asyl – Internierung. Studien-Verlag, Innsbruck 2010. ISBN 978-3-7065-4871-7. S. 149–162.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Marģers Vestermanis: Versuch einer Selbstbiographie. In: Shalom. Das europäische jüdische Magazin, Heft Herbst 2000, abgerufen am 1. Mai 2014.
  2. Datenblatt mit den Metadaten zur Aufnahme eines Interviews mit Marģers Vestermanis im Jahre 1998.
  3. Latvijas PSR Ministru Padomes Arhīvu Pārvalde (Hg.): Mēs apsūdzam. Liesma, Riga 1965 (lettisch; deutsche Übersetzung des Titels: Wir klagen an).
  4. Lucas Melle Bruyn: Interview mit Marģers Vestermanis, 20. Februar 1996, abgerufen am 1. Mai 2014.
  5. 5,0 5,1 5,2 Nadja Cornelius: „Ein seltener Mensch“. Lettland: Der jüdische Historiker Margers Vestermanis erhielt Herbert-Samuel-Preis in Riga. In: Jüdische Allgemeine, 1. März 2007.
  6. http://www.rumbulasecho.org/filmmakers.shtml
  7. „Wir haben unseren Tod um mehr als 50 Jahre überlebt“ – Der Holocaust in Lettland, abgerufen am 1. Mai 2014.
  8. Latvian Academy of Sciences: Yearbook 2010–2011. Latvijas Zinātņu akadēmija, Riga 2011, S. 98.

Weblinks

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Marģers Vestermanis aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.