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Jüdische Gemeinde Kempten (Allgäu)

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Eine erste Jüdische Gemeinde in Kempten (Allgäu) oder Ansiedlung von Juden lässt sich bis in das 14. Jahrhundert belegen. 1875 schloss sich die Kemptener Gemeinde mit der aus Memmingen auf Drängen der Schwäbischen Regierung zusammen. Diesen Wunsch seitens der Regierung wurde seit 1872 geäußert.[1] Nach der Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus gründete eine geringe Zahl an Juden im Jahr eine neue jüdische Gemeinde, die jedoch kurz darauf wieder erlosch.

Geschichte

Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus von Andor Ákos

Einzelne Juden lebten in Kempten schon im Mittelalter. Belegbar sind jüdische Einwohner in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Im Jahr 1373 bekam die Stadt von Karl IV. neben vielen weiteren Rechten, das Recht des Judenschutzes für sechs Jahre. Im Jahr 1401 lebte in der Stadt kein einziger Jude. Wenige Jahre später, im Jahr 1409, wurde ein Jude namens Lazarus als Bürger aufgenommen. 1414 waren Juden ebenso in der Stadt. Jedoch war im Jahr 1561 die Niederlassung von Juden in Kempten nicht mehr erlaubt.[2][3]

Im Jahr 1692 wurde der aus Ansbach stammende jüdische Hoffaktor Mayr Seligmann mit seiner Familie für einige Jahre im Fürststift Kempten aufgenommen. Seligmann verstarb sechs Jahre später. Sein Wohnhaus stand in der heutigen Herbststraße, diese wurde lange Zeit „Judengasse“ genannt.[2] Später waren bis zu 62 Juden im Fürststift tätig.[3]

Judenhaus, auch Haus Ullmann an der Immenstädter Straße

In der Mitte des 19. Jahrhunderts durften sich Juden in der Stadt wieder ansiedeln. Einer der ersten in Kempten war der 1856 zugezogene Bataillonsarzt David Ullmann. 1869 kamen drei Bankiers nach Kempten: Nathan und Hermann Ullmann aus Osterberg sowie Moritz Löb Einstein.[1] Seit dieser Zeit stieg die Zahl der Juden dank Zuwanderer aus Altenstadt, Fellheim und Osterberg an. War im Jahr 1871 eine Zahl von 37 Juden bei insgesamt 11.223 Einwohnern in Kempten bekannt, stieg die Zahl der Juden bis in das Jahr 1880 auf 72 bei insgesamt 13.872 Einwohnern. 1890 waren es zehn weniger, 1900 stieg die Zahl der jüdischen Einwohner auf 68. Die Stadt hatte zu diesem Zeitpunkt insgesamt 18.864 Einwohner. Im Jahr 1910 lebten in Kempten 91 Angehörige des Judentums. Die Integration der Juden in Kempten schritt dabei jedoch schnell voran. Der von 1913 bis 1942 amtierende Vorsteher des jüdischen Gemeinde Sigmund Ullmann war von 1912 bis 1919 Magistratsrat und von 1922 bis 1925 Mitglied im Stadtrat. Viele der jüdischen Familien gründeten und erbauten Fachgeschäfte und Bankhäuser in der Stadt. An diese Familien erinnern heute über die ganze Stadt verteilte Stolpersteine.[2] Im Ersten Weltkrieg fielen zwei Personen aus der jüdischen Gemeinde in Kempten. Keine der beiden Personen ist auf einem der Kriegerdenkmälern der Stadt verzeichnet. Schon kurz nach dem Krieg setzte die antisemitische Hetze und Judenfeindlichkeit ein. Juden wurden zunehmend öffentlich diffamiert, ebenso wurden Flugblätter verteilt. Auf diesen standen Phrasen wie beispielsweise „Kriegsanstifter, Kriegsgewinnler und Drückeberger“.[1][2]

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1933 lebten in Kempten 50 jüdische Einwohner. In diesem Jahr traten Leute der Sturmabteilung vor die jüdischen Geschäfte und forderten die Schließung der Geschäfte. Von der Bevölkerung wurde dies toleriert. Der Oberbürgermeister Otto Merkt verurteilte diese Aktionen in der nächsten Stadtratssitzung scharf.[1] Aufgrund des Antisemitismus zog ein Teil der jüdischen Familien weg. Beim Novemberpogrom im Jahr 1938 kam es vereinzelt zu Ausschreitungen. Es wurden Fenster eingeworfen, Häuser und Wohnungen durchsucht und jüdische Männer verhaftet. Drei Männer kamen in das Konzentrationslager Dachau, am 17. Mai 1939 wurden in Kempten noch 25 Juden gezählt. Bis 1939 verließen 26 von 62 Juden die Stadt.[3] 1942 wurden die 14 der letzten 20 Juden deportiert. Die Juden wohnten in dieser Zeit im sogenannten Judenhaus (auch Haus Ullmann) an der Immenstädter Straße. Zehn weitere Juden wurden über München in das Ghetto Lublin transportiert, vier Juden kamen am 10. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt. Auch hier protestierte der Bürgermeister Otto Merkt, der sich schon 1933 geweigert hat die Hakenkreuzflagge am Kempten zu hissen und daraufhin in Gefangenschaft kam, wegen der Deportierung älterer Juden. Merkt wurde daraufhin vom Oberbürgermeisteramt herabgesetzt.[4] Sechs in Mischehe befindliche Juden durften in der Stadt bis zum 22. Februar 1945 bleiben, denn da wurden drei von ihnen ebenso in das Ghetto Theresienstadt verbracht.[2]

1995 errichtetes Denkmal am Stadtpark: „Den Toten zur Erinnerung den Lebenden zur Mahnung“
Mahnmal aus dem Jahr 1996, erstellt von der Robert-Schuman-Volksschule

In der NS-Zeit sind folgende Personen umgekommen, in Klammer das Geburtsdatum:[2]

  • Moritz Eisenstein (1904),
  • Elise Goldschmidt geb. Rosenthal (1868),
  • Hedwig Hauser geb. Tennenbaum (1884),
  • Oskar Hauser (1888),
  • Irmgard (Irma) Heilbronner geb. Lebrecht (1879),
  • Bella Kleeblatt (1902),
  • Marta Kleeblatt (1904),
  • Hedwig Kohn (1885),
  • Julius Kohn (1880),
  • Mathilde Kohn geb. Laudenbacher (1858),
  • Edith Landauer (1891),
  • Elsa Liebenthal (1895),
  • Gertrud Liebenthal (1889),
  • Wilhelm Liebenthal (1880),
  • Irene Linz geb. Reiss (1889),
  • Rosa Löw geb. Hammel (1879),
  • Siegfried Mayer (1895),
  • Martha Neustädter (1888),
  • Cilli Scher (1921),
  • Leopold Schwabacher (1899),
  • Siegfried Sichel (1910),
  • Julius Traub (1870),
  • Irma Ullmann (1887),
  • Sigmund Ullmann (1854),
  • Louis Victor (1880),
  • Albert Vogel (1882),
  • Julie Walter geb. Schmal (1869),
  • Samuel Walter (1853),
  • Josef Wassermann (1875),
  • Rosl Wertheimer geb. Ullmann (1890).

Das Kriegsende erleben in Kempten nur zwei Jüdinnen sowie acht Halbjuden.[5] 1945 kehrten fünf ehemalige Gemeindemitglieder nach Kempten zurück und gründeten 1947 eine neue Religionsgemeinschaft. Sie bestand aus Displaced Persons und hatte 54 Mitglieder. Kurz nach der Abwanderung dieser Personen erlosch die Gemeinde im Jahr 1948.[2] Es wird sowieso angezweifelt, ob die 54 Juden aus den östlichen Nachbarländern überhaupt regelmäßig zum Kultus getroffen haben.[5]

Lange Zeit wurde der Holocaust ausgeschwiegen, erst der Stadtjugendring unternahm 1988 mit einem Fackelzug einen ersten Vorstoß für eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Für die Opfer des Kemptener Holocaust stellte der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden im Jahr 1995 einen Gedenkstein auf. Ein Jahr später stellte die Robert-Schuman-Volksschule ein Mahnmal für die Opfer der NS-Herrschaft auf.[6]

Im Sommer 2001 machte das Landgericht Kempten das sogenannte „Zigeunerjuden“-Urteil. Hierbei entschied das Gericht, dass die Bezeichnung „Zigeunerjude“ als keine Formalbeleidigung, kein Angriff gegen die Menschenwürde oder als Schmähkritik angesehen werde könne. In der Urteilsbegründung wurde die Bezeichnung einer Person als „Zigeunerjude“ aber kritisiert: „Dennoch erachtet das Gericht die zusammengesetzte Verwendung dieser Begriffe in der Bezeichnung als ‚Zigeunerjude‘, insbesondere einem jüdischen Mitbürger gegenüber […] als verletzend und herabwürdigend und damit als beleidigend.“[7][8][9][10]

Spuren jüdischen Lebens

Ein angemieteter Nebenraum des Landhauses diente den Juden in Kempten für Gottesdienste
Gedenktafel zum KZ-Außenlager Kempten an der Tierzuchthalle

Heute erinnern in Kempten ein Gedenkstein für die Opfer des Holocaust in Kempten und ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus steht auf dem Friedensplatz am Stadtpark in der Nähe des Zumsteinhauses.[3] Auf dem Gedenkstein ist folgendes zu lesen:

Zum Gedenken
an die jüdischen Bürger
unserer Stadt die während
der nationalsozialistischen
Herrschaft verfolgt wurden
und am 30.3 u. 10.8.1942 in die
Vernichtungslager deportiert worden sind.

Den Toten zur Ehre
den Lebenden
zur Mahnung

Errichtet im Jahre 1995
vom Landesverband der
Israelitischen Kultusgemeinden
in Bayern

Seit Sommer 2010 werden in Kempten Stolpersteine in den Boden eingelassen. Der Platz vor dem Müßiggengelzunfthaus wurde 1997 nach Sigmund Ullmann benannt.[2]

Synagoge

Die jüdische Gemeinde in Kempten war im Vergleich zu anderen Städten in Schwaben verhältnismäßig klein. Gottesdienste wurden zeitweise in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Memmingen abgehalten. 1875 mietete die Kemptener Gemeinde ein Nebenraum im Landhaus. 1936 oder 1937 wurde am Betsaal ein Schild angebracht „Juden unerwünscht“. Beim Novemberpogrom 1938 gab es gegen den Betsaal keine Ausschreitungen. Auch die Ritualgegenstände blieben erhalten, nachdem sie der damalige Oberbürgermeister Otto Merkt für das Heimatmuseum angekauft hatte und sie heimlich in seinem Amtszimmer im Rathaus versteckt hatte.[2] Die Gottesdienstgegenstände bleiben bis in die 80er Jahre im Besitz der Stadt bis sie an die Augsburger Synagoge abgegeben wurden.[5]

Jüdischer Friedhof

Auf dem kleinem jüdischen Friedhof, der direkt am Katholischen Friedhof anliegt, befinden sich weitere Gedenksteine an die Opfer der NS-Diktatur.[2] Am Friedhof erinnern zwei Gedenksteine an die Opfer der NS-Verfolgung.[5]

KZ-Außenlager

In Kempten befand sich ein KZ-Außenlager, in welchem Juden zwangsbeschäftigt wurden. Es befand sich zunächst in der Spinnerei und Weberei Kempten, wurde später jedoch in die nahe gelegene Tierzuchthalle (auch Allgäuhalle) untergebracht. Heute erinnert ein Schild an der Tierzuchthallle an die dort mit Zwangsarbeitern stattgefundene Rüstungsproduktion.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Franz Rasso Böck, Ralf Lienert, Joachim Weigel: JahrhundertBlicke auf Kempten 1900–2000. Verlag Tobias Dannheimer – Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten (Allgäu) 1999, ISBN 3-88881-035-3, S. 251.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 2,9 Kempten (Kreisstadt, Bayern): Jüdische Geschichte/Synagoge. Alemannia Judaica, 26. Mai 2011, abgerufen am 30. April 2012.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Jüdisches Leben in Kempten. juedisches-schwaben-netzwerk.de, abgerufen am 30. April 2012.
  4. Ralf Lienert: Ein Allgäuer Dickschädel. In: Allgäuer Zeitung, 12. April 2011.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Franz Rasso Böck, Ralf Lienert, Joachim Weigel: JahrhundertBlicke auf Kempten 1900–2000. Verlag Tobias Dannheimer – Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten (Allgäu) 1999, ISBN 3-88881-035-3, S. 252.
  6. Aufschriften auf dem Gedenkstein und auf der Metallplatte des Mahnmals
  7. Fränkischer Tag: Freie Meinungsäußerung - Richter begründet „Zigeunerjuden“-Urteil, 15. September 2001
  8. Stuttgarter Zeitung: Gericht begründet „Zigeunerjuden-Urteil“ 15. September 2001
  9. Frankfurter Rundschau: „Zigeunerjude“ für Richter kein Angriff auf Würde, 14. September 2001
  10. Sammlung von Presseartikeln zum Gerichtsurteil „Zigeunerjude“, abgerufen am 30. April 2012.

Literatur

  • Ralf Lienert: Die Geschichte der Juden in Kempten. Kempten (Allgäu) 1998.
  • Karl Filser: Zur jüngeren Geschichte der Juden in Kempten. In: Peter Fassl (Hrsg.): Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. Irseer Schriften 2. Sigmaringen 1994, S. 105–116.
  • Wolfgang Kraus, Berndt Hamm und Meier Schwarz (Hrsg.): „Mehr als Steine...“ Synagogen-Gedenkband Bayern. Band I: Oberfranken - Oberpfalz - Niederbayern - Oberbayern - Schwaben. Kunstverlag Josef Fink Lindenberg im Allgäu, ISBN 978-3-98870-411-3, S. 488–493.
  • Franz Rasso Böck, Ralf Lienert, Joachim Weigel: JahrhundertBlicke auf Kempten 1900–2000. Verlag Tobias Dannheimer – Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten (Allgäu) 1999, ISBN 3-88881-035-3, S. 251f..

Weblinks

 Commons: Jüdische Gemeinde in Kempten (Allgäu) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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