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Urheimat

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Unter Urheimat versteht man das durch linguistische oder archäologische Methoden erschlossene, wahrscheinliche Gebiet, in dem eine bestimmte, meist ebenfalls erschlossene Protosprache, also die gemeinsame Urform einer Sprachfamilie, gesprochen wurde. Im weiteren Sinne versteht man unter Urheimat das Herkunftgebiet historisch belegter oder noch existierender Völker oder Volksgruppen.

Der Begriff ist stark durch romantische Denken des 19. Jahrhunderts geprägt und sperrt sich in seinen Konnotationen einem modernen wissenschaftlichen Verständnis.

Entstehung und Verwendung des Begriffs Urheimat

Der Begriff Urheimat wird heute als deutsches Fremdwort auch im Englischen gebraucht. Der Begriff ist in der Diskussion um die Herkunft der Sprecher der rekonstruierten indogermanischen Ursprache, die man mit linguistischen und archäologischen Argumenten einzugrenzen suchte, im 19. Jahrhundert aufgekommen. Die Fragestellung griff die antike und mittelalterliche Vorstellung einer Origo gentis auf. Da man sprachliche Vorformen auf verschiedenen Ebenen erschließen kann, gibt es auch zeitlich aufeinanderfolgende „Urheimaten“. Seitens der Linguistik wird heute indes die Meinung vertreten, dass Sprachgemeinschaften selten homogen sind und oft keine gemeinsame ethnische oder nationale Identität hatten.[1]

Während im deutschsprachigen Raum der Begriff „Urheimat“ im wissenschaftlichen Kontext nur noch selten gebraucht wird, wird der Terminus in der englischen wissenschaftlichen Literatur heute auch auf die Frage der Herkunftgebiete nichtindogermanischer Völker bzw. Sprachgruppen angewendet.

Indogermanische Urheimat

Wie für jede natürliche Sprache ist auch für das rekonstruierte Ur-Indogermanisch eine Sprachgemeinschaft vorauszusetzen, die zur Zeit ihrer Ausprägung in einem bestimmten geographischen Raum lebte, der allgemein als Urheimat bezeichnet wird.

Es sind weder Zeit noch Raum bekannt und daher Gegenstand vieler Spekulationen.

Von den vielen Urheimat-Hypothesen werden in letzter Zeit nur noch die folgenden beiden intensiv diskutiert:

  • Die Steppen- oder Kurgan-Hypothese, die nach vielen Vorarbeiten besonders von der Archäologin Marija Gimbutas systematisiert wurde und heute vor allem von dem amerikanischen Archäologen David W. Anthony bearbeitet und vertreten wird.

A. Häusler dagegen lehnt als Vertreter der sogenannten Antimigrationisten eine Urheimat mit anschließenden Wanderungen überhaupt ab und vertritt die These eines allmählichen Zusammenwachsens.

Viele vor 50 Jahren noch verbreitete Begründungen finden sich zwar noch in Schulbüchern, obwohl sie seit langem überholt sind. Bekannte Beispiele sind das Buchen- und das Lachsargument. Das rekonstruierte indogermanische Wort *bʰāg-ó-s hat heute so viele unterschiedliche Bedeutungen, dass die ursprüngliche Bedeutung nicht erschließbar ist. Ähnlich ist es mit dem rekonstruierten Stamm *lak̑-so-s (vgl. [2])

Mit teilweise sehr willkürlichen Übersetzungen versuchten Gamqrelidse und Iwanow (1995), die indogermanische Urheimat südlich des Kaukasus zu begründen. Diese Hypothese wird heute nicht mehr akzeptiert.

Indoiranische Urheimat

Innerhalb des östlichen Indogermanischen bilden die iranischen und indo-arischen Sprachen (Sanskrit) eine klar unterscheidbare Einheit. Als Sprecher der proto-indoiranischen Sprache gelten allgemein die Träger der Kultur des Andronovohorizonts des späten dritten und frühen zweiten Jahrtausends v. Chr.

Baltoslavische Urheimat

Eine gemeinsame balto-slawische Zwischenstufe wird in der Indogermanistik weiterhin diskutiert. Die slavische Urheimat hat Jürgen Udolph [3] mit Hilfe der Gewässernamenkunde im Bereich der nordöstlichen Karpathen verortet.

Westliches Indogermanisch

Das westliche Indogermanisch teilt sich in die drei Sprachfamilien Italisch, Keltisch und Germanisch.

Germanische Urheimat

Bei den Vorläufern der germanischen Stämme ist umstritten, inwiefern sich diese in Norddeutschland und dem südlichen Skandinavien oder doch etwas südlich davon, etwa im heutigen Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, herausgebildet haben. Letzteres wird z. B. von Jürgen Udolph mit seiner Interpretation von Orts- und Gewässernamen begründet.

Keltische Urheimat

Die keltische Urheimat wird meist im Kerngebiet der La-Tène- und der ihr vorangegangenen Hallstatt-Kultur angenommen. Zentrum der Hallstatt-Kultur (ca. 750 bis 475 v. Chr.) war das Gebiet des westlichen Österreichs und Bayerns, Kerngebiet der La-Tène-Kultur war der nordwestlich angrenzende Gebiet in Teilen des heutigen Baden-Württembergs und der Schweiz. Da die keltische Ethnizität und (Proto-)Sprache aber vermutlich älter und die Hallstatt-Kultur kontinuierlich aus der Urnenfelderkultur hervorgegangen ist, gilt auch deren Ausgangsgebiet als mögliche keltische Urheimat. Dieses Ausgangsgebiet umfasst allerdings weite Teile des südlichen Mitteleuropas. Innerhalb dieses Gebietes nehmen die Linguisten Jürgen Udolph und seit kurzem auch Peter Busse aufgrund von Gewässernamen das Westalpengebiet und das (obere) Rhonetal als Ausgangsgebiet der (proto-)keltischen Sprache an.[4]

Italische Urheimat

Eine Urheimat der italischen Sprachen außerhalb Italiens ist unbekannt. Da die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den west-indogermanischen Sprachen in der Indogermanistik je nach Autor verschieden stark gesehen werden, sind Schlüsse hieraus mit großer Vorsicht zu betrachten. Euler/Badenheuer [5] sehen eine besondere Nähe zum Keltischen und Germanischen, und vermuten dann eine Urheimat in Böhmen. Archäologische Funde dagegen deuten auf die Badische Kultur im Karpathenbogen als kelto-italische Urheimat, die stark beiderseits der Alpen ausstrahlte, was im Norden zur Herausbildung der keltischen, im Süden der italischen Sprachen geführt haben kann.[6]

Finno-ugrische Völker bzw. Sprachgruppen

Die Festlegung der Urheimat des Proto-Uralischen ist wegen des hohen Alters dieser Protosprache eine schwierige Aufgabe. Die verschiedenen Klassifikationstheorien korrespondieren dabei eng mit Hypothesen über die Ausbreitung der jeweiligen sprachlichen Untergruppe von einer angenommenen Urheimat in ihren heutigen geographischen Raum. Man nimmt allgemein an, dass das Ausgangsgebiet der finno-ugrischen Sprachen im zentralen oder südlichen Uralgebiet mit einem Zentrum westlich des Gebirgszuges zu lokalisieren ist. Als erste trennten sich offenbar die Vorfahren der heutigen Samojeden und zogen ostwärts. Diese Trennung erfolgte vor mindestens 6000, wenn nicht 7000 Jahren, was aus der relativ geringen Zahl (ca. 150) gesamt-uralischer Wortgleichungen zu schließen ist. Die Aufspaltung des Samojedischen in die heutigen Sprachen begann wohl erst vor etwa 2000 Jahren.

Die finno-ugrische Gruppe war von Anfang an die bei weitem größere. Erste Aufspaltungen dieser Gruppe gehen mindestens auf das 3. Jt. v. Chr. zurück. Wie erwähnt, ist die Reihenfolge der Abspaltungen und damit der Verlauf der Ausdehnung der finno-ugrischen Sprachen seit etwa 1970 (wieder) strittig. Seit Donner 1879 wurde allgemein angenommen, dass sich das Ugrische als erste Gruppe vom Finno-Ugrischen trennte und als Rest die finno-permische Einheit zurückließ. Die neueren Resultate (Sammallahti 1984 und 1998, Viitso 1996) sehen dagegen die samisch-finnische Gruppe als eine periphere Einheit an, die zuerst und zwar schon im 3. Jt. v. Chr. vom finno-ugrischen Kern abrückte. Es folgten das Mordwinische und das Mari (etwa um 2000 v. Chr.) und schließlich das Permische in der Mitte des 2. Jts. v. Chr. Als Kern blieben die Sprachen zurück, aus denen sich das Ugrische entwickelte. Wohl bereits 1000 v. Chr. kann man die Trennung des Ungarischen von den obugrischen Sprachen ansetzen. Die Ungarn (Selbstbezeichnung: Magyaren) zogen seit 500 n. Chr. zusammen mit türkischen Stämmen westwärts und erreichten und eroberten das schwach besiedelte Karpatenbecken 895 n. Chr. (Der Name Ungar stammt aus dem Tschuwaschischen oder Bolgar-Turkischen von on-ogur = zehn Ogur-Stämme.)

Siehe auch

Literatur

  • Wolfram Euler, Konrad Badenheuer: Sprache und Herkunft der Germanen – Abriss des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung, London/Hamburg 2009, ISBN 978-3-9812110-1-6.
  • James P. Mallory: In Search of the Indo-Europeans: Language, Archaeology, and Myth <Die Suche nach den Indogermanen: Sprache, Archäologie und Mythos>, Thames & Hudson, London 1989.
  • James P. Mallory: The homelands of the Indo-Europeans (Die Heimatgebiete der Indogermanen). In: Roger Blench, Matthew Spriggs (Hrsg.): Archaeology and Language, Band I: Theoretical and Methodological Orientations, London 1997.
  • Jürgen Udolph: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem (Reallexikon der germanischen Altertumskunde; Bd. 9). DeGruyter, Berlin 1994, ISBN 3-11-014138-8.
  • Jürgen Udolph: Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen. Ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat der Slaven. Winter, Heidelberg 1979, ISBN 3-533-02818-6.
  • Sven Lagerbring: İsveççenin Türkçe ile Benzerlikleri/Verwandtschaft zwischen der schwedischen Sprache und den Turksprachen. 1. Auflage. İstanbul 2008, ISBN 978-975-343-524-6. (türkisch)
  • Jansson, Prof. Sven B.F.: Runes in Sweden; translated by Peter Foote, Gidlunds, Varnamo, Sweden 1987. (English edition of Runinskrifter i Sverige, AWE/Gebers 1963). The photographs of the stone monuments in Sweden (Appendix A) are provided in Prof. Jansson's book. The inscriptions are clearly legible in these photographs.
  • Buyuk Larousse, Interpress-Milliyet, Istanbul, Turkiye 1993; The Turkish edition of Grand Dictionnaire Encyclopedique, Larousse (GDEL), Paris, France. The Gokturk alphabet used in this article is taken from the encyclopedia's entry Gokturkce on page 4678, vol. 9. (Appendices B and C).
  • Ergin, Muharrem: Orhun Abideleri; Bogazici Yayinlari, Istanbul, Turkiye 1988. More specific information on the Gokturks and their inscription is accessible in Prof. Ergin's concise book. antalyaonline.net
  • K. A. Akischew: Kurgan Issyk: Iskusstwo sakow Kasachstana. (Искусство саков Казахстана), Moskau 1978.
  • Tamas Gamqrelidse, Wjatscheslaw Wsedolowitsch Iwanow: Indo-European and the Indo-Europeans. vol. I-II, Mouton de Gruyter, Berlin/ New York 1995, ISBN 3-11-009646-3.
  • C. W. Ceram: Enge Schlucht und Schwarzer Berg, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1966, ISBN 3-499-16627-5.

Weblinks

Wiktionary: Urheimat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Wolfram Euler, Konrad Badenheuer: Sprache und Herkunft der Germanen - Abriss des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung. ISBN 978-3-9812110-1-6, London/Hamburg 2009, S. 43–50.
  2. A. Richard Diebold jr.: Contributions to the IE salmon problem. In: Current Progress in Historical Linguistics, Proceedings of the Second International Conference on Historical Linguistics. Amsterdam 1976, ISBN 0-7204-0533-5, S. 341–387 (= North-Holland Linguistic Series 31)
  3. Udolph, Jürgen. Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen: e. Beitr. zur Frage nach d. Urheimat d. Slaven. Vol. 17. Winter, 1979.
  4. Quelle: P. Busse: Hydronymie und Urheimat: Ein neuer Ansatz zur Lokalisierung der Urheimat der Kelten? In: Helmut Birkhan (Hrsg.): Kelten-Einfälle an der Donau. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2005.
  5. vgl. Wolfram Euler 2009, S. 24–27.
  6. David W. Anthony: The Horse, the Wheel, and Language. How Bronze-age Riders from the Steppes Shaped the Modern World. Princeton University Press, Princeton u.a. 2007, S. 367
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