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Tschandala

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Tschandala ist eine ältere deutsche und schwedische Transkription des Wortes Chandala. Die Schreibweise Tschandala wurde von Friedrich Nietzsche und August Strindberg verwendet.

Nietzsches „Tschandala“

Verwendung des Begriffs bei Nietzsche

Nietzsche verwendet den Begriff in seinen Schriften Götzen-Dämmerung[1] und Der Antichrist.[2] Darin stellt er das „Gesetzbuch des Manu“ mit dessen Kastensystem als Beispiel für eine intelligent geplante „Züchtung“ von Menschen gegen den Versuch des Christentums, den Menschen zu „zähmen“.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Nietzsche dabei dem „Tschandala“, den er bei Manu als ein Produkt der unkontrollierten Mischung aus Rassen und Klassen sieht, oder, wie Nietzsche Manu zitiert, als „die Frucht von Ehebruch, Incest und Verbrechen“.[3]

Nietzsche beschreibt zunächst Methoden der christlichen Menschenverbesserung. Zentrale Metapher ist dabei das dressierte Raubtier in der Menagerie, das scheinbar verbessert, in Wirklichkeit geschwächt und seiner Lebendigkeit beraubt sei. Als Entsprechung sieht Nietzsche den vom Christentum dressierten Germanen.

Das Gesetzbuch des Manu sei dagegen auf Züchtung einer hohen Menschenrasse aus und müsse daher unnachgiebig gegen jede Rassenmischung sein. Nietzsche beschreibt diese Gesellschaftsorganisation als „furchtbar“ und „unserem Gefühl widersprechend“, aber als reinsten und ursprünglichen Ausdruck „arischer Humanität.“ Er legt die brutalen Vorschriften zum Umgang mit den Tschandala, die im Grunde auf Demütigung und physische Vernichtung hinauslaufen, als Kampf der Starken gegen die Masse der Schwachen aus:

„Aber auch diese Organisation hatte nöthig, furchtbar zu sein, – nicht dies Mal im Kampf mit der Bestie, sondern mit ihrem Gegensatz-Begriff, dem Nicht-Zucht-Menschen, dem Mischmasch-Menschen, dem Tschandala. Und wieder hatte sie kein andres Mittel, ihn ungefährlich, ihn schwach zu machen, als ihn krank zu machen, – es war der Kampf mit der ‚grossen Zahl‘.“[4]

Laut Nietzsche ist nun allerdings das Christentum, entstanden aus dem Judentum, die Religion des Tschandala. Er deutet an, dass das Judentum tatsächlich von den „Tschandalas“ kommt:

„Das Christenthum, aus jüdischer Wurzel und nur verständlich als Gewächs dieses Bodens, stellt die Gegenbewegung gegen jede Moral der Züchtung, der Rasse, des Privilegiums dar: – es ist die antiarische Religion par excellence: das Christenthum die Umwerthung aller arischen Werthe, der Sieg der Tschandala-Werthe, das Evangelium den Armen, den Niedrigen gepredigt, der Gesammt-Aufstand alles Niedergetretenen, Elenden, Missrathenen, Schlechtweggekommenen gegen die ‚Rasse‘, — die unsterbliche Tschandala-Rache als Religion der Liebe …“[5]

In seiner Schrift Der Antichrist lobt Nietzsche noch einmal das Gesetzbuch des Manu. Zwar verwende es wie jede Moral die „heilige Lüge“ als Mittel, aber sein Zweck sei unendlich viel höher als der des Christentums. Nietzsche stellt die Weltanschauung der „geistigsten“ und „stärksten“ Menschen, die alles, sogar die Existenz der Tschandalas, bejahen können, gegen den neidischen und rachsüchtigen Instinkt der Tschandalas selbst (vergleiche Herrenmoral und Sklavenmoral). Der Begriff Tschandala wird von Nietzsche noch auf verschiedene Gegner gemünzt, etwa auch auf sozialistische Strömungen seiner Zeit.

Auch in einigen nachgelassenen Aufzeichnungen Nietzsches findet sich seine Beschäftigung mit dem Gesetzbuch des Manu, das er stellenweise auch kritisiert. In einem Brief an Heinrich Köselitz vom 31. Mai 1888[6] erklärte Nietzsche die Juden zur „Tschandala-Rasse“, die die „arische“ Ethik der Veden zu einer Priester-Ethik umfunktioniert und damit den ursprünglichen Sinn zerstört habe.

Nietzsches fehlerhafte Quelle

Nietzsche bezog seine vermeintlichen Kenntnisse aus dem 1876 erschienenen Buch Les législateurs religieux. Manou, Moïse, Mahomet des französischen Indologen und Schriftstellers Louis Jacolliot. Laut (Lit.: Etter) weicht diese Übersetzung des Manusmriti von anderen Quellen teilweise deutlich ab, auch an den von Nietzsche benutzten und zitierten Stellen. So findet sich etwa die von Nietzsche hervorgehobene und dem Christentum entgegengesetzte Achtung vor der Frau in den üblichen Versionen des Textes nicht.

In seiner Deutung des Tschandala, den Nietzsche immer wieder mit Juden- und Christentum zusammenstellt, ist Nietzsche offenbar einem längeren Exkurs Jacolliots gefolgt, in dem dieser laut Etter eine „unglaubliche, abstruse und wissenschaftlich völlig unhaltbare Theorie“ entwickelt. Jacolliots Theorie zufolge sind unter anderem alle semitischen Völker, insbesondere also die Hebräer, Nachkommen ausgewanderter Tschandala-Stämme. Auch wenn Nietzsche dies nie so direkt äußert, gehen einige seiner Äußerung eindeutig in diese Richtung – obwohl, wie Etter feststellt, Nietzsche durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, Jacolliots Werk als „eine pseudowissenschaftliche Publikation mit grob irreführenden Schlußfolgerungen, die auf völlig willkürlichen Annahmen beruhten“ zu erkennen. Stattdessen wurde Jacolliots „schwärmerische Bewunderung für alte östliche Weisheit und Zivilisation mit einem mehr oder weniger offenen und ausgeprägten Antisemitismus und Antichristianismus“ von Nietzsche recht unkritisch übernommen und darüber wirkmächtig.

Strindbergs Erzählung

Der Nietzsche-Verehrer August Strindberg veröffentlichte 1889 eine Erzählung mit dem Titel Tschandala. Sie spielt Ende des 17. Jahrhunderts in einem alten schwedischen Schloss. Eine Familie verbringt einen Sommer in dem Schloss und begegnet dort verschiedenen merkwürdigen Personen.

Textgrundlagen und Fußnoten

Nietzsches Schriften werden zitiert nach der Kritischen Studienausgabe der Werke bzw. Briefe (KSA bzw. KSB).

  1. Im Abschnitt „Die ‚Verbesserer‘ der Menschheit“ (KSA 6, S. 98–102)
  2. Kapitel 56 und 57 (KSA 6, S. 239–244).
  3. a. a. O., S. 101.
  4. a. a. O., S. 100.
  5. a. a. O., S. 101 f.
  6. KSB 8, Nr. 1041, S. 324–326.

Literatur

  • Christian Benne: Also sprach Confusius: Ein vergessenes Kapitel aus Nietzsches Wiener Frührezeption, in: Orbis Litterarum 57/5 (2002), S. 370–402.
  • Annemarie Etter: Nietzsche und das Gesetzbuch des Manu in: Nietzsche-Studien 16 (1987), S. 340–352
  • Arthur Moeller van den Bruck: Tschandala Nietzsche, Berlin / Leipzig 1899.
  • Andreas Urs Sommer: Ex oriente lux? Zur vermeintlichen 'Ostorientierung' in Nietzsches Antichrist, in: Nietzsche-Studien 28 (1999), S. 194-214
  • August Strindberg: Tschandala, 1889, ISBN 3458344411
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Tschandala aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.