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Lebensführung

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Mit dem Ausdruck Lebensführung oder Lebenswandel wird die Art und Weise bezeichnet, in der Menschen ihr alltägliches Leben praktisch gestalten.

Lebensführung in Alltagsverständnis und als Fachbegriff der Soziologie

Der Begriff Lebensführung wird im Alltagsverständnis mit unterschiedlichsten Konnotationen verwendet. Man spricht mit Blick auf medizinische Themen von einer „gesunden“ oder „ungesunden“ Lebensführung, fragt möglicherweise nach einer „standesgemäßen“ Lebensführung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft oder interessierte sich mit religiöser Intention dafür, was eine „gottgefällige“ Lebensführung ist. Gemeinsam ist dem Wortgebrauch, dass damit ein aktiv gestaltenderer (→ Führung) Umgang mit dem eigenen Leben angesprochen wird.

In der Wissenschaft und dort vor allem in der Soziologie wird der Begriff Lebensführung traditionell stark mit der religionshistorischen Arbeit von Max Weber verbunden. Berühmt geworden ist seine These, dass der moderne Kapitalismus neben seinen rein ökonomischen und technischen Grundlagen auch auf einer spezifischen Arbeits- und Berufsethik beruht („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“). Diese habe, so Weber, ihre Grundlage in religiösen Werten (v.a. im Protestantismus und darin insbes. im Calvinismus), die Menschen dazu veranlassen eine auf Effizienz und Erfolg (vor allem im Beruf) ausgerichtete „methodische Lebensführung“ anzustreben.

Schon bei Weber wird Lebensführung unterschieden von der Frage nach dem spezifischen „Lebensstil“ bestimmter Gruppen, vor allem bei etablierten Ständen. Gemeint ist damit, wie eine Lebensführung im alltäglichen Handeln mit symbolischen Ausdrucksformen (zum Beispiel Kleidung, Wohnraumausstattung, Statussymbole) stilisiert wird, um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu demonstrieren und sich von anderen Gruppen zu distanzieren bzw. diese auszuschließen.

Die sich auf Weber beziehende Forschung hat diesen Unterschied der zwei Begriffe lange Zeit nicht bewusst registriert (u.a. deswegen, weil die amerikanische Weberforschung Lebensführung als „Life-style“ übersetzte und damit beide Begriffe vermischte). Erst in einer neueren deutschen Forschungsrichtung aus dem Umfeld der subjektorientierten Soziologie wurde dieser Unterschied wieder gezielt aufgegriffen, die dann den Begriff der „Alltäglichen Lebensführung“ in Absetzung vom „Lebensstil“ (wie auch vom marxistischen Konzept der "Lebensweise" und vom Begriff "Lebenswelt" der Phänomenologie, bzw. bei Jürgen Habermas) prägte und in umfangreichen Forschungen empirisch anwendete. Der Begriff steht inzwischen für ein etabliertes Forschungsfeld, dass neben der soziologischen Lebensstilforschung Beachtung findet.

Alltägliche Lebensführung

Als „Alltägliche Lebensführung“ wird soziologisch der alltagspraktische Zusammenhang aller Tätigkeiten von Personen in ihren verschiedenen Lebensbereichen (Erwerbsarbeit, Familie, Freizeit, Bildung, politisches und zivilgesellschaftliches Engagement usw.) definiert. Thema des im Rahmen der Münchener "Subjektorientierten Soziologie" entstandenen Konzepts (→Subjektorientierte Soziologie) ist damit das gesamte tätige Leben von Individuen, aber nicht in seiner gesamten ‚Länge‘ (wie es Thema der Biographie- oder Lebensverlaufsforschung ist), sondern quasi in seiner ‚Breite‘. Gegenstand ist also nicht die Diachronie, d.h. der langzeitliche Ablauf des Leben (der jedoch ein wichtiger Hintergrund und Fluchtpunkt von Lebensführung ist), sondern die Synchronie des Alltags, die aber natürlich zeitlichen Veränderungen unterliegt.

Dabei interessiert weniger die konkrete Vielfalt der einzelnen Tätigkeiten (wie sie etwa von der Zeitbudgetforschung oder der Zeitgeographie untersucht wird), als vielmehr der alltägliche Zusammenhang der Aktivitäten von Menschen. Es geht um das individuelle „Arrangement der verschiedenen sozialen Arrangements“ von Personen oder um die Art und Weise, wie das Alltagsleben von Menschen in den für sie relevanten Lebenssphären (mit denen man sich arrangieren muss) zusammengehalten wird – oder alltagssprachlich mit einer häufig zu hörenden Formulierung: wie man sein Leben „auf die Reihe“ oder „unter den Hut bekommt“.

Dieses System der Alltäglichen Lebensführung ist aus soziologischer Sicht nicht sozial vorgegeben und mehr oder weniger passiv übernommen, sondern es ist eine aktive Konstruktion der Betroffenen. Trotzdem „gehört“ die alltägliche Lebensführung den Personen nur bedingt (genauso, wie sie meist nur begrenzt eine bewusste Konstruktion ist). Sie besitzt vielmehr eine an das Subjekt gebundene aber von ihr nur teilweise steuerbare strukturelle Eigenlogik, die ein zentraler Erkenntnisgegenstand der Lebensführungsforschung ist. In dieser Eigenlogik erfüllt Lebensführung wichtige Funktionen für die Person (zum Beispiel die Entlastung von Handlungsentscheidungen) wie für die Gesellschaft (zum Beispiel die alltagspraktische Vermittlung verschiedener gesellschaftlicher Bereiche) und bildet schließlich ein bisher in der Soziologie weitgehend vernachlässigtes Vermittlungsmoment im spannungsreichen Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft.

Die Lebensführung einer Gruppe oder Lebensgemeinschaft, so auch die familiale Lebensführung, entsteht aus den Lebensführungen der einzelnen Mitglieder und ihren Wechselwirkungen untereinander.[1] Siehe hierzu auch: Doing Family

Das Konzept der Alltäglichen Lebensführung wurde hinsichtlich verschiedenster theoretischer Aspekte weiterentwickelt (zum Beispiel mit der Frage nach Bedeutung von Lebensführung für die Identitätskonstruktion von Personen, vgl. Behringer) und bei einer großen Zahl von Gruppen und in Bezug auf vielfältige Fragestellungen empirisch untersucht.

Eine besondere Beachtung fand der Begriff der Alltäglichen Lebensführung in den Arbeiten des Begründers der kritischen Psychologie, Klaus Holzkamp (1927 - 1995). Kurz vor seinem Tod griff er den Ansatz der Alltäglichen Lebensführung auf und versuchte, diesen als Basis für ein von ihm angestrebtes "subjektwissenschaftliches Grundkonzept" zu verwenden. Dies blieb jedoch Fragment.

siehe auch Glücksforschung

Forschungsobjekt der Medizin

Eine großangelegte Studie zeigte 2012: Die sogenannten 'großen vier Risikofaktoren' - Rauchen, Diabetes, zu hoher Blutdruck und/oder Cholesterinspiegel - haben unerwartet starken Einfluss auf das Risiko, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden. Schon einer (1) dieser Faktoren kann das normale Risiko laut Studie auf etwa das Zehnfache steigern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch, auf den keiner der Risikofaktoren zutrifft, im Laufe seines Lebens einen Infarkt erleidet, liegt bei unter fünf Prozent.

Das individuelle Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko wird bisher nur für die nächsten fünf oder zehn Jahre geschätzt. Viele Menschen unterschätzen ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen drastisch.

Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte das Forscherteam im Magazin New England Journal of Medicine.[2]

Literaturauswahl

Lebensführung bei Max Weber:

  • Max Weber (1972, zuerst 1921). Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: C.H. Mohr
  • Max Weber (1986, zuerst 1920). Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. In: ders. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Tübingen: C.H. Mohr.
  • Max Weber (1986, zuerst 1920). Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: ders. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Tübingen: C.H. Mohr.

sekundär:

  • Wilhelm Hennis (1987). Max Webers Fragestellung. Tübingen: C.H. Mohr.
  • Wolfgang Schluchter (1988). Religion und Lebensführung (2 Bde.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Lebensführung bei Klaus Holzkamp:

  • Klaus Holzkamp (1995). Alltägliche Lebensführung als subjektwissenschaftliches Grundkonzept. Das Argument 212, S. 817-846.
  • Klaus Holzkamp (1996). Psychologie: Selbstverständigung über Handlungsbegründungen alltäglicher Lebensführung. Forum Kritische Psychologie 36, S. 7-212.

Literatur zur „Alltäglichen Lebensführung“:

  • Luise Behringer (1998). Lebensführung als Identitätsarbeit. Der Mensch im Chaos des modernen Alltags. Frankfurt a.M./ New York: Campus.
  • Alma Demszky von der Hagen (2006). Alltägliche Gesellschaft. Netzwerke alltäglicher Lebensführung in einer großstädtischen Wohnsiedlung. München, Mering: R. Hampp.
  • Sylvia Dietmaier-Jebara (2005). Gesellschaftsbild und Lebensführung. Gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellungen im ostdeutschen Transformationsprozess. München, Mering: R. Hampp.
  • Julia Egbringhoff (2007). Ständig selbst. Lebensführung von Einpersonenselbständigen in Ostdeutschland. München, Mering: R. Hampp.
  • Karin Jurczyk/ Maria S. Rerrich, M. S. (Hrsg.). (1993). Die Arbeit des Alltags. Beiträge zu einer Soziologie der alltäglichen Lebensführung. Freiburg: Lambertus.
  • Werner Kudera/ G. Günter Voß (Hrsg.) (1996). "Penneralltag". Eine soziologische Studie von Georg Jochum zur Lebensführung von "Stadtstreichern" in München. Mering, München: R. Hampp.
  • Werner Kudera/ Voß, G. Günter (Hrsg.) (2000). Lebensführung und Gesellschaft. Beiträge zu Konzept und Empirie alltäglicher Lebensführung. Opladen: Leske + Budrich.
  • Projektgruppe "Alltägliche Lebensführung" (Hrsg.) (1995). Alltägliche Lebensführung. Arrangements zwischen Traditionalität und Modernisierung. Opladen: Leske + Budrich.
  • G. Günter Voß (1991). Lebensführung als Arbeit. Über die Autonomie der Person im Alltag der Gesellschaft. Stuttgart: Enke/ Lucius&Lucius.
  • G. Günter Voß/ Margit Weihrich (Hrsg.). (2001). tagaus - tagein. Neue Beiträge zur Soziologie alltäglicher Lebensführung (Arbeit und Leben im Wandel. Schriftenreihe zur subjektorientierten Soziologie der Arbeit und der Arbeitsgesellschaft Bd. 1). München, Mering: R. Hampp.
  • Margit Weihrich/ G. Günter Voß (Hrsg.) (2002). tag für tag. Alltag als Problem - Lebensführung als Lösung? Neue Beiträge zur Soziologie Alltäglicher Lebensführung 2. München, Mering: R. Hampp.
  • Margit Weihrich(1998). Kursbestimmungen. Eine qualitative Paneluntersuchung der alltäglichen Lebensführung im ostdeutschen Transformationsprozess. Pfaffenweiler: Centaurus.

Weblinks

Wiktionary: Lebensführung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Alma von der Hagen-Demszky: Familiale Bildungswelten: Theoretische Perspektiven und empirische Explorationen. (PDF; 683 kB) In: Materialien zum Thema Familie und Bildung I. DJI, Oktober 2006, abgerufen am 8. Februar 2010. S. 50
  2. zeit.de: Lebenswandel hat mehr Einfluss auf Infarktrisiko als gedacht
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