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Kalām

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Kalām (arabisch كلام) ist ein arabischer Begriff, der allgemeinsprachlich die Bedeutung von „Rede“, „Gespräch“, „Worte“ hat, im spezifischen Sinn aber eine bestimmte Form des theologischen Streitgesprächs bezeichnet, das sich auf rationale Argumente stützt. Im arabisch-islamischen Mittelalter wurde der Kalām zunächst von muslimischen, später aber auch von jüdischen und christlichen Gelehrten gepflegt. Diejenigen Gelehrten, die sich daran beteiligten, wurden Mutakallimūn genannt. Soweit der Kalām sich zu einer eigenen Disziplin der Kontroverstheologie entwickelt hat, wird er auch als ʿIlm al-Kalām (علم الكلام Kalām-Wissenschaft) bezeichnet.

Geschichte

Der Kalām im Sinne des theologischen Streitgesprächs entwickelte sich am Anfang der Abbasidenzeit und wurde von den Herrschern als Mittel zur Bekämpfung der Lehren dualistischer Sekten wie der Manichäer, der Bardesaniten und Markioniten gefördert. Da die Anhänger dieser Sekten bei der Verteidigung ihrer Lehren auf Methoden und Konzepte der griechischen Philosophie zurückgriffen, war es notwendig, dass die Mutakallimūn, die den Islam verteidigen sollten, diese Methoden ebenfalls kannten. Zu diesem Zweck wurden unter dem Kalifat von al-Mahdi die Topik und Physik des Aristoteles aus dem Griechischen übersetzt.[1] Auch der Begriff Kalām selbst ist wahrscheinlich eine Entlehnung aus dem Griechischen. Zugrunde liegt das Wort dialexis ("Unterredung"), von dem auch der Begriff Dialektik abgeleitet ist. Es wurde den Arabern über das syrisch-aramäische Wort mamlā bzw. melleṯā ("Rede") vermittelt.[2]

Die spezifische Bedeutung für das Wort Kalām hat sich allerdings nur sehr langsam durchgesetzt.[3] Erst bei al-Dschāhiz (st. 868/9) finden wir eine Definition. In seinem "Sendschreiben über den Vorzug des Sprechens über das Schweigen" (Risāla fī tafḍīl an-nuṭq ʿalā ṣ-ṣamt) beschreibt er kalām nach Erörterung verschiedener anderer Bedeutungen des Begriffs als "Ursache für die Erkennung der Wahrheit der Religionen, für das rationale Schließen (Qiyās) beim Erweis der göttlichen Größe und der Wahrheit der prophetischen Botschaft".[4]

In der Frühzeit wurde der Kalām fast ausschließlich in den städtischen Zentren des Irak betrieben, in Basra und Bagdad. Belege für theologische Streitgespräche aus Ägypten sind dagegen sehr selten. Der einzige Kalām-Gelehrte, von dem bekannt ist, dass er sich längere Zeit in Ägypten aufhielt, war Hafs al-Fard (frühes 9. Jahrhundert).[5]

Die frühen Richtungen, aus denen sich der Kalām herausbildete, waren Ǧabrīya, Qadarīya und Murǧiʾa. In dieser Phase war das sprachliche Niveau des Kalām noch ausgesprochen elementar. In einer etwas weiter vorangeschrittenen Phase sind dann andere Kalāmströmungen entstanden, unter anderem die Muʿtazila. Um die Wende zum 10. Jahrhundert versuchte Abū l-Hasan al-Aschʿarī, die Kalām-Methode in den Dienst der sunnitischen Lehre zu stellen, in dem er diese mit den Mitteln des Kalām begründete und verteidigte. Diejenigen Theologen, die sich dieser Richtung angeschlossen, werden als Aschʿariten bezeichnet. Eine weitere theologische Richtung, die ein sehr ähnliches Anliegen verfolgt, ist die Maturidiyya, die auf Abu Mansur al-Maturidi zurückgeht. Daneben gab es aber auch Sunniten, die den Kalām vollständig ablehnten. Dazu gehörten insbesondere die frühen Hanbaliten. Strikte Kalām-Ablehnung findet man heute noch bei Salafiten, Wahhabiten und Atharis.

Debatten und Konzepte des Kalām haben Einfluss auf islamische Philosophen wie Alfarabi (Alfarabius), Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Ruschd (Averroës) gehabt. Insbesondere über diese Theoretiker sowie direkter über Spanien (Andalusien) und jüdische Philosophen (Saadia Gaon, ibn Daud, Maimonides im Führer der Unschlüssigen) haben Begriffe und Argumente des Kalam auch Eingang und teilweise Wertschätzung in abendländischen Diskussionen gefunden.

ʿIlm al-kalām als Disziplin

Ende des 11. Jahrhunderts bahnte sich die Entwicklung des Kalām zu einer eigenen Wissenschaft an. Der Aschʿarit al-Ghazālī beschrieb in dieser Zeit in seinem Werk al-Mustaṣfā Kalām als die Kerndisziplin der religiösen Wissenschaften, die die Gültigkeit ihrer ersten Prinzipien garantiert und universalen Charakter besitzt. Zu den religiösen Wissenschaften, die dem Kalām untergeordnet sind und nur partikularen Charakter haben, zählt er Fiqh, Usūl al-fiqh, Hadith und Koranexegese. Der Mutakallim ist nach al-Ghazali derjenige, der im Gegensatz zu den Vertretern der anderen religiösen Wissenschaften "das Allgemeinste der Dinge studiert, nämlich, das Existierende. Sodann unterteilt er das Existierende in das Ewige und das Hinzugekommene, dann das Hinzugekommene in Substanz und Akzidens, dann die Akzidentien in diejenigen, für die Leben eine Voraussetzung ist, wie Wissen, Wollen, Macht, Hören, Sehen... Dies ist der Inhalt der Kalām-Wissenschaft."[6]

Später wurde der Begriff ʿIlm al-kalām zur allgemeinen Bezeichnung für islamische Theologie. Der osmanische Gelehrte Taschköprüzāde (st. 1561) setzt ʿIlm al-kalām in seiner Enzyklopädie der Wissenschaften Miftāḥ as-saʿāda wa-miṣbāḥ as-siyāda mit dem Begriff ʿIlm uṣūl ad-dīn ("Wissenschaft von den Grundlagen der Religion") gleich und erklärt, dass es die Wissenschaft sei, "mit der man die religiösen Wahrheiten bestimmen kann, durch Anführung von Argumenten dafür und Abwendung der gegen sie erhobenen Scheinargumente".[7]

Begrifflich eng gefasst wird unter ʿIlm al-Kalām eine Vorschule des vernünftigen Redens verstanden, welche dem Zweck der Erörterung tiefer liegender theologischer Probleme, insbesondere solcher dient, die Gegenstand der Dogmatik des Islam sind. Die Methode entspricht im Vergleich mit westlicher Wissenschaftstheorie annähernd der theologischen Propädeutik. Der Kenntniserwerb des ʿIlm al-kalām war und ist für muslimische Theologen eine Grundvoraussetzung, um die Dogmatik (arab. ʿAqīda (oder auch Iʿtiqād)) verstehen und abhandeln, aber auch, um sie den Menschen nahebringen zu können. Dabei steht systematisches methodisches Argumentieren (oftmals in weitläufigen Zusammenhängen) und dialektisches Wissen im Vordergrund. Auch der rhetorische Gebrauch von Metaphern und Symbolen sowie das Einbeziehen von kontextkonformen Koranversen und Überlieferungen zur Stützung von Argumenten gehören zu dieser Disziplin.

Da muslimische Theologen zwischen ʿIlm al-Kalām als einer theologischen Propädeutik einerseits und ʿAqīda (bzw. Iʿtiqād) als einer Dogmatik andererseits oftmals keine scharfe Trennungslinie gezogen haben und der Übergang zwischen beiden ein fließender ist - da die theologische Propädeutik nicht als abstrakte Trockenübung vollzogen werden kann, sondern stets an konkreten thematischen Objekten geübt wird -, hat man ʿIlm al-Kalām oft auch noch einen erweiterten Wortsinn zugeordnet, und zwar durch den Gebrauch des weitergefassten Begriffs der Scholastischen Theologie. In einem solchen Begriff können die Methodendisziplin der theologischen Propädeutik und die Gegenstandsdisziplin der Dogmatik gemeinsam eingefasst werden; der Begriff muss im Prinzip nicht auf die theologische Propädeutik (ʿIlm al-Kalām) beschränkt bleiben. Letztlich ist dies eine Sache der sprachlichen Konvention.

Literatur

  • Michael Cook: "The origins of kalām" in Bulletin of the School of Oriental and African Studies 43 (1980) 32-43.
  • Alnoor Dhanani: The Physical Theory of Kalam. Atoms, Space, and Void in Basrian Mu‘tazili Cosmology (Islamic Philosophy, Theology and Science. Text and Studies; Bd. 14). Brill, Leiden 1994, ISBN 90-04-09831-3 (zugl. Dissertation, Universität Harvard 1991).
  • Josef van Ess: The Logical Structure of Islamic Theology. In: Gustav Edmund von Grunebaum (Hrsg.): Logic in Classical Islamic Culture. Harrassowitz, Wiesbaden 1970, S. 21–50, ISBN 3-447-00001-5.
  • Josef van Ess: "Disputationspraxis in der islamischen Theologie. Eine vorläufige Skizze" in Revue des études islamiques, Bd. 44 (1976), S. 23–60, ISSN 0036-156X(?!?!).
  • Josef van Ess: "Early Development of Kalām" in G.H.A. Juynboll (ed.): Studies on the First Century of Islamic Society. Carbondale/Edwardsville 1982. S. 109-123.
  • Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert der Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. 6 Bde. Berlin: De Gruyter 1991-97.
  • Richard M. Frank: Beings and Their Attributes. The Teaching of the Basrian School of the Mu‘tazila in the Classical Period (Studies in islamic philosophy and science). University Press, Albany, N.Y. 1978, ISBN 0-87395-378-9.
  • Louis Gardet, Georges Anawati: Introduction à la théologie musulmane. Essai de théologie comparée (Etudes de philosophie médiévale; Bd. 37). 3. Aufl. Vrin, Paris 1981 (Nachdr. d. Ausg. Paris 1948).
  • Saul Horovitz: Ueber den Einfluss der griechischen Philosophie auf die Entwicklung des Kalam. Breslau: Schatzky 1909. Hier online verfügbar: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/771022
  • Tilman Nagel: Geschichte der islamischen Theologie. Von Mohammed bis zur Gegenwart. C.H.Beck, München 1994, ISBN 978-3-406-37981-9 (besonders leicht zugängliche Einführung).
  • S. Pines: "An Early Meaning of the Term mutakallim" in Israel Oriental Studies 1971 (1) 224-240.
  • William Montgomery Watt: The Formative Period of Islamic Thought. Oneworld Edition, Edinburgh 2002, ISBN 1-85168-152-3 (Nachdr. d. Ausg. Edinburgh 1973).
  • William Montgomery Watt: Islamic Philosophy and Theology. An extende survey. University Press, Edinburgh 1979, ISBN 0-7486-0749-8.
  • Harry Austryn Wolfson: The Philosophy of the Kalam. University Press, Cambridge, Mass. 1976, ISBN 0-674-66580-5 (nach heutiger Quellenlage und Forschungsstand [2012] in vielem veraltet).

Belege

  1. Vgl. dazu Dimitri Gutas: Greek Thought, Arabic Culture. The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early ʿAbbāsid Society (2nd-4th/8th-10th centuries). London 1998. S. 69-74.
  2. Vgl. van Ess TuG I 53.
  3. Vgl. van Ess TuG I 51.
  4. Zit. bei van Ess TuG I 54.
  5. Vgl. zu ihm van Ess TuG II 729-735.
  6. Zitiert bei George Makdisi: "The juridical theology of Shāfiʿī: origins and significance of uṣūl al-fiqh" in Studia Islamica 59 (1984) 5-47. Hier Seite 33f. Wieder abgedruckt mit gleicher Paginierung in George Makdisi: Religion, Law and Learning in Classical Islam Hampshire 1991.
  7. Vgl. Miftāḥ as-saʿāda wa-miṣbāḥ as-siyāda 3 Bde. Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmīya o.d. Bd. II, S. 132: huwa ʿilm yuqtadar maʿa-hū ʿalā iṯbāt al-ḥaqāʾiq ad-dīnīya, bi-īrād al-ḥuǧaǧ ʿalai-hā wa-dafʿ aš-šubah ʿan-hā.
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