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Extinktion (Psychologie)

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Extinktion (lateinisch exstinguere = auslöschen, löschen) oder Löschung findet als Fachbegriff in der Lernpsychologie, in der Lerntheorie sowie in der Verhaltenstherapie Verwendung. Extinktion meint dabei die Abschwächung oder Aufhebung der zuvor vorhandenen Kopplung zweier Phänomene der Reaktion eines Organismus oder eines Lernvorgangs.[1][2]

Abstrahierende Erläuterung

Ausgangssituation
Phänomen A ist immer mit Phänomen B gekoppelt.
Aufgrund einer physiologisch-reflexartigen oder genetischen Verankerung bzw. aufgrund von Lernprozessen folgt auf Phänomen A immer Phänomen B.
Phänomen B kann auch als Antwortverhalten auf die Ausgangssituation Phänomen A bezeichnet werden.[2]
Extinktion
Phänomen A ist nicht immer/nie mehr/nur manchmal/nur mit (Anteilen von) Phänomen B gekoppelt.
Auf Phänomen A folgt nicht immer/nie mehr/nur manchmal/nur teilweise Phänomen B.

Begriffsursprung

Abgeleitet wurde die Vorstellung der Extinktion aus der Arbeit des russischen Mediziners und Physiologen Iwan Petrowitsch Pawlow zur Klassischen Konditionierung. Der Begriff Löschung wurde von Pawlow selbst nie verwendet; er schrieb stets von Hemmung und Abschwächung.[3] In der englischen Übersetzung wurde daraus extinction. Da Pawlows Werke dann aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurden (statt direkt aus dem Russischen), etablierte sich der Übersetzungsfehler auch im Deutschen als Fachausdruck (Extinktion oder Löschung).

Differenzierung

Man kann sich den Prozess der Extinktion als einen Programmierungsvorgang des Nervensystems vorstellen, in dessen Verlauf vorherige Kopplungen zwischen Ausgangssituation (A) und Antwortverhalten (B) abgeschwächt oder gelöscht und ggf. durch neue Kopplungen ergänzt bzw. überschrieben werden (A → B+C: Aus A folgt neben B auch C.; A→ C: Aus A folgt (statt B) nun C.; X →B: Es braucht nicht A, damit B folgt, sondern B kann (statt auf A) auch auf X folgen.). Insofern als im Zuge der Extinktion neue Kopplungen entstehen können, ist diese Form der Extinktion dann auch als eigenständiger, neuer Lernprozess zu verstehen. Aus Sicht der Lernpsychologie oder der Verhaltenstherapie wird dabei auch von der Umkehr des Konditionierungsprozesses oder der Gegenkonditionierung gesprochen, wobei das Entstehen völlig neuer Kopplungen (X → B) eine neue Konditionierung bedeutet.[3][4]

Bildlich gesprochen, bleiben gleichwohl Spuren der ursprünglichen Kopplung auf der Festplatte des Nervensystems gespeichert. Die Nachhaltigkeit der Abschwächung oder Aufhebung der ursprünglichen Kopplung zwischen den Phänomenen A und B ist demnach variabel und von vielen Faktoren abhängig. Solche Faktoren könnten beispielsweise die Stärke der physiologisch-reflexartigen oder genetischen Verankerung (vgl. auch preparedness), der emotional-motivationale Anteil der Kopplung oder die Frequenz zufällig eintretender oder gezielter Verstärker im Sinne der Extinktion sein (vgl. auch Extinktionswiderstand, Extinktionsresistenz).[2][3] Von der Nachhaltigkeit der Abschwächung oder Aufhebung alter Lernzusammenhänge hängt in der Folge dann auch die Nachhaltigkeit der Etablierung neuer Lernzusammenhänge ab.

Als wichtige Merkmale der Extinktion/Löschung werden in diesem Zusammenhang die Spontanerholung (spontaneous recovery; zeitlicher Fokus), die Erneuerung (renewal effect; zeitlich-räumlicher Fokus) und Wiederinkraftsetzung (reinstatement) betrachtet.[5][4] Spontanerholung bedeutet, dass die vorher erfolgte Extinktion ggf. nur vorübergehend wirkt, und nach einer gewissen Zeitspanne in derselben Ausgangssituation die ursprüngliche Kopplung von A und B wiederhergestellt ist. Die Entkopplung von A und B ist also nur oberflächlich geschehen und das Antwortverhalten B setzt allenfalls verspätet ein. Mit Erneuerung bezeichnet man die Beobachtung, dass die Extinktion kontextabhängig ist, also ggf. nur in einer bestimmten spezifischen Umgebung der Ausgangssituation wirkt. Wird die erfolgte Extinktion außerhalb dieser spezifischen Umgebung geprüft, ist ggf. eine geringere oder gänzlich fehlende Löschung festzustellen und die ursprüngliche Kopplung von A und B scheint unverändert. Die Entkopplung von A und B ist nur auf eine bestimmte Umgebung begrenzt geschehen. Wiederinkraftsetzung bezeichnet das Phänomen, dass, nachdem ggf. eine Zeit lang der Zusammenhang der Phänomene A und B entkoppelt und damit auch die Extinktion erfolgreich war, eine wiederholte Darbietung der Kopplung von A und B eben zur Wiederinkraftsetzung der ursprünglichen Programmierung führt. Die Entkopplung von A und B war nicht nachhaltig.

Anwendungsgebiete

In der Verhaltenstherapie beispielsweise im Zusammenhang mit der Behandlung von Angst- oder Belastungsstörungen sowie Suchterkrankungen und in der experimentellen Forschung wird die Extinktion gezielt zur Verhaltenssteuerung im Sinne der klassischen oder der instrumentellen und operanten Konditionierung genutzt.[6][7]

Anfang der 1970er Jahre wurde das Rescorla-Wagner-Modell entwickelt und seitdem überarbeitet, u. a. um Extinktionsprozesse bzw. deren Erfolgswahrscheinlichkeit vorhersagbar zu machen.[3] In den verschiedenen Richtungen der Neurowissenschaften und auch in der Immunologie (Konditionierung des Immunsystems) spielt die Erforschung von Extinktionsprozessen eine bedeutende Rolle.[8][3]

Weblinks

https://sfb1280.ruhr-uni-bochum.de/

Einzelbelege

  1. Jürgen Kriz: Grundkonzepte der Psychotherapie. 7., überarb. und erw. Aufl Auflage. Beltz, Weinheim 2014, ISBN 3-621-28097-9, S. 128; 141.
  2. 2,0 2,1 2,2 Edelmann, Walter: Lernpsychologie. 5., vollst. überarb. Aufl Auflage. Weinheim, ISBN 978-3-621-27310-7, S. 70, 147, 159.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Christian Becker-Carus: Lernen. In: Allgemeine Psychologie. 1. Aufl Auflage. Heidelberg, ISBN 978-3-8274-0570-8, S. 313-267 (https://www.pedocs.de/volltexte/2009/751/pdf/978_3_8274_0570_8_Becker_Carus.pdf).
  4. 4,0 4,1 Jürgen Hoyer, Stefan Uhmann, Volker Köllner: Lernpsychologische Grundlagen. In: Psychosomatische Medizin. 8. Auflage Auflage. München, Deutschland, ISBN 978-3-437-21834-7, S. 107-121.
  5. Jürgen Margraf, Silvia Schneider: Lehrbuch der Verhaltenstherapie: Grundlagen, Diagnostik, Verfahren, Rahmenbedingungen.. 1, Springer, 2009, ISBN 978-3-540-79541-4, S. 521.
  6. Lonsdorf, Menz, Andreatta, Fullana, Golkar, Haaker, Heitland, Hermann, Kuhn, Kruse, Meir Drexler, Meulders, Nees, Pittig, Richter, Römer, Shiban, Schmitz, Straube, Vervliet, Wendt, Baas, Merz: Don't fear 'fear conditioning': Methodological considerations for the design and analysis of studies on human fear acquisition, extinction, and return of fear. In: PubMed.gov. Abgerufen am 5. November 2019 (english).
  7. Melanie Wegerer, Jens Blechert, Frank H. Wilhelm: Emotionales Lernen: Ein naturalistisches experimentelles Paradigma zur Untersuchung von Angsterwerb und Extinktion mittels aversiver Filme. In: Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie. 61, Nr. 2, 2013-04 ISSN 1661-4747, S. 93–103, doi:10.1024/1661-4747/a000146 (https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1024/1661-4747/a000146).
  8. Extinction Learning. Abgerufen am 16. Oktober 2020 (deutsch).
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Extinktion (Psychologie) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.