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Diskussion:Raymond Wolff

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Raymond Wolff wurde am 20. Oktober 1946 in New York City geboren. Er wuchs in New Jersey in der Nähe von East Brunswick auf, wo seine Eltern eine Hühnerfarm besaßen. Seine Mutter Elfrieda, geb. Scheuer, stammte aus Staudernheim, sein Vater Helmut aus Nackenheim. Die Großeltern väterlicherseits, Heinrich und Selma Wolff, besaßen in Nackenheim Äcker und Weinberge, Heinrich Wolff war Weinkommissionär und Landesproduktenhändler gewesen. Helmut Wolff hatte in Mainz in einer Weingroßhandlung eine kaufmännische Ausbildung absolviert, der Onkel Herbert einige Semester Medizin studiert und als dies nicht wegen der nationalsozialistischen Verordnungen mehr möglich war, die Buchführung in der Weinhandlung seines Vaters erledigt. Die Wolffs waren 1937, als die Anfeindungen und Verfolgungen der Nationalsozialisten auch in Nackenheim zunahmen, nach Mainz gezogen.

Ihren jüngeren Sohn Helmut hatten sie bereits im April 1937 in die USA nach New York geschickt, Herbert Wolff folgte seinem Bruder ein Jahr später. Um die Verbindung zu den Söhnen zu halten, schrieben die Eltern jede Woche einen Brief nach New York. Auch sie wollten emigrieren, doch die Beschaffung der Visen, Bürgschaften und Schiffspassagen zog sich über Jahre hin und wurde nach 1939 zusehends schwieriger. Seit Oktober 1941 schließlich war eine Ausreise gar nicht mehr möglich; die Wolffs wurden nach dem Umzug in verschiedene „Judenhäuser“ am 24. März von Darmstadt aus nach Piaski deportiert und ermordet.

Raymond Wolff studierte Musik und später Germanistik in Cincinnati, Ohio. Als die Einberufung zum Vietnamkrieg drohte, verließ Wolff 1970 die USA. Gegen den erklärten Willen der Eltern wählte er Deutschland als Zufluchtsort; – das Land, wo er sich, wie er es einmal ausdrückte, „zu Hause“ fühlte, wo man die Sprache sprach, die er als Kind gelernt hatte und die er besser beherrschte als die englische. Nach einem kurzen Aufenthalt in Rheinhessen ging er nach Hamburg und lebte seit 1971 bis zu seinem Tod in Berlin-Neukölln.

Im Jahr 1973 kamen die Eltern zu einem Besuch nach Deutschland und suchten auch ihren alten Heimatort Nackenheim auf. Helmut Wolff trug sich hier in das Goldene Buch der Gemeinde ein, direkt neben dem Eintrag von Carl Zuckmayer. Auf Einladung der Stadt Mainz besuchten Helmut und Elfrieda Wolff anlässlich der „Mainzer Begegnungswochen“ 1991 noch einmal ihre ehemalige Heimat, konnten ihren Sohn Raymond aber wiederum nicht bewegen, in die USA zurückzukehren.

Das Leben von Raymond Wolff erklärt sich aus den Schicksalen seiner emigrierten und deportierten Familie, deren Erbe zu bewahren, er sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Zwei Projekte bestimmten nach der Mitwirkung in der Berliner Antikriegs-Bewegung und dem Abschluss eines Studiums der Germanistik und Amerikanistik sein Leben: Die Restaurierung der ehemaligen Synagoge von Staudernheim (Landkreis Bad Kreuznach) – dem Dorf, aus dem seine Vorfahren mütterlicherseits stammten – und die Veröffentlichung der Briefe seiner Großeltern väterlicherseits. Bei seinen Eltern fand er dafür kein Verständnis und keine Unterstützung, da sie weder sein Leben in Deutschland noch sein Engagement dort guthießen. Vor allem seine Mutter hätte sich, wie es Wolff einmal ausdrückte, einen „guten Amerikaner“ gewünscht. Seine Schwester entsprach diesem Bild. Deren späterer Ehemann trug bei der Hochzeit eine Militäruniform. Raymond Wolff empfand das als persönliche Brüskierung.

Aktuell arbeitete Wolff an der Herausgabe der Briefe seiner im Holocaust umgekommenen Großeltern aus Nackenheim an ihre Söhne in New York. Die nahezu vollständig erhaltenen Briefe geben einen Einblick in die Lebenssituation einer jüdischen Familie im Spannungsfeld zwischen Emigration und Deportation. Dass die Briefe erhalten und nach Deutschland zurück gelangt sind, ist Raymond Wolff zu verdanken. „Meine Mutter hatte sie bereits in die Mülltonne geworfen, wo ich sie seinerzeit heimlich herausgefischt habe“, berichtete Wolff. Als Junge hatten ihn zunächst nicht die Briefe an sich, sondern die Briefmarken interessiert. Insbesondere die bunten Marken mit dem Hitler-Portrait faszinierten ihn und er riss sie, wie heute noch an den Kuverts zu erkennen ist, heraus. „Der andere Mann [Hindenburg] schaute so finster, deshalb wollte ich sie nicht haben“. Diese Briefe begleiteten Raymond Wolff sein ganzes Leben lang. „Sie zu veröffentlichen, bin ich meinen Großeltern und allen in den Briefen erwähnten Verwandten schuldig. Es ist meine Mission“, bemerkte er einmal. Die Veröffentlichung der Briefe unter dem Titel "Schreie auf Papier" ist für Sommer 2021 geplant.