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Diskussion:Larry Harlow

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TACHLES 3.9.2021

NEW YORK 03. Sep 2021

Cha cha cha mit jüdischen Wurzeln

Larry Harlow in seinem Apartment mit Grammy und Santeria-Schrein im Hintergrund im Jahre 2010.

Larry Harlow war ein Salsa-Pionier – nun ist der New Yorker Pianist, Komponist und Produzent verstorben.

Der Tod von Larry Harlow wurde zunächst auf seiner Facebook-Seite Piano Judio bekannt gegeben und innerhalb kürzester Zeit verbreitete sich die Nachricht innerhalb der Musik-Szene. Fotos von Harlow und viele Huldigungen wurden von Stars wie Ruben Blades auf Social Media geteilt. Bobby Sanabria, Moderator einer bekannten Radiosendung zu Latin Music, brachte es auf dem Punkt: «Ein Teil authentischer New Yorker Geschichte wurde unserer Latino-Gemeinde entrissen und der Verlust schmerzt sehr.»

Harlow prägte die Latin Music Szene, jedoch war er selbst weder Latino noch spanischer Muttersprachler, sondern kam aus einer europäisch-jüdischen Familie. «Ich habe nie meine Identität verleugnet», erklärte er mir, als wir uns vor ein paar Jahren kennen lernten. «Ganz im Gegenteil, ich war immer stolz darauf, Jude zu sein.»

Von Backstage auf die Bühne Larry Harlow wurde als Lawrence Ira Kahn am 20. März 1939 in New York geboren. Die Familie seines Vaters Nathan kam aus Österreich, die seiner Mutter aus Russland. Die Kahns lebten in Brownsville, dem jüdischen Mekka von Brooklyn, damals vergleichbar mit Manhattans Lower East Side. Im Alter von fünf begann er Klavier zu spielen.

Sein Vater, ein Bassist, war unter dem Künstlernamen Buddy Harlowe bekannt. «Mein Vater war in einem schweren Autounfall verwickelt. Der Arzt, der ihm das Leben rettete, hiess Harlowe. Aus Dankbarkeit nahm er daher den Namen an.» Buddy Harlowe spielte fast drei Jahrzehnte lang in der Band des «Latin Quarter», einem bekannten Nachtclub in Manhattan. Als zehnjähriger verbrachte Larry viele Abende Backstage und hörte Künstler wie Frank Sinatra. Für ihn stand schon damals fest, dass er Musiker werden wollte.

Seine Eltern unterstützten seine Ambitionen und er schaffte die Aufnahme in die renommierte High School of Music and Arts in Harlem. Dort hörte er zum ersten Mal die Musik, die sein Leben bestimmen sollte. «Ich kam aus der U-Bahn und an jeder Strassenecke hörte man diese seltsame Musik.» Es war Liebe auf dem ersten Ton.

Er entschloss sich, nach Kuba zu reisen, um dort vor Ort Musik zu studieren. «Mit meinem Bar-Mizwa-Geld kaufte ich mir ein Aufnahmegerät und ein Flugticket nach Havanna.» Seine Eltern waren zunächst nicht allzu angetan von der Idee, aber er versprach, dort Spanisch zu lernen.

Geprägt von Kuba

Seine Zeit in Kuba war prägend. Er reiste quer durch das Land und nahm Musiker mit seinem Tonbandgerät auf, nahm an Santeria Zeremonien teil und feierte in den Nachtclubs der Insel. In Café «Fania» lernte er Jerry Masucci kennen. Dieser kam wie er aus New York, hatte wie er keine Wurzeln in Lateinamerika – seine Eltern waren italienische Einwanderer –, aber er hatte die gleiche Leidenschaft für kubanische Kultur.

Larry wäre gern länger auf Kuba geblieben, doch die politische Lage veränderte sich drastisch. Nach einer durchzechten Silvesternacht wurde er auf einer Parkbank in Havanna von bewaffneten Rebellen geweckt. Die machten dem Gringo klar, dass er besser das Land sofort verlasse. Die kubanische Revolution endete an diesem Tag, dem 1. Januar 1959, mit der Flucht des verhassten Präsidenten Fulgencio Batista. Larry nahm sein Aufnahmegerät und war im ersten Flugzeug zurück nach New York.

In den Catskills, einem Naherholungsgebiet nördlich von der Stadt New York, zeigte Larry Harlow nun sein Können. Vor der Revolution hatte Kuba sich zu einem beliebten Urlaubsort für wohlhabende Amerikaner entwickelt, und all diejenigen, die sich eine Reise dorthin nicht leisten konnten, hatten zumindest die Musik, um von Kuba zu träumen. In den Pensionen der Catskills, deren Besitzer wie Kundschaft nahezu ausschliesslich Juden waren, gab es Tanzkurse und Mambo Bands. Musiker wie Tito Puente traten im berühmten Hotel Grossinger’s auf. Einige Musiker, etwa der als Itzchak Schwartz geborene Irving Fields, passten ihre Musik dem Publikum an. Sein Konzeptalbum «Bagels & Bongos» interpretierte klassische jiddische Lieder wie «Belz» oder «Bei mir bist du schen» als Rumba oder Cha Cha Cha neu. Ein sehr populärer Song war «Havanna Gila», die Mambo-Version des Volksliedes «Hava Nagila». Nach den Auftritten in den Hotels kamen die vorwiegend jüdischen und puertorikanischen Musiker zu Jam Sessions zusammen. Hier lernte Larry Harlow die zukünftigen Superstars der Latin Music Szene kennen.

Nach einem gescheiterten Versuch, Fidel Castro zu stürzen, verhängten die USA ein Embargo gegen Kuba. Die meisten Musikverlage kündigen Verträge mit lateinamerikanischen Musikern. Dies war die Geburtsstunde von Fania Records. Masucci, den Harlow auf Kuba kennen gelernt hatte, schloss sich 1964 mit Johnny Pacheco zusammen, einem in der Dominikanischen Republik geborenen Musiker, der in Tito Puentes Band spielte, um die entstandene Lücke zu füllen. Der erste Musiker, den sie unter Vertrag nahmen war Larry Harlow.

Vielfalt vereint

Pacheco war zunächst skeptisch, ob dieser weisse Jude aus Brooklyn überhaupt kubanische Musik spielen könne, doch als er Harlow das erste Mal spielen hörte, war er hin und weg. Larry Harlow wurde zu einem der produktivsten Musiker von Fania Records, der an fast 300 Schallplatten beteiligt war, darunter 50 Soloalben.

Erfolgreiche Neuinterpretationen

«Larry war der erste, der die Frontlinie mit zwei Trompeten und zwei Posaunen entwickelte,» erklärt Sanabria Harlows revolutionären Sound. «Damit veränderte er den Klang der Musik und gab ihr eine eigene New Yorker Identität, blieb aber gleichzeitig den afrokubanischen Wurzeln treu.» Dieser neue New Yorker Sound war eine Neuinterpretation von Mambo, Rumba, Latin Jazz und anderer Stilrichtungen. Wie Jahrzehnte später die Deejays in der Bronx Disco und Soul Musik zu etwas neuem, Hip Hop, veränderten, machten Musiker wie Harlow damals aus traditionellen kubanischen Klängen ein neues Genre, Salsa. Das spanische Wort kann ins Deutsche als «Sauce» oder «Brühe» übersetzt werden als Symbol für die vielen Musikstile, die der Salsa vereint. Viele von Harlow eingeführte Neuinterpretationen gehören heute zum Standardrepertoire von Salsa-Bands.

Harlow war von Anfang an ein Tabubrecher. Auf seinem 1965 erschienenen Debütalbum «Heavy Smokin’» liess er seine damalige Lebensgefährtin Vicky Berdy nicht nur singen, sondern auch die Congas spielen. Salsa war bis dahin eine Männerdomäne gewesen. Instrumente wurden nicht von Frauen gespielt. Harlow genoss den Skandal, den Berdys Solo auslöste, und er entschloss sich, ein ganzes Frauen-Orchester, «Latin Fever», zu produzieren. Der Erfolg gab ihm recht und war wegweisend für seine Karriere. Über Jahrzehnte hinweg förderte Harlow neue Talente und brachte sie ins Rampenlicht.

Respekt durch Album

Als Arsenio Rodriguez, ein blinder afrokubanischer Musiker, der die Conga in kubanische Musik eingeführt hatte, 1970 in fast vollkommener Vergessenheit verstarb, nahm Harlow ein Album auf, das dessen Beiträgen zu kubanischen Musik huldigte. «Ohne Arsenio würde es Salsa nicht geben», erklärte er. «Als Jude hörte ich gelegentlich abfällige Bemerkungen darüber, dass ich ein Aussenseiter sei. Dieses Album hat dazu beigetragen, mir Respekt zu verschaffen.» Rodriguez hatte den Spitznamen «el ciego maravilloso», der fantastische Blinde, und schon bald hatte Harlow seinen Spitznamen in der Musikszene, den er als Ehrentitel ansah: «el judio maravilloso», der fantastische Jude. Fortan wurde er auf Konzerten nur noch mit seinen Spitznamen angekündigt.

Masucci und Pacheco verkauften zunächst Schallplatten aus dem Kofferraum ihres Autos, doch Dank der Hilfe von Harlow wurde Fania Records schon bald zum Motown der Latin Music, das mehr als nur die Latino-Bevölkerung erreichte. 1972 überzeugte Harlow den späteren Oskar-Preisträger Leon Gast, einen Dokumentarfilm über Fania Records zu machen. «Our Latin Thing» war ein intimes Portrait der Musikszene, die überwiegend in den Armenvierteln von Harlem und der Bronx aufgenommen wurde. Durch dem Film vervierfachten sich die Verkaufszahlen von Fania Records. Sein nächstes Projekt, eine Oper mit Salsa-Musik, hatte Celia Cruz in der Hauptrolle. Für New Yorks überwiegend aus Puerto Rico stammende Latinogemeinde war es eine besondere Anerkennung, dass ihre Musik nun in der renommierten Carnegie Hall gespielt wurde. Nächste Station war das Yankee Stadium, wo Harlow die Fania All Stars organisierte. 50 000 Zuschauer kamen zum allerersten Konzert einer Salsa-Band, das in einer Sportarena abgehalten wurde. Die Liste der bahnbrechenden Momente in Harlows Leben ist lang, doch er selbst sah seine Initiative zu Anerkennung von Latin Music als eigene Grammy Kategorie als bedeutendsten Moment seiner Karriere an.

Obwohl Harlow stolz auf seine jüdische Herkunft war, so gab ihm doch die afrokubanische Musik seine wirkliche Identität. Auf Kuba entdeckte er nicht nur die afrikanischen Wurzeln der Musik, sondern auch afrikanische Spiritualität. Mitte der siebziger Jahr liess er sich zum Santeria Priest ausbilden. Einen Konflikt sah er darin nicht. «Kabbala oder Santeria, beides ist für mich ein Schutz gegen das Böse.»

In einem Umfeld, in dem Karrieren oftmals nur kurze dauern, schaffe es Larry Harlow über Jahrzehnte hinweg, relevant zu bleiben. 2008 wurde er für sein Lebenswerk ausgezeichnet, doch er hörte nie auf, Musik zu machen. 2013 spielte er vor 20 000 Fans in Puerto Rico und ein Jahr später in Tokios «Blue Note Club» vor ausverkauftem Haus.

Die Publizistin Aurora Flores, die mit Harlow an seiner bisher unveröffentlichten Biographie arbeitete, drückte es vielleicht am Besten aus: «Auf den Strassen von New York wurde eine neue Musik geboren, und Larry Harlow war einer ihrer Gründerväter. Es war ein Klang, der von den in Amerika geborenen Kindern puertorikanischer Bürger, kubanischen und dominikanischen Einwanderern, Afroamerikanern und dem Urenkel eines österreichischen Rabbiners erfunden wurde.» Larry Harlow ist tot, doch sein musikalisches Erbe lebt weiter.

Julian Voloj