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Diskussion:Ernst Mordecai Lorge

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Allgemeine Zeitung. Rhein-Main-Presse 27.5.2016:

Erst floh er aus Deutschland in die USA, dann kehrte er am Ende des Zweiten Weltkrieges zurück, um als Seelsorger für KZ-Überlebende zu arbeiten: Ernst Mordecai Lorge aus Mainz. In diesen Tagen wäre er 100 Jahre alt geworden.

Schon als junger Mann war Lorge ehrenamtlich tätig und führte während seiner Studienzeit in Frankfurt die „Vereinigte Jüdische Jugendbewegung“ an. Doch die Machtübernahme der Nazis wirkte sich auch auf seine Familie aus: Bereits 1933 war sein Vater Moritz Lorge, der als Oberlehrer und Studienrat für Religion, Deutsch und Geschichte an der Höheren Töchterschule in Mainz tätig war, entlassen worden. Er konnte mit seiner Frau Hedwig in die USA emigrieren. Ernst Mordecai selbst erhielt ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in den Vereinigten Staaten und reiste auf Anraten von Rabbiner Leo Baeck 1936 ebenfalls aus.

Für die Army tätig Lorge beendete sein Studium 1942 in den USA in Cincinnati am Hebrew Union College mit dem Master-Abschluss und erhielt den Simon Lazarus-Preis für höchste akademische Leistungen. Anschließend wurde er zum Rabbiner ordiniert. Neben Deutsch und Englisch beherrschte er auch die Sprachen Französisch, Hebräisch, Yiddish, Latein und Griechisch. 1943 wurde Ernst Lorge amerikanischer Staatsbürger. Im Juni 1942 heiratete er Eudice Goldman. Das Paar hatte drei Kinder: Greta Lee, Susan Helen und Michael Maurice. Am Ende des Zweiten Weltkriegs diente Lorge ab 1944 als Seelsorger in der US-Armee und erreichte hier den Rang eines Hauptmanns. Als Mitglied der 69. Infanterie war er in England, Frankreich, Belgien und Deutschland stationiert und aktiv an der Rehabilitation der Zwangsverschleppten beteiligt. Er organisierte die Verteilung von Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten und sorgte für die Gründung von Schulen und Zeitungen. Er gehörte zu der Einheit, die Juden aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreiten und war der erste jüdische Seelsorger, der sich um die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz kümmerte. Als die Amerikaner die Region evakuierten und sie an die Russen übergaben, wurde Lorge von zahlreichen Juden inständig gebeten, sie in die amerikanische Zone zu befördern. Durch Bereitstellung von Sonderzügen seitens der US-Armee gelang es ihm, insgesamt über 5000 Menschen aus der Russischen Zone zu befreien. Später war Lorge verantwortlich für alle Vertriebenen in Nordhessen. In Eschwege errichtete er ein großes Auffanglager. In Marburg gehörte er zu den Mitbegründern der deutsch-jüdischen Zeitschrift „Jüdische Rundschau“, die den englischen Titel „The Jewish Review by and for liberated Jews in Germany“ trug. Bevor er 1946 in die USA zurückkehrte, war er zeitweise noch in Bad Wildungen und Heidelberg stationiert One looks at his own home like a stranger“ Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Lorge mehrmals nach Deutschland zurück. Auch in Mainz verbrachte er einige Zeit und machte 1945 an seinem ehemaligen Elternhaus Halt. Damals bat die neue Besitzerin den „jungen Mann in amerikanischer Uniform“ ins Haus, was dieser jedoch ablehnte. Sein Elternhaus und seine Geburtsstadt betrachtete er mittlerweile mit den Augen eines Fremden. „One looks at his own home like a stranger“, sagte er später in einem Interview. Im Jahr 1967 kam Lorge auf Einladung des Bundesministeriums für Bildung erneut nach Deutschland, um an verschiedenen Universitäten Vorträge über den Holocaust zu halten. Es war ihm wichtig, dass „wir Hitler nicht zu einem posthumen Sieg verhelfen, indem wir Deutschland erlauben, frei von jüdischem Leben und Einfluss zu sein“. In den frühen 1980er Jahren hielt er in der restaurierten Synagoge von Ost-Berlin als erster westlicher Rabbiner nach dem Krieg an den Feiertagen Rosch ha-Schana (jüdischer Neujahrstag) und Jom Kippur (Versöhnungstag) Gottesdienste ab. Damals lebten weniger als 600 Juden in der DDR, die meisten von ihnen in Ost-Berlin. Rabbi Lorge sagte: „Auch wenn es sich um eine kleine Gemeinde handelt, so müssen wir doch ihre Standhaftigkeit bewundern, mit der sie ihren jüdischen Glauben lebt.“ Ernst Lorge war neben seinen seelsorgerischen Tätigkeiten auch in der Bürgerrechtsbewegung aktiv und gehörte in den frühen 1960er Jahren zu den Mitbegründern der Chicago Commission on Race and Religion. Während der Bürgerunruhen in Chicago fungierte er als Vermittler zwischen der Stadt und den Demonstranten. In dieser Zeit hatte ihn Präsident Kennedy zudem in den Beratungsausschuss für Rassenbeziehungen berufen. Rabbiner Ernst Lorge starb im Alter von 73 Jahren am 24. Februar 1990 in Chicago. Mehrere seiner Kinder und Enkel haben Mainz besucht und waren bei der Einweihung der Neuen Synagoge in der Mainzer Neustadt 2010 vor Ort. Enkel besuchen alte Heimat „Das Lorge-Haus am Rosengarten steht noch immer, ebenso wie die Rosensträucher“, berichtet seine Enkelin Yael Splansky, die in die Fußstapfen ihres Großvaters und Vaters trat und in Kanada in Toronto ebenfalls als Rabbinerin wirkt. „Wie so vieles, ist die Geschichte meines Großvaters von gemischten Gefühlen geprägt. Er erzählte uns vom Schwimmen im Rhein, von den europäischen Köstlichkeiten, die er genoss, von seinen Abenteuern in der Natur mit den Pfadfindern, von seiner Abiturabschlussrede, die er in Englisch hielt, von der Haushälterin, die die Familie vor der ,Kristallnacht‘ gewarnt hatte, und von Rabbiner Leo Baeck, der ihm riet, nach Amerika zu gehen und Rabbiner zu werden.“ Ihr Großvater habe zusammen mit seiner Frau sein Leben genossen, war viel auf Reisen, insbesondere nach Israel. Das alles sei nur möglich gewesen, weil er stets eine in die Zukunft blickende Persönlichkeit war, die immer realistisch blieb, hoffnungsvoll und furchtlos.


Aus der Vita

Von 1942 bis 1944 und von 1946 bis 1947 war Ernst Mordecai Lorge Rabbi der Gemeinde Temple Israel in Tallahassee (Florida) und Direktor der „Hillel Foundation“ am Florida State College in Tallahassee. 1947 wurde Lorge Rabbi der Gemeinde Temple Beth Israel in Chicago (Illinois), wo er bis zu seiner Pensionierung 1985 tätig war.

Er hatte zahlreiche Ämter inne, so war er Präsident des Chicago Chapter of the Labor Zionist Alliance, der Chicago Association of Reform Rabbis und des Chicago Board of Rabbis. Ferner wirkte er als Vorstandsmitglied der American Reform Zionist Association und als Ratsmitglied des American Jewish Congress. Lorge war außerdem Dozent an der Northeastern Illinois University und Direktor des Chicago Board of Education.