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Blanka Pudler

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Blanka Pudler (geb. 1929 in Solotwyno, damals Tschechoslowakei, heute Ukraine; gest. September 2017 in Budapest, Ungarn[1]) war eine ungarische Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz und eine Zeitzeugin des Holocaust. Für ihr Engagement wurde sie im Jahre 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

Leben

Kindheit und frühe Jugend

Blanka Pudler wurde als viertes von sechs Kindern einer praktizierenden jüdischen Familie geboren. Der Vater war Herrenschneider. Aufgrund der unzureichenden Verdienstmöglichkeiten in Solotwyno, einem kleinen Ort in der Karpatenukraine, zog die Familie 1930 nach Kežmarok in der Slowakei. Dort wuchs Blanka Pudler mit den Sprachen Deutsch, Slowakisch und Jiddisch auf und besuchte eine slowakische Schule. Kežmarok, deutsch Käsmark, hatte bis 1940 eine aktive jüdische Gemeinde, die etwa 14 % der Bevölkerung ausmachte. Der Vater, der eine schöne Stimme hatte, strebte dort das Amt des Kantors an, welches er aber nicht erreichen konnte. Die Familie zog nach Levice, das durch den Ersten Wiener Schiedsspruch zu Ungarn gehörte. Pudler lernte nun in der Schule als weitere Sprache Ungarisch, die Familie nahm die ungarische Staatsangehörigkeit an. Blanka war eine gute Schülerin und aufgrund der weiterhin bestehenden Armut der Familie trug sie durch Tätigkeiten in den Ferien zur Erbringung des Schulgelds bei. Durch den Einmarsch der Deutschen Wehrmacht 1944 endete ihre Schulzeit vorzeitig. Das Schulgebäude wurde zur Kaserne umfunktioniert, die jüdische Bevölkerung zunächst ghettoisiert, dann an verschiedene Orte deportiert.[2][3]

Zeit des Holocaust

Im April 1944 wurde Blanka Pudler mit einem Teil ihrer Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die ältere Schwester Roszi konnte in Budapest überleben, ihr Bruder Deszö wurde zum Arbeitsdienst verpflichtet.[4] In Auschwitz-Birkenau erlebte sie die Selektion an der Rampe und sah dort ihre Mutter zum letzten Mal. Sie selbst kam in die Baracke 3 in Birkenau, wo sie die zuvor vermisste Schwester wiedertraf und sieben Wochen die Schrecken und Demütigungen des Lagers und der immer wieder stattfindenden Selektionen und Vergasungen miterlebte. Ende Juli 1944[5] wurde sie einer Gruppe von etwa tausend ungarischen Jüdinnen im Alter zwischen 16 und 50 Jahren zugeteilt, die in einer fünftägigen Fahrt nach Hessisch Lichtenau verbracht wurde.

Die Frauen wurden dort zur Zwangsarbeit in der Sprengstofffabrik Hessisch Lichtenau eingesetzt. In der in einem Wald versteckt liegenden Fabrik arbeiteten auch deutsche Arbeitskräfte. Im Unterschied zu diesen hatten die jüdischen Arbeiterinnen keinerlei Schutzkleidung und waren den gefährlichen Giftstoffen, mit denen sie für die Herstellung der Sprengstoffe Trinitrotoluol (TNT) und Pikrinsäure (TNP) hantieren mussten, ungeschützt ausgesetzt. Die äußeren Zeichen waren Gelbfärbungen von Haut und Haaren, weshalb man sie „Kanarienvögel“ nannte.[6][7] Immer wieder waren sie der Gefahr von unkontrollierten Explosionen ausgesetzt.[8] Zusätzlich litten sie unter der völlig unzureichenden Ernährung, im Winter dann unter der Kälte, unter der mangelhaften Kleidung und dem Verletzungen verursachenden Schuhwerk, sowie den häufigen Demütigungen und Schlägen durch die Wachleute.[2][3] Untergebracht waren die jüdischen Arbeiterinnen in verschiedenen Lagern rund um Hessisch Lichtenau. Gearbeitet wurde zunächst in drei, später in zwei Schichten. Wer den erschöpfenden Arbeitsbedingungen nicht standhielt, wurde nach Auschwitz zurückgebracht und dort ermordet. Verwaltet wurde die Zwangsarbeit vom Konzentrationslager Buchenwald. Die Fabrik selbst wurde von Dynamit Nobel betrieben.[9]

Befreiung

Blanka und ihre inzwischen an Tuberkulose erkrankte Schwester erlebten das Näherrücken der Kriegsfront, den am Schluss dauerhaften Fliegeralarm und die Bombardierung des Lagers, in dem sie untergebracht waren. Am 29. März 1945 wurden die Lager evakuiert, Bewacher und Gefangene begaben sich auf einen für viele tödlichen Marsch Richtung Leipzig. Die verbliebene Gruppe der mitgefangenen Jüdinnen wurde in Wurzen durch Soldaten der US-Streitkräfte befreit, dann wurden sie der Roten Armee übergeben und mit Bussen nach Bratislava gebracht. Da für die Weiterfahrt in den Heimatort keine Transportmöglichkeiten bestanden, kam es noch einmal zu weiten Fußmärschen, bei denen Blanka Pudlers Füße stark geschädigt wurden. Zusammen mit der Schwester wartete sie in Obhut der jüdischen Gemeinde in Solotwyno auf die Rückkehr des Vaters, erfuhr aber dann, dass dieser aufgrund der harten Zwangsarbeit in einem Zementwerk bereits 1944 im Alter von 47 Jahren verstorben war. Von den Geschwistern hatten zwei Schwestern und ein Bruder überlebt. Die Geschwister trafen sich in Budapest, wo sie ein neues Leben begannen.[2][3][10]

Nach 1945

Ihren Wunsch, die abgebrochene Schulbildung fortzusetzen, konnte Blanka Pudler nicht umsetzen, sondern absolvierte stattdessen eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Aufgrund einer Armverletzung konnte sie diesen Beruf aber nicht lange ausüben, sondern arbeitete stattdessen in einer Apotheke. 1950 heiratete sie, 1952 wurde die Tochter Agnes geboren.[3]

Von 1962 bis 1965 folgte sie ihrem Mann, der beruflich nach Accra in Ghana versetzt wurde, und arbeitete dort in der ungarischen Botschaft. Nach ihrer Rückkehr fand sie eine Anstellung in einem Außenhandelsunternehmen. 1984 ging sie teilweise in Ruhestand und arbeitet nur noch halbtags. Wie viele Holocaust-Überlebende konnte sie erst nach einem längeren zeitlichen Abstand über ihre Erfahrungen sprechen. Auf Einladung der Geschichtswerkstatt Hessisch-Lichtenau/Hirschhagen fuhr sie 1986 zu einem Treffen der ehemaligen Zwangsarbeiter von Hessisch Lichtenau und begann danach, Einladungen von Schulklassen und Vereinen zu folgen, um als Zeitzeugin über ihre persönlichen Erfahrungen zu berichten und die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Seit 2002 ist Blanka Pudler in der ungarischen Gruppe „Dialog für Toleranz“ (Ariadne-Gruppe) aktiv und besuchte auch zahlreiche Schulen in Deutschland.[2]

2012 überreichte Bundespräsident Joachim Gauck Blanka Pudler und drei weiteren Holocaust-Überlebenden das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihr Engagement bei der Erinnerungsarbeit zur Shoah.[11][12]

Im September 2017 verstarb Blanka Pudler im Alter von 88 Jahren in Budapest.[1]

Auszeichnung

  • 2012: Bundesverdienstkreuz am Bande

Literatur

  • Blanka Pudler, Dieter Vaupel: Auf einem fremden unbewohnbaren Planeten. Wie ein 15-jähriges Mädchen Auschwitz und Zwangsarbeit überlebte. Dietz-Verlag Bonn 2018 ISBN 978-3-8012-0530-0
  • Elke Mark: Kanarienvogel. Buch und Film über das Leben und den Verfolgungsweg von Blanka Pudler. Prima Print GmbH, Köln 2008
  • Dieter Vaupel: Das Außenkommando Hessisch Lichtenau des Konzentrationslagers Buchenwald 1944/1945. 2. Auflage, Kassel 1984 ISBN 978-3-88122-211-2
  • Dieter Vaupel: Spuren die nicht vergehen. Eine Studie über Zwangsarbeit und Entschädigung. Schriften zur regionalen Zeitgeschichte. Kassel, hg. vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Humanwissenschaften der Universität Gesamthochschule Kassel, Band 12, Verlag Gesamthochschul-Bibliothek, 2. Auflage Kassel 2001 ISBN 978-3-88122-592-2 online
  • Jürgen Jessen (Hrsg.): Wie es war. Zeitzeugen des Holocaust in Schule und Öffentlichkeit. Geschichtswerkstatt Hessisch Lichtenau. Veröffentlichungen der Universität Kassel zur Geschichte des Nationalsozialismus in Nordhessen, Kassel 1994

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Blanka Pudler ist im Alter von 88 Jahren verstorben. In: lokalo24.de. lokalo24, 27. September 2017, abgerufen am 17. Oktober 2017.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Blanka Pudler in Zeitzeugenprojekte, abgerufen am 27. Mai 2016.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Karl Fischer: Persönlicher Bericht über den Abend mit der Auschwitz-Zeitzeugin Blanka Pudler in der Gedenkstätte Breitenau am 26. Januar 2009. In: gedenkstaette-breitenau.de (PDF).
  4. Pudler Blanka und Vaupel, Dieter: Auf einem fremden unbewohnbaren Planeten : wie ein 15-jähriges Mädchen Auschwitz und Zwangsarbeit überlebte. J. H. W. Dietz, Bonn, ISBN 978-3-8012-0530-0, S. 123-128.
  5. Vaupel, Dieter,: Spuren, die nicht vergehen : eine Studie über Zwangsarbeit und Entschädigung. 1 Auflage. Verlag Gesamthochschulbibliothek Kassel, Kassel 1990, ISBN 3-88122-592-7.
  6. Gregor Espelage, Dieter Vaupel: 700 Jahre Hessisch Lichtenau. Ein ergänzender Beitrag zur Heimatkunde. Rüstungsproduktion in „Friedland“. Die Fabrik Hessisch Lichtenau zur Verwertung chemischer Erzeugnisse G.m.b.H. Herausgegeben von Geschichtswerkstatt Hessisch Lichtenau, Hirschhagen. Ekopan, Witzenhausen 1989, S. 22 ISBN 3-927080-06-3
  7. Hessisch Lichtenau. Geschichte einer Sprengstofffabrik (Memento vom 16. März 2013 im Internet Archive)
  8. Projektgruppe Hirschhagen (Hrsg.): Hirschhagen, Sprengstoffproduktion im „Dritten Reich“. Ein Leitfaden zur Erkundung des Geländes einer ehemaligen Sprengstofffabrik. 2. Auflage. Gesamthochschule Kassel, Fachbereich 1 – Projektgruppe Hirschhagen u. a., Kassel u. a. 1991, S. 33 ISBN 3-88327-194-2
  9. Dieter Vaupel: Spuren die nicht vergehen. Eine Studie über Zwangsarbeit und Entschädigung. Schriften zur regionalen Zeitgeschichte. Kassel, hg. vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Humanwissenschaften der Universität Gesamthochschule Kassel, Band 12, Verlag Gesamthochschul-Bibliothek, 2. Auflage Kassel 2001.
  10. Die vergessenen Kanarienvögel. In: Die Welt, 4. August 2014.
  11. Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Blanka Pudler, die Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik in Hessisch-Lichtenau überlebte. In: Gegen Vergessen – Für Demokratie.
  12. Vier Holocaust-Überlebende erhielten das Bundesverdienstkreuz. (Memento vom 26. Mai 2016 im Internet Archive) In: Deutsche Botschaft Budapest.
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