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Myrthe Dreyfuss-Kahn

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M. Dreyfuss-Kahn

Myrthe Dreyfuss-Kahn (geb. 1928), Zeitzeugin der jüdischen Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts. Als Präsidentin des Verbands Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF) (1985 bis 1996) prägte sie die Schweizer Flüchtlingspolitik der Gegenwart und später deren Aufarbeitung.

Leben

entnommen dem tachles-Newsletter vom 9. Februar 2018 (Autor Yves Kugelmann)


Geboren 1928 in Basel als Tochter von Hans David Kahn und Johanna Kahn-Weil aus dem baden-württembergischen Emmendingen nahe Freiburg im Breisgau, erlebte Myrthe Dreyfuss-Kahn als Einzelkind eine glückliche Kindheit, Jugend und Schulzeit in Basel. In Basel pflegten die Kahns das soziale Leben, die Freundschaften und familiären Bande.

Grenzerfahrungen und Amerika

Myrthe Dreyfuss besuchte zunächst die Grundschule, danach das Mädchen-Gymnasium in Basel, das sie 1947 mit der Matura abschloss. Sie erinnert sich an diesen Zeitabschnitt: «Wir hatten einfach eine Menge Flüchtlinge bei uns, die ein warmes Zimmer suchten.» Aber auch daran, dass regelmässig viele Freunde zum Radiohören zu ihnen kamen, an die Lebensmittelrationierung, an die auch im Winter oft ungeheizte Wohnung, wo sie im Mantel ihre Hausaufgaben machte. Und an die Angst, die man trotz allem hatte. Demgegenüber sei man, sagt sie, «näher zusammengerückt, es gab überhaupt kein Klassendenken zwischen arm und reich». Am 10. November 1938 wird ihr Grossvater nach Dachau deportiert. Ihre Eltern deponierten eine Kaution bei der Basler Fremdenpolizei und so konnten die Grosseltern im Februar 1939 als arme Emigranten mit 10 Reichsmarrk in die Schweiz einreisen.

Wichtig wurde für Myrthe Dreyfuss, im Anschluss an die Kriegsjahre, Bildung und Studium. Nach zwei Semestern an der Basler Universität folgte das Studium an der Columbia Universität New York in den Fächern Kreditgeschäfte, öffentliche Administration und internationales Recht und in Paris an der Faculté de Droit vor allem in Finanzwissenschaften. Darauf folgte erneut das Studium an der Basler Universität.

1955, mit der Dissertation über die Frauenerwerbsarbeit in der Schweiz und der erfolgreichen Absolvierung des Doktoratsexamens als rer. pol., ging sie nach Hannover, wo sie «die interessanteste Zeit meines Lebens» verbrachte. Sie arbeitete als neutrale Instanz bei bilateralen Verhandlungen zwischen der 
Türkei und Deutschland. Danach, sagt sie, konnte sie nichts mehr erschüttern: In der Politik werde nur gelogen, nichts sei wahr gewesen, weder von der einen noch der anderen Seite. Ein Jahr zuvor hatte sie ihren Vater verloren. Er war – als einziger überzeugter Zionist in der ganzen Familie – beim Zeichnen von Bonds für Israel einfach zusammengebrochen.

SIG und VSJF

Im August 1956 heiratete Myrthe Kahn den Elektroingenieur Marc Dreyfuss, mit dem sie eine glückliche und leider nur 28 Jahre dauernde Ehe führte, aus der drei Kinder hervorgegangen sind. Inzwischen gibt es fünf Enkel und fünf Urenkel.

Als Gottlieb Duttweiler sie anfragte, die Kulturarbeit der Migros zu leiten, refüsierte sie schweren Herzens zugunsten der Erziehung ihrer Kinder. «Meine Kinder sind gut herausgekommen», sagt sie, «und das war es wert.»

Neben Engagements in vielen jüdischen Vereinen, etwa als Präsidentin der Frauenloge, später des Präsidiums des Israelitischen Frauenvereins Zürich, führte sie das Kulturprogramm ein und initiierte dort die später gegründete Kinderkrippe Maon Jom. 1980 wurde sie als Delegierte des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich gewählt. 1985 nahm sie dann die Wahl in die Geschäftsleitung des SIG an und übernahm das Sozial
ressort, worin das Präsidium des VSJF enthalten war. Gleich zu Beginn musste sie sich mit den schwierigen Verhältnissen im Iran aus
einandersetzen, den viele Juden aus politischen Gründen fluchtartig verlassen mussten. Sie kamen meist über die Türkei in die Schweiz, wo ihnen der VSJF Rotkreuz-Papiere besorgte, damit sie weiterreisen konnten. Auf die Iraner folgten Flüchtlinge aus der Sowjetunion, und 1992/93 begann der Balkankrieg, der eine Welle aus Bosnien auslöste.

Myrthe Dreyfuss wurde schliesslich in den Vorstand der Schweizerischen Flüchtlingshilfe gewählt und verschaffte sich Respekt bei Schweizer Behörden. So war es ihr möglich, zur Rehabilitation von Hauptmann Paul Grüninger wesentlich beizutragen. Als Mitglied des European Council of Jewish Communities pflegte sie Beziehungen zu vielen europäischen Gemeinden, was mit etlichen Reisen verbunden war. Für den VSJF eröffnete sich eine neues Feld, in dem viele Anfragen von Erben erfolgten, welche nach der Zusammenführung der beiden Deutschland und des Endes des Kommunismus in der Sowjetunion auf der Suche nach Vermögenswerten waren.

Zeugin der Zeitgeschichte

Im Frühling 1996, nach dem Austritt aus der Geschäftsleitung des SIG, engagierte sie sich während einiger Zeit für Stadtführungen, spezialisiert auf jüdische Belange, zum Beispiel in einem Quartier im Niederdorf, welches im Mittelalter von Juden bewohnt war, und andererseits besuchte sie mit Interessierten heutige jüdische Institutionen wie Synagogen, Altersheime, Schulen und Kindergärten, Bibliotheken oder Friedhöfe. Sie widmete sich auch vielen Fragen des Archives für jüdische Zeitgeschichte.

Heute ist sie gerade auch als als Zeugin der Zeitgeschichte unterwegs und hält Vorträge im In- und Ausland. Und vor allem ist sie eine wunderbare Erzählerin mit einem Gespür für Geschichte, Entwicklungen und eine jüdischen Tradition von Solidarität, Offenheit und Wohltätigkeit, auf der gerade auch die jüdische Gemeinschaft der Schweiz gründet.

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