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Reicher Mann und armer Lazarus

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Das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus ist eine biblische Erzählung aus dem Lukasevangelium (Lk 16,19–31 EU). Die Figur des Lazarus ist nicht identisch mit dem nach dem Johannesevangelium von Jesus Christus auferweckten Lazarus (Joh 11 EU).

Inhalt

Das Gleichnis beginnt unvermittelt ohne jegliche Einleitung. Auch fehlt eine Deutung durch Jesus oder den Evangelisten. Durch die Inszenierung im Hades und das Auftreten Abrahams wird jedoch klar, dass es sich um eine fiktive Beispielerzählung handelt. Sie stellt zwei Figuren einander gegenüber:

  • Ein Mensch,[1] an dessen Kleidung sein Reichtum ablesbar ist, verbringt sein Leben damit, sich prächtig zu vergnügen. Das purpurgefärbte Obergewand, das in der Antike königliche Konnotationen hatte, ist kombiniert mit einem Untergewand aus feinem Leinen (Byssos).[2]
  • Der arme Lazarus liegt vor der Tür des Reichen. Er ist der einzige Akteur in einem Gleichnis des Neuen Testaments, der einen Namen hat.[3] Ihn kennzeichnen nicht etwa Lumpen, sondern seine Geschwüre. Ist Reichtum etwas, das mit einem Kleider-Code nach außen gezeigt wird, so betreffen Armut und Krankheit den Körper direkt und machen ihn abstoßend. Passivität kennzeichnet den Armen. Er beobachtet hungrig (durch die anscheinend offene Tür), dass Brotstücke[4] vom Tisch des Reichen auf den Boden fallen. Die hätte er gerne. Aber sie bleiben unerreichbar. Die einzige Aufmerksamkeit, die sein Zustand findet, ist die von streunenden Hunden. Sie lecken seine Geschwüre.[5]

Lazarus’ Sterben ist aufgrund dieser Zustände absehbar und wird geradezu behutsam geschildert. Engel tragen ihn in Abrahams Schoß (wörtlich: altgriechisch κόλπος kólpos „Brust“.) Er hat einen Ehrenplatz an der jenseitigen Tafel; Lazarus liegt an der Brust Abrahams wie der Lieblingsjünger an der Brust Jesu (Joh 13,23 EU). Damit wird die enge Gemeinschaft beider ausgedrückt.[6]

Der Reiche stirbt, wird begraben und findet sich im Hades wieder, wo ihn Schmerzen quälen. Von ferne sieht er Abraham und Lazarus in dessen Schoß. „Lazarus ist drinnen, der Reiche draußen. Lazarus ist umsorgt (vgl. Vers 24), der Reiche darbt und wird … zum Bettler.“[7] Mit Vers 23 ändert sich die Erzählperspektive; der Leser verfolgt das Geschehen nun aus der Sicht des Reichen. Sein Dialog mit Abraham zeigt, wie der reiche Mensch denkt. Zunächst wendet er sich bescheiden an seinen „Vater Abraham“ mit dem Wunsch, er möge Lazarus senden, damit dieser seine Qual mit einem Tropfen Wasser lindere. Der Wunsch nach Wasser korrespondiert mit Lazarus’ unerfülltem Wunsch nach Brot. Der Reiche zeigt damit auch, dass er Lazarus zu Lebzeiten zwar ignoriert, aber gleichwohl bemerkt hat. Abraham stellt sich nun sozusagen schützend vor Lazarus und weist den Zugriff des Reichen auf Lazarus’ Dienstleistung ab:[8]

Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lazarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. (Lk 16,25)

Abraham wirbt um Verständnis, weniger bei dem Reichen, denn der hat keine Handlungsoptionen mehr, umso mehr aber beim Leser, der verstehen soll: Zwischen Lazarus und dem Reichen befindet sich eine große Kluft (altgriechisch χάσμα chásma), die unüberwindlich ist. Im Jenseits ist die hilfreiche, mitmenschliche Kontaktaufnahme unmöglich, dafür ist es zu spät. Implizit heißt das auch: zu Lebzeiten der beiden wäre sie möglich gewesen, der Reiche hätte nur zu seiner Tür hinaus gehen müssen.[9]

Hier könnte die Erzählung zu Ende sein, aber der Reiche hat noch einen Wunsch. Abraham möge den Lazarus aus dem Jenseits zu den fünf Brüdern des Reichen schicken, um sie davor zu warnen, welches Schicksal sie ereilen könnte. Abraham lehnt das ab mit dem Verweis auf die heiligen Schriften Israels („Mose und die Propheten“), in denen alles steht, was für die Brüder zu wissen nötig ist. Ein letztes Mal verwendet sich der Reiche für die noch lebenden Brüder: Ein Mensch, der aus dem Totenreich zurückkehrt, wäre doch überzeugener als heilige Schriften. Abraham weist das zurück:

Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht. (Lk 16,31)

Diese Information über die im Jenseits geltenden Kriterien, die der Reiche seinen lebenden Brüdern nicht übermitteln kann, bietet ironischerweise die lukanische Beispielerzählung dem Leser an. Er bleibt mit der Frage zurück, ob für die Geschwister des Reichen noch Hoffnung besteht.[10]

Hintergrund und Deutung

Die Beispielerzählung hat eine chiastische Struktur. Im Diesseits und im Jenseits gibt es einen guten und einen qualvollen Ort; Lazarus und der Reiche tauschen nach dem Tod ihre Plätze:[11]

Positiver Ort Zwischenraum Negativer Ort
Irdisches Leben Haus des Reichen Tür Vor dem Haus des Reichen
Leben nach dem Tod Abrahams Schoß unüberwindbare Kluft Hades

Zur Bedeutung des Gleichnisses gibt es darüber hinaus verschiedene weiterführende Auslegungen:

  • Die Figur des Lazarus kann als typos der jüdischen Armenfrömmigkeit gesehen werden. Die frühe Weisheit Israels ging davon aus, dass Gott den Gerechten belohnt und den Sünder bestraft, dass also der Sünde das Unglück und der Gerechtigkeit das Glück entspricht. Unter David und Salomo war das Königreich Israel eine wohlhabende Theokratie gewesen. Nach dem Exil bei den Babyloniern verarmte das Volk. 90 Prozent der Judäer konnten zu den Armen gerechnet werden. Der alte Grundsatz, dass es dem Gerechten, der sich auf dem rechten Wege befindet, gut geht und dass Armut eine Folge schlechten Lebens war, ließ sich nicht mehr aufrechterhalten. Der Gerechte wurde in der Welt immer mehr zum leidenden Gerechten. In einer Reihe von Psalmen (44, 73) wird das Thema der Klage der Armen vor Gott, die im Gehorsam gegen seine Gebote leben und nur Unglück erfahren, während die Zyniker, die Gott verachten scheinbar von Erfolg zu Erfolg gehen, abgehandelt. Im Gebet wird dem Frommen schon auf Erden klar, dass diese Art des Reichtums töricht ist.

    Ich, in Gerechtigkeit werde ich dein Angesicht schauen, mich satt sehen an deiner Gestalt, wenn ich erwache. (Ps 17,15 EU)

  • Lazarus ist ein Bild für materiell verarmte Menschen; der reiche Mann versinnbildlicht reiche Menschen. Der reiche Mann erleidet nach dieser Interpretation Qualen im Hades, weil er den Armen nicht ausreichend geholfen habe. Lazarus dagegen kommt allein aufgrund seiner Armut in den Schoß Abrahams. Da dies die einzige Stelle in der Bibel ist, wo von Qualen im Hades die Rede ist, wird manchmal hier ein Bild für eine Hölle gesehen.
  • Nach anderer Auslegung kritisiert das Gleichnis die jüdischen Autoritäten, die zwar komfortabel leben, sich aber nicht um die Erfüllung des Gesetzes („Mose und die Propheten“) kümmern und damit Gottes Wort verfälschen, weshalb sie nicht am Königreich Gottes teilhaben. Mit Lazarus ist dagegen der gläubige Teil Israels gemeint, das einfache Volk, das die Erlösung erwartet.[12] In ähnliche Richtung weist eine ältere Auslegung von Johann Nepomuk Sepp und der Abbé Drioux, die im reichen Mann den zur Zeit Jesu amtierenden Hohenpriester Kajaphas erkennen will. Die fünf Brüder wären demnach seine fünf Schwäger – Eleazar (Hoherpriester 16–17), Jonathan (36–37), Theophilus (37–41), Matthias (43) und Ananus (63) – die ebenfalls im 1. Jahrhundert das Amt des Hohenpriesters erlangten.[13] Deren Vater, zu dem Lazarus geschickt werden soll, um sie zu warnen, wird von Sepp als der Hohepriester Hannas identifiziert.[14]

Rezeptionsgeschichte

Links: Lazarus stirbt vor der Tür des Reichen. Rechts: der Reiche leidet im Jenseits Qualen (Bernard van Orley: Triptychon der Geduld, 1521, Königliche Museen der Schönen Künste, Brüssel)

Die AntiphonIn paradisum“ war Teil der mittelalterlichen westkirchlichen Sterbeliturgie. Sie drückt die Hoffnung aus, der Verstorbene möge gemeinsam mit dem armen Lazarus in Ewigkeit ruhen.

Im weiteren Sinn wurde die Bezeichnung rezipiert in Begriffen wie

Forschungsgeschichte

Die Forschung hat sich seit dem 19. Jahrhundert bei diesem Gleichnis besonders für die Frage interessiert, ob der Text eine literarische Einheit bildet. Daneben wurde nach außerbiblischen Parallelen gefragt und diskutiert, ob das Gleichnis dem historischen Jesus von Nazareth zuzusprechen sei.[15]

In seinem Klassiker Die Gleichnisreden Jesu vertrat Adolf Jülicher 1899 eine Zweiteiligkeit des Gleichnisses. Der erste Teil (Lk 16,19–26 EU) enthalte eine klare Botschaft: „Freude an einem Leben im Leiden, Furcht vor dem Genussleben wollte die Erzählung vom reichen Mann und armen Lazarus erzeugen …, und der Zweck wäre glänzend erreicht worden, wenn die Geschichte nicht hinterdrein durch Fussfesseln schwer behindert worden wäre.“[16] Diese Freude an der Armut passe zur Botschaft Jesu, der hier zeitgenössische „Volksvorstellungen“ über die Zustände im Jenseits voraussetze, ohne in diesem Punkt eine neue Lehre zu verkündigen.[17] Der zweite Teil (Lk 16,27–31 EU) sei ein vorlukanischer Zusatz, in dem fünf bisher unerwähnte Brüder des Reichen in den Vordergrund treten. In diesem Zusatz spiegelt sich laut Jülicher die Enttäuschung über den Misserfolg der christlichen Mission im größten Teil des jüdischen Volkes; eine Ausdeutung der insgesamt sechs Brüder auf die Zahl der Söhne Leas als den ungläubigen Teil der zwölf Stämme Israels (Ferdinand Hitzig) oder die Zahl der „jüdischen Häresien“ (Eduard Zeller) oder die als Könige herrschenden Herodier von Herodes bis Herodes Agrippa II. (Karl Theodor Keim) lehnt Jülicher ab („überflüssiger Scharfsinn“).[18] Lukas habe diese erweiterte Fassung des Gleichnisses vorgefunden und mehr schlecht als recht durch die Einleitung Lk 16,14–18 EU in den Kontext seines Evangeliums eingegliedert: „wenn Ihr Pharisäer also Euch auflehnt gegen das Evangelium, so seid Ihr zugleich Verächter des Gesetzes.“[19]

Jülichers blasse „Volksvorstellungen“ über das Jenseits, die Jesus aufgegriffen habe, erhielten durch Hugo Gressmann 1918 ägyptisches Kolorit. Er verwies auf ein demotisches Volksmärchen von der Hadesfahrt des Königssohnes, das in der Fassung des frühen 2. Jahrhunderts n. Chr. bekannt ist und nach Einschätzung Gressmanns in hellenistischer Zeit entstand, da es die Verschmelzung von ägyptischen und griechischen Jenseitsvorstellungen voraussetze. Es habe Parallelen in einer in mehreren Versionen umlaufenden Legende in der rabbinischen Literatur. Ägyptisches Märchen und jüdische Legende befassen sich mit dem Schicksal zweier gleichzeitig Verstorbener, von denen der Gottlose ein prächtiges Begräbnis erhält, der Fromme hingegen ohne alle Ehren beigesetzt wird. Im Jenseits dagegen gehe es dem Frommen gut, dem Bösen schlecht (inklusive Folter und Durst). Im Märchen zeigt ein Zauberer dem unbeteiligten Prinzen das Los des Reichen und des Armen, während in der Legende ein Frommer von Gott oder Engeln über das jenseitige Los eines Zöllners und eines Schriftgelehrten, den der Fromme zu Lebzeiten kannte, aufgeklärt wird.[20] Über das ägyptische Judentum sei der Märchenstoff auch in Palästina bekannt geworden. Jesus greife diese volkstümliche Geschichte auf und füge ihr seinen eigenen Schluss hinzu: damit plädierte Gressmann für die literarische Einheit von Lk 16,19–31 EU. Jesus wandte sich laut Gressmann gegen beliebte Jenseitsspekulationen, um seine ethische Botschaft zu unterstreichen:„Das Gleichnis Jesu hat eine völlig andere Pointe als das ägyptische Märchen: es will nicht mehr wie dieses den Satz von der ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits einprägen, den es als selbstverständlich voraussetzt, es will auch nicht mehr das Jenseits schildern, sondern im Gegenteil alle Himmel- und Höllenmythologie als überflüssig ablehnen, damit sich der Mensch auf das eine allein besinnt, was not tut und Gott von ihm fordert.“[21]

Gressmanns ägyptische Parallele beeinflusste die weitere Forschung sehr stark, obwohl Rudolf Bultmann in seinem Standardwerk Die Geschichte der synoptischen Tradition 1921 widersprach. Bultmann meinte, dass ägyptisches Märchen und jüdische Legende eine andere Pointe hätten als das Gleichnis vom armen Lazarus, nämlich „der Nachweis der göttlichen Gerechtigkeit durch den Ausgleich der Geschicke im Jenseits.“ Bultmann schlug eine andere, allerdings späte jüdische Legende als Parallele vor. Sie handelt von einem gottlosen Paar. Die Frau stirbt und erleidet im Jenseits Qualen. Sie richtet dem Mann aus, er solle umkehren, um nicht das Gleiche zu erleiden. Der Mann handelt dementsprechend. Dem Lazarus-Gleichnis liege eine vergleichbare jüdische Erzählung von einer warnenden Botschaft aus der Totenwelt zugrunde, aber dieser Schluss sei polemisch umgebogen worden, wodurch erst die „die ursprüngliche Einheit der Geschichte sprengende Pointe“ entstanden sei.[22] In seiner jetzigen Form, die Lukas bereits vorgelegen habe, besitze die Erzählung zwei konkurrierende Pointen:

  • Die jenseitige Gerechtigkeit gleicht irdisches Unrecht aus,
  • Botschaften aus dem Jenseits sind uninteressant, weil alles nötige Wissen in Tora und Propheten zugänglich ist.[23]

Während die von Bultmann als Parallele vorgeschlagene Ehepaar-Legende kritisiert und einhellig abgelehnt wurde, fand Gressmanns ägyptisches Märchen um so größere Zustimmung – in einer charakteristischen Vereinfachung. Denn Gressmann hatte nicht das vorliegende demotische Zaubermärchen als Parallele bezeichnet, sondern eine diesem zugrunde liegende, verlorene ältere Fassung. Mal wurden in der Exegese stärker die Parallelen zwischen dem Märchen von der Hadesfahrt des Königssohnes und dem lukanischen Gleichnis betont, mal mehr die Parallelen zwischen der jüdischen Legende vom Zöllner und vom Schriftgelehrten und dem Gleichnis.[24] Was dieser Deutungstyp leistet, zeigt Joachim Jeremias’ viel rezipiertes Werk Die Gleichnisse Jesu: Weil das ägyptische Märchen bzw. die rabbinische Legende den Hintergrund bilde, auf den Jesus anspiele, kann alles, was in der lukanischen Beispielerzählung fehlt, von dort her ergänzt werden. Jesus habe beispielsweise nie die Ansicht vertreten, dass Reichtum an sich in die Hölle, Armut an sich ins Paradies führe. „Daß … vielmehr Gottlosigkeit und Lieblosigkeit bestraft, Frömmigkeit und Ergebung vergolten werden, zeigt der Vergleich mit dem von Jesus benutzten Erzählungsstoff eindeutig.“[25]

Cyril D. Cave griff 1969 eine alte Vermutung John Lightfoots auf, der in den Horae Hebraicae 1674 formuliert hatte: „Hier ist von Abraham und Lazarus die Rede, wem fiele da nicht Abraham und sein Knecht (Eliëser von Damaskus) aus Gen 15 EU ein, geboren in Damaskus, Heide von Geburt, potentieller Erbe Abrahams, aber von der Erbfolge ausgeschlossen durch die Geburt Isaaks? Hier kehrt er in Abrahams Schoß zurück. Wir überlassen es dem Urteil des Lesers, ob das nicht die Heiden zum Glauben Abrahams ruft.“[26] Cave postulierte einen dreijährigen synagogalen Lesezyklus: Am Fest Schawuot sei die Toralesung aus Gen 15 genommen, die zugehörige Prophetenlesung (Haftara) sei JesEU gewesen; die Kombination dieser beiden Texte der Hebräischen Bibel bilde den Hintergrund des Gleichnisses Lk 16,19–31 EU. Die Pointe des Gleichnisses sei, dass Israel durch seine Unbussfertigkeit Gefahr laufe, vom Heil ausgeschlossen zu werden, während Gott den Heiden seine Gnade erweise.[27] Caves Lösung konnte nicht überzeugen. Einerseits ist es unsicher, ob griechische Leser des Lukasevangeliums im Namen Lázaros den hebräischen Namen Eliëser wiedererkannt hätten, andererseits ist die vorausgesetzte synagogale Leseordnung fraglich. Drittens spricht auch dagegen, dass Gen 15,4 EU bekräftigt, nicht Eliëser, sondern ein leiblicher Nachkomme werde Abrahams Erbe sein.[28]

Ronald Hock kritisierte 1987, das ägyptische Märchen trage nichts zum Verständnis der Hauptschwierigkeit des Gleichnisses bei – wofür verdient der Reiche im Jenseits Strafe? Die Exegese vermutet oft, seine Schuld bestehe darin, bei seinem Luxusleben Lazarus’ Leiden übersehen zu haben. Hock wurde bei der Suche nach außerbiblischen Parallelen bei Lukian von Samosata fündig: sowohl in Gallus als auch in Cataplus tritt der arme, stets hungrige Schuster Micyllus auf, der von den Banketten seiner reichen Nachbarn Simonides bzw. Megalopenthes ausgeschlossen ist und mit billigem Fisch und Zwiebeln Vorlieb nehmen muss. Im Cataplus erzählt Lukian, wie Micyllus bei der Arbeit an einer Sandale vom Tod ereilt wird, just als Megalopenthes beim Bankett durch das Trinken von Gift stirbt. Verzweifelt und vergeblich versucht Megalopenthes durch allerlei Vorschläge an Klotho, sein Leben zu retten. Im Jenseits treten Micyllus und Megalopenthes vor den Richter der Unterwelt, Rhadamanthys. Micyllus war stets ein redlicher Arbeiter. Seine Seele ist rein, und so genießt er auf den Inseln der Seligen die Gemeinschaft der Heroen. Megalopenthes’ Seele dagegen ist voller Flecken, die von seinen Verfehlungen herrühren. Ihm wird verweigert, das Wasser der Lethe zu trinken. In ständiger Pein erinnert er sich seines Luxuslebens.[29] Hock kann zeigen, dass die Umkehrung des irdischen Geschicks im Jenseits in der Antike eine weit verbreitete Vorstellung war. Der redliche Arme wird belohnt, der lasterhafte Reiche wird bestraft. Doch ändert das nichts daran, dass im Text des Lukasevangeliums weder der Reiche als böse noch der arme Lazarus als gerecht gekennzeichnet wird.[30]

Literatur

  • Rhonda Burnette-Bletsch, Thomas W. Hudgins, Outi Lehtipuu, Marie Nuar, Martin O’Kane, Anthony Swindell: Lazarus and Dives. In: Encyclopedia of the Bible and Its Reception (EBR). Band 15, de Gruyter, Berlin / Boston 2017, ISBN 978-3-11-031332-1, Sp. 1088–1098.
  • Richard Bauckham: The Rich Man and Lazarus: The Parable and the Parallels. In: New Testament Studies 37 (1991), S. 225–246.
  • Kurt Erlemann: Gleichnisse. Theorie – Auslegung – Didaktik. Narr Francke Attempto, Tübingen 2020, ISBN 978-3-8252-5494-0.
  • Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen. In: Münchener Theologische Zeitschrift 56 (2005), S. 305–317. (Online)
  • Outi Lehtipuu: The Afterlife Imagery in Luke’s Story of the Rich Man and Lazarus (= Novum Testamentum, Supplements, 123). Brill, Leiden 2007, ISBN 978-90-474-1058-4.
  • Jutta Leonhard-Balzer: Wie kommt ein Reicher in Abrahams Schoß? (Vom reichen Mann und armen Lazarus) – Lk 16, 19–31. In: Ruben Zimmermann (Hrsg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2007, ISBN 978-3-579-08020-8, S. 647–660.
  • Meinolf Schumacher: Ärzte mit der Zunge. Leckende Hunde in der europäischen Literatur. Von der patristischen Exegese des Lazarus-Gleichnisses (Lk 16) bis zum 'Romanzero' Heinrich Heines (= Aisthesis Essay 16), Aisthesis Verlag, Bielefeld 2003, ISBN 3-89528-310-X.

Weblinks

 Commons: Reicher Mann und armer Lazarus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Vgl. Jutta Leonhard-Balzer: Wie kommt ein Reicher in Abrahams Schoß? (Vom reichen Mann und armen Lazarus) – Lk 16, 19–31, Gütersloh 2007, S. 651: Der Reiche bleibt wie alle anderen in neutestamentlichen Gleichnissen auftretenden Personen namenlos, erhielt aber in der Auslegungstradition unterschiedliche Namen: Nevis, d. h. der Ninivite oder Finaeus (Phineus aus der Argonautensage).
  2. Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, 2005, S. 310.
  3. Vgl. Bauer/Aland: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. De Gruyter, 6. völlig neu bearbeitete Auflage Berlin / New York 1988, Sp. 939: altgriechisch Λάζαρος Lázaros, eine auch bei Josephus bezeugte Kurzform des Personennamens hebräisch אֶלְעָזָר Elʿāzār, deutsch ‚Gott hat geholfen‘.
  4. Wohl keine Krümel, sondern Fladenbrot, das man in die Schüssel tunkte und mit dem man nach damaliger Sitte die Hände beim Essen reinigte. Vgl. Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu. 11. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, S. 183. (Online)
  5. Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, 2005, S. 311.
  6. Bauer/Aland: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. De Gruyter, 6. völlig neu bearbeitete Auflage Berlin / New York 1988, Sp. 898.
  7. Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, 2005, S. 312.
  8. Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, 2005, S. 313.
  9. Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, 2005, S. 314.
  10. Hans-Georg Gradl: Von den Kosten des Reichtums: Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, 2005, S. 316.
  11. Jutta Leonhard-Balzer: Wie kommt ein Reicher in Abrahams Schoß? (Vom reichen Mann und armen Lazarus) – Lk 16, 19–31, Gütersloh 2007, S. 648.
  12. Grundtextnahe Auslegung des Gleichnisses vom reichen Mann und Lazarus
  13. Abbé Drioux nach Josephus: * Annas ben Seth (6–15) * Eleazar ben Ananus (16–17) * Joseph ben Caiaphas (18–36), who had married the daughter of Annas (John 18:13) * Jonathan ben Ananus (36–37 and 44) * Theophilus ben Ananus (37–41) * Matthias ben Ananus (43) * Ananus ben Ananus (63)
  14. Johann Nepomuk Sepp: Thaten und Lehren Jesu mit ihrer weltgeschichtlichen Beglaubigung. Schaffhausen 1864, S. 329
  15. Vgl. zum folgenden Forschungsüberblick: Outi Lehtipuu: The Afterlife Imagery in Luke’s Story of the Rich Man and Lazarus, Leiden 2007, S. 11–38.
  16. Adolf Jülicher: Die Gleichnisreden Jesu. Zweiter Teil: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien. Zweite Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 1910, S. 638. (Online)
  17. Adolf Jülicher: Die Gleichnisreden Jesu. Zweiter Teil: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien. Zweite Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 1910, S. 623.
  18. Adolf Jülicher: Die Gleichnisreden Jesu. Zweiter Teil: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien. Zweite Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 1910, S. 639.
  19. Adolf Jülicher: Die Gleichnisreden Jesu. Zweiter Teil: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien. Zweite Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 1910, S. 633.
  20. Hugo Gressmann: Vom reichen Mann und armen Lazarus. Eine literargeschichtliche Studie. Königl. Akademie der Wissenschaften, Berlin 1918, S. 44.
  21. Hugo Gressmann: Vom reichen Mann und armen Lazarus. Eine literargeschichtliche Studie. Königl. Akademie der Wissenschaften, Berlin 1918, S. 60.
  22. Rudolf Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition. 10. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995, S. 213 (Online)
  23. Rudolf Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition. 10. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995, S. 193.
  24. Outi Lehtipuu: The Afterlife Imagery in Luke’s Story of the Rich Man and Lazarus, Leiden 2007, S. 17 f.
  25. Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu. 11. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, S. 184.
  26. John Lightfoot: Horae Hebraicae et Talmudicae, impensae in Evangelium S. Lucae. Cambridge 1674, S. 174 (Online)
  27. Cyril H. Cave: Lazarus and the Lukan Deuteronomy. In: New Testament Studies 15 (1969), S. 319–325, hier S. 325.
  28. Outi Lehtipuu: The Afterlife Imagery in Luke’s Story of the Rich Man and Lazarus, Leiden 2007, S. 30 f.
  29. Ronald Hock: Lazarus and Micyllus: Greco-Roman backgrounds to Luke 16:19-31. In: Journal of Biblical Literature 106 (1987), S. 447–463.
  30. Outi Lehtipuu: The Afterlife Imagery in Luke’s Story of the Rich Man and Lazarus, Leiden 2007, S. 30 f.
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