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Nachlasspflegschaft

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Die Nachlasspflegschaft (§ 1960 BGB) ist eine durch das Nachlassgericht angeordnete Pflegschaft zur Sicherung des Nachlasses, insbesondere durch Bestellung eines Nachlasspflegers, die bis zur Annahme der Erbschaft oder bis zur Ermittlung eines unbekannten Erben erfolgen kann. Auch nach Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 bedarf die Bestellung des Nachlasspflegers neben der Beauftragung auch seiner förmlichen Verpflichtung durch das Nachlassgericht nach § 1789 in Verbindung mit § 1962 BGB.[1]

Voraussetzung unbekannter Erbe

„Unbekannt“ im Sinne der Vorschrift sind die Erben auch dann, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht ohne umfangreiche Ermittlungen vom Nachlassgericht festgestellt werden können.[2] Eine für die Bestellung eines Nachlasspflegers ausreichende Unklarheit über den endgültigen Erben besteht auch dann, wenn noch ein Verfahren auf gerichtliche Vaterschaftsfeststellung des Erblassers betrieben wird, sofern für die Vaterschaft eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Hierbei dürfen im Hinblick auf den vorübergehenden Charakter von Sicherungsmaßnahmen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.[3]

Antrag auch durch Gläubiger

Auch ein Nachlassgläubiger kann beim Nachlassgericht die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragen (§ 1961 BGB). Bei einem bedürftigen Nachlass kann die Anordnung der Nachlasspflegschaft nicht davon abhängig gemacht werden, dass der antragstellende Gläubiger die Gerichtskosten vorschießt.[4]

Die Bestellung eines Nachlasspflegers auf Antrag eines Gläubigers setzt nicht voraus, dass der Anspruch sogleich gerichtlich geltend gemacht werden soll. Es genügt, dass der Gläubiger den Anspruch zunächst außergerichtlich verfolgen möchte. Die Voraussetzungen des § 1961 BGB sind regelmäßig gegeben, wenn der Erbe unbekannt ist und der Vermieter des Verstorbenen einen Ansprechpartner benötigt, um die Kündigung des Mietvertrages auszusprechen und die Räumung der Mietwohnung erreichen zu können.[5] Die Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben kann bei anstehender Räumung der Mietwohnung nicht auf die Beendigung des Mietverhältnisses beschränkt werden.[6]

Aufgaben

Der Nachlasspfleger ist gesetzlicher Vertreter des bzw. der unbekannten Erben und hat u. a. die Aufgabe, diese/n zu ermitteln und die Nachlassangelegenheit abzuwickeln (Kontakt mit den Nachlassgläubigern, Bezahlung der Bestattungskosten, Beendigung und Abwicklung des Wohnraummietverhältnisses mit dem Erblasser usw.).[7]

In diesem Rahmen hat der Nachlasspfleger auch ein berechtigtes Interesse zur Einsicht in Personenstandsurkunden bei den Standesämtern (§ 61 Abs. 3 PStG). Der Nachlasspfleger kann die Erbenermittlung einem professionellen Erbenermittler übertragen, [8] wenn er zuvor alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung der Erben selbst unternommen hat und hierbei erfolglos blieb. Bei verfrühter Einschaltung ist er den Erben schadensersatzpflichtig.[9] Einer nachlassgerichtlichen Genehmigung zur Einschaltung des Erbenermittlers bedarf es nicht.[10]

Nachlasspfleger und Bestattung

Das Landessozialgericht Hessen [11] und das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg [12] haben festgestellt, dass ein Nachlasspfleger keinen Anspruch der unbekannten Erben auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII gegenüber dem Träger der Sozialhilfe geltend machen kann. In beiden Fällen hat der Nachlasspfleger die Bestattung veranlasst und begehrte die Begleichung dieser Kosten durch den Träger der Sozialhilfe. In beiden Fällen wurden diese Anträge abgewiesen.

Beide Landessozialgerichte bestätigten, dass lediglich die Erben gemäß § 1968 BGB zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet sind. Mithin kommt es sozialhilferechtlich nicht darauf an, ob der Erblasser sozialhilfebedürftig war, sondern lediglich darauf, ob die Erben Anspruch auf Sozialhilfe haben. Bei unbekannten Erben sind jedoch die Voraussetzungen der Sozialhilfe nicht zu klären. Auch kann der Nachlasspfleger diese Ansprüche nicht geltend machen, da der Wirkungskreis der Nachlasspfleger lediglich die Vertretung der Erben in Bezug auf den Nachlass umfasst. Der Nachlasspfleger kann nicht eigene Ansprüche der Erben, wie etwa den Anspruch auf Sozialhilfe, geltend machen. Diesen Anspruch müssen die Erben selbst verfolgen.

Nachlassverbindlichkeiten

Der Nachlasspfleger ist zur Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet, wenn so Schäden oder unnötige Prozesse und Kosten vermieden werden. Die Nachlasspflegschaft dient zwar grundsätzlich nicht der Befriedigung der Nachlassgläubiger, da sie zum Schutz der Erben angeordnet ist. Ist der Nachlasspfleger aber mit der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses betraut, gehört es insbesondere zu seinen Pflichten, den Nachlass zu erhalten und zu verwalten sowie die Vermögensinteressen der künftig festzustellenden Erben wahrzunehmen. Welche Maßnahmen insoweit zweckmäßig sind, entscheidet der Nachlasspfleger nach pflichtgemäßem Ermessen.[13]

In diesem Zusammenhang kann er aus Mitteln des Nachlasses und unter Berücksichtigung der beschränkten Erbenhaftung Verbindlichkeiten des Nachlasses erfüllen, wenn dies zur Erhaltung des Nachlasswertes geboten ist, denn er darf den Nachlass nicht der Gefahr eines aussichtslosen, mit Kosten verbundenen Rechtsstreits aussetzen. Dazu kann er auch Nachlassgegenstände veräußern.[14] Zu den zu begleichenden Verbindlichkeiten können auch Rückforderungsansprüche des Sozialhilfeträgers (§ 102 SGB XII) und der Landeskasse nach § 1836e BGB gehören (wenn für den Verstorbenen zu Lebzeiten eine rechtliche Betreuung angeordnet war).[15] Der Nachlasspfleger ist auch zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet (§ 31 Abs. 6 ErbStG).

Abwesender Erbe

Wenn der Erbe bekannt und nur sein Aufenthalt unbekannt ist, kommt es stattdessen zur Abwesenheitspflegschaft. Sobald der Erbe ermittelt ist, wird die Nachlasspflegschaft aufgehoben. Hierbei kommt es nicht auf eine absolut sichere Klärung der Erbfolge an, sondern es reicht aus, dass keine nennenswerten Zweifel an der Erbenstellung der ermittelten Person bestehen.

Vergütung

Der Nachlasspfleger wird bei beruflicher Pflegschaftsführung nach dem Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) vergütet, wobei nach § 1915 BGB Abweichungen gegenüber den dortigen Vergütungsstundensätzen möglich sind. Bei einer ehrenamtlichen Führung der Pflegschaft besteht nur Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 1835 BGB).

Berufsmäßige Nachlasspfleger, die ihre Tätigkeiten zur Abwicklung des Nachlasses vergütet haben wollen, müssen minutengenau abrechnen. Dies hat das Oberlandesgericht Celle in einem Beschluss vom 24. März 2016 entschieden. Denn nur so sei für das Nachlassgericht überprüfbar, ob die Tätigkeit dem übertragenen Aufgabenkreis zuzuordnen und der Aufwand angemessen und plausibel gewesen ist.[16] Der Beschluss, durch den die Vergütung des Nachlasspflegers gegen den Erben festgesetzt ist, ist ein Vollstreckungstitel nur gegen den Nachlass, nicht gegen das Vermögen, das der Erbe außer dem Nachlass hat.[17]

Für die Vergütung des Nachlasspflegers bei vermögendem Nachlass sind die Stundensätze im Grundsatz unabhängig von den Festlegungen des VBVG anhand der Kriterien des § 1836 Abs. 2 BGB zu bestimmen. Die festgelegten Sätze für die Vergütung der Berufsvormünder (zwischen 19,50 und 33,50 Euro pro Stunde) können nur im Einzelfall als Anhaltspunkt und nur im Sinne von Mindestsätzen herangezogen werden, wenn sich die konkrete Nachlassabwicklung als einfach darstellt.[18]

Die nach Ausbildungsgrad gestaffelten Stundensätze in § 3 Abs. 1 VBVG können auch eine taugliche Orientierungshilfe - Anhaltspunkt im Sinne von Mindestsätzen - für die Bemessung der Stundensätze bei der Vergütung eines berufsmäßigen Nachlasspflegers im Falle eines vermögenden Nachlasses darstellen. Sie können nach den für die Vergütung des Nachlasspflegers in § 1915 Abs. 1 Satz 2 BGB festgelegten Kriterien überschritten werden. Die Heranziehung einer auf dieser Grundlage von der Rechtsprechung entwickelten gestaffelten Tabelle, in der nutzbare Fachkenntnisse und Schwierigkeit der Aufgabe angemessen berücksichtigt sind, ist deshalb nicht zu beanstanden.[19] Das OLG Thüringen sah gestaffelte Stundensätze zwischen 35,-- und 115,-- Euro als angemessen an[20].

Der Beschluss über die Vergütung eines Nachlasspflegers ist zu begründen. Die Interessen der unbekannten Erben sind im Festsetzungsverfahren durch Bestellung eines Ergänzungspflegers zu wahren.[21]

Die 15-monatige Ausschlussfrist (§ 2 VBVG) gilt auch für Erstattungsansprüche von Nachlasspflegern.[22] Es ist aber möglich, pauschal für alle künftigen Vergütungsanträge eine Verlängerung der Frist zu beantragen.[23]

Das Nachlassgericht ist bei der Festsetzung der Vergütung nicht an die zwischen dem Nachlasspfleger und dem Erbe abgeschlossene Vergütungsvereinbarung gebunden. Diese ist insoweit für das gerichtliche Festsetzungsverfahren unwirksam. Der Einwand mangelhafter Amtsführung ist gegenüber der Festsetzung der Vergütung für den Nachlasspfleger durch das Nachlassgericht ausgeschlossen.[24]

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • du Carrois: Der überschuldete Nachlass - Handlungsoptionen des Nachlasspflegers; Rpfleger 2009, 197
  • Deinert/Jegust/Lichtner: Todesfall- und Bestattungsrecht, 4. Aufl., Düsseldorf 2010, ISBN 978-3936057317.
  • Jochum/Pohl: Nachlasspflegschaft, 5. Aufl., Köln 2014, ISBN 978-3-8462-0216-6.
  • Schulz (Hrsg.): Handbuch Nachlasspflegschaft, 2. Aufl., Bonn 2017, ISBN 978-3-95661-057-8.
  • Schulz: Der Pfleger im Erbrecht: Nachlasspfleger und sonstige Pfleger; Hereditare, Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht, Band 4 (2014), 61, ISBN 978-3-16-153405-8.
  • Schulz/Schmitz: Die Kontoführung des Nachlasspflegers; ZEV 2015, 80.
  • Zimmermann: Rechtsfragen bei einem Todesfall, 5. Aufl., München 2004, ISBN 3-423-05632-0.
  • Zimmermann: Die Nachlasspflegschaft, 3. Aufl. Bielefeld 2013, ISBN 978-3769410426.
  • Zimmermann: Die Vergütung des Nachlasspflegers seit 1. Juli 2005; ZEV 2005, 473.
  • Zimmermann: Die Nachlasspflegschaft und sonstige Nachlassverfahren im FamFG; Rpfleger 2009, 437.
  • Zimmermann: Neuere Rechtsprechung zur Vergütung von Betreuern, Verfahrenspflegern, Verfahrensbeiständen und Nachlasspflegern; FamRZ 2011, 1776.

Einzelnachweise

  1. OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. November 2010, Az. 8 W 460/10, BeckRS 2010, 29404 = FamRZ 2011, 846 = NJW-RR 2011, 737 = FGPrax 2011, 88
  2. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23. November 2004, Az. 20 W 91/04, Volltext: http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/s15/page/bslaredaprod.psml?&doc.id=KORE408212005%3Ajuris-r01&showdoccase=1&doc.part=L; Beschluss des BGH vom 17. Juli 2012 - IV ZB 23/11, NJW-RR 2013, 72; Volltext: http://dejure.org/2012,29626
  3. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. Mai 2011 - 3 Wx 51/11; NJW-RR 2011, 1643
  4. OLG Hamm, Beschluss vom 5. Januar 2010, Az. I-15 W 383/09; NJW-RR 2010, 1594 = Rpfleger 2010, 590 = FGPrax 2011, 29 sowie OLG Dresden, Beschluss vom 9. Dezember 2009 - 3 W 1133/09, Rpfleger 2010, 215 = FamRZ 2010, 1114
  5. OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2010 - 2 Wx 198/10; MDR 2011, 370 = FGPrax 2011, 128 =FamRZ 2011, 1251
  6. OLG München, Beschluss vom 20. März 2012 - 31 Wx 81/12; NJW-RR 2012, 842 = FGPrax 2012, 118
  7. OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 2010, Az. I-15 W 308/10.
  8. OLG Celle StAZ 1998, 81; OLG Frankfurt Rpfleger 2000, 161; OLG Bremen StAZ 1998, 255; LG Berlin Rpfleger 2000, 393
  9. LG Berlin ZEV 2012, 413
  10. OLG Frankfurt/Main, Rpfleger 2000, 161
  11. Beschluss vom 7. Mai 2013, Az. L 6 SO 93/10; vgl. unter http://dejure.org/2013,22046
  12. Urteil vom 20. März 2013, Az. L 23 S 97/11; vgl. unter http://www.bayernportal.jurion.de/news/?user_aktuelles_pi1%5Baid%5D=273071&cHash=ebdf0b47ea7fad21599e9a3f10ed0cc2
  13. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 1967, Az. VII ZR 86/65; BGHZ 49, 1, 5.
  14. OLG München, Beschluss vom 7. Januar 2010, Az. 31 Wx 154/09.
  15. OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Juni 2007, 8 W 245/07; FamRZ 2007, 1912 = BtMan 2007, 203 (Ls) = FGPrax 2007, 270 = NJW-RR 2007, 1593 = BWNotZ 2008, 57
  16. OLG Celle, Beschluss vom 24.März 2016 - 6 W 14/16
  17. OLG Celle, Beschluss vom 30.06.2016, 6 W 81/16
  18. OLG Schleswig, Beschluss vom 18. Dezember 2009, Az. 3 Wx 24/08.
  19. OLG Schleswig, Beschluss vom 14. Januar 2010, Az. 3 Wx 63/09.
  20. Beschlüsse des Thüringer OLG vom 3. Juni 2013, 6 W 430/12 und 6 W 397/12
  21. LG Berlin, Beschluss vom 3. Dezember 2007, Az. 87 T 233/07, 87 T 234/07.
  22. LG Berlin FamRZ 2004, 1518; KG FamRZ 2006, 225 = FGPrax 2005, 264; KG FamRZ 2006, 651 = Rpfleger 2006, 76; OLG Zweibrücken FamRZ 2007, 1271 = Rpfleger 9/2007; OLG Zweibrücken, Beschluss 3 W 49/07 vom 30. April 2007; FGPrax 2007, 232 = Rpfleger 2007, 471 = ZEV 2007, 528 (Ls) = BtPrax 2007, 267 (Ls); OLG Naumburg, 2 Wx 15/11; BtPrax 2012, 39 (Ls); BGH Beschl v 24. Oktober 2012, IV ZB 13/12, Volltext http://lexetius.com/2012,5596.
  23. BayObLG, FamRZ 2003, 1414; OLG Bremen, Beschluss vom 15. März 2012, 5 W 19/11
  24. OLG Celle, Beschluss vom 30. Mai 2011, Az. 6 W 120/11.
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