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Kulturschock

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Kulturschock

Der Begriff Kulturschock bezeichnet den schockartigen Gefühlszustand, in den Menschen verfallen können, wenn sie mit einer fremden Kultur zusammentreffen. Der Begriff wurde von der US-amerikanischen Anthropologin Cora DuBois 1951 eingeführt.[1] Kalervo Oberg erweiterte diesen Begriff, um ihn allgemeiner anzuwenden, und führte eine Theorie basierend auf vier Phasen ein („Honeymoon-Phase“, Krise, Erholung und Anpassung). Obergs Theorie wurde später mit dem U-Modell des norwegischen Soziologen Sverre Lysgaard (1955)[2][3] visualisiert, das von den amerikanischen Psychologen John T. und Jeanne E. Gullahorn um das W-Modell erweitert wurde (1963).[4]

Der Begriff Kulturschock (culture shock) beschreibt einerseits den schockartigen Sturz aus der Euphorie in das Gefühl, fehl am Platze zu sein (Zeitpunkt). Zum anderen verwendet Oberg das Wort auch für den gesamten Prozess der Kulturkrise, die ein Mitglied einer Kultur beim Einleben in einer anderen Kultur durchlaufen kann (Zeitdauer).

Kulturschock ist heute auch ein Aspekt im Studium der interkulturellen Kommunikation und die Vermeidung bzw. Abmilderung des Kulturschocks eine Zielstellung des Interkulturellen Lernens.

Symptome Taft (1977)

  1. Stress aufgrund der Belastung, die notwendigen psychischen Anpassungsleistungen zu erbringen;
  2. ein Gefühl des Verlustes in Bezug auf Freunde, Status, Beruf und Besitztümer;
  3. ein Gefühl der Ablehnung, weil man sich von Mitgliedern der neuen Kultur abgelehnt fühlt oder diese selbst ablehnt;
  4. Verwirrung über die eigene Rolle, über die Rollenerwartungen anderer, über Werte, über die eigenen Gefühle und die eigene Identität;
  5. Überraschung, Angst und Empörung, nachdem man sich des vollen Ausmaßes der kulturellen Unterschiede bewusst wird;
  6. Ohnmachtsgefühl, weil man meint, mit der neuen Umgebung nicht zurechtzukommen.

U-Modell

In diesem Modell wird nicht der punktuelle Schock beschrieben, sondern der länger anhaltende (gelegentlich über mehrere Monate). Dabei verläuft die Zeit auf der horizontalen Achse, das Wohlbefinden wird auf der vertikalen Achse eingetragen. Mit „U“ ist die graphische Form beschrieben, die die Kurve annehmen kann.

Honeymoon-Phase

Während dieser Zeit werden die Unterschiede zwischen der alten und der neuen Kultur in einem romantischen Licht gesehen – wunderbar und neu. Zieht jemand zum Beispiel in ein anderes Land, so genießt die Person das fremde Essen, die andersartige Architektur und wie die Menschen leben. In den ersten Wochen sind die meisten Menschen von der neuen Kultur fasziniert. Eine Phase der Beobachtung, die voll von neuen Entdeckungen ist.

Krise

Es fällt einem auf, was alles nicht so ideal ist in der „neuen“ Kultur und man tritt häufig in Fettnäpfchen. Typisch ist der (ethnozentrische) Gedanke „zu Hause wird das besser gemacht“. Sprachliche Barrieren und mangelnde Kenntnis spielen dabei häufig eine Rolle.

Erholung

Man entwickelt Verständnis für die Handlungsweisen, die von der Heimatkultur abweichen und versucht sie zu verstehen.

Anpassung

Die Person hat sich in die neue Kultur integriert, sie versteht die Kultur und übernimmt teilweise sogar Verhaltensmerkmale der Fremdkultur. [5]

W-Modell

Mit dem sogenannten W-Modell wird das U-Modell um eine weitere Phase erweitert, und zwar die Phase der Rückkehr in die eigene Kultur. Da diese ähnlich verlaufen kann wie der erste Abschnitt, liegen hier zwei U-Modelle hintereinander, oder eben (aufgrund der graphischen Ähnlichkeit) das W-Modell. Zur Abgrenzung des Schocks, der bei der Heimkehr entstehen kann, vom Schock in der Fremdkultur, wird ersterer Eigenkultur-Schock genannt.

Eigenkultur-Schock

Das Phänomen des Eigenkultur-Schocks[6] (auch umgekehrter Kulturschock, reverse culture shock, re-entry shock) beschreibt das Phänomen eines Kulturschocks bei der Rückkehr aus einer fremden Kultur in die eigene Heimat. Dieser kann dabei heftiger sein als bei Eintreten in die fremde Kultur, da die Notwendigkeit einer Reintegration in die eigene Kultur in der Regel eine höchst unerwartete psychologische Erfahrung darstelle.

Psychodynamische Betrachtungen

Salman Akhtar beschrieb die Identitätsentwicklung in der Migration als dritte Individuation.[7][8][9] Als erste Phase der Separation-Individuation zählt er die Ablösung von der Mutter wie sie Margret Mahler beschrieben hat. Dieser Phase folgt in der Adoleszenz ein zweiter Individuationsprozess. Eine Migration erfordere eine neue Organisation der eigenen Identität im Sinne einer dritten Individuation. Akhtar sieht eine phänomenologische Ähnlichkeit der Migration mit den beiden vorhergehenden Phasen, auch wenn erwachsene Migranten bereits wesentliche Schritte ihrer psychischen Entwicklung abgeschossen haben. In diesem psychischen Prozess würden sowohl auf die Heimat- als auch auf die Aufnahmekultur Elternimagines übertragen. So wie die abwechselnde Idealisierung des mütterlichen und väterlichen Objekts, würde auch die Heimat- und Aufnahmekultur abwechselnd idealisiert, bis anstelle der Idealisierung eine realistischere ambivalente Haltung gegenüber beiden Kulturen eingenommen werden könne.[8][9] Eine Entwicklungsaufgabe sei dabei die eigene Nähe- und Distanz zu den Kulturen zu regulieren.[8]

ICD-10 Klassifikation

Klassifikation nach ICD-10
F43.2 Anpassungsstörungen
Z60.3 Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung
ICD-10 online (WHO-Version 2013)

Migranten haben in der Phase der kritischen Anpassung eine erhöhte Vulnerabilität für psychische Erkrankungen.[10][11] Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Kulturschock entsprechend der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) zu codieren:

  • Unter F43.2 wird der „Kulturschock“ explizit als ein möglicher Auslöser für eine Anpassungsstörung genannt.[12]
  • Unter Z60 werden Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung klassifiziert.

Im Zusammenhang mit Migration würden laut Assion 2005 häufiger Depressionen, psychosomatische Beschwerden und posttraumatische Belastungsreaktionen beobachtet.[13][14] Bei Schizophrenien, Intelligenzminderungen und Demenzen werde durch Migration die Ausprägung, der Verlauf und die Therapieoptionen beeinflusst.[13][14]

Verwandte Themen

Literatur

  • Kalervo Oberg: Cultural Shock: Adjustment to New Cultural Environments. In: Practical Anthropology 7/4 1960, S. 177–182. Reprint in: Curare 29/2+3 2006, S. 142–146.
  • Hanne Chen (Hrsg.), Henrik Jäger: KulturSchock: Mit anderen Augen sehen. Leben in fremden Kulturen. Reise-Know-How Verlag Peter Rump 2002. ISBN 3-8317-1109-7.
  • Martin Woesler: A new model of cross-cultural communication – critically reviewing, combining and further developing the basic models of Permutter. Yoshikawa, Hall, Hofstede, Thomas, Hallpike, and the social-constructivism, Berlin et al.: Europäischer Universitätsverlag, 2. Aufl. 2009 (1. Aufl. 2006), Reihe Comparative Cultural Science, vol. 1, ISBN 978-3-89966-341-9.

Einzelnachweise

  1. Edward Dutton: The Significance of British Columbia to the Origins of the Concept of “Culture Shock”. In: BC Studies. Nr. 171, 2011 S. 113.
  2. Gundula Ganter: Wiedereingliederung. In: Arbeitszufriedenheit von Expatriates: Auslandsentsendungen nach China und Korea professionell gestalten. 1 Auflage. Gabler, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-8349-1669-3, S. 28 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  3. Carolin Eckert: Wissenstransfer im Auslandsentsendungsprozess. Eine empirische Analyse der Rolle des Expatriates als Wissenstransfer-Agent. Gabler, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8349-2075-1, S. 28 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  4. John T. Gullahorn, Jeanne E. Gullahorn: An Extension of the U-Curve Hypothesis1. In: Journal of Social Issues. 19, Nr. 3, 1963 ISSN 1540-4560, S. 33–47, doi:10.1111/j.1540-4560.1963.tb00447.x (https://spssi.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1540-4560.1963.tb00447.x).
  5. Office of International Programs, Understanding Culture Shock (Memento vom 9. Oktober 2008 im Internet Archive), letzter Zugriff am 22. August 2008 (Englisch)
  6. Woesler, Martin: A new model of cross-cultural communication, Berlin 2009, S. 31
  7. S. Akhtar: A third individuation: immigration, identity, and the psychoanalytic process. In: Journal of the American Psychoanalytic Association. 43, Nr. 4, 1995 ISSN 0003-0651, S. 1051–1084, doi:10.1177/000306519504300406, PMID 8926325.
  8. 8,0 8,1 8,2 Yesim Erim: Klinische Interkulturelle Psychotherapie: Ein Lehr- und Praxisbuch. W. Kohlhammer Verlag, 2009, ISBN 9783170208490, S. 27 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  9. 9,0 9,1 Wolfgang Senf, Michael Broda: Praxis der Psychotherapie: Ein integratives Lehrbuch. Georg Thieme Verlag, 2011, ISBN 9783131585455, S. 640-641 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  10. Der Migrationsprozess. In: Psychiatrie und Psychotherapie. 3 Auflage. Springer, 2008, S. 337 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  11. Sulzki: Psychologische Phasen der Migration und ihre Auswirkungen. In: Transkulturelle Psychiatrie. Konzepte für die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen. Psychiatrieverlag, Bonn 2001, S. 101–115.
  12. Bernd Graubner: ICD-10-GM 2012 Alphabetisches Verzeichnis. Deutscher Ärzteverlag, Köln 2012, ISBN 978-3-7691-3481-0, S. 635 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  13. 13,0 13,1 Hans-Jörg Assion: Migration und seelische Gesundheit. Springer, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-20218-8, S. 133–144 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  14. 14,0 14,1 Christian Hofmeister: Hat Migration Auswirkung auf den psychischen Gesundheitszustand?. Diplomica, Hamburg 2014, ISBN 978-3-8428-8015-3, S. 25 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).

Weblinks

Wiktionary: Kulturschock – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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