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Feministische Avantgarde

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Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er-Jahre aus der Sammlung Verbund ist eine internationale Ausstellungsreihe und eine umfangreiche Publikation der österreichischen Kunstkritikerin Gabriele Schor zu feministischer Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Begriff „Feministische Avantgarde“

Die feministische Kunstbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird in der etablierten Kunstgeschichte bisher nicht zur „Avantgarde“ der Nachkriegszeit, wie etwa Pop-Art, Fluxus oder Wiener Aktionismus, gezählt.[1] Eine Ausnahmeposition nahm laut Gabriele Schor Lawrence Alloway ein, der 1976 in seinem Artikel Womens' Art in the '70s schrieb: „Die Frauenbewegung in der Kunst kann als Avantgarde bezeichnet werden, da ihre Protagonistinnen in ihrem Drängen auf eine Veränderung der bestehenden sozialen Ordnung in der Kunstwelt vereint sind.“[2] Noch in den 1990er Jahren wurde feministische Kunst der '70er mitunter als „Hausfrauen-Klage“ verspottet. Ein kunstgeschichtlicher Rang wurde ihr erst spät zugestanden.[1] Die Ausstellung WACK! Art and Feminist Revolution dokumentierte 2007 mit 120 internationalen Künstlerinnen erstmals umfassend den Zusammenhang von Kunst und Feminismus und fand in renommierten Häusern wie dem Museum of Contemporary Art in Los Angeles und im Museum of Modern Art statt. Ein Kritiker der New York Times schrieb: „Kuratoren und Kritiker haben zunehmend erkannt, dass vom Feminismus die einflussreichsten Impulse in der Kunst des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts ausgegangen sind. Es gibt fast keine neuen Werke, die davon nicht beeinflusst wären […]“[3] Obwohl ihre historische Leistung als eine Vorreiterin der Kunst unbestritten ist, findet feministische Kunst in maßgeblichen deutschsprachigen Lexika wie zum Beispiel denen des Metzler-Verlags unter dem Stichwort „Avantgarde“ keine Erwähnung. Mit dem Begriff „Feministische Avantgarde“, der der Ausstellung ihren Titel gab, verbindet Schor den Anspruch, die Pionierleistungen feministischer Künstlerinnen der 1970er Jahre hervorzuheben sowie den männlich konnotierten Kanon von „Avantgarde“ zu erweitern und in der Kunstgeschichte zu verankern.[4]

Merkmale feministischer Kunst der 1970er Jahre

Zentrale Themen der feministischen Künstlerinnen in Europa und auf beiden amerikanischen Kontinenten waren: Anprangerung der familiären, gesellschaftlichen und politischen Situation von Frauen, Selbstdarstellungen von Frauen, Befreiung des weiblichen Körpers von ästhetischer Idealisierung, Erweiterung der Dimension des Privaten ins Öffentliche. Feministische Künstlerinnen können als Pionierinnen des künstlerischen Ausdrucks und der visuellen Reflexion dieser Themen gelten. Die feministische Kunst der 1970er Jahre dekonstruierte die jahrhunderte- wenn nicht jahrtausendealten, nahezu ausschließlich von Männern formulierten Versionen des Frauenbildes und schuf neue Repräsentationen der Frau in der bildenden Kunst. Feministische Künstlerinnen handelten nach der Devise der Frauenbewegung der gleichen Zeit: Das angeblich Private und Persönliche wird öffentlich und ist politisch relevant.[5]

Feministische Künstlerinnen nutzten vorrangig neue Medien wie Fotografie, Film und Video, sowie (Raum-)Installationen, Aktionen und Performances. Diese Medien erschienen ihnen weniger von der männlich dominierten Kunstgeschichte vorgeprägt als Malerei und Bildhauerei. Zu einer Zeit, als die Fotografie – und erst recht Video – noch nicht allgemein als Kunstformen anerkannt wurden, ermöglichten diese Medien den Künstlerinnen, sich unabhängig von der kunsthistorischen Tradition auszudrücken. Mit neuen Medien konnten sie schneller und zeitgemäßer ihre aktuellen gesellschaftlichen Themen, wie Körper-Politik und Geschlechterrollen, in künstlerische Arbeiten umsetzen.[6]

Ausstellungsreihe

Die Ausstellung umfasst 500 Werke europäischer, nord- und südamerikanischer Künstlerinnen, die in den Jahren zwischen 1930 und 1958 geboren sind. Sie basiert auf der 2004 begründeten Forschungsarbeit von Gabriele Schor für die Sammlung Verbund in Wien. Neben den Werken und Fotografien von Aktionen renommierter Künstlerinnen zeigt die Ausstellungsreihe auch jahrzehntelang vergessene Arbeiten bekannter und unbekannter Künstlerinnen.[7][8] Erstmals wurde die Ausstellung 2010 in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rom gezeigt. Sie wanderte nach Madrid, Brüssel, Halmstad (Schweden), Hamburg, London, Wien, Karlsruhe, Stavanger (Norwegen), Brünn und Barcelona.[9]

Viele der gezeigten Werke zielen darauf, Frauen zugewiesene Rollen abzulegen, sie zu überschreiten. Feministische Künstlerinnen fassten traditionelle Rollen wie Hausfrau, Ehefrau und Mutter als einschränkend auf, die sie zu Objekten oder gar zu Opfern der patriarchalen gesellschaftlichen Verhältnisse machten. Mittels ihrer Kunst und Aktionen wollten sie mehr Selbstbestimmung erlangen, indem sie neue Frauenbilder selbst gestalteten und auch ihre Sexualität freier lebten. Die beteiligten Künstlerinnen nutzten in ihrer Kunst alltägliche Handlungen der Haushaltsarbeit, des Familienlebens, der Mutterschaft und des „sich (für den Mann) schön Machens“, um sich davon zu distanzieren und zu befreien, um darüber hinaus zu wachsen, die Tätigkeiten umzudeuten und mit ihnen zu spielen. Manche Künstlerinnen fanden drastische Bilder für ihr Aufbegehren gegen die Reduzierung der Frauenrolle auf Hausfrau und Mutter: Birgit Jürgenssen hängte sich 1975 eine Küchenschürze in Form eines Backofens um; Renate Eisenegger bügelte einen Flur; Karin Mack legte sich selbst auf ein Bügelbrett; Annegret Soltau spann sich mit Fäden ein, andere Künstlerinnen mit Seilen. Ob mit Wäscheklammern oder Klebeband – manche Künstlerinnen praktizierten Bondage mit Alltagsgegenständen bis zum Schmerz.[10][11]

Feministische Kunst der 1970er Jahre thematisierte erstmals umfassend weibliche Erotik aus der Sicht von Frauen – oft fernab des normierten Schönheitsbegriffs, oder diesem bewusst entgegenwirkend. Einige Künstlerinnen (u. a. Penny Slinger, Renate Bertlmann, Valie Export) fanden originelle, teils humorvolle, fröhliche, teils (auto-)aggressive Inszenierungen für ihren Körper und ihre Vulva. Judy ChicagosDinner Party“ zeigte einen Tisch voller Vulva-Symbole in Form von bemalten Keramik-Reliefs bzw. auf Teller gemalt. Als Rebellion gegen den Zwang zum Schön-Sein presste Ana Mendieta 1972 ihr Gesicht gegen eine Glasscheibe, um es zerquetscht zu entstellen. Wenige Jahre später tat Katalin Ladik das Gleiche in Jugoslawien (ohne Ana Mendietas Arbeit zu kennen). Andere Künstlerinnen setzten sich in Beziehung zu allegorischen Statuen und Gemälden. Diese seit Jahrhunderten von Männern geschaffenen weiblichen Figuren waren entweder schöne Allegorien für z. B. „Gerechtigkeit“ oder „Weisheit“, oder sie stellten Heilige oder Göttinnen dar. In ihren Video-Performances interagierte Ulrike Rosenbach mittels Überblendungen u. a. mit Botticellis Gemälde Die Geburt der Venus. In „Glauben Sie nicht, dass ich eine Amazone bin“ schoss Rosenbach mit Pfeilen auf eine Reproduktion von Stefan Lochners Madonna im Rosenhag und somit auf sich selbst, da ihr Gesicht über das der Madonna projiziert wurde. So vermischten sich das Bild der reinen, asexuellen Maria mit dem einer Amazone, womit die Künstlerin die Klischees beider Frauenbilder zu dekonstruieren beabsichtigte. Besonders weit trieb die Rollenspiele mit überkommenen Frauen-Stereotypen die Fotografin Cindy Sherman.

Zudem nahmen feministische Künstlerinnen in ihren Werken, die in den 1970er Jahren entstanden, erstmals einen zentralen Gedanken des französischen Poststrukturalismus auf: Sie stellten den westlichen Subjekt-Begriff in Frage, der einen Menschen (zumal einen weißen, heterosexuellen Mann) als ein einheitliches, seiner selbst bewusstes Wesen mit einer eindeutigen Identität imaginierte.[12] Die feministischen Werke und Aktionen kritisierten somit nicht nur das von Männern bestimmte Bild der Frau, sondern sie fassten menschliche Subjektivität grundsätzlich durchlässiger und wandelbarer auf. Typisch für feministische Kunst der 1970er Jahre war z. B. die ironische Aneignung und Zurschaustellung „männlicher“, machohafter Posen – mittels ihrer eigenen, weiblichen, teils entblößten Körper. Damit überschritten sie die streng in zwei Geschlechter geteilten Vorstellungen von Individuen und Gesellschaft.[1]

Themen

Die Ausstellung ist in fünf Themen unterteilt:

  • Ehefrau, Hausfrau und Mutter
  • Eingesperrt – Ausbruch
  • Schönheitszwänge
  • Weibliche Sexualität
  • Rollenspiele

Stationen

  • DONNA. Avanguardia femminista negli anni '70, Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Rom, Italien, 19. Februar – 16. Mai 2010[13]
  • MUJER. La vanguardia feminista de los anos 70, PHotoEspana, Círculo de Bellas Artes, Madrid, Spanien, 3. Juni – 1. Sep. 2013[14]
  • WOMAN. The Feminist Avant-garde from the 1970s. Works from the SAMMLUNG VERBUND collection, Vienna, Palais des Beaux-Arts de Bruxelles, Belgien, 18. Juni – 31. August 2014[15]
  • Woman - Internationellt feministiskt avantgarde från 1970-talet Works. Foto & video från SAMMLUNG VERBUND. Mjellby konstmuseum – Halmstadgruppens museum, Halmstad, Schweden, 20. September 2014 – 11. Januar 2015[16]
  • Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Deutschland, 13. März – 31. Mai 2015[17]
  • Feminist Avant-Garde of the 1970s. Works from the SAMMLUNG VERBUND Collection, Vienna, The Photographers’ Gallery, London, UK, 6. Okt. 2016 – 8. Januar 2017[18]
  • WOMAN. Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Österreich, 4. Mai – 10. Sep. 2017[19][20]
  • Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien, ZKM Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe, Deutschland, 18. November 2017 – 1. April 2018[21][22][23]
  • WOMAN. The Feminist Avant-Garde of the 1970s. Works from the SAMMLUNG VERBUND collection, Vienna, MUST Stavanger Art Museum, Stavanger, Norwegen, 15. Juni – 14. Okt. 2018[24]
  • Feminist Avant-garde / Art of the 1970s, SAMMLUNG VERBUND Collection, Vienna, Dům umění meˇsta Brna (Haus der Kunst der Stadt Brünn), Tschechische Republik, 12. Dez. 2018 – 24. Feb. 2019[25]
  • FEMINISMS!, CCCB – Centre de Cultura Contemporània de Barcelona, Spanien, 19. Juli – 1. Dez. 2019.[26][27]

Beteiligte Künstlerinnen

Publikation

  • Gabriele Schor (Hrsg.): Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er-Jahre. Werke aus der Sammlung Verbund, Wien. (Begleitend zur Ausstellung.) Erweiterte Ausgabe. Prestel, München 2016, ISBN 978-3-7913-5627-3. Das in zwei Sprachen (Deutsch und Englisch) erschienene Buch umfasst auf rund 560 Seiten nebst Texten und Abbildungen zu allen ausgestellten Künstlerinnen auch vier kunstwissenschaftliche Beiträge von Gabriele Schor, Mechtild Widrich, Merle Radtke und Brigitte Borchhardt-Birbaumer.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Tabea Grzeszyk: Feministische Avantgarde. Die ironische Aneignung männlicher Posen, Deutschlandfunk Kultur, 14. Mai 2015
  2. In: Art in America, 64, Mai-Juni 1976, S. 64–72. Übersetzt und zitiert von Gabriele Schor: Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien, S. 18.
  3. Holland Cotter: Feminist Art Finally takes Center Stage, The New York Times, 29. Januar 2007. Übersetzt und zitiert von Gabriele Schor, S. 19.
  4. Gabriele Schor: Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien. Prestel Verlag, München/London/New York 2015, 978-3-7913-5445-3, S. 17–19.
  5. Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien, Kunst und Film, 16. März 2018.
  6. Hamburger Kunsthalle. Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre, Deutschlandfunk, 14. März 2015.
  7. Neue Ausstellung im ZKM Karlsruhe. Nie mehr Opfer sein!, taz Die Tageszeitung, 3. Dezember 2017.
  8. Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der SAMMLUNG VERBUND. Ausstellung „Woman“ im mumok, ARTinWORDS, 1. Mai 2017.
  9. Feminismus und Avantgarde. Gabriele Schor im Gespräch mit Heinz Schütz. In: Kunstforum international, Band 262/219, S. 326f.
  10. Die Ausstellung „Feministische Avantgarde“ im Karlsruher ZKM. Im Gefängnis der Ehe, Stuttgarter Nachrichten, 8. Dezember 2017.
  11. Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien, Kunst und Film, 16. März 2018.
  12. Frankfurter Allgemeine, 14. Februar 2018: Feministische Avantgarde-Kunst: Die wilden Jahre des Aufstands.
  13. "Donna". Sammlung Verbund zeigt feministische Kunst in Rom, Der Standard, 16. Februar 2010.
  14. Sean O'Hagan: PhotoEspaña 2013: the 1970s feminist avant garde, The Guardian, 14, Juni 2013.
  15. BOZAR Center for Fine Arts, Brüssel, 2014.
  16. Female Power in Halmstad, Konst i Halmstad, November 25, 2014.
  17. Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Hamburger Kunsthalle, 2015.
  18. Feminist Avant-Garde of the 1970s: Works from the Verbund Collection, Photographers' Gallery, London, 2016–2017.
  19. WOMAN. Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre aus der Sammlung Verbund, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 2017.
  20. Ausstellung und Symposium: Feministische Avantgarde. In: Camera Austria. Abgerufen am 30. Juli 2019 (deutsch).
  21. Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre aus der SAMMLUNG VERBUND Wien, Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe, 2018.
  22. Stuttgarter Nachrichten: Die Ausstellung „Feministische Avantgarde“ im Karlsruher ZKM: Im Gefängnis der Ehe. Abgerufen am 30. Juli 2019.
  23. Rose-Maria Gropp: Feministische Avantgarde-Kunst: Die wilden Jahre des Aufstands. ISSN 0174-4909 (https://www.faz.net/1.5445300).
  24. WOMAN. The Feminist Avant-Garde of the 1970s, MUST Stavanger Art Museum, 2018.
  25. Feminist Avant-garde / Art of the 1970s / SAMMLUNG VERBUND Collection, The Brno House of Arts, Brünn, 2019.
  26. FEMINISMS!, CCCB - Centre de Cultura Contemporània de Barcelona, 2019
  27. Nicole Scheyerer: Österreichische Feminismus-Kunstsammlung gastiert in Spanien, Der Standard, 23. Juli 2019.
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