Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Diskussion:Goldschmidt Basel

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

tachles 10.9.2021:

Verlagsbuchhändler Salomon Goldschmidt legt eine Chronik einer der ältesten jüdischen Buchhandlungen Europas vor.

«Das geht kaane vier Wuche, do isch der mit sanne Pfilles mechulle», so zitiert Salomon Goldschmidt, wie mit dem damaligen Metzger Wyler ein Nachbar in breitestem Elsässer Jiddisch die Eröffnung einer jüdischen Buchhandlung in Basel durch den Grossvater des Autors im Jahre 1902 kommentierte. Zu Deutsch: «Das geht keine vier Wochen, dann geht der mit seinen Gebetsbüchern bankrott.»

Es kam anders. Seit nunmehr 119 Jahren besteht die jüdische Buchhandlung Goldschmidt in Basel, die älteste im deutschsprachigen Raum. Mit Pessach Meir Goldschmidt (1876–1923), Victor Goldschmidt (1907–1973) und Salomon Goldschmidt war die Buchhandlung drei Generationen in Besitz der Gründerfamilie. Seit 2013 führt Esra Weill die Tradition der Verlagsbuchhandlung an der Mostackerstrasse weiter. An der ruhigen Strasse nahe der Grossen Synagoge der 1805 gegründeten Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) haben Buchhandlung und Verlag seit rund 80 Jahren ihren Sitz. Allein schon dies zeugt von einer Kontinuität, die einzigartig in Europa ist.

Reich illustrierte Chronik

Nicht immer sah es so aus, dass die Existenz gesichert bleiben könnte. Der 1940 geborene Salomon Goldschmidt, langjähriger Geschäftsführer und Inhaber, hat die spannende und wechselvolle Geschichte von Firma und Familie dokumentiert und in Buchform festgehalten. Entstanden ist ein reich illustriertes und schön gestaltetes Werk mit zahlreichen Anekdoten und Berichten.

Goldschmidt zeigt, wie sein Grossvater, der Thoraschreiber und Lehrer Pessach Meir Goldschmidt, auf der Flucht vor der zaristischen Armee in die Schweiz gelangte, wo er zunächst bei Abraham Erlanger, dem legendären Patriarchen und Mitbegründer der Jüdischen Gemeinde Luzern, und seiner Frau Bertha als Hauslehrer für die 14 Kinder diente. Kurz darauf eröffnete er in Basel einen «kleinen, bescheidenen Laden» an bester Lage, zunächst am Heuberg und dann am Spalenberg. Aus dem Laden, der vor allem Ritualgegenstände verkaufte, entwickelte sich in kurzer Zeit eine Buchhandlung Goldschmidt. Als Pessach Meir Goldschmidt 1923 nur 47-jährig starb, musste sein damals erst 17 Jahre alter Sohn Victor, der das Humanistische Gymnasium besuchte, in die Bresche springen und den Betrieb übernehmen. In seinem Buch zeigt sein Sohn Salomon, wie es dem Vater gelang, die Buchhandlung zu halten und zu vergrössern.

Ein vergangenes jüdisches Basel

Wie es dabei zuging und wie vielfältig und lebendig das jüdische Basel Anfang der 1920er-Jahre zwischen IGB und diversen ostjüdischen Minjanin, Lehrhaus, Schomre Thora, Richtungsstreit, Rabbinerwahlen, Abspaltung, Kulturvereinen, Turnverein, Fussball- und Fasnacht war, zeigt das äusserst lesenswerte und witzige Kapitel «Das jüdische Basel vor 50 Jahren», das auf einem Vortrag beruht, den Victor Goldschmidt 1970 gehalten hat.

1936 vermählte sich Victor Goldschmidt mit Mali Ansbacher aus Nürnberg, die während vieler Jahrzehnte in der Buchhandlung arbeiten sollte. Dem Ausbau seiner Buchhandlung setzte der Zweite Weltkrieg ein jähes Ende. Goldschmidt schildert auch das verzweifelte Bemühen, Verwandte zu retten und in die Schweiz zu bringen. Nicht immer gelang dies. So wurden die Grosseltern Ansbacher von Nürnberg nach Riga deportiert und ermordet.

Wiederaufbau

Nach der Schoah war die Buchhandlung als praktisch einzige noch existierende jüdische Buchhandlung wichtig beim Wiederaufbau jüdischen Lebens in Mitteleuropa. Das reichte von der Organisation von Lulav und Etrog für die Sukkot-Feiertage für den halben Kontinent bis hin zur Versorgung mit Judaika für den täglichen Gebrauch.

Hierbei war der 1947 gegründete Verlag zentral. Er machte zahlreiche Neu- oder Nachdrucke jüdisch-religiöser Werke möglich, die durch die Vernichtung der jüdischen Gemeinden Europas selten geworden waren. Mit dem Erwerb der Rechte für den «Rödelheimer Siddur» sowie den zugehörigen «Machsor» für die Feiertage und den Pentateuch aus gleichem Haus sicherte Victor Goldschmidt die Kontinuität des deutschen und elsässischen Ritus. Das Gebetbuch aus Rödelheim bei Frankfurt setzte seit Beginn des 19. Jahrhunderts den Standard des Ritus des west- und zentraleuropäischen Judentums. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde es zusehends durch Gebetbücher aus der Schweiz, Israel und den USA verdrängt, wie «Schma Kolenu», «Rinat Israel», «Koren» und «Art Scroll». Nach dem Tod des Vaters 1973 übernahm Salomon Goldschmidt Buchhandlung und Verlag und führte sie während 40 Jahren bis zur Übergabe an Esra Weill.

In seinem stark autobiografisch gefärbten und lesenswerten Buch legt Goldschmidt nun eine Chronik vor, mit der nicht nur der legendären Verlagsbuchhandlung ein Denkmal gesetzt wird, sondern auch dem lebendigen jüdischen Basel vergangener Zeiten. Es ist dies ein Basel, das es wegen einer massiven Abwanderung so nicht mehr gibt. Die zahlreichen Dokumente, Quellen und Texte im Buch von Salomon Goldschmidt werden daher künftigen Historikern dieses jüdischen Basel als gute Quellen dienen.

Salomon Goldschmidt: Von Plungian nach Basel – Eine jüdische Buchhandlung und Verlag im Wandel der Zeit. Goldschmidt AG, Basel 2020.