Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Anthropomorphismus

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Begriff Anthropomorphismus (griechisch ἄνϑρωπος anthropos ‚Mensch‘ und μορφή morphē ‚Form, Gestalt‘) bezeichnet das Zusprechen menschlicher Eigenschaften auf Tiere, Götter, Naturgewalten und Ähnliches (Vermenschlichung). Die menschlichen Eigenschaften können sich dabei sowohl in der Gestalt als auch im Verhalten zeigen. Das Adjektiv „menschenähnlich“ deckt sich mit dem Begriff humanoid, der vor allem in der Science-Fiction verwendet wird.

Die rhetorische Figur der Anthropomorphisierung heißt Personifikation oder Prosopopöie.

Anthropomorphe Gottesvorstellungen

Anthropomorphe Venus-Darstellung (Venus von Arles, 1. Jh. v. Chr.)

Eine starke Ausprägung des Anthropomorphismus findet sich in den christlichen, hinduistischen, germanischen, griechischen, keltischen, shintoistischen japanischen, ägyptischen und römischen Religionen und Mythologien, in denen die Götter ausgesprochen menschliche Züge tragen, obwohl sie zum Teil auch die Fähigkeit besitzen, (in besonderen Situationen) eine zoomorphe Gestalt anzunehmen. Auch im Alten Testament werden Gott menschliche Eigenschaften und Gefühle zugeschrieben.

Der antike Dichter Xenophanes bemerkt in einem berühmten Gedicht, dass Menschen ihre Götter je nach ihrem eigenen Bilde erschaffen:

„Stumpfe Nasen und schwarz; so sind Äthiopias Götter,

Blauäugig aber und blond: so sehn ihre Götter die Thraker,
Aber die Rinder und Rosse und Löwen, hätten sie Hände,
Hände wie Menschen zum Zeichnen, zum Malen, ein Bildwerk zu formen,
Dann würden die Rosse die Götter gleich Rossen, die Rinder gleich Rindern
Malen, und deren Gestalten, die Formen der göttlichen Körper,

Nach ihrem eigenen Bilde erschaffen: ein jedes nach seinem.“[1]

Allerdings war Anthropomorphismus auch in der Antike kein allgemeingültiges religiöses Phänomen. So gab es beispielsweise in der frühen römischen Religion im Unterschied zur griechischen keine Götter in menschlicher Gestalt. Hier wurde der abstraktere Begriff des Numen für das Wirken der als unnahbar wahrgenommenen Gottheiten geprägt.

Positionen im Islam

In der mittelalterlichen islamischen Theologie war die Ähnlichkeit Gottes mit dem Menschen eine viel diskutierte Frage. Die beiden gegensätzlichen Extrempositionen wurden mit den arabischen Begriffen taschbīh ("Verähnlichung, Anthropomorphismus") und taʿtīl ("Entleerung der Gottesidee von jeglichem mit menschlicher Begrifflichkeit beschreibbaren Inhalt")[2] bezeichnet. Die positiv bewertete Zwischenposition wurde tanzīh ("Transzendentalismus") genannt. Extrem anthropomorphistische Positionen wurden dem Koranexegeten Muqātil ibn Sulaimān sowie der ostiranischen theologischen Strömung der Karrāmīya nachgesagt, ein berüchtigter Vertreter des taʿṭīl war Dschahm ibn Safwān.

Anthropomorphistische Interpretationen Gottes stützten sich auf solche Aussagen im Koran, in denen von Körperteilen Gottes (Antlitz, Augen, Hand) die Rede ist, sowie die Aussage in Genesis 1:27, dass Adam "nach seiner (d.h. Gottes) Gestalt" geschaffen ist, die den Muslimen über das Hadith vermittelt wurde. Das koranische Argument, das gegen jeglichen Anthropomorphismus sprach, war die Aussage in Sure 42:11: "Es gibt nichts, was ihm (nämlich Gott) gleich kommen würde" (laisa ka-mithli-hī šaiʾ). Mit Verweis darauf interpretierten Vertreter transzendentalistischer Positionen, so zum Beispiel die Muʿtaziliten, die koranischen Aussagen über die Körperteile Gottes als Metaphern. Die Ashāb al-hadīth, zu denen auch die frühen Hanbaliten gehörten, setzten dem die Formel bi-lā kaif ("ohne wie") entgegen, d.h. sie verlangten, dass man die Aussagen über Körperteile in Koran und Hadith unhinterfragt hinnehmen sollte.[3]

Anthropomorphe Geistwesen

Engel

Auch die in vielen Kulturen bekannten Geistwesen haben in der Überlieferung, Literatur und Kunst oft menschenähnliche Gestalt, z.B. Engel, Dämonen, Naturgeister oder Gespenster. Besonders die aus antiken Vorstellungen stammenden Geistwesen werden häufig mit Körperteilen von Tieren, wie Flügeln, Hörnern, Hufen oder Schwänzen dargestellt, besitzen aber ansonsten Menschengestalt und menschliche Fähigkeiten wie die der Sprache.

Anthropomorphe Tierfiguren

Reineke Fuchs (Illustration von Wilhelm von Kaulbach, 1846)

Der Anthropomorphismus ist auch ein häufiges Stilmittel in der Literatur. Besonders beliebt ist er in Kinderbüchern, wo meist Tiere anthropomorph dargestellt werden, indem sie menschliche Verhaltensweisen annehmen.

Reale oder fiktive Tiere, die wie Menschen agieren, haben eine lange Tradition in Kunst und Literatur. Sie werden oft benutzt, um stereotype Charaktere darzustellen, damit der Betrachter oder Leser ihren Charakter einfach erfassen und reflektieren kann. Beispiele sind Aesops Fabeln, Alan Dean Fosters Spellsinger (deutsch Bannsänger) und George Orwells Farm der Tiere.

Viele der beliebtesten Figuren im Kinderfernsehen sind anthropomorphe Tiere: Käpt’n Blaubär aus Die Sendung mit der Maus, Micky Maus, Kermit der Frosch, Bugs Bunny und Donald Duck, um nur einige zu nennen. Ebenfalls anthropomorphe Tiere sind die Hauptfiguren aus Brian JacquesRedwall-Reihe. Außer Cartoons bedient sich auch eine kleine Anzahl Sitcoms des Anthropomorphismus (zum Beispiel Die Dinos).

Im Comic tauchen anthropomorphe Figuren oft im Bereich der leichten und vornehmlich an Kinder gerichteten Unterhaltung auf. Das Stilmittel findet sich jedoch ebenso bei Erwachsenen-Comics wie Fritz the Cat (1965) und auch bei ernsten Themen, wie beispielsweise in Art Spiegelmans Maus – Die Geschichte eines Überlebenden (1992).

In den letzten Jahren ist um den tierischen Anthropomorphismus eine Subkultur, oft Furry genannt, gewachsen. Ihre Mitglieder (engl. furries) assoziieren sich mit anthropomorphisierten Tieren, „anthros“ oder „morphs“ genannt. Das Gegenstück in der japanischen Kunst sind die Kemono.

Anthropomorphe Maschinen

Dampflokomotive Thomas

Viele Menschen schreiben noch heute unbelebten Objekten (etwa Fahrzeugen oder Maschinen) menschliche Eigenschaften zu, wobei dies vor allem aus traditionellen Gründen (wie bei der Schiffstaufe), unbewusst oder scherzhaft geschieht. Bekannte Beispiele sind, dem eigenen Auto einen Namen zu geben oder mit einer Maschine zu reden, damit sie läuft. Diese Praxis wurde auch in der Fiktion aufgegriffen und weitergesponnen. Beispiele hierfür sind der VW Käfer Herbie in mehreren Filmen (ab 1968) oder der Sportwagen K.I.T.T. in der Fernsehserie Knight Rider (1982 bis 1986) sowie auch die verschiedenen Maschinen, die in der Kinder-Fernsehserie Bob der Baumeister vorkommen.

Während diese fiktiven Fahrzeuge nicht äußerlich, aber von ihrem Verhalten her menschenähnlich sind, spielen bestimmte Aspekte der menschlichen Physiognomie beim Automobildesign auch tatsächlich eine Rolle. Der Anblick von PKW-Frontpartien wird im Gehirn ähnlich wie der von menschlichen Gesichtern verarbeitet,[4] weshalb beim Design von Autos Scheinwerfer oder Kühlergrill gezielt so gestaltet werden, dass mit unterschiedlichen Modellen bestimmte menschliche Mimiken, Emotionen oder Charaktereigenschaften assoziiert werden.[5]

Der Spezialfall der anthropomorphen Maschine ist der humanoide Roboter.

Siehe auch

Literatur

Allgemein

  • Harminus Martinus Kuitert: Gott in Menschengestalt. Eine dogmatisch-hermeneutische Studie über die Anthropomorphismen der Bibel. Chr. Kaiser Verlag, München 1967.
  • Bruno Roy: La belle et / est la bête. Aspects du bestiaire féminin au moyen âge. In Renate Baader (Hrsg.): Das Frauenbild im literarischen Frankreich. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (= Wege der Forschung, 611) Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988, ISBN 3-534-08616-3, ISSN 0509-9609, S. 38–51 (in Französisch).
  • Hermsdorf, Daniel: Filmbild und Körperwelt. Anthropomorphismus in Naturphilosophie, Ästhetik und Medientheorie der Moderne. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, ISBN 978-3-8260-4462-5. Verlagsinfo
  • Becker Ralf: Der menschliche Standpunkt: Perspektiven und Formationen des Anthropomorphismus. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-465-03715-6.

Islam

  • Binyamin Abrahamov: Anthropomorphism and interpretation of the Qurʾān in the theology of al-Qāsim Ibn Ibrāhīm. Leiden 1996.
  • Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert der Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. 6 Bde. Berlin: De Gruyter 1991-97. Bd. IV, S. 373-424.
  • Daniel Gimaret: Dieu à l'image de l'homme: les anthropomorphismes de la sunna et leur interprétation par les théologiens. Paris 1997.
  • Merlin Swartz: A medieval critique of anthropomorphism: Ibn al-Jawzī's Kitāb Akhbār aṣ-ṣifāt; a critical edition of the Arabic text with translation, introduction and notes. Leiden 2002.

Weblinks

Wiktionary: Anthropomorphismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Commons: Anthropomorphismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage 1905–1909, S. 571. zeno.org

Einzelnachweise

  1. Karl R. Popper; Jørgen Mejer, Arne Friemuth Petersen (Hrsg.): Die Welt des Parmenides. Der Ursprung des europäischen Denkens (Originaltitel: The World of Parmenides, übersetzt von Sybille Wieland und Dieter Dunkel), Ungekürzte Taschenbuchausgabe, Piper-Taschenbuch 4071, München / Zürich 2005, ISBN 3-492-24071-2, S. 90
  2. Die Übersetzung stammt von Tilman Nagel: Geschichte der islamischen Theologie von Mohammed bis zur Gegenwart. München 1994. S. 302.
  3. Vgl. hierzu van Ess IV 373-424.
  4. Psychologie – Menschen ordnen Autos Persönlichkeiten zu, Artikel auf Spiegel.de vom 27. November 2008
  5. Auto-Gesichter - Schau mir in die Scheinwerfer, Artikel auf Spiegel.de vom 3. Oktober 2006
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Anthropomorphismus aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.