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Ephraim Oshry

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Raw Ephraim Oshry

Ephraim Oshry (geb. 1914 in Kupiškis; gest. 28. September 2003 in New York), Autor des monumentalen Geschichtsbuches "Die Auslöschung des litauischen Judentums"[1], war einer der wenigen überragenden europäischen Rabbiner und Posskim, die den Holocaust überlebten. Gemeinsam mit Moshe Feinstein war er einer der Führer der amerikanischen Judenheit der Nachkriegszeit. Er war strikt gegen jegliche Normalisierung der Beziehungen zwischen Juden und Deutschen.

Leben

Schon als Jugendlicher fiel er als Gelehrter auf. Er studierte bei einigen der prominentesten und verehrtesten jüdischen Führungspersönlichkeiten seiner Zeit, darunter vor allem beim Kowner Raw Avraham Duber Kahana Shapiro, der dem jungen Godoil im Alter von 20 Jahren die Semicha erteilte. Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs amtierte Raw Oshry als Rabbiner im Stadtbezirk Slobodka von Kowno.

Nach der Invasion der Nazis in Kaunas im Juni 1941 wurde Raw Oshrys Gemeinde in das Ghetto Kaunas, aber auch in andere Konzentrationslager deportiert. 30 000 Juden waren eingepfercht. Die verzweifelten Menschen wandten sich an Raw Schapiro für geistige Führung und Unterweisung. Dieser war jedoch schon alt und schwach, weshalb er allen empfahl, zu Raw Oshry zu gehen. Er machte diesen faktisch zu seinem Nachfolger. Er wurde zur Anlaufstelle für Entscheidungen für Fragen von Menschen, welche das jüdische Gesetz selbst unter den extremsten Bedingungen befolgen wollten. In seinem Buch "Die Auslöschung des litauischen Judentums" berichtet er vom Leben zur Zeit des Holocausts. Neben schrecklichen Detailschilderungen, wie die Nazis und ihre litauischen Kollaborateure unschuldige Juden brutal ermordet haben, konzentriert er sich vor allem auf das spirituelle Leben in dieser Zeit des Horrors. Die ausgehungerten, geschlagenen und gequälten Juden hatten, um G'ttes Geboten Folge zu leisten, niemals aufgehört, wenn auch im Geheimen, die Tora zu studieren, obwohl sie damit ihr Leben riskierten.

Während seiner Zeit im Ghetto von Kaunas und auch im Konzentrationslager hatte Raw Oshry begonnen, seine auf den Holocaust und damit in Zusammenhang stehende Fragen bezüglichen Responsen zu verfassen, die schwierige Probleme betreffend die menschliche Natur, G'tt und jüdische Ethik reflektierten. Kurz vor Kriegsende vergrub er die in Hebräisch geschriebenen Texte in der Erde[2] und konnte sie nach dem Krieg glücklich wieder auffinden, ausgraben und schliesslich im Jahr bzw. ab dem Jahr 1959 veröffentlichen. Sie erschienen unter dem Titel She'eilos Uteshuvos Mima'amakim ("Fragen und Antworten aus der Tiefe", vgl. Ps. 130). Dieses Buch wurde um vier weitere Bände ergänzt, deren letzter 1979 erschien. Auf 680 Seiten sind 112 Fragen mit den dazugehörigen Überlegungen und Antworten abgedruckt. Die Seforim enthalten ausserdem die Werke "Imrei Ephraim", "Chasdei Ephraim" und "Diwrei Ephraim". Dazu auch längere Briefe von Gedolim an Raw Oshry sowie Listen von mehr als 250 Namen von ermordeten Rabbonim und Roschei Jeschiwos wie auch die Namen von 550 ermordeten Jeschiwa Bachurim. Beide Listen sind selbstverständlich unvollständig. Man kann sich kaum einen Begriff machen von diesem enormen geistigen Verlust der litauischen Juden. Eine gekürzte Fassung erschien 1983 in Englisch unter dem Titel "Responsa from the Holocaust". Seine Responsen erhielten zweimal hintereinander den "National Jewish Book Award". Dieses Werk ist die umfangreichste Sammlung von Schaalos und Teschuwos aus der Zeit des Holocaust. Es enthält äusserst wertvolles historisches Material über das tägliche Leben im Ghetto von Kowno, vor allem mit der Betonung der religiösen Aspekte. Wie Raw Oshry meinte, zeichnet sein Werk ein umfassendes und eindrucksvolles Bild einer tief im Judentum verwurzelten und kreativen Gemeinde. Obwohl sie sich am Rande der Vernichtung befanden, waren dennoch ihre Gedanken und Sorgen auf Fragen der Tora und Religion gerichtet, auf Angelegenheiten von Geist und Ewigkeit. Dabei bewiesen die Juden ein fast unglaubliches geistiges Heldentum.

Nach der Befreiung von Kaunas[3] gingen Raw Oshry und seine zweite Frau Frieda Grünzweig, eine Auschwitz-Überlebende aus Ungarn[4], nach Rom. Dort errichtete er gemeinsam mit anderen Rabbonim eine Jeschiwa (Me'or ha-Golah Jeschiwa) für verwaiste Flüchtlingskinder, deren Leitung er übernahm. Vor seinem Weggang nach Rom stellte er für die verbleibende jüdische Gemeinde Kownos das jüdische Leben wieder auf die Beine. Er richtete eine Schechita und eine Mikwa ein und sorgte für das jüdische Begräbnis von etwa 2000 ermordeten Jiden. Er identifizierte zahlreiche Kinder, die in Klöstern oder bei christlichen Familien versteckt worden waren, und führte sie wieder zum Judentum zurück. Nach seinem Wegzug von Kowno infolge der kommunistischen Machtergreifung gründete Raw Oshry eine Jeschiwa in einem Flüchtlingslager bei Salzburg in Österreich.

1950 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt von Rom nach Montreal, wohin ihm die meisten seiner Schüler folgen konnten.

1952 ging er nach New York, wo er zum Rabbiner des Beth Hamedrash Hagodol in der Lower East Side von Manhattan berufen wurde, das er fünfzig Jahre lang bis zu seinem Tode leitete. Er eröffnete auch eine Jeschiwa für Jungen und eine Jeschiwa für Mädchen, beide in der East Bronx, die er zeitweise auch leitete.

2003 starb Raw Oshry. Er hinterliess seine Frau und neun Kinder (sechs Söhne und drei Töchter).

Die Jeschiwa "Shaar Ephraim" in Monsey, New York, ist nach Raw Ohshry benannt und wird von seinem Schwiegersohn Mendel Greenbaum geleitet.

Werke (Auswahl)

  • Annihilation of Lithuanian Jewry, Judaica Press 1995
  • Responsa from the Holocaust (hrsg. v. B. Goldman und Y. Leiman), Judaica Press 2001

Einige seiner Entscheidungen

  • Frage: Darf eine mittellose Witwe die Goldzähne ihres Mannes herauslösen und an sich nehmen? Antwort: Nein, das wäre eine Entweihung seines Körpers.
  • Frage: Darf man bei einer verstorbenen Schwangeren einen Kaiserschnitt vornehmen? Antwort: Falls man dadurch Leben rettet, ja. Die Entweihung der Toten ist demgegenüber zu vernachlässigen.
  • Frage: Müssen die Holocaust-Überlebenden ihre eintätowierten Nummern entfernen? Antwort: Nein, sie sollen sie als Ehrenzeichen weiterhin tragen.

Ein ausführlicheres Beispiel

Hier ein ausführlicher dargestelltes Beispiel für eine Frage an Raw Ephraim Oshry betreffend Kaddisch für Nichtjuden:

"Es war in der schrecklichen Zeit, als die verfluchten Deutschen unsere Männer und Frauen, junge und alte, gnadenlos verfolgten. Einheimische Litauer, mit welchen die Juden seit Jahrhunderten in Eintracht gelebt hatten, kollaborierten mit den Nazis. Sie töteten Juden und plünderten ihr Eigentum. Sie suchten die Juden, wo immer sie versteckt waren, und wenn sie welche erwischten, übergaben sie sie sofort ihren deutschen Meistern, welche die Unglücklichen zu Tode folterten. Trotz des heftigen Hasses, welchen die Litauer für die Juden hegten und welcher von den Deutschen noch zusätzlich angestachelt wurde, gab es unter den Litauern einzelne Individuen, die angesichts der Grausamkeiten aufbegehrten, welche gegen die Juden begangen wurden. Sie wollten nicht untätig bleiben. Jedoch, was auch immer sie zugunsten der Juden unternahmen, war stets mit erheblichen Risiken verbunden. Denn die Deutschen erschossen sofort jeden, den sie der Beihilfe an Juden verdächtigten. Trotzdem gab es Leute, welche sich für Juden einsetzten. Im Jahr 1945, kurz nach unserer Befreiung, kam Reb Mosche Segal zu mir mit dem folgenden Sachverhalt: Er war zusammen mit zehn anderen Juden von einer nichtjüdischen Frau gerettet worden. Unter enormen Risiken für sich selbst hatte sie alle in ihrem Keller versteckt, mit Nahrung versorgt und sie bis zur Befreiung beschützt. Nach dem Krieg, als sich diese Juden für die grosse Hilfe bedanken wollten, erfuhren sie zu ihrer tiefen Bestürzung, dass die Frau soeben gestorben war. Sie kamen auf den Gedanken, eventuell Kaddisch für sie sagen zu können. Reb Mosche Segal wurde beauftragt, mir die folgende Frage zu stellen: 'Ist es erlaubt, Kaddisch zu sagen für eine Nichtjüdin?'

Meine Antwort: Grundsätzlich ist das Kaddisch-Gebet ein Lob G'ttes. Als Rabbi Nathan in Babylon zum Exilarchen ernannt wurde, fügte der Vorbeter den folgenden Satz im Kaddisch ein: 'In eurem Leben und in euren Tagen und im Leben unseres Exilarchen und im Leben des jüdischen Volkes.' Auch in den Tagen des Rambams fügte man im Kaddisch hinzu: 'In eurem Leben und im Leben unseres Meisters Moshe ben Maimon.'

Daraus ist klar ersichtlich, dass es erlaubt ist, im Kaddisch andere Personen zu erwähnen. Es ist deshalb zulässig, in Erinnerung an die nichtjüdische Frau, welche so viele Juden vor dem Tod gerettet hat, Kaddisch zu sagen und sie dabei explizit im Sinne zu haben. Nicht nur ist es zulässig, es ist sogar eine Mizwa, dies zu tun."

Einzelnachweise

  1. Ursprünglich jiddischsprachig, 1995 in englischer Übersetzung
  2. Raw Oshry hatte sich die Fragen und seine Antworten auf Papierfetzen notiert und diese in leeren Konservendosen vergraben. Nach der Befreiung fand er sie wieder. In den USA angekommen, bearbeitete er sie und gab sie nach und nach heraus. Raw Oshry musste nicht immer aus seinem Gedächtnis antworten. Die Nazis hatten zahlreiche Seforim konfisziert, sie zentral gelagert und ironischerweise ausgerechnet Raw Oshry zum Verwalter dieser zukünftigen "Bibliothek einer untergegangenen Rasse" eingesetzt. So hatte er für die Formulierung seiner Antworten und Entscheidungen einen bequemen Zugang zu allen erforderlichen Quellen. Die meisten der 112 Fragen und Antworten basieren auf äusserst tragischen und dramatischen Begebenheiten. Einige wenige aber auch auf ermunternden und erfreulichen Situationen. Praktisch jede Frage hängt mit einer ganzen Geschichte zusammen. Die Antworten umfassen das gesamte Spektrum des Schulchan Aruch sowie alle Aspekte der jüdischen Ethik. Man kann die Responsa in verschiedene Kategorien einteilen, ungefähr so: Lebensgefahr, Suizid, Krankheit, Tod; Kaschrus, Schabbos, Pessach, Sukkos, Rosch Haschono, Jom Kippur; Ehe-, Geburt, Familienreinheit; Schwangerschaft, Verhütung, Abtreibung; Kannibalismus; Bris, Pidjon ha'Ben, Bar-Mitzwa; Tefillin, Talmud Toiro; Tora-Rollen, Seforim; Beziehungen zu Nichtjuden; Probleme nach der Befreiung; Begräbnis-Fragen; Kirchen, Apostasie und Teschuwo; Rache, Vergebung und Dankbarkeit. Die Fragen dokumentieren eindrücklich die tiefe Emunoh der Ratsuchenden und ihr heldenhaftes Festhalten an der minutiösen Erfüllung von Toiro und Mizwos, selbst unter den schwierigsten Umständen. Die Responsa bilden einen faszinierenden, wenn auch traurigen Lesestoff.
  3. Im August 1944, Raw Oshry hatte sich mit 33 weiteren Juden in einem sorgfältig vorbereiteten Bunker versteckt gehalten.
  4. Die er 1949 geheiratet hatte; seine erste Frau und alle ihre Kinder waren im Holocaust umgekommen, ebenso seine Mutter und seine zwei Schwestern.

Hinweis

Der Artikeltext beruht in grossen Teilen auf einem Nachruf in der Jüdischen Zeitung, Zürich, Ausgabe vom 23. August 2013, Seite 18-19 (Verfasser: Felix Wolgelernter).

Andere Wikis

  • en (dort auch Link zu den vollständig in Hebräisch abrufbaren Schaalos u'Teschuwos)
  • fr
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