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Zwillinge

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Dieser Artikel beschäftigt sich mit den Zwillingen als Geschwisterbeziehung. Andere Bedeutungen siehe Zwilling (Begriffsklärung).
Zwillinge

Zwillinge (lat.: gemini) sind medizinisch genau formuliert zwei Kinder einer Mutter und eines Vaters, die am selben Tag gezeugt (und meistens auch geboren) wurden. Umgangssprachlich werden jedoch alle Kinder als Zwillinge bezeichnet, die innerhalb der gleichen Schwangerschaft herangewachsen sind und in der Regel im Verlauf desselben Geburtsvorganges zur Welt kommen. Bei der seltenen Überschwängerung kommen ebenfalls zwei Kinder in einem Geburtsvorgang zur Welt, jedoch keine Zwillinge. Das Wort Zwilling, älter auch zwiniling, gezwinele, ist eine Ableitung vom Zahlwort zwei und bedeutet ursprünglich „was doppelt vorkommt“, „wovon es ein Zweites gibt“.

Formen der Zwillingsbildung

Dichoriale Zwillinge

Die beiden bekanntesten Formen der Zwillingsentstehung sind:

Eineiige Zwillinge (monozygotisch)
die befruchtete Eizelle (Zygote) teilt sich im Verlauf der Entwicklung in zwei Embryonalanlagen, auch Zwillingsschlupf genannt. Sie entstehen aus einer einzigen befruchteten Eizelle, haben das gleiche Erbgut und die gleichen Erbanlagen.
Zweieiige Zwillinge (dizygotisch)
zwei innerhalb eines Zyklus gereifte Eizellen werden von zwei Spermien befruchtet.

Zwei weitere überaus seltene Möglichkeiten der Entstehung von Zwillingen sind:

Polkörperchenzwillinge
Polkörperchen entstehen bei der Reifeteilung des Eies im Eileiter, haben normalerweise keinen Zellleib und werden von der Gebärmutter abgestoßen. Ausnahmsweise können diese Polkörperchen einen kleinen Zellleib behalten, der dann neben dem reifen Ei auch von Spermien befruchtet werden kann. Diese Zwillinge sind sich nicht ähnlicher als normale zweieiige Zwillinge, da die Polkörperchen durch Meiose entstanden sind und sich bezüglich des Erbgutes von der Eizelle unterscheiden.
Zwillinge aus zweikernigen Eizellen
In seltenen Fällen verfügt eine Eizelle über zwei Zellkerne. In einem solchen Fall können beide Kerne von Spermien befruchtet werden. Die Zwillinge haben daher mütterlicherseits die gleichen Erbanlagen, unterscheiden sich aber in den vom Vater geerbten Anlagen. Hierbei handelt es sich zwar nur um ein Ei, aber da sich das Ei bereits vor der Befruchtung teilt, wird diese Form nicht zu den klassischen eineiigen Zwillingen gezählt.

Formen eineiiger Zwillinge

Eineiige Zwillinge (die Carlsons)

Ursache für die verschiedenen Entwicklungen von eineiigen Zwillingen ist die Spezialisierung der Zellen in den ersten Tagen nach der Befruchtung. Sind die Zellen in den ersten drei Tagen noch gleich, so spezialisieren sie sich danach: Einige bilden den ernährenden Teil (Trophoblast, bildet die Plazenta), die anderen den embryonalen Teil (Embryoblast). Bei dieser Spezialisierung wird die äußere Eihaut (Chorion) gebildet, einige Tage später entsteht die innere Eihaut (Amnion). Diese Eihäute können nicht geteilt werden. Je nachdem, ob die Teilung vor oder nach der Bildung der äußeren Eihaut abgeschlossen war, werden zwei oder nur eine äußere Eihaut gebildet, analog bei der inneren Eihaut.

Teilung des Keimes bis zum dritten Tag nach der Befruchtung (dichoriale Zwillinge)
Es findet eine vollständige Teilung statt. Beide Teile des Keimes nisten sich unabhängig voneinander in der Gebärmutter ein. Es entstehen zwei Fruchtblasen und zwei Plazentas.
Teilung zwischen dem 3. und 7. Tag nach der Befruchtung (monochorial-diamniote Zwillinge)
Es findet eine vollständige Teilung des embryonalen Teiles, nicht jedoch des ernährenden Teiles statt. Die beiden Embryonen nisten sich gemeinsam in der Gebärmutter ein. Es entstehen zwei Fruchtblasen. Die Kinder werden von einer gemeinsamen Plazenta versorgt, wodurch das Risiko eines fetofetalen Transfusionssyndroms besteht.
Teilung nach dem 9. Tag nach der Befruchtung (monochorial-monoamniote Zwillinge)
Die beiden Embryonen teilen sich die Fruchtblase und die Plazenta. Findet die Teilung erst nach dem 13. Tag nach der Befruchtung statt, kann diese Teilung häufig nicht mehr vollständig erfolgen; es kommt zur Bildung siamesischer Zwillinge.

In seltenen Fällen können eineiige Zwillinge verschiedene Geschlechter haben. Bei einer unvollständigen Teilung kann das Y-Chromosom verloren gehen. Das Kind ohne Y-Chromosom entwickelt sich dadurch zum Mädchen. Diese Mädchen leiden dann unter den Folgen des Turner-Syndroms.

Formen zweieiiger Zwillinge

Zwei befruchtete menschliche Eizellen

Zweieiige Zwillinge entstehen, wenn innerhalb eines Zyklus zwei Eizellen reifen und befruchtet werden. Daher können zweieiige Zwillinge auch von unterschiedlichem Geschlecht sein. Diese müssen nicht im selben Geschlechtsakt befruchtet werden, sind jedoch bei einer Entstehung an unterschiedlichen Tagen medizinisch keine Zwillinge. Die beiden Eisprünge müssen nicht zwangsläufig gleichzeitig erfolgen, erfolgen jedoch meist innerhalb von ca. 24 Stunden, da sich danach die hormonelle Situation der Frau so verändert, dass kein weiterer Eisprung möglich ist.

Es besteht sogar die Möglichkeit, dass zweieiige Zwillinge von zwei unterschiedlichen Vätern gezeugt wurden („Halbzwillinge“), was vor allem daran liegt, dass Spermien im optimalen Milieu durchschnittlich ca. 4–5 Tage befruchtungsfähig bleiben.

Im Gegensatz zu eineiigen Zwillingen ist bei zweieiigen Zwillingen eine familiäre Häufung nachgewiesen, die Wahrscheinlichkeit von Zwillingsgeburten ist bei Schwestern von Zwillingsmüttern mehr als verdoppelt. Neben Stammbaumanalysen belegen auch die Populationsunterschiede eine genetische Komponente.

Häufigkeit von Zwillingsgeburten bei Menschen

Zwei eineiige Zwillingspaare:
Die Handballschiedsrichter Bernd und Reiner Methe (links) und Andreas und Marcus Pritschow (rechts).

Weltweit ist im Schnitt jede 40. Geburt eine Zwillingsgeburt. Hierbei gibt es jedoch regionale Unterschiede: Bei den Yoruba ist es zum Beispiel jede 6. Geburt, in Japan nur jede 100. In Europa wurde eine deutliche Häufigkeitsabnahme von Norden nach Süden nachgewiesen. In Deutschland brachte 2006 eine von 64 Schwangeren Zwillinge zur Welt.[1][2] Die Zahl der Zwillingsgeburten steigt aufgrund von Hormonbehandlung und künstlicher Befruchtung stetig an. Beispielsweise stieg in Andalusien die Zahl der Zwillingsgeburten von 10,9 pro 1000 Geburten im Jahr 2000 auf 16,2 pro 1000 Geburten im Jahr 2009 an.[3]

In Österreich gab es laut Statistik Austria im Jahr 2007 1.263[4] Zwillingsgeburten, in Deutschland waren es 2006 laut Statistischem Bundesamt 10.538,[5] von insgesamt 673.000 Geburten[6] und in der Schweiz kam es nach dem Bundesamt für Statistik zu 1.208 Zwillingsgeburten im Jahr 2007.[7] Das bedeutete für Deutschland im Jahr 2006, dass eine Schwangere mit der Wahrscheinlichkeit von 1,57 % Zwillinge erwartete.

Die Verteilung der Geburtenraten eineiiger zu zweieiigen Zwillingen verändert sich signifikant nach Jahr und Region zwischen 1:4 bis 1:1. Die Geburtenrate eineiiger Zwillinge erweist sich über die Jahre und Regionen als nahezu konstant. In den reichen Ländern nehmen zweieiige Mehrlingsgeburten in den letzten Jahren zu. Wichtigste Ursache der Zunahme liegen im steigenden Lebensalter der Gebärenden und den Fertilitätsbehandlungen.[8]

Mütter von Zwillingen

Analyse von Daten aus dem 19. Jahrhundert aus Utah von einmal verheirateten Frauen aus monogamen Ehen, die mindestens das 50. Lebensjahr erreicht haben, lassen den Schluss zu, dass die knapp acht Prozent Mütter von Zwillingen grundsätzlich eine bessere Konstitution haben. Für die vor 1870 geborenen Zwillingsmütter war das Sterberisiko um 7,6 % geringer, für die zwischen 1870 und 1899 geborenen um 3,3 %. Im Laufe des Lebens bekamen sie auch mehr Einlingskinder, die Zeit zwischen zwei Geburten war um durchschnittlich zwei Wochen kürzer, die Spanne zwischen erster und letzter Geburt war um einige Monate länger, und der Zeitpunkt der letzten Niederkunft war im Schnitt später.[9]

Obwohl bei älteren Frauen die Fruchtbarkeit abnimmt, bekommen diese deutlich öfter mehreiige Zwillinge oder Mehrlinge. Nach einer 2006 in den Niederlanden veröffentlichten Studie könnte die Ursache in der Mehrproduktion eines Hormons liegen, welches die Eizellreifung auslöst. Dies ist möglicherweise der Grund für häufigere, doppelte Eisprünge innerhalb eines Zyklus.[9]

Anschauungen über Zwillinge in der Antike

Zeugungstheorien

In der griechisch-römischen Antike kursieren mehrere Zeugungstheorien für Zwillinge. Die ältesten Ansichten zu Zwillingsgeburten findet man in mythologischen Berichten. Besondere Aufmerksamkeit findet dort die Vaterschaft. Ursachen für Zwillingsgeburten sind zum einen das besondere Eingreifen eines Gottes (Gottvaterschaft), zum anderen eine gewisse doppelte Vaterschaft: Es werden entweder eine Gottheit und ein Sterblicher oder zwei sterbliche Menschen als Väter angenommen. Seltener findet man die Zuschreibung der Zwillinge an einen einzigen sterblichen Vater. Empedokles (Frg. A 81 Diels-Kranz I, 300, Z. 10. 15) bietet wohl den älteste naturwissenschaftlich-medizinische Erklärungsversuch für Zwillingsgeburten: Zwillinge gehen bei einem einzigen Koitus durch die Teilung von übermäßiger Samenflüssigkeit hervor. Demokrit (Frg. A 151 Diels-Kranz II, 125, Z. 21-25) bringt auch die Beschaffenheit der Gebärmutter mit ins Spiel. Hippokrates (De natura pueri 31; De victu 30) kombiniert beide Theorien. Die von ihm offen gelassene Frage, wie viele Geschlechtsakte für eine Zwillingsgeburt erforderlich seien, wird in der Folgezeit mit unterschiedlichen Lösungen diskutiert. Aristoteles (De generatione animalium 772b; Historia animalium 584b – 585a) belebt die Diskussion mit seiner Theorie einer Nachempfängnis (Superfecundatio) und wirkt zusammen mit Hippokrates bestimmend auf die ganze weitere antike Problemerörterung (vgl. Plinius d. Ä., Naturalis historia VII, 47-49). Augustinus (De civitate dei V, 1. 6) und andere christliche Autoren lehnen die aristotelische Theorie der Nachempfängnis ab und lehren eine einzige Zeugung in einem einzigen Zeugungsakt, so dass die Theorie des Hippokrates von da an wieder deutlich an Ansehen gewinnt. Der Einfluss dieser medizinisch-naturwissenschaftlichen Theorien auf das Bewusstsein der Gesamtbevölkerung darf keinesfalls zu hoch eingeschätzt werden. Dort herrschen nach Auskunft vieler Belege des antiken Volksglaubens die älteren mythischen Vorstellungen vor.

Biologisch-physiologische, familiensoziologische und sklavenrechtliche Anschauungen über Zwillinge

In der griechisch-römischen Antike bilden sich auch einige grundsätzliche biologisch-physiologische, familiensoziologische und sklavenrechtliche Überlegungen über Zwillinge aus.

Biologisch-physiologische Aspekte
Eine Vererbung der Disposition zu Zwillingsgeburten wird in der Antike eindeutig für Tiere bejaht, recht selten nur für Menschen. Erwähnenswert ist, dass in einzelnen mythologischen Familienstammbäumen (z.B. Perseus) eine Häufung von Zwillingsgeburten zu beobachten ist. Klimatisch-geographische Begünstigung von Zwillingsgeburten schreibt man bestimmten Landschaften, besonders Ägypten, zu. Die Überlebenschancen von Zwillingen werden aus Auskunft der antiken Zeugnisse als deutlich gefährdet angesehen, besonders wenn ein geringeres Geburtsgewicht bei einem der Zwillinge vorliegt.
Familiensoziologische Aspekte
Mythologische Zeugnisse sprechen bei ungleichgeschlechtlichen Zwillingen oft die Vermutung einer geschlechtlichen Beziehung der Kinder im Mutterleib aus. Die Behandlung der Zwillinge ist abhängig von der Beurteilung dieses pränatalen Inzests (vgl. Byblis bei Ovid, Metamorphosen 9, 447-665). Bei Negativbeurteilung dieser Beziehung kam es zur Tötung eines der Zwillinge, zumeist des weiblichen, oder zur Trennung der Zwillinge. Gleichwohl gab es – vor allem in Ägypten – die bis zur Zeitenwende belegbare Tradition, solche Zwillinge miteinander zu verheiraten. Die in den antiken Mythen überlieferten Verhaltensweisen gegenüber Zwillingen und ihrer Mutter stehen in engem Zusammenhang mit den o. g. Ansichten zur Zwillingsvaterschaft. Der Mutter und den Zwillingskindern drohen mitunter Aussetzung, Tötung oder Vertreibung aus der Gemeinschaft. Erst das Christentum mit seiner aus Judentum übernommenen konsequenten Bejahung des Kindes[10] und mit seinem strengen Tötungs- und Abtreibungsverbot stellt das uneingeschränkte Lebensrecht beider Zwillinge und ihrer Mutter sicher. Die Frage, wie weit die psychische Identität bzw. Parallelität von Zwillingen gehe, beantwortet man in die Richtung, dass es keine völlige Unterschiedslosigkeit gäbe (Cicero, Academica 2,54-57). Soziale Verhaltensmuster wie Unzertrennlichkeit, heftiger Streit von Zwillingen und Dominanz eines der beiden Zwillinge, die auch die moderne Zwillingsforschung aufgreift, sind vielfach für die Antike belegt (dazu Rathmayr 2000, 89-100). Besonders für dynastische Geschlechter ergibt sich das brisante Problem der Erstgeburt (Primogenitur). Weil in der Regel der älteste Sohn die Herrschaftsnachfolge antritt, markiert die Familie den Erstgeborenen der Zwillinge z. B. durch Zeichen oder durch die Namensgebung. Unterblieb diese Vorrangsmarkierung, waren Herrschaftsprobleme vorprogrammiert, wie besonders die Sage von Romulus und Remus bezeugt. Die Geschichte von Jakob und Esau kennt allerdings auch eine Vorrangstellung des jüngeren gegenüber dem älteren.
Sklavenrechtliche Aspekte
Zwillinge aus dem Sklavenstand bedeuteten in der Antike einen beträchtlichen Wert für ihren Besitzer, so dass man bereitwillig große Summen für sie bezahlte. Ihren Wert behielten Zwillinge allerdings nur als Paar; wurde einer von ihnen getötet, war immer der Preis für beide zu entrichten (Gaius, Institutiones 3, 212; Digesten 9,2,22,1).

Anschauungen über Zwillinge in anderen Kulturen

In vielen traditionellen Kulturen galt die Geburt von Zwillingen für den Menschen als widernatürlich. Zwillinge wurden bei manchen Völkern verachtet und teilweise (manchmal auch mit ihrer Mutter) getötet.[11] In Afrika sollte besonders von gleichgeschlechtlichen Zwillingen Unheil ausgehen, weil sie angeblich mit bösen Buschgeistern in Verbindung stehen, die ebenfalls paarweise auftreten. Auf der sibirischen Halbinsel Kamtschatka glaubte man nach einer Beschreibung von 1774, dass der Vater von Zwillingen in jedem Fall ein Wolf sei.[12]

„Sind [die Kinder] Zwillinge, so verlangen verkehrte Begriffe von Anstand und Familienehre, daß man eines der Kinder umbringe. Zwillinge in die Welt setzen, heißt sich dem allgemeinen Spott preisgeben, heißt es machen wie Ratten, Beutelthiere und das niedrigste Gethier, das viele Junge zugleich wirft. Aber noch mehr: „Zwei zugleich geborene Kinder können nicht von Einem Vater seyn“. […] Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Basen der Mutter oder die mure japoic-nei [Hebamme] auf sich, eines der Kinder auf die Seite zu schaffen.“

– Alexander von Humboldt über die Sáliva in: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 3, S. 154

Überwiegend gelten Zwillinge in traditionellen afrikanischen Glaubensvorstellungen als ungewöhnliche Menschen, deren Schattenseele (bei den westafrikanischen Malinke und Bambara heißt sie dya) in enger Beziehung zum Schöpfergott steht. Zwillinge stellen ein Segenszeichen für ihre Eltern dar, die Yoruba sehen sie als heilbringend. Ihre Wertschätzung hängt in Westafrika auch mit den Schöpferpaaren der afrikanischen Kosmogonie zusammen. Da Zwillinge häufig krankheitsanfälliger und schmächtiger sind, werden sie erst später als andere Kinder außer Haus getragen. Erst wenn beide die ersten Jahre überlebt haben, nimmt ihre Mutter sie mit auf den Markt, weil sie nun davon ausgeht, dass die empfindlichen Seelen der Kinder fest genug an ihren Körpern haften und nicht verlorengehen. Beim Homowo-Fest, einem Erntedankfest, das von den Ga in Ghana zu Beginn der Regenzeit im Frühjahr gefeiert wird, gibt es für Zwillinge ein besonderes rituelles Programm, bei dem sie geheiligte Speisen erhalten, was zugleich ihre magischen Fähigkeiten erhalten und sie vor Gefahren schützen soll.[13]

Zwillingsforschung

Die Watson-Zwillinge (The Watson Twins)

Die Zwillingsforschung erlaubt interessante Aussagen bezüglich der Frage, welcher Anteil des menschlichen Verhaltens durch das Erbgut und welcher durch die Umwelt bedingt ist.

Intelligenz

Um zu untersuchen, welcher Anteil der Varianz der Intelligenzquotienten innerhalb einer Population auf erbliche und welcher auf Umweltfaktoren zurückzuführen ist, macht man sich die additive Zusammensetzung der Gesamtvarianz aus einzelnen, unabhängigen Varianzen zunutze. Man nimmt an, dass sich die Gesamtvarianz in einer Population in einen erblichen und einen erworbenen Varianzanteil unterteilt:

Zur Ermittlung der erblichen Komponente untersucht man nun eineiige und zweieiige Zwillingspärchen mit Intelligenztests. Die Varianz zwischen den zweieiigen Paaren nimmt man als Schätzer für die Gesamtvarianz. Die Varianz zwischen den eineiigen Zwillingen dient als Schätzer für den Varianzanteil, der auf Umwelteinflüsse zurückzuführen ist. Eineiige Zwillinge besitzen ein identisches Erbgut, darum sollten Unterschiede in ihren Intelligenzleistungen nur auf Umwelteinflüsse zurückzuführen sein. Da man Gesamt- und Umweltvarianz dann geschätzt hat, kann man mit obiger Formel den Anteil der erblichen Komponente an der Gesamtvarianz errechnen. Diese Untersuchungsmethode basiert jedoch auf der Annahme, dass sowohl ein- als auch zweieiige Zwillinge eine nahezu identische Umwelt erfahren. Dies ist jedoch oft nicht der Fall – eineiige Paare werden oft anders behandelt.

Sehr wichtig ist die richtige Interpretation des Ergebnisses. Angenommen eine Studie kam zu dem Schluss, dass die Varianz im IQ zu 50 % erblich ist[14]: Oft liest man in einem solchen Fall Aussagen wie „50 % der Intelligenz sind vererbt“. Das ist ein Trugschluss. Die Untersuchungen zeigen, dass in einem solchen Fall ca. 50 % der Varianz der Intelligenz in einer Population auf erbliche Faktoren zurückgehen, also die Unterschiede bei der Intelligenz innerhalb einer Gesellschaft sind zur Hälfte erblich bedingt. Die Aussage, dass 50 % der persönlichen Intelligenz auf das Erbgut, welches man von seinen Eltern erhalten hat, zurückzuführen ist, ist falsch.

Sprachentwicklung

Die Sprachentwicklung bei monozygoten Zwillingen weist Besonderheiten im Vergleich zu anderen Kindern auf.

Defizithypothese

Einerseits scheint ihre Sprache oft im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern unterentwickelt. Diese Sprachentwicklungsverzögerung wird in der Defizithypothese gefasst. Untersuchungen zeigen, dass zwei- bis vierjährige monozygote Zwillinge ca. ein halbes Jahr in ihrer Sprachentwicklung verzögert sind. Sie zeigen im gleichen Zeitraum weniger Äußerungen, benutzen kürzere und einfachere Konstruktionen als gleichaltrige Einzelkinder. Diese leichte Verzögerung, die jedoch im Laufe der Entwicklung bis zum Einsetzen der Pubertät vollkommen ausgeglichen ist, lässt sich auf verschiedene Besonderheiten im Aufwachsen von Zwillingen zurückführen:

  • Bei Einzelkindern entsteht eine sehr enge Bindung zu einer primären Bezugsperson (in der Regel die Mutter), welche bereits erwachsen ist. Somit besteht zwischen Kind und Bezugsperson ein sprachliches Gefälle, was dazu beiträgt, dass die Kinder die Sprache schneller lernen. Bei ein- und zweieiigen Zwillingen ist die engste Bezugsperson jedoch das eigene Geschwisterkind. Zwischen diesen besteht jedoch kein sprachliches Gefälle, was die Verzögerung der Sprachentwicklung begründen könnte.
  • Einzelkinder befinden sich in einer dyadischen Situation mit ihrer primären Bezugsperson – der Mutter. Zwillinge hingegen befinden sich in einer triadischen Beziehung zur Mutter. Hier gibt es nicht zwei, sondern drei Personen einzubeziehen. Unsere Sprache sieht viele einfache und gebräuchliche Formen für dyadische Beziehungen vor (Sprecher und Adressat, etc.). Komplizierter wird es hingegen bei Triaden. Zudem muss die Mutter ihre Aufmerksamkeit, ihre Liebe und ihre gemeinsame Zeit auf zwei Kinder aufteilen. In einer Untersuchung fand man heraus, dass Mütter von Zwillingen im Mittel mehr auf direktive Erziehungsmaßnahmen setzten. Außerdem kam es bei Zwillingen zu weniger gemeinsamer Aufmerksamkeit zwischen Mutter und einzelnem Kind, als bei Einzelkindern.
  • Monozygote Zwillinge entwickeln anfangs oft ein besonderes deiktisches System. Wenn sie den Namen eines der beiden verwenden (manchmal auch einen Fantasienamen), dann meinen sie entweder wirklich das eine Kind oder sie meinen beide Geschwister zugleich. Dieses Phänomen bezeichnet man als nominalen Dual.
Autonomiehypothese

Ein zweiter Untersuchungsansatz beschäftigt sich weniger mit der Verzögerung der Sprachentwicklung, als vielmehr mit der Einzigartigkeit bei monozygoten Zwillingen. Dieser Ansatz heißt Autonomiehypothese.

Bei sehr jungen monozygoten Zwillingen beobachtet man oft eine Art Sondersprache, die nur zwischen den beiden Geschwistern verwendet und nur von ihnen verstanden wird. Diese bezeichnet man auch als Kryptoglossie oder Idioglossie. Diese Sondersprache verschwindet jedoch mit zunehmendem Alter.

Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen

Obwohl eineiige Zwillinge aus ein und derselben Eizelle hervorgehen und daher über exakt die gleiche genetische Ausstattung verfügen, sind sie nicht zwangsläufig identisch (beispielsweise Fingerabdrücke, Leberflecken, Muttermale). Zuweilen unterscheiden sich die Geschwister bezüglich ihrer physischen und psychischen Merkmale sogar sehr deutlich voneinander. Man erklärt dieses Phänomen mit sich unterschiedlich entwickelnden epigenetischen Profilen der Zwillinge, d. h., unterschiedliche Expressionsmuster können bei den Geschwistern zu unterschiedlicher Ausprägung bestimmter Merkmale (Phänotypen) führen. Wichtige epigenetische Mechanismen, die die Genaktivität bei unveränderter DNA-Sequenz (Abfolge der Nukleotide) der DNA beeinflussen, sind vor allem DNA-Methylierung und Histon-Acetylierung. In einer Studie aus dem Jahr 2005, die sich auf die Untersuchung dieser Mechanismen konzentrierte, fanden sich bei etwa einem Drittel der Zwillingspaare unterschiedliche epigenetische Muster. Dagegen wiesen zwei Drittel der insgesamt 80 Zwillinge im Alter zwischen drei und 74 Jahren identische Profile auf.[15]

Mit zunehmendem Lebensalter der eineiigen Zwillinge prägen sich Unterschiede im Muster der Genexpression immer deutlicher aus – dagegen lassen sich die Geschwister in frühen Phasen ihres Lebens epigenetisch nicht voneinander unterscheiden. Interessanterweise sind die Abweichungen bei Zwillingen umso stärker, je weniger Lebenszeit miteinander verbracht wurde. Das stützt die Vermutung, dass Umweltfaktoren wie Rauchen, Ernährung oder körperliche Aktivitäten das epigenetische Profil beeinflussen. Auch das Erleiden verschiedener Krankheiten im Lauf des Lebens scheint hierbei eine Rolle zu spielen.[16]

Bekannte Zwillinge

Viele US-Schauspielerinnen sind Mütter von Zwillingen, so z.B. Angelina Jolie (2008), Julia Roberts (2004) und Jennifer Lopez.

Siehe auch

Literatur

  • Eiigkeitsdiagnose bei jugendlichen Zwillingen mit Fragebogen. In: Ärztliche Jugendkunde 71/1980, S. 105-109.
  • F. Mencacci: I fratelli amici. La appresentazione dei gemelli nella cultura romana. 1996.
  • Reinhard Rathmayr: Zwillinge in der griechisch-römischen Antike (Alltag und Kultur im Altertum 4). Wien: Böhlau 2000 (vi, 148 S.). - ISBN: 3-205-99203-2
  • Reinhard Rathmayr: Zwillinge. In: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 12/2 (2003), Sp. 858-860.
  • Barbara Frey: Zwillinge und Zwillingsmythen in der Literatur. Frankfurt am Main/London 2006.

Weblinks

 Commons: Zwillinge – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Anzahl Zwillingsgeburten, Stand 2006
  2. [1]
  3. E. G. Mesa, J. A. Peral: Incidence and costs of multifetal pregnancies in Andalusia (2000-2010). In: Twin research and human genetics : the official journal of the International Society for Twin Studies. Band 14, Nummer 5, Oktober 2011, S. 484–489, ISSN 1832-4274. doi:10.1375/twin.14.5.484. PMID 21962143.
  4. Anzahl Zwillingsgeburten, Stand 2007
  5. Anzahl Zwillingsgeburten, Stand 2006
  6. [2]
  7. Anzahl Zwillingsgeburten, Stand 2007
  8. Zunahme von Zwillingsgeburten: Mehr Glück im Doppelpack. DER SPIEGEL, 29. Dezember 2011, abgerufen am 10. August 2012.
  9. 9,0 9,1 Zwillingsmütter leben länger, science.orf.at, 11. Mai 2011
  10. Vgl. Michael Gärtner: Die Familienerziehung in der Alten Kirche. Eine Untersuchung über die ersten vier Jahrhunderte des Christentums mit einer Übersetzung und einem Kommentar zu der Schrift des Johannes Chrysostomus über Geltungssucht und Kindererziehung (Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 7). Köln / Wien: Böhlau 1985, bes. S. 6-31.
  11. Rathmayr 2000, S. 5–41
  12. Uno Harva: Die religiösen Vorstellungen der altaischen Völker. FF Communications N:o 125. Suomalainen Tiedeakatemia, Helsinki 1938, S. 473
  13. Klaus E. Müller, Ute Ritz-Müller: Soul of Africa. Magie eines Kontinents. Könemann, Köln 1999, S. 198–204
  14. das Beispiel 50 % ist in diesem Artikel willkürlich gewählt, weil Uneinigkeit darüber herrscht, wie stark die Intelligenz wirklich erblich ist, verschiedene Studien kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen
  15. M. F. Fraga, E. Ballestar u. a.: Epigenetic differences arise during the lifetime of monozygotic twins. In: PNAS. Band 102, Nummer 30, Juli 2005, S. 10604–10609, ISSN 0027-8424. doi:10.1073/pnas.0500398102. PMID 16009939. PMC 1174919 (freier Volltext).
  16. G. M. Martin: Epigenetic drift in aging identical twins. In: PNAS. Band 102, Nummer 30, Juli 2005, S. 10413–10414, ISSN 0027-8424. doi:10.1073/pnas.0504743102. PMID 16027353. PMC 1180801 (freier Volltext).
  17. Die Esau- und Jakoberzählungen finden sich im 1. Buch Mose, Kapitel 25 - 50
  18. Die Geschichte von Perez und Serach findet sich im 1. Buch Mose, Kapitel 38.
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