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Wolfgang Harich

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Wolfgang Harich 1947

Wolfgang Harich (* 9. Dezember 1923 in Königsberg i. Pr.; † 15. März 1995 in Berlin) war Philosoph, Journalist und einer der bedeutendsten und widersprüchlichsten marxistischen Intellektuellen der DDR.

Leben und Werk

1927 bis 1945

Wolfgang Harich entstammte der Ehe des Literaturhistorikers und Schriftstellers Walther Harich (1888–1931) mit Anne-Lise Wyneken (1898–1975). Er wuchs in Neuruppin, später in Berlin-Wilmersdorf auf. Neben seinem Gymnasialbesuch war er an der Berliner Universität häufiger Gasthörer philosophischer Vorlesungen, so bei Nicolai Hartmann und Eduard Spranger.

1942 wurde Harich zum Militärdienst einberufen. Nach längeren Lazarett-Aufenthalten und einer zwischenzeitlichen Bestrafung wegen „unerlaubter Entfernung von der Truppe“ desertierte er 1944 und lebte untergetaucht in Berlin. Dabei entstanden Verbindungen zu einer kommunistischen Widerstandsgruppe „Ernst“.

1945 bis 1957

Anfang Mai 1945 wurde Harich von Wolfgang Leonhard im Auftrag der Gruppe Ulbricht mit der Organisation der Kulturarbeit in Wilmersdorf und anderen Stadtteilen der späteren Westsektoren Berlins betraut.[1] Die Vorbereitung der Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands ergab eine enge Zusammenarbeit mit Johannes R. Becher und anderen aus der Emigration zurückkehrenden Kulturschaffenden. Im Februar 1946 wurde er Mitglied der KPD.

Wolfgang Harich arbeitete als Literatur- und Theaterkritiker zunächst beim französisch lizenzierten Kurier und später – als seine Arbeitsmöglichkeiten in den Westsektoren behindert wurden – bei der Täglichen Rundschau, der Tageszeitung der SMAD. Er war befreundet mit den Schauspielern Paul Wegener und Victor de Kowa sowie dem Theaterkritiker Friedrich Luft. Wegen einer unfreundlichen Kritik wurde er 1946 von der Bühnendiva Käthe Dorsch öffentlich geohrfeigt.[2]

Ab 1948 hielt Harich an der Berliner Universität Vorlesungen in Marxistischer Philosophie. Er wurde 1951 nach Vorlage einer Dissertation über Herder promoviert und als Professor an die Philosophische Fakultät berufen, wo er als exzellenter Hochschullehrer galt. Zusammen mit Ernst Bloch gab er ab 1953 die Deutsche Zeitung für Philosophie heraus. Nach dem 17. Juni 1953 kritisierte Harich offen die dogmatische Kultur- und Medienpolitik der Partei. Er musste die Universität verlassen und wurde 1954 Cheflektor des von Walter Janka geführten Aufbau-Verlages.

Dort entstand nach dem XX. Parteitag der KPdSU und beeinflusst durch Georg Lukács und Ernst Bloch der „Kreis der Gleichgesinnten“, eine informelle Gruppe marxistischer Intellektueller, die parteiintern Reformen forderte. Harich wurde beauftragt, die Diskussionsergebnisse als „Plattform für den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ zusammenzufassen. Ein Exemplar der Plattform, in der die Entmachtung Ulbrichts und die deutsche Wiedervereinigung als neutraler, entmilitarisierter Staat gefordert wurde, übergab er dem sowjetischen Botschafter in Berlin. Er informierte auch – wohl ohne Abstimmung mit den anderen Beteiligten – Rudolf Augstein und Mitarbeiter des Ostbüros der SPD vom Inhalt der Plattform. Unmittelbar darauf – am 29. November 1956 – wurde Harich verhaftet.

Unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse in Ungarn, wo die national-kommunistische Reformbewegung zum Volksaufstand – verbunden mit antikommunistischen Übergriffen – führte, der schließlich von Sowjet-Truppen niedergeschlagen wurde, statuierte die DDR-Führung ein Exempel: In einem Schauprozess wurde Harich im März 1957 wegen „Bildung einer konspirativen staatsfeindlichen Gruppe“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, mit ihm und in einem weiteren Prozess erhielten auch Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig sowie Walter Janka, Gustav Just, Richard Wolf und Heinz Zöger mehrjährige Zuchthausstrafen.

Aus Furcht vor einer angedrohten Todesstrafe kooperierte Harich mit den Untersuchungs- und Justizorganen. In seinem Schlusswort erklärte er:

„Mir ist es klar, dass der Staatssicherheit zu danken ist, dass sie also unseren Staat vor größerem Schaden bewahrt hat […] Ich wäre nämlich nicht mehr aufzuhalten gewesen. Ich war wie so ein durchgebranntes Pferd, das man nicht mehr durch Zurufe aufhält. Mit diesen Ideen im Kopf bin ich eben durchgegangen, und wenn sie mich nicht festgenommen hätten, dann wäre ich heute nicht reif für die zehn Jahre, die der Herr Generalstaatsanwalt beantragt hat, sondern für den Galgen. Und deshalb […] sage ich der Staatssicherheit also dafür meinen Dank.“[3]

(Siehe auch „Gruppe Harich“)

1957 bis 1995

Durch eine Amnestie wurde Wolfgang Harich Ende 1964 aus der Haft entlassen und dem Akademie Verlag Berlin zugeordnet. Als freier Mitarbeiter bearbeitete er die große Ludwig Feuerbach-Ausgabe des Verlages, auch arbeitete er an der Fertigstellung und Herausgabe seines Jean Paul-Buches. Ab den siebziger Jahren beschäftigte er sich verstärkt mit ökologischen Problemen, stieß mit den in seinem Buch Kommunismus ohne Wachstum geäußerten Auffassungen („Öko-Diktatur“) aber in der Linken in Ost und auch in West auf massive Kritik.

Zunehmend bezog Harich extreme Positionen, so mit seiner Kritik an Heiner Müllers Macbeth-Bearbeitung[4] oder seinen kritischen Beiträgen zur vorsichtigen Friedrich Nietzsche-Rezeption in der DDR. Hier sah er bereits in der Beschäftigung mit Nietzsche die Gefahr einer faschistischen Entwicklung. 1994 wurde der Inhalt eines Briefes von Harich an den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph bekannt, in dem er Nietzsche als die „reaktionärste, menschenfeindlichste Erscheinung, die es in der gesamten Entwicklung der Weltkultur von der Antike bis zur Gegenwart gegeben hat“ charakterisierte.[5] 1979 wurde Harich invalidisiert. Nach längeren Aufenthalten in Österreich und der Bundesrepublik, wo man ihm mit Interesse, aber auch mit Misstrauen begegnete, kehrte er 1981 enttäuscht in die DDR zurück. 1987 bat Harich um die Wiederaufnahme in die SED, was jedoch abgelehnt wurde.

1990 wurde Wolfgang Harich vom Obersten Gericht der DDR rehabilitiert. Die politische Wende in der DDR wurde von ihm als Chance für eine öko-sozialistische Entwicklung des vereinten Deutschlands begrüßt, die weitere Entwicklung enttäuschte ihn jedoch. Zusammen mit dem Publizisten Stephan Steins erarbeitete er 1992 ein Konzept zur Rekonstitution einer gesamtdeutschen Kommunistischen Partei[6], er wurde Mitglied eines ZK („Zentrales Koordinationskomitee“) der KPD-Initiative.

Harich wurde Mitbegründer und Vorsitzender einer Alternativen Enquete-Kommission DDR-Geschichte. Als Erwiderung auf Jankas Buch Schwierigkeiten mit der Wahrheit und weitere Vorwürfe zu seinem Verhalten 1956/1957 schrieb er 1993 Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Er ging auch juristisch gegen Janka vor. 1994 wurde er Mitglied der PDS und schloss sich deren linkem Flügel an.

Privates

Wolfgang Harich war viermal verheiratet. Aus der Ehe mit Isot Kilian stammt seine Tochter Katharina Harich (* 1952). Eine seiner langjährigen Lebensgemeinschaften war die mit Gisela May.

Seit 1975 und bis zu seinem Tod wohnte Harich am Berliner Friedrichshain, im Haus Friedenstraße 8. Sein Grab befindet sich auf dem Berliner Friedhof vor dem Halleschen Tor.[7]

Schriften

  • Rudolf Haym und sein Herderbuch. Beiträge zur kritischen Aneignung des literaturwissenschaftlichen Erbes. Aufbau-Verlag, Berlin 1955.
  • Jean Pauls Kritik des philosophischen Egoismus. Belegt durch Texte und Briefstellen Jean Pauls im Anhang. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1968.
  • Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus. Edition Etcetera, Basel 1971.
  • Jean Pauls Revolutionsdichtung. Versuch einer neuen Deutung seiner heroischen Romane. Akademie-Verlag, Berlin 1974.
  • Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der »Club of Rome«. Sechs Interviews mit Freimut Duve und Briefe an ihn. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1975.
  • Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Zur nationalkommunistischen Opposition 1956 in der DDR. Dietz Verlag, Berlin 1993.
  • Nietzsche und seine Brüder. Kiro, Schwedt 1994.
  • Ahnenpass. Versuch einer Autobiographie. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1999.
  • Nicolai Hartmann. Leben, Werk, Wirkung. Königshausen und Neumann, Würzburg 2000.
  • Nicolai Hartmann – Größe und Grenzen. Versuch einer marxistischen Selbstverständigung. Königshausen und Neumann, Würzburg 2004.

Seit Herbst 2013 erscheint der "Nachlass Wolfgang Harichs" in 11 Bänden im Tectum-Verlag. Herausgeber ist Andreas Heyer.

Literatur

  • Anne Harich: „Wenn ich das gewußt hätte …“. Erinnerungen an Wolfgang Harich. Das Neue Berlin, Berlin 2007.
  • Hans-Christoph Rauh, Bernd-Rainer BarthHarich, Wolfgang. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 1.
  • Alexander Amberger, Siegfried Prokop: Ein „rot-grünes“ Deutschland? Über eine Vision Wolfgang Harichs 1989/90. Helle Panke, 2011. (Hefte zur DDR-Geschichte 123)
  • Jürgen Große: Ernstfall Nietzsche. Debatten vor und nach 1989. Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2010.
  • Andreas Heyer: Wolfgang Harichs politische Philosophie. Kovac-Verlag, Hamburg 2012, ISBN 978-3-8300-6749-8.
  • Alexander Amberger, Andreas Heyer: Der konstruierte Dissident. Wolfgang Harichs Weg zu einem undogmatischen Marxismus. (Hefte zur ddr-geschichte 127. berlin 2011)
  • Andreas Heyer: Harich, Wolfgang. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 31, Nordhausen 2010, ISBN 978-3-88309-544-8, Sp. 609–621.
  • Alexander Amberger: Bahro - Harich - Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 3-5067-7982-6.

Weblinks

 Commons: Wolfgang Harich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Ullstein Verlag, ISBN 3-548-02337-1, S. 290 ff.
  2. Vgl. Der Spiegel, 52/1949.
  3. Deutschlandradio
  4. Wolfgang Harich: Der entlaufene Dingo, das vergessene Floß. Aus Anlaß der „MacBeth“-Bearbeitung von Heiner Müller. In: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur 25,1 (1973), S. 189–218.
  5. "Die menschenfeindlichste Erscheinung". Ein Brief Harichs an Stoph. Der Tagesspiegel, 15. Oktober 1994, S. 19.
  6. Stephan Steins, Wolfgang Harich Berliner Manifest, 1992
  7. siehe auch Film von seiner Beerdigung am 28. März (Zeitzeugen TV Film-& Fernsehproduktion GmbH)
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