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Würfelzoll

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Würfelfunde aus der Archäologischen Zone Köln. Für Köln ist zwar kein Würfelzoll belegt, die Kölner Juden dürften auf ihren Reisen jedoch auch davon betroffen gewesen sein.

Der Würfelzoll ist eine seit dem Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert regional vorkommende Form bzw. Ergänzung des Leibzolls, mit dem jeder Jude und jede Jüdin[1][2] sich freies Geleit durch Zollstellen erkaufen mussten. Der Leibzoll war eine Geldzahlung, wohingegen der Würfelzoll aus einer vergleichsweise wertlosen Übergabe von Würfeln bestand. Auch außerhalb des offiziellen Zollhandelns spielte er als beliebte antijüdische Schikane eine Rolle.

Zeitliche und räumliche Einordnung

Die zeitlichen Ursprünge für den Würfelzoll sind unbekannt, vermutet wird ein erstmaliges Vorkommen zum Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts.[3] Die frühesten schriftlichen Nachweise entstammen Urkunden aus dem Jahr 1378, als mehrere Lehnsherren (Nassau, Trier, Mainz) ihren jüdischen Untertanen den Würfelzoll erließen.[4] In späteren Jahren gab es immer wieder temporäre Befreiungen und erkaufte Privilegien – aber auch wenn der Brauch im 15. Jahrhundert aus der Mode kam, blieb er bis zum 17. Jahrhundert vereinzelt in Anwendung, manchmal sogar nach Abschaffung des eigentlichen Leibzolls. Zahlreiche Belege weisen darauf hin, dass sich der Brauch recht hartnäckig über die Jahrhunderte hielt. Regional ist der Würfelzoll neben den Erzstiften Mainz und Trier sowie Hessen[5] vor allem in Oberrheingebieten (Schweiz, Liechtenstein bis nach Tirol und Reutte) nachweisbar.[6][7]

Formen

Der Wert der Würfel war sehr gering, es ging um eine Art Trinkgeld gegenüber den Zollbeamten, das dem normalen Leibzoll oft beigegeben wurde, ihn zuweilen auch ersetzte.[1] Es wurde wegen des geringen Werts auch nicht gegenüber dem Zollherrn abgerechnet.[8][9] Die ursprüngliche Funktion einer „Zugabe“ zum Leibzoll, mit dem Zöllner sich ihre Wartezeiten durch das Würfelspiel verkürzen konnten, dürfte sich in späteren Zeiten zu einer reinen Schikane oder „Strafe“ entwickelt haben, da die von den Juden in Folge mitgeführten Würfel nicht nur wertlos, sondern auch aus minderwertigem Material, z.B. Papier hergestellt[9] waren. In einzelnen belegten Fällen wurden statt Würfeln Spielkarten verlangt.[10] Der Kölner Autor Ernst Weyden bezeichnete den Würfelzoll 1867 als „eine der vielen vexatorischen Quälereien“ und „nichtssagenden Spott“.[2]

Umfang der Abgabe war häufig ein so genannter „Pasch“; gemeint war damit ein Satz von drei Würfeln.[11]

Eine neben der offiziellen Variante des Würfelzolls vorkommende, „wilde“ Form war der so genannte Würfelfrevel oder die Würfelheischung, bei dem Vertreter des einfachen Volkes, häufig betrunkene junge Männer, jüdische Reisende oder Passanten belästigten oder bedrohten und so die Herausgabe von Würfeln erpressten. Erhielten sie diese nicht, kam es nicht selten zu Misshandlungen[12]. Juden setzten sich durchaus zur Wehr, entweder handgreiflich oder auch juristisch, belegt sind beispielsweise Verurteilungen der Täter zu Turmstrafen.[13][14] Diese Form ist im Frankfurter Bürgermeisterbuch von 1473 erstmals nachgewiesen und 1714 noch ausführlich von Johann Jacob Schudt in seinem Werk Jüdische Merckwürdigkeiten dokumentiert.

Deutungsversuche

Quellen zu den Ursprüngen oder Gründen des Würfelzolls scheinen nicht überliefert. Der Historiker Gerd Mentgen bietet verschiedene Deutungsansätze an:

Der auch bei anderen Autoren verbreitetste Deutungsversuch sind diskriminierende „Bestrafungsakte“ für die jüdische Beteiligung an der biblisch überlieferten oder volkstümlich ergänzten Passionsgeschichte Christi. Sie lässt sich bei verschiedenen antijüdischen Maßnahmen finden, etwa mit Verbindung zur Zahl 30 (Anzahl Silbermünzen des Judaslohns), Misshandlungen mit glühenden Nägeln (Legenden zur jüdischen Beteiligung beim Schmieden von Kreuznägeln) etc.[15] Hierzu passt die Interpretation des Würfelzolls als Strafe für das Verlosen/Verspielen des Gewands Christi. Sie ergibt sich aus einer Stelle im Evangelium nach Matthäus 27,35: Nachdem sie ihn gekreuzigt hatten, warfen sie das Los und verteilten seine Kleider unter sich.[16] – was in zeitgenössischen Abbildungen auch als Würfeln um die Kleidung dargestellt wurde.[17] Die Archäologin Tanja Potthoff wies in diesem Zusammenhang in ihrem Aufsatz 2015 darauf hin, dass der Würfelzoll mit am frühesten im Trierer Raum nachweisbar ist, wo die Heilig-Rock-Reliquie als ein Fragment der Tunika Jesu Christi verehrt wurde.[18]

Umgekehrt könnten sich manche Schikanen als Verhöhnung jüdischer Bräuche deuten lassen, etwa solchen aus dem Purimfest. Eine ähnliche Verbindung lässt sich so vielleicht zu den würfelartigen jüdischen Chanukka-Dreideln herstellen, denen womöglich von Außenstehenden besondere Kräfte zugeschrieben wurden. U.a. begründet Mentgen diesen Ansatz aus den zeitgenössischen Quellen zum Würfelfrevel, in denen häufig davon die Rede ist, dass insbesondere Würfel mit roter Beschriftung erpresst werden sollte.[19]

Schließlich sei auch nicht auszuschließen, dass das auch bei Juden verbreitete Würfelspiel, das aus kirchlicher Sicht „Teufelswerk“ war, zu den Ursprüngen des Würfelzolls beigetragen haben könnte.[20] Würfelmacher als Handwerksstand sind auch bei Juden bzw. in jüdischen Vierteln belegt – der Nachname Name Würfel, Wörpel oder Werfel kommt sowohl bei Juden als auch Christen vor.[10]

Literatur

  • Karl Heinz Burmeister: Der Würfelzoll, eine Variante des Leibzolls. In: Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden. 1, 1993 ISSN 1016-4987, S. 49–64, doi:10.1515/asch.1993.3.1.49.
  • Gerd Mentgen: Der Würfelzoll und andere antijüdische Schikanen in Mittelalter und früher Neuzeit.. In: Zeitschrift für Historische Forschung. 22, Nr. 1, Duncker & Humblot GmbH, 1995, S. 1-48.
  • Tanja Potthoff: 78 Würfel, viele Facetten – ein besonderer Zoll für jüdische Reisende. In: Archäologie im Rheinland 2015. Theiss, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-3386-5, S. 171-173.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Burmeister, S. 49
  2. 2,0 2,1 Ernst Weyden: Geschichte der Juden in Köln am Rhein von den Römerzeiten bis auf die Gegenwart: nebst Noten und Urkunden. DuMont-Schauberg, Köln 1867, S. 231-232.
  3. Mentgen im Konsens mit Burmeister, S. 4
  4. Mentgen, S. 2
  5. Mentgen, S. 11
  6. Mentgen, S. 4
  7. Burmeister S. 52
  8. Werner Schiele: Die rechtliche und soziale Situation der Juden im Main-Taunus- Kreis im 17. Jahrhundert. In: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch. 2000 (Online-Version auf historische-eschborn.de).
  9. 9,0 9,1 Burmeister, S. 61
  10. 10,0 10,1 Burmeister, S. 62
  11. Burmeister, S. 56
  12. Mentgen, S. 5–6
  13. Burmeister, S. 59–60
  14. Mentgen, S. 9
  15. Mentgen, S. 23
  16. Die Kreuzigung. In: Evangelium nach Matthäus. bibleserver.com, abgerufen am 13. Mai 2017.
  17. Burmeister, S. 64
  18. Potthoff, S. 173
  19. Mentgen, S. 27-28
  20. Mentgen, S. 33
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Würfelzoll aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.