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Volksfront

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Volksfront (Begriffsklärung) aufgeführt.

Volksfront bezeichnet oft unscharf ein politisches Bündnis linker Parteien untereinander oder auch eine Koalition von Linksparteien mit liberalen oder anderen bürgerlichen Kräften. Innerhalb der Politikwissenschaft wird der Begriff enger gefasst. Hier bezieht sich Volksfront insbesondere auf die Volksfrontbündnisse der in der Kommunistischen Internationale (Komintern) organisierten Kommunistischen Parteien (KPs) mit anderen Parteien und Organisationen im Europa der Zwischenkriegszeit in den 1930er Jahren.

Hintergrund

In der strengen marxistischen Theorie des Klassenkampfes sind Proletariat und Bourgeoisie eigentlich antagonistische Klassen, die sich bekämpfen. Während der Revolution von 1848/49 meinten Marx und Engels allerdings, dass sich das Proletariat dem Bürgertum anschließen solle, um mitzuhelfen, bürgerliche Freiheitsrechte zu erkämpfen, deren Wert auch für die kommunistischen Theoretiker unbestritten war. Gleichzeitig hofften Marx und Engels, die Arbeiterklasse würde den Sieg der bürgerlichen Revolution ausnutzen können und sie bis zur proletarischen Revolution fortsetzen.

Nach der Russischen Revolution wurde 1919 in Moskau die Kommunistische Internationale (Komintern) ins Leben gerufen. Die Komintern diente der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU (B)) als Einflussinstrument auf die anderen Kommunistischen Parteien in Europa. Kern der von der KPdSU (B) dominierten Komintern-Ideologie war der Kampf gegen Sozialdemokraten, Sozialisten und linksbürgerliche Kräfte, auch wenn diese sich selbst als Teil der Arbeiterbewegung betrachteten. Selbst während der Phase des Aufstiegs des Faschismus in Europa sahen die von Moskau ideologisch und oft auch finanziell abhängigen KP im Rahmen der Sozialfaschismusthese den Hauptgegner nicht im rechten Spektrum. Stattdessen wurden in den Erklärungen der Komintern insbesondere die Sozialdemokraten als Hauptfeind im politischen Kampf genannt und als „Sozialfaschisten“ diffamiert und abqualifiziert.

Volksfronten in den 1930er Jahren

Volksfrontpolitik der Komintern

Werbebanner mit dem Slogan ¡No pasarán! der antifaschistischen Volksfront in Spanien 1936

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 landeten neben Kommunisten auch Sozialdemokraten und linksbürgerliche Kräfte in den neu eingerichteten Konzentrationslagern der Nazis. Die bisherige Politik der KPdSU (B) und der Komintern war damit gescheitert. Ab 1934 begann sich die politische Linie der in der Komintern organisierten Kommunistischen Parteien zu ändern. Eine wichtige Rolle wird dabei der französischen KP zugeschrieben, die im Juli 1934 unter Maurice Thorez einen Aktionspakt mit den Sozialisten abschloss. Auch andere kommunistische Parteien in Europa und Südamerika gingen zu einer Volksfrontstrategie über. 1938 etwa gründete sich die Frente Popular in Chile.

Die endgültige Wende der Komintern vollzog sich erst 1935 auf dem VII. Weltkongress. Der Kongress distanzierte sich von der Theorie des Sozialfaschismus. Sozialisten, Sozialdemokraten und andere linksbürgerlichen Kräfte wurden seitdem als Bündnispartner in einer Einheitsfront betrachtet und selbst eine gemeinsame Einheitspartei wurde als langfristiges Ziel gesehen. In Spanien traten nach dem Putsch Francisco Francos innerhalb der Volksfrontregierung während des Spanischen Bürgerkrieges in den Jahren 1936 bis 1939 erstmals Kommunisten in eine europäische Koalitionsregierung ein.

Die Volksfrontpolitik der Komintern fand ihr Ende 1939. Mit dem Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt änderte die Komintern ihren Kurs.

Die Berliner Widerstandsorganisation Deutsche Volksfront um Otto Brass und Hermann Brill war der Versuch, eine Volksfront im Widerstand gegen den Nationalsozialismus „von unten“ zu gründen. Im Exil konstituierte sich in Paris (1935) der Lutetia-Kreis und in New York (1944) der Council for a Democratic Germany (CDG). Im KZ Buchenwald entstand 1944 das Volksfrontkomitee Buchenwald.

Verschiedene Volksfronten

Der Volksfrontbegriff nach 1945

In der europäischen Nachkriegsgeschichte wurden unter sowjetischem Einfluss sogenannte Volksfront-Bündnisse geschaffen, die auch als Vaterländische Front oder als Nationale Front wie in der DDR in Erscheinung traten. Hier waren die kommunistischen Parteien allerdings die unbestrittene Führungsmacht.

In Chile war es von 1970 bis 1973 unter Salvador Allende nach freien Wahlen zu einer Volksfrontregierung gekommen, die allerdings die gewaltsame Machtübernahme des Regimes von Augusto Pinochet nicht verhindern konnte.

In enger Verbindung zum Volksfrontbegriff steht weiters die ideologische Weiterentwicklung der westeuropäischen KPs – vor allem in Frankreich, Spanien und Italien – in Richtung des sogenannten Eurokommunismus. Vor allem in Italien stimulierten der soziale Wandel der ersten Nachkriegsjahrzehnte und damit zusammenhängende Wahlerfolge der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) Ende der 1960er Jahre einen rechtsextremen, antikommunistischen Terrorismus (siehe Strategie der Spannung), der entsprechende Reaktionen von Seiten linksextremer Gruppierungen hervorrief.

Um während dieser „bleiernen Jahre“ (anni di piombo) die Souveränität der demokratischen Institutionen auf breiter Basis zu garantieren, forcierten die regierenden Christdemokraten (Democrazia Cristiana) die Zusammenarbeit mit den Kommunisten in Hinblick auf eine künftige Regierungszusammenarbeit (siehe historischer Kompromiss). Ähnlich wie in Chile scheiterten die ersten Ansätze einer großen Koalition unter Einbindung der Kommunisten letztlich 1978 an der ominösen Entführung und Ermordung des christdemokratischen Spitzenpolitikers Aldo Moro durch die linksextremen Brigate Rosse.

Andere Verwendungen des Begriffs

Als Volksfront bezeichneten sich ferner, in völlig anderem Zusammenhang, die nach Unabhängigkeit von der UdSSR und Demokratie strebenden nicht- bzw. antikommunistischen Bewegungen in einigen Sowjetrepubliken Ende der 1980er Jahre.

Der Begriff Volksfront ist außerdem die Selbstbezeichnung diverser Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, beispielsweise der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).

Jüngere organisatorische (allerdings äußerst amorphe und heterogene) Zusammenschlüsse von Sozialdemokraten, (Post)Kommunisten und bürgerlichen Kräften sind die linken Wahlkoalitionen in Italien seit den 1990er Jahren (L'Ulivo 1996 und 2001, in größerem Maßstab L'Unione sowie seit 2007 Partito Democratico).

In Lateinamerika entstand 1971 in Uruguay unter dem Begriff Frente Amplio (Breite Front) ein Parteienbündnis aus bürgerlichen, sozialistischen und kommunistischen Parteien, das 2004 erstmals Regierungsverantwortung übernahm.

Bundesrepublik Deutschland

An den Begriff der Volksfront knüpfte ferner die ursprünglich als Vorfeldorganisation der KPD/ML für die Bundestagswahl 1980 gegründete Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg an, welche sich nach der um den Slogan „Stoppt Strauß!“ zentrierte Wahlkampagne zu einer formell parteiunabhängigen, sich dem Themenbereich Antifaschismus widmenden Organisation wandelte.

In innenpolitischen Debatten der Bundesrepublik wird dieser Begriff aus den 1930er Jahren immer wieder verwendet, allerdings meist vom konservativen Lager an die Adresse der Linken, zuletzt auch jedoch von Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen der Beteiligung des CDU-Politikers Georg Milbradt an den Demonstrationen der Gewerkschaften und der Linkspartei.PDS gegen Hartz IV.

Teile der neonazistischen Szene streben seit einiger Zeit größere Bündnisse an und bezeichnen diese als „Volksfront von rechts“.

Siehe auch

Literatur

  • Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47603-1 (Band 1), ISBN 3-406-47604-X (Band 2). Beck'sche Reihe 1463–1464.
  • Birgit Schmidt: Wenn die Partei das Volk entdeckt. Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn u. a. Ein kritischer Beitrag zur Volksfrontideologie und ihrer Literatur. Unrast, Münster 2002, ISBN 3-89771-412-4.
  • Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932-1939 – Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Berlin, Akademie Verlag. 3 Bände. Band 1: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. 2004, ISBN 3-05-004031-9 (Erstausgabe Frankfurt 1977, ISBN 3-8108-0008-2). Band 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. 2004, ISBN 3-05-004032-7. Band 3: Dokumente, Chronik und Verzeichnisse. 2005, ISBN 3-05-004033-5.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Volksfront aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.