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Vulnerabilität

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Vulnerabilität (von lateinisch vulnusWunde“ bzw. vulnerare „verwunden“), der Begriff hat die Bedeutung von „Verwundbarkeit“ oder „Verletzbarkeit“. Er findet in verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen Verwendung.

Ökonomie und Geographie

In der Geographischen Entwicklungsforschung wird das Konzept der Vulnerabilität/Verwundbarkeit seit den 1980er Jahren verwendet und hat seither verschiedene Weiterentwicklungen erfahren. Verwundbarkeit ist inzwischen zu einem zentralen Begriff in der Entwicklungsforschung und der Entwicklungszusammenarbeit geworden.

Im Prinzip ist das Verwundbarkeitskonzept eine Erweiterung herkömmlicher Armuts-Ansätze. Man erkannte, dass mit Armut allein die Entwicklungsprobleme und gesellschaftlichen Krisen in der so genannten „Dritten Welt“ nicht hinreichend beschrieben und erklärt werden können. Armut – also der Mangel an Geld und Vermögenswerten – ist nur eine von vielen Ursachen und Ausdrucksformen gesellschaftlicher Benachteiligung.

Robert Chambers hat 1989[1] in einer Definition von Vulnerabilität dargelegt, dass Verwundbarkeit weit über Armut hinausreicht: Vulnerabilität meint nicht nur Mangel und ungedeckte Bedürfnisse, sondern einen gesellschaftlichen Zustand, der durch Anfälligkeit, Unsicherheit und Schutzlosigkeit geprägt ist. Verwundbare Menschen und Bevölkerungsgruppen sind Schocks und Stressfaktoren ausgesetzt und haben Schwierigkeiten, diese zu bewältigen. Diese Schwierigkeiten resultieren nicht nur aus Mangel an materiellen Ressourcen, sondern weil den Betroffenen die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme an Wohlstand und Glück verwehrt wird, weil ihnen Unterstützung vorenthalten wird oder weil sie nicht ausreichend in soziale Netzwerke eingebunden sind. Vulnerabilität besitzt folglich nicht nur eine ökonomische bzw. materielle Dimension (Armut), sondern auch eine politische und soziale.

Verwundbar sein heißt also: Stressfaktoren ausgesetzt sein (externe Dimension), diese nicht bewältigen zu können (interne Dimension) und unter den Folgen der Schocks und Nichtbewältigung leiden zu müssen.

Verwundbarkeit muss als ein dynamischer Prozess verstanden werden. Betroffene können je nach Situation unterschiedlich verwundbar sein oder werden. Einzelne Phasen dieses Verwundbarkeitsprozesses reichen vom Stadium der Grundanfälligkeit (Phase der Bewältigung oder des Sich-Arrangierens) über mehrere Zwischenschritte bis hin zur existenziellen Katastrophe, die durch einen Kollaps der Lebensabsicherung und durch totale Abhängigkeit der Betroffenen von externen Hilfsmaßnahmen gekennzeichnet ist. Eine Hungerkatastrophe ist ein Beispiel für einen solchen Kollaps.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Portal:Entwicklungszusammenarbeit

Soziologie

In der Katastrophensoziologie wird ebenfalls an der Frage gearbeitet, wie der Schutz für potenziell Betroffene verbessert werden kann. Hierzu werden Indikatoren entwickelt, die Gefahren zu Schutzmöglichkeiten (einschließlich Selbstschutzmöglichkeiten) in Bezug zu setzen und für Gruppierungen von Menschen und für soziologisch abgegrenzte Räume zu erarbeiten.[2]

Theologie

In der christlichen Theologie wird Vulnerabilität derzeit in verschiedenen Fachdisziplinen (Gotteslehre, Christologie, Pastoral, Ethik) zu einem Schlüsselbegriff entwickelt. So wird in gesellschaftsrelevanten Themen wie Migration, Armutsbekämpfung, Widerstand gegen Rechtsextremismus, Überwindung von Gewalt und Engagement für Menschenrechte eine neue Anschlussfähigkeit gewonnen. Theologischer Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass Gott in Jesus von Nazareth Mensch wird und sich damit freiwillig der menschlichen Verwundbarkeit aussetzt – von Geburt an (hohe Vulnerabilität von Säuglingen) über sein öffentliches Auftreten bis hin zum gewaltsamen Tod am Kreuz. Hiermit wird ein Kontrapunkt zu vorherrschenden Debatten gesetzt, wo meist versucht wird, Verwundungen zu vermeiden. Im Sinne der Vulnerabilität erfährt auch das Weihnachtsfest (Lukasevangelium 1,5-2,52; Matthäusevangelium 1,18-2,23) eine neue Deutung: Mit den Themen Geburt, Migration und Flucht steht es für die Bereitschaft, die eigene Verwundbarkeit aufs Spiel zu setzen, damit Andere vor Bedrohungen geschützt werden.

Die Theologie setzt darauf, dass aus dem Wagnis der Verwundbarkeit eine Macht wächst, die Leben stiftet, die beflügelt und inspiriert: Um zu leben, ist vielfacher Selbstschutz notwendig; um human zu leben, braucht es aber genauso das Wagnis der Verwundbarkeit. Menschen und ihre Gemeinschaften (Familie, Stadt, Staat, Religion usw.) stehen damit in verschiedensten Lebenskontexten vor der Doppelfrage: Wo ist es notwendig, sich selbst und die eigene Gemeinschaft zu schützen? Wo ist es notwendig, die eigene Verwundung zu riskieren?[3]

Auch im interreligiösen Diskurs wird Vulnerabilität immer mehr als ein Schlüsselbegriff gesehen, dessen Bedeutung erst in Ansätzen erfasst ist.[4]

Psychologie

In der Psychologie wird Vulnerabilität als das Gegenteil von Resilienz betrachtet. Vulnerable Personen werden besonders leicht emotional verwundet und entwickeln eher psychische Störungen[5]. Das vulnerable Kind oder Kind mit schwierigem Temperament zeichnet sich laut Judith Rich Harris durch folgende Eigenschaften aus:[6]

  • Tendenz: aktiv, impulsiv, aggressiv und leicht zu ärgern
  • Tendenz: von Routine gelangweilt und äußere Reize suchend;
  • mangelnde Angst vor Konsequenzen der eigenen Handlungen;
  • wenig Einfühlungsvermögen in die Gefühle anderer Menschen;
  • unterdurchschnittlicher IQ.

Jeder Mensch durchläuft in seinem Leben mehrere vulnerable Phasen, wie zum Beispiel die Pubertät, in denen eine erhöhte Gefahr besteht, eine psychische Störung zu entwickeln. Siehe auch: Diathese-Stress-Modell.

Medizin

In der Medizin bezeichnet Vulnerabilität die Anfälligkeit, z. B. an einer Schizophrenie zu erkranken; bei vielen Erkrankungen (gewissen Tumorleiden, psychiatrischen Erkrankungen, Autoimmunkrankheiten wie Allergien) wird die Anfälligkeit des Einzelnen dafür durch verschiedene Faktoren (z. B. genetisch, psychosozial, expositionell – Schadstoffe, Rauchen) zusammen bedingt. Siehe Prädisposition, Diathese (Medizin).

Die wahrgenommene Vulnerabilität ist der subjektive Glaube eines Menschen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, mit der er von einer bestimmten Gesundheitsstörung betroffen sein wird.[7]

Informatik

In der Informatik ist mit Vulnerabilität meist eine konkrete Sicherheitslücke eines Computersystems oder Netzwerks gemeint, die sich durch einen Exploit ausnutzen lässt. Siehe auch Computersicherheit.

Ökologie

Besondere Empfindlichkeit von Ökosystemen, Arten und Populationen gegenüber Umweltbedingungen – Gegensatz zu Resilienz. Bei der Anpassung von Ökosystemen an den langfristigen Klimawandel ist eine Verringerung der Verwundbarkeit durch eine Anpassung der Landnutzung und Infrastruktur eine Aufgabe der Raum- und Umweltplanung.

Klimawandel

Gemäß der Definition des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) ist Vulnerabilität das Maß, zu dem ein System gegenüber nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderung anfällig ist und nicht damit umgehen kann. Dabei wird die Vulnerabilität bzw. Verwundbarkeit als eine Funktion von Exposition (Exposure), Sensitivität (Sensitivity) und Anpassungsfähigkeit (Adaptive Capacity) verstanden:[8]

  • Exposition umfasst die Art und Intensität der Klimaänderungen wie Temperatur- oder Niederschlagsänderungen
  • Sensitivität beschreibt das Ausmaß, zu welchem ein System oder Akteur durch die Klimaänderungen beeinflusst wird bzw. darauf reagiert
  • Anpassungsfähigkeit umfasst die Fähigkeiten, Ressourcen oder institutionellen Kapazitäten von Systemen, Organisationen oder (einzelnen) Akteuren sich an sich verändernde Klimabedingungen und deren mögliche Folgen anzupassen und damit die Vulnerabilität zu reduzieren

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Robert Chambers, Editorial Introduction: Vulnerability, Coping and Policy, in: IDS Bulletin vol. 20, no. 2, S. 1–7, April 1989
  2. Vgl. Tagung Resilienz und Vulnerabilität 2012 Website von katNET e.V., Zugriff 18. Mai 2013
  3. Vgl. auch das Themenheft Verletzungen und Narben, in: Zeitschrift für evangelische Jugend- und Bildungsarbeit Das Baugerüst, 64. Jg., Heft 2, 2012.
  4. Die ESWTR (European Society of Women in Theological Research, s. Feministische Theologie) richtet 2014 eine Fachtagung aus, die Vulnerabilität als Schlüsselbegriff im interreligiösen Diskurs vorantreibt: http://www.eswtr.org/uploads/eswtr-tagung-november14-flyer.pdf.
  5. TUD, Seminar Entwicklungspsychologie, Referat Resilienz Download am 19. Dezember 2007
  6. Judith Rich Harris. „The Nurture Assumprion“. 1998. The Free Press, S. 295/296
  7. Siehe zuerst das Health Belief Model (HBM) von G.M. Hochbaum, Public participation in medical screening programs: a sociopsychological study. United States Government Printing Office: Washington D.C. 1958
  8. KomPass - Risiken und Verwundbarkeit. Zuletzt eingesehen am 5. August 2014
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Vulnerabilität aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.