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Totenkult

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Sarg in der Gruft der Friedhofskapelle in Riegel am Kaiserstuhl

Unter Totenkult versteht man jede Form des mehr oder weniger ritualisierten Ausdrucks der Anhänglichkeit, Hochschätzung oder Verehrung von Verstorbenen vor, während und vor allem nach ihrer Bestattung für einen dann mehr oder weniger oder auch nicht begrenzten Zeitraum. Verbreitet findet er an Grabmälern statt, mittels der das Ansehen und die Erinnerung an die Verstorbenen der Nachwelt erhalten werden soll. Es handelt sich bei Totenkulten um offensichtliche Formen einer Erinnerungskultur. Bestattungsrituale und Bestattungsfeiern finden sich daher in jeder Kultur, in der mehr als Werkzeuggebrauch üblich ist.

Im Christentum findet man Einsargungen, Gedenktage der Heiligen, Requiem und kirchliche Begräbnisfeiern. Memorialwesen bezeichnet das rituelle Totengedenken; man kann es als Teil des Totenkultes definieren. Memorialforschung ist heute fester Bestandteil der Mediävistik.

Begriffsbereich

Der Begriff Totenkult ist weniger allgemein gefasst als der Begriff Ahnenkult. Dieser umfasst auch die Verehrung von mythischen Vorfahren, von denen man nur aus Erzählungen, Legenden oder Sagen weiß. Jeder Ahnenkult beinhaltet daher einen Totenkult; umgekehrt ist aber nicht jeder Totenkult auch ein Ahnenkult. Nach geläufiger Ansicht setzt Toten- wie Ahnenkult eine Vorstellung oder 'Annahme' von einem Weiterexistieren – einem „Weiter-“ oder „Fortleben“ – von Verstorbenen und Vorfahren in anderer Form, auf andere Weise und an anderen Orten voraus bzw. einen im Laufe der Zeit mehr oder weniger ausformulierten Glauben daran. Diese Hypothese ist psychologisch nicht zwingend; Totenbestattungen könnten auch aufgrund affektiver Verbundenheit mit den Verstorbenen begonnen worden sein. Erst Grabbeigaben, insbesondere Nahrungsmittel legen nahe anzunehmen, dass die Weiterlebenden davon ausgegangen sein dürften, die Verstorbenen bräuchten diese auch in der Unterwelt bzw. im Totenreich.

Altes Ägypten

Im Alten Ägypten glaubte man an ein Weiterexistieren nach dem Tod in einem Jenseits. Dieses weitere „Leben“ nach Beendigung des Lebens war eines der höchsten Ziele von Ägyptern, auf das sie sich daher schon im diesseitigen Leben vorbereiteten. So sorgten sie für die Mumifizierung der Körper, da sie glaubten, dass die Toten ihre „Hülle“ zum Weiterbestehen benötigten. Die Bestattungsrituale dienten dazu, ihnen den Weg ins Jenseits zu ebnen. Grabbeigaben sollten ihnen den Aufenthalt dort so angenehm wie möglich gestalten. So zählten dazu beispielsweise „Arbeiterfiguren“, die etwa die Felder im Jenseits für sie bestellen (in diese wurden Texte geritzt, die dem Toten Hilfe garantierten) sollten. Auch wurden ihnen regelmäßig Speise- und Trankopfer dargebracht. Sogar Briefe wurden den Toten geschrieben. In den Bandagen der Mumien fand man außerdem Amulette, die den Verstorbenen schützen sollten. Für das Leben im Jenseits war es aber ebenso notwendig, ein gerechtes und anständiges Leben geführt zu haben, da das Herz des Verstorbenen in die Waagschale des Totengerichts im Jenseits gelegt wurde.

Ägyptische Mythologie

Laut den Überlieferungen der ägyptischen Mythologie setzt sich der Mensch aus sechs Wesenheiten zusammen. Hinzu kommen noch zwei Bezeichnungen für den Körper zu Lebzeiten und eine für den Leichnam. Zu den drei weltlichen, sterblichen Teilen gehören die Körperhülle (Chet), der Name (Ren) und der Schatten (Schut). Darüber hinaus gab es drei geistige, unsterbliche Aspekte im Menschen: Ka, Ba und Ach. Das Ka versorgt den Menschen mit der Nahrung, die er im Jenseits braucht. Es ähnelt ihm wie ein Bruder. Das Ba ist mit dem Herzen des Menschen verbunden, verlässt den Körper nach dem Tod und kann nur zu ihm zurückkehren, wenn es ihn wieder erkennt (wenn er noch erhalten ist). Mit dem Ba verschwindet auch die Persönlichkeit des Menschen. Mit seiner Hilfe kann der Mensch wie ein Vogel am Tag die Welt der Lebenden besichtigen. Im Ach vereinten sich diese Teile durch die Körperhülle, und der Tote gehört nun als ewige Seele zum Bereich der Götter. Das Grab war wie ein Wohnhaus für den Toten.

Antikes Griechenland

Altes Rom

Die alten Römer praktizierten Formen von Totenkult. Die Parentalia (auch dies parentales) waren im römischen Kalender als Nundinum-Periode die „Tage des Totenkultes“, die den verstorbenen Eltern (parentes) und anderen Familienvorfahren gewidmet waren. Der Gedenkcharakter des Seelenfests wird dadurch unterstrichen, dass es ursprünglich gegen Jahresende stattfand. Die Parentalia begannen am Mittag des 13. Februar und endeten am 21. Februar. Am 22. Februar folgte das „verwandtschaftliche Aussöhnungsfest“ Caristia.

Die abgeschiedenen Seelen (lares, manes, lemures, larvae) waren ein eminent wichtiges und auch vielgestaltiges Thema in der römischen Religiosität; einerseits wies ein Totenfest wie die lemuria unverkennbar apotropäische Züge auf, anderseits bekräftigten die parentalia die Bande mit den verstorbenen Familienangehörigen. (weiteres siehe Artikel Parentalia).

Die Inschriften römischer Grabsteine waren oft sehr persönlich, sie sollten die Toten unvergesslich machen (siehe römische Inschriften).

Neuzeit

Frankreich (1789 bis 1870)

Robespierre beantragte in derselben Rede, in der er den Tod von König Ludwig XVI. forderte, ein Denkmal für die Erstürmer der Tuilerien (10. August 1792). Es wurde auch errichtet, provisorisch aus Holz.

Reinhart Koselleck (1923 - 2006) schrieb dazu:

„Mit dem republikanischen Totenkult wird der gewaltsame Tod selber ein politischer Legitimitätstitel. Die Soldaten, bisher zur Hefe des Volkes gezählt und nicht denkmalsfähig, rücken auf zu Heroen und Märtyrern, wenn sie in Krieg oder Bürgerkrieg - also immer auf der gerechten Seite - gefallen sind. Ränge zählen hier nicht: Jeder Soldat ein General, jeder General ein Soldat. Alle tragen die gleiche Verantwortung: jeder Bürger ein Soldat, jeder Soldat ein Bürger - wie die Parolen lauteten, die zwischen Paris und den Gemeinden ausgetauscht wurden, um den Gefallenen, mit namentlicher Erinnerung jedes einzelnen, ein Denkmal zu errichten. Das war patriotisme en action, der über den Tod der einzelnen nie in Vergessenheit geraten durfte. Immortaliser, éterniser, perpétuer - so lauten die Beschwörungsformeln, um die Unsterblichkeit, die bislang, wenn überhaupt, in Gottes Hand lag, in die Gedächtnisleistung der ständig sich erinnernden Nation zu überführen.[1]

Deutsche Fürsten übernahmen den republikanischen Totenkult im Kampf gegen die französische Expansionspolitik. Das älteste heute noch erhaltene Denkmal, das an alle gefallenen Soldaten (samt Offizieren) namentlich erinnert, stammt aus dem Jahr 1793 (Hessendenkmal). Der preußische König hat es den hessischen Soldaten gewidmet, die Frankfurt zurückerobert hatten.[1]

Der republikanische Totenkult, gerade den soldats obscurs - Vorläufer des soldat inconnu (Unbekannter Soldat) - Denkmäler zu setzen, wurde seit 1813 in Preußen dauerhaft installiert. Der König befahl, in allen Kirchen Tafeln aufzuhängen mit den Namen aller Gefallenen. Dieser Brauch wurde auch in Süddeutschland nachgeahmt und besteht seitdem durchgehend - Folge erst der Levée en masse, dann der allgemeinen Wehrpflicht. [1] (siehe auch Grabmal des unbekannten Soldaten)

Nach dem Deutsch-französischen Krieg (1870/71) wurden zahlreiche Kriegerdenkmäler errichtet, sowohl in Frankreich als auch im Deutschen Kaiserreich. Der in Frankreich nach 1871 wachsende Revanchismus förderte den Totenkult. Die zunehmende Nationalisierung der Soldaten und/oder ihrer ideologischen Programmierung führte zu einer rigorosen Trennung auch der Leichen, wie in den Zeiten der Kreuzzüge. [2]

Personenkult

Beispiele: das NS-Regime veranstaltete ab 1933 einen Totenkult um die 16 Männer, die bei dem gescheiterten Novemberputsch 1923 gestorben waren (Näheres hier; sie hießen in der NS-Terminologie Blutzeugen).

Einige für die Kultur eines Landes als bedeutend rezipierte Verstorbene geraten relativ schnell nach ihrem Tod in Vergessenheit; anderer wird lange gedacht. Beispiele für letzteres: die portugiesische Sängerin Amália Rodrigues († 1999, "Königin des Fado), der hawaiische Sänger Israel Kamakawiwoʻole (seit 1993 berühmt für ein Medley aus Somewhere over the Rainbow und What a Wonderful World) und der brasilianische Rennfahrer Ayrton Senna (1960 - 1994).

Prinzessin Diana (1961 - 1997) gilt bis heute vielen als "Königin der Herzen".

Seit dem Tod des FPÖ-Politikers Jörg Haider gibt es einen gewissen "Haiderkult"; Menschen kommen (speziell an Jahrestagen seines Todestages) zu seinem Grab.

Literatur

  • Jan Assmann (Hrsg.): Abschied von den Toten. Trauerrituale im Kulturvergleich. Wallmann, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-951-1, Inhalt (PDF; 230 KB).
  • Jürgen Boettcher/Jutus H. Ulbricht: ›Noch immer ging der Weg des neuen Deutschland über Gräber vorwärts‹. Einblicke in den politischen Totenkult in Weimar. In: Ursula Härtl/Burkhard Stenzel/Justus H. Ulbricht: "Hier, hier ist Deutschland ..." Von nationalen Kulturkonzepten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik. Herausgegeben im Auftrag der Gedenkstätte Buchenwald und der Stiftung Weimarer Klassik. Wallstein-Verlag, Göttingen 1997, ISBN 3-89244-279-7, S. 57-82.
  • Patrick Eiden/Nacim Ghanbari/Tobias Weber/Martin Zillinger (Hrsg.): Totenkulte. Literarische und kulturelle Grenzgänge zwischen Leben und Tod. Campus, Frankfurt am Main u. a. 2006, ISBN 978-3-593-38096-4, Inhalt (PDF; 232 KB).
  • Ulrich Enderwitz: Der religiöse Kult. Ça ira, Freiburg i. Br. 1991, ISBN 3-924627-27-4, (Ulrich Enderwitz: Reichtum und Religion 2).
  • Ulrich Volp: Tod und Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike. Brill, Leiden u. a. 2002, ISBN 90-04-12671-6, (Supplements to Vigiliae Christianae (SVigChr) 65, ISSN 0920-623X), (zugleich: Bonn, Univ., Diss., 2000/2001).

Weblinks

Wiktionary: Totenkult – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Siehe auch

Fußnoten

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