Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum.
Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ... Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten) |
How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida |
Tataren
Tataren (Eigenbezeichnung: Tatar oder Törk-Tatar, Pl. Tatarlar oder Törk-Tatarları) oder – älter – Tartaren ist seit der Antike in türkischen Quellen (Orchon-Runen) und seit dem europäischen Mittelalter eine Bezeichnung für verschiedene Turkvölker und Bevölkerungsgruppen.
So wurden in Europa auch die brandschatzenden und plündernden Armeen des Dschingis Khan als Tataren bezeichnet. Oft auch mit "eingeschobenem" R als Tartaren, mit der Bedeutung „die aus der Hölle kommen“ (von griech. Tartaros). Man verballhornte dabei die Eigenbezeichnung eines Volkes mit einem ähnlichen Begriff aus dem Griechischen, den man irrtümlicherweise mit der Etymologie des Namens dieses Volkes in Verbindung brachte.[1]
Heute wird dieser Name vor allem für ein Turkvolk gebraucht, das in vielen Teilen Eurasiens, insbesondere in der russischen Republik Tatarstan lebt.
Tataren – ein Name für viele Völker
Der Name Tataren wird in vielen verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. So wurden und werden als Tataren bezeichnet:
- eine im Mittelalter südlich und östlich des Baikalsees lebende turkomongolische Bevölkerung. Hauptsiedlungsgebiet war im 13. Jahrhundert der untere Kerulen und der Amur, weshalb sie auch als Kerulen-Tataren bezeichnet werden.
- bis zur frühen Neuzeit im Osten Sibiriens und Nordosten der heutigen Volksrepublik China lebende tungusischsprachige Bevölkerungsgruppen.
- vor der Gründung der Sowjetunion (1922): Verschiedene eurasische, also auf dem Gebiet Russlands lebende Turkvölker, darunter die Aserbaidschaner, Nogaier, Kasachen, Chakassen und viele andere mehr.
- Die Krimtataren und die mit ihnen verwandten Dobrudscha-Tataren (siehe auch: Turkvölker), die aber zu einem anderen Zweig der Turksprachen gehören.
- die Muslime in Litauen, Polen und Weißrussland, die zum Teil Nachfahren der Krimtataren sind, aber heute Weißrussisch und andere Sprachen sprechen. Die Muslime Finnlands werden als Finnland-Tataren bezeichnet.
Unterteilungen der Tataren (im engeren Sinne)
- Die vielleicht 50.000 Astrachan-Tataren leben am Unterlauf der Wolga, auf dem Gebiet des ehemaligen Khanats Astrachan. Sie standen bis ins 20. Jahrhundert der nomadischen Tradition der Nogaier-Tataren nahe und werden in der Regel als ihnen zugehörig betrachtet. (Die Astrachan-Tataren entstammen ursprünglich der Weiß-Nogaier Horde.)
- Die Qasim-Tataren (wenige 10.000) sind die Nachfahren der Bevölkerung des im 16. Jahrhundert mit den Moskauer Großfürsten verbündeten Khanats von Qasim.
- Die 32.000 Keräschen (Keräşen, Krestschen, Nağaybäken) sind orthodoxe Christen. Sie leben an der Wolga und vor allem im Ural-Vorland.
- Die vielleicht 300.000 Mischär (Meschtscheren) sind die überwiegend westlich der Wolga (auch in Tschuwaschien und Mordwinien) lebenden Tataren. Der Name dieser Bevölkerung verweist auf mögliche Verwandtschaft mit den Ungarn oder den mittelalterlichen Meschtscheren (siehe auch: Finno-ugrische Völker).
- Die Wolga-Tataren (Kasan-Tataren, Qazanlıq) leben im tatarischen Kernland (Tatarstan) an der Wolga (siehe auch: Wolgabulgaren, Tataren Chinas).
- Die sibirischen Tataren leben in „Inseln“ im ganzen westlichen Sibirien und unterteilen sich in zahlreiche weitere Untergruppen (Tobol-Tataren, Tumen-Tataren, Baraba-Tataren etc.). Sie sind die Nachfahren der Kernbevölkerung des Khanats Sibir.
- Die Tiptär(en) sind Tataren des nördlichen Uralvorlands (Glasover Tataren) und stellen einen Teil der Tataren Baschkortostans. Sie stehen den Baschkiren sprachlich und in der traditionellen Kultur nahe.
- Die Krimtataren sind eine turksprachige Ethnie. Ihre Sprache, das Krimtatarische, ist eine der nordwesttürkischen Sprachen. Sie werden heute zu den Turkvölkern gerechnet. Eine andere Bezeichnung der Krimtataren ist auch Krimtürken.
- Die Lipka-Tataren des Baltikums (Polen, Litauen, Belarus) sprechen kein Tatarisch mehr, definieren ihr Tatarentum vor allem über den islamischen Glauben.
- Die turkstämmigen Krimtschaken sind eine auf der Krim (Ukraine) ansässige turksprachige Minderheit jüdischen Glaubens. Sie gehören der talmudischen Richtung des Judentums an. Die krimtschakische Sprache ist fast ausgestorben.
- Den Kaukasus-Tataren werden heute Balkaren, Karatschaier und Kumyken zugeordnet. Dieser Begriff löste die alte Bezeichnung „Berg-Tataren“ ab.
- Die tatarischsprachigen griechisch-orthodoxen Urum sind ein Grenzfall, zählen sich selbst oft zur Ethnie der Griechen, manche betonen jedoch ihre tatarischen Wurzeln (Gegend Mariupol, Ukraine).
(Die Zahlenangaben für Astrachaner, Qasim und Mischär beruhen, ausgehend von älteren Zahlen, auf Schätzungen.)
Bevölkerungszahl
Heute beträgt die Zahl der tatarischsprachigen Tataren knapp 8 Millionen weltweit und 5,8 Millionen in Russland.
In Russland lebten nach der Volkszählung von 1989 5,552 Millionen Tataren und in der damaligen Sowjetunion insgesamt 6,6487 Millionen. Obwohl die Tataren zahlreicher waren als z. B. die baltischen Völker und von Anfang an auch im Staatswappen der Sowjetunion als sechstwichtigste Nation aufgeführt waren, erhielt Tatarstan nie den gleichen Rang wie eine der mindestens 15 Unionsrepubliken (SSR) – im Gegensatz zu bevölkerungsärmeren Gebieten wie Estland, Lettland, Litauen oder Armenien.
1989 betrug die tatarische Bevölkerung der ASSR Tatarstan 1.765.400 Menschen; in Baschkortostan lebten neben den nicht zu den Tataren gehörenden Baschkiren 1.120.700 Tataren.
Geschichte
Die eigentlichen Tataren, also die Turkotataren, werden als Nachfahren einer Vermischung von Wolga-Bulgaren und Kiptschaken mit Tataromongolen (Turkomongolen) angesehen. Ihre eigentliche Geschichte beginnt mit der Goldenen Horde im 13. Jahrhundert. Sie waren die Kernbevölkerung der Khanate (Fürstentümer) von Kasan, Astrachan, Kasimov, Sibir (Sibirien) und dem Khanat der Krim.
Khanat Kasan
Nach dem Zerfall der Goldenen Horde des mongolischen Grossreichs bildete sich das Khanat Kasan 1437 als erster turko-tatarischer Nachfolgestaat; er wurde jedoch 1552 von Iwan dem Schrecklichen überrannt und eingenommen.[2] Schon im 16. Jahrhundert gehörten fast alle Siedlungsgebiete der Tataren zu Russland. Diese Auseinandersetzungen der Tataren von Kasan und den Russen sind bekannt als Moskau-Kasan-Kriege. Als Iwan Grosny Kasan eroberte, gerieten zum ersten Mal größere nichtrussische Territorien in das Moskauer Reich. Kasan kam, weil es die erste eroberte Stadt im Gebiet der „Ungläubigen“ war, eine Schlüsselrolle für die Missionstätigkeit im gesamten russischen Osten zu. Drei Jahre nach der Eroberung wurde es bereits 1555 zum Erzbistum erhoben. Innerhalb der russischen Hierarchie wurde ihm nach Moskau und Nowgorod in der Rangfolge der dritte Platz zuerkannt.
Trotz der Unterstützung durch die gesamte russische Kirche war Christianisierung bei den Tataren weder erfolgreich noch beständig. Immer wieder kam es zu gewaltsamem Aufbegehren der muslimischen Tataren gegen die massiv geförderte Missionierung. Wirtschaftliche und soziale Privilegien sollten die getauften Tataren (Keräschen) vom Rückfall zum Islam abhalten. 40 Jahre nach der Eroberung Kasans übermittelte Metropolit Germogen dem Zaren Fjodor eine eher negative Bilanz der bisherigen Missionsarbeit. Der Zar ordnete daraufhin 1593 eine härtere Gangart bei der Missionierung an: grausame Strafen für den Rückfall in den Islam, Umsiedlungen, Zerstörung der Moscheen und andere Maßnahmen sollten die Annahme des Christentums attraktiver machen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Liste der wirtschaftlich-sozialen Benachteiligung der Muslime und der Privilegierung der Getauften ständig erweitert. Eine der weitreichendsten Folgen dieser Politik war die Christianisierung und Russifizierung der tatarischen Oberschicht. Sie waren Vorfahren eines erheblicher Teils des russischen Adels.
Ende des 18. Jahrhunderts änderte die russische Kaiserin Katharina II. die Politik gegenüber den muslimischen Untertaten des Zarenreiches: Sie versuchte, sie durch Entgegenkommen zu integrieren. Katharina schuf die „Geistliche Versammlung für die Muslime Russlands“ in Orenburg, die direkt unter der Kontrolle der russischen Behörden stand und als oberste Behörde für alle religiösen Belange zuständig war. Im 19. Jahrhundert entstand unter Tataren die islamische Reformbewegung des Dschadidismus (von arabisch dschadid = neu), die aufklärerisches Gedankengut auch unter Tataren und Baschkiren des Wolgaraums verbreitete.
Im Jahre 1920 wurde Tatarstan von den russisch-kommunistischen Bolschewiki zu einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb der Sowjetunion ausgerufen.
Im Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Bevölkerungsstruktur des Wolga-Ural-Gebietes: nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden viele Bewohner der westlichen Gebiete der Sowjetunion in den Ural und das Wolgagebiet evakuiert, so dass Russen, Ukrainer und Weissrussen in großer Zahl nach Tatarstan und Bashkirien kamen. 1990 erklärten die Republiken Tatarstan und Baschkortostan ihre Souveränität, und seitdem bemühten sich beiden Gebiete, möglichst große Eigenständigkeit zu erlangen, ohne die Russische Föderation ganz zu verlassen.
Bekannte Tataren
- Gabdulchaj Achatow (1927-1986), sowjetischer Wissenschaftler
- Rinat Achmetow, ukrainischer Unternehmer
- Alsou, russische Sängerin
- Cüneyt Arkın, türkischer Schauspieler, Drehbuchautor, Filmregisseur und -produzent
- Yosıf Aqçura, bekannter Ideologe des Panturkismus/Turanismus
- Sadri Maksudi Arsal, Staatsmann, Rechtswissenschaftler, Denker und Wissenschaftler
- Dinijar Rinatowitsch Biljaletdinow, russischer Fußballnationalspieler
- Charles Bronson, US-amerikanischer Schauspieler
- Musa Cälil, Dichter
- Nikolai Iwanowitsch Chabibulin, russischer Eishockeyspieler
- Tschulpan Nailjewna Chamatowa, russische Schauspielerin
- Rinat Faisrachmanowitsch Dassajew, sowjetischer Fußball-Nationalspieler
- Rustem Dautov, deutscher Schachspieler tatarischer Herkunft
- Jerzy Edigey, polnischer Schriftsteller
- Gulnara Galkina, russische Leichtathletin
- İsmail Gasprinski, krim-tatarische Gelehrter
- Margub Timergalijewitsch Ischakow, Generalmajor der Chinesischen Volksbefreiungsarmee
- Marat Ismailow, russischer Fußballspieler
- Mustafa Abdülcemil Kirimoglu, ukrainischer Politiker
- Elvira Nabiullina, russische Politikerin und ehemalige Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung (2007-2012)
- Rudolf Chametowitsch Nurejew, sowjetischer Balletttänzer
- Raschid Gumarowitsch Nurgalijew, russischer Politiker und ehemaliger Innenminister der Russischen Föderation (2004-2012)
- Ilber Ortayli, türkischer Historiker
- Renat Sabitow, russischer Fußballspieler
- Dinara Safina, russische Tennisspielerin
- Marat Safin, russischer Tennisspieler
- Rinnat Safin, sowjetischer Biathlet
- Semfira, russisch-tatarische Sängerin
- Roald Sinnurowitsch Sagdejew, sowjetischer Physiker. Er war von 1973 bis 1988 Direktor des Instituts für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR
- Mir Sultangalijew, sowjetischer Politiker und Ideologe
- Rashid Sunyaev, russischer Astrophysiker
- Jakub Szynkiewicz, polnischer Mufti
- Ruslan Tschagajew, usbekischer Boxer
Siehe auch
- Baschkiren
- Mongolen
- Islam in Russland, Islam in der Ukraine, Islam in Polen, Litauen und Weißrussland, Islam in Finnland und Islam in Estland
Einzelnachweise
Weblinks
- Die Tartaren Reportage des Radiosenders „Stimme Russlands”
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Tataren aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |