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Taqīya

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Taqīya (arabisch تقية ‚Furcht, Vorsicht‘), oder in ebenfalls korrekter Transkription Taqiyya, ist ein bei verschiedenen schiitischen Gruppen geltendes Prinzip, wonach es bei Zwang oder Gefahr für Leib und Besitz erlaubt ist, rituelle Pflichten zu missachten und den eigenen Glauben zu verheimlichen. Im sunnitischen Islam ist das Wort als Terminus technicus für entschuldbare Verletzung des eigenen Bekenntnisses zwar ebenfalls bekannt, doch hat es nicht in der Allgemeinheit Anwendung gefunden. Verheimlichung des eigenen Glaubens in Gefahrensituationen gilt jedoch ebenfalls als zulässig.[1]

Koranische Grundlagen

Wichtigste koranische Grundlage für das Taqīya-Prinzip ist Sure 3:28, wo es heißt: "Die Gläubigen sollen sich nicht die Ungläubigen anstatt der Gläubigen zu Freunden nehmen. Wer das tut, hat keine Gemeinschaft (mehr) mit Gott. Anders ist es, wenn ihr euch vor ihnen (d.h. den Ungläubigen) wirklich fürchtet (illā an tattaqū minhum tuqāt)." Eine Freundschaft mit Ungläubigen soll also dann entschuldigt sein, wenn Grund zur Furcht vor ihnen besteht. Von den beiden in diesem Vers verwendeten Wörtern tattaqū ("ihr fürchtet Euch") und tuqāt ("fürchtend") ist der Begriff taqīya abgeleitet.[2] Auch Sure 49:13, wo es heißt, dass derjenige der vornehmste bei Gott ist, der "der gottesfürchtigste" (al-atqā) ist, wurde als eine Empfehlung zur Taqīya gedeutet.[3] Das Prinzip der Taqīya wurde häufig mit dem Prinzip der Taqwā ("Gottesfurcht") assoziiert.[4]

Als eine weitere Rechtfertigung für das Taqīya-Prinzip dient Sure 16:106, wo es heißt: "Wer nicht mehr an Gott glaubt, nachdem er gläubig war - außer, wer gezwungen wurde, jedoch im Herzen weiter gläubig ist -, wer aber seine Brust dem Unglauben öffnet, über den kommt Gottes Zorn, und den erwartet harte Strafe" (Übers. H. Bobzin). Die in der Parenthese stehende Ausnahmebestimmung soll hinsichtlich des Prophetengefährten ʿAmmār ibn Yāsir offenbart worden sein, der gezwungen worden war, Götter zu verehren.[5] Daneben gilt auch der in Sure 40:28 erwähnte "gläubige Mann aus dem Geschlecht Pharaos, der seinen Glauben verborgen hielt" als Vorbild für das Taqīya-Prinzip.[6]

Überliefert wird außerdem der Fall zweier muslimischer Gefangener des „falschen Propheten“ Musailima, von denen einer den Märtyrertod wählte, der andere aber sein Leben rettete, indem er vorgab, dem Gegenpropheten zu huldigen. Mohammed soll bei der Nachricht des Todes erklärt haben:

„Der Getötete ist dahingegangen in seiner Gerechtigkeit und seiner Glaubensgewissheit und hat seine Herrlichkeit erlangt; Heil ihm! Dem andern aber hat Gott eine Erleichterung gewährt, keine Züchtigung soll ihn treffen.“

R. Strothmann: Handwörterbuch des Islam[7]

Taqīya in der Geschichte der Schia

Der älteste literarische Beleg für den Begriff Taqīya findet sich in Versen des Dichters Kumait (st. 743/44), der ein Anhänger der Aliden war und die Umayyaden bekämpfte. In einem Lobgedicht auf die Aliden beklagt er, dass er nur heimlich auf ihrer Bahn wandeln könne und eine andere Gesinnung vortäuschen müsse. Für dieses Verhalten der Verheimlichung verwendet er im gleichen Gedicht den Ausdruck Taqīya.[8]

Tragende Bedeutung erhielt das Prinzip dann in der Lehre des schiitischen Imams Dschaʿfar as-Sādiq. Er empfahl die Taqīya als Mittel, um der politischen Verfolgung durch die Abbasiden zu entgehen.[9] Ihm wurde allerdings auch vorgeworfen, gegenüber den eigenen Anhängern Taqīya zu üben. Dies rief insbesondere Kritik bei den zaiditischen Schiiten hervor.[10] In der späteren imamitischen Schia erhielt die Taqīya dogmatischen Rang und Pflichtencharakter. Der elfte Imam Hasan al-Askari wird mit dem Ausspruch zitiert: "Ein Gläubiger, der die Taqīya nicht übt, ist wie ein Gläubiger ohne Kopf."[11]

Der saudische schiitische Gelehrte Hasan as-Saffār, der 2006 gefragt wurde, ob seine öffentlichen Äußerungen überhaupt ernstzunehmen seien, da er ja als Schiit das Prinzip der Taqīya anwenden könne, äußerte, dass den Schiiten die Anwendung dieses Prinzips von den anderen Muslimen fälschlicherweise vorgeworfen werde. Es sei es ein koranisches Konzept, das der Koran und der Islam ganz allgemein lehrten, und mit dem sich alle islamischen Gelehrten auseinandergesetzt hätten, die die betreffenden Koranverse kommentierten. Er berief sich außerdem darauf, dass in Sure 6:119 bereits die Rechtsmaxime angelegt sei, dass man in Zwangslagen Gebote übertreten dürfe.[12]

Im islamkritischen Diskurs

Im islamfeindlichen Diskurs wird die Taqiyya oft als „Pflicht zur Lüge“ und Verstellung interpretiert, die Muslimen angeblich geboten sei. Diesem Vorwurf wiederum wird eine Ähnlichkeit zu antisemitischen Verschwörungstheorien des 19. Jahrhunderts bescheinigt.[13]

Literatur

  • Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. Band I. Berlin-New York 1991. S. 312-315.
  • Ignaz Goldziher: "Das Prinzip der Taḳijja im Islam" in Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 59 (1906) 213–226. Digitalisat MENAdoc
  • Etan Kohlberg: "Some Imāmī-Shīʿī Views on Taqiyya" in Journal of the American Oriental Society 95/3 (1975) 395–402.
  • Etan Kohlberg: "Taqiyya in Shi’i Theology and Religion" in Hans G Kippenberg and Guy G. Stroumsa (ed.) Secrecy and Concealment: Studies in the History of Mediterranean and Near Eastern Religions. New York: E. J.Brill, 1995. S. 345–60.
  • Aharon Layish: "Taqiyya among the Druzes" in Asian and African Studies 19 (1985) 245–81.
  • Devin Stewart: "Taqiyyah as Performance: the Travels of Baha' al-Din al-`Amili in the Ottoman Empire (991-93/1583-85)" in Princeton Papers in Near Eastern Studies 4 (1996) 1-70.
  • Rudolf Strothmann: Art. "Taḳīya" in E.J. Brill's First Encyclopaedia of Islam 1913-1936. Bd. VIII, S. 628-629. online einsehbar bei Google Books
  • Rudolf Strothmann, Moktar Djebli: Art.Taḳiyya in The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. X, S. 134a–136a.
  • Shafique N. Virani: "Taqiyya and Identity in a South Asian Community" in The Journal of Asian Studies 70/1 (2011) 99-139.
  • Paul E. Walker: Art. "Taqīyah" in John L. Esposito (ed.): The Oxford Encyclopedia of the Islamic World. 6 Bde. Oxford 2009. Bd. V, S. 327b-329a.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Goldziher: "Das Prinzip der Taḳijja im Islam". 1906, S. 216.
  2. Vgl. van Ess: Theologie und Gesellschaft. 1991, Bd. I., S. 314.
  3. Vgl. Walker: "Taqīyah". 2009, Bd. V. S. 328a.
  4. Vgl. van Ess: Theologie und Gesellschaft. 1991, Bd. I., S. 314.
  5. Vgl. Strothmann/Djebli: Taḳiyya in EI² Bd. X. S. 134b.
  6. Vgl. Ḥasan aṣ-Ṣaffār: Al-Maḏhab wa-l-waṭan: Mukāšafāt wa-ḥiwārāt ṣarīḥa maʿa samāḥat aš-šaiḫ Ḥasan as-Saffār aǧrā-hā ʿAbd al-ʿAzīz Qasīm. Al-Muʾassasa al-ʿArabīya li-d-dirāsāt wa-n-našr, Beirut, 2005. S. 21.
  7. Vgl. R. Strothmann, in: Handwörterbuch des Islam. Leiden 1976, siehe TAKIYA.
  8. Vgl. Goldziher: "Das Prinzip der Taḳijja im Islam". 1906, S. 219.
  9. Vgl. Walker: "Taqīyah". 2009, Bd. V. S. 328a.
  10. Vgl. van Ess: Theologie und Gesellschaft. 1991, Bd. I., S. 283, 315.
  11. Zit. bei Goldziher: "Das Prinzip der Taḳijja im Islam". 1906, S. 219.
  12. Vgl. Ḥasan aṣ-Ṣaffār: Al-Maḏhab wa-l-waṭan: Mukāšafāt wa-ḥiwārāt ṣarīḥa maʿa samāḥat aš-šaiḫ Ḥasan as-Saffār aǧrā-hā ʿAbd al-ʿAzīz Qasīm. Al-Muʾassasa al-ʿArabīya li-d-dirāsāt wa-n-našr, Beirut, 2005. S. 21.
  13. Sabine Schiffer, Sebastian Hornung: Antiislam-Ismus als Kristallisationspunkt. In: NRhZ-Online, Online-Flyer Nr. 268 vom 22. September 2010.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Taqīya aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.