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Stockacher Narrengericht

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Das Hohe grobgünstige Narrengericht zu Stocken

Das Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stockach, kurz Stockacher Narrengericht, ist eine traditionelle, jährlich am „Schmotzige Dunschtig“ in Stockach stattfindende Veranstaltung der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, bei der eine politische Persönlichkeit „angeklagt“ wird. Das Brauchtum geht auf 1351 zurück und wurde 1960 in moderner Form wieder aufgenommen.[1]

Geschichte

Schlacht am Morgarten
„Hänsele“ der Narrenzunft „Narrengericht zu Stocken“

Die Veranstaltung geht auf eine Begebenheit zurück, bei der der Hofnarr Kuony von Stocken dem Erzherzog Leopold I. von Österreich vor der Schlacht am Morgarten gegen die Schwyzer (Kanton Schwyz, einer der drei Gründer-Kantone der Schweiz) zu bedenken gab: „Ihr wisst wohl, wie Ihr nach Schwyz hineinkommt, aber nicht wie raus.“ Die Schlacht wurde verloren. Herzog Albrecht der Weise gewährte 1351 der Heimatstadt Stockach des Narren schriftlich das Privileg, einmal im Jahr zwischen Lichtmess und Laetare über sich selbst zu richten und zu regieren. Dieses Privileg wird seit 1960 in närrischer Form als Narrengericht ausgeübt.[2] [3]

Ablauf

Das Narrengericht aus Ankläger, Narrenrichter, Fürsprech wählt jedes Jahr einen neuen Beklagten aus der Landes- oder Bundespolitik aus. Bis zum Ende des der Sitzung vorhergehenden Jahres wird der/die Angeklagte ausgewählt und die Anklageschrift ausgearbeitet. Die Anklage wird dem Angeklagten rechtzeitig zugestellt, aber bis zuletzt überarbeitet. Absagen gibt es nur selten.[1] Der Beklagte wird am Schmotzige Dunschtig nach dem Narrenbaumsetzen in der öffentlichen und vom SWR Fernsehen übertragenen Hauptverhandlung vor dem „Hohen Grobgünstigen Narrengericht“ in der Jahnhalle in Stockach vor 1.200 Zuschauern durch den Kläger angeklagt und durch den Fürsprech verteidigt.[4] Der Beklagte verteidigt sich danach in einem Auftritt mit Selbstdarstellung. Das Urteil durch den Richter sieht zur Strafe je nach Schwere der Schuld vor, einen oder mehrere Eimer Weines (österreichisches Hohlmaß von 60 Liter) bis zum Laetare-Tag als Buße zu liefern.[5]

Angeklagte

Bereits 1960 wurde Kurt Georg Kiesinger, Ministerpräsident Baden-Württemberg, in der Scheffelhalle in Singen verurteilt.[1]

Das Stockacher Narrengericht nahm seine Tätigkeit in Stockach erst ab 1965 wieder auf.[6][7]

  1. 1965: Kurt Georg Kiesinger, Ministerpräsident Baden-Württemberg
    1966: – (keine oder unbekannt)
  2. 1967: Hans Filbinger, Innenminister Baden-Württemberg
    1968 und 1969: – (keine oder unbekannt)
  3. 1970: Walter Krause, Innenminister Baden-Württemberg
  4. 1971: Hermann Person, Regierungspräsident Freiburg
  5. 1972: Johann Ruf, Ortsvorsteher aus der ersten von Stockach einverleibten Gemeinde
  6. 1973: Rudolf Eberle, Wirtschaftsminister Baden-Württemberg
  7. 1974: Robert Maus, Landrat des Landkreises Konstanz
  8. 1975: Martin Herzog, Landrat des Landkreises Friedrichshafen
  9. 1976: Werner Maihofer, Bundesminister des Inneren
  10. 1977: Robert Gleichauf, Finanzminister Baden-Württemberg
  11. 1978: Karl Schiess, Innenminister Baden-Württemberg
  12. 1979: Franz Josef Strauß, Ministerpräsident Bayern. Statt Wein wurde die Strafe in Bier beglichen.
  13. 1980: Arnold Bächtold, Stadtpräsident von Stein a.R.
  14. 1981: Lothar Späth, Ministerpräsident Baden-Württemberg
  15. 1982: Gerhard Mayer-Vorfelder, Kultusminister Baden-Württemberg
  16. 1983: Norbert Nothhelfer, Regierungspräsident Freiburg
  17. 1984: Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister des Äußeren
  18. 1985: Dietmar Schlee, Innenminister Baden-Württemberg
  19. 1986: Gerhard Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen
  20. 1987: Manfred Rommel, Oberbürgermeister Stuttgart
  21. 1988: Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Soziales
  22. 1989: Roman Herzog, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes
  23. 1990: Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Inneren
    1991: keine Sitzung wegen des Golfkriegs
  24. 1992: Erwin Vetter, Umweltminister Baden-Württemberg
  25. 1993: Erwin Teufel, Ministerpräsident Baden-Württemberg
  26. 1994: Joschka Fischer, Umweltminister Hessen
  27. 1995: Dieter Spöri, Wirtschaftsminister Baden-Württemberg
  28. 1996: Bernhard Vogel, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen
  29. 1997: Annette Schavan, Kultusministerin Baden-Württemberg
  30. 1998: Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident des Freistaats Sachsen
  31. 1999: Frank Hämmerle, Landrat des Landkreises Konstanz (CDU). Urteil: Schuldig, Strafe: 2 Eimer Wein
  32. 2000: Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz (SPD). Urteil: Schuldig, Strafe: 2½ Eimer Wein
  33. 2001: Angela Merkel, Bundesvorsitzende der CDU. Urteil: Schuldig, Strafe: 1½ Eimer Wein (= 150 Flaschen inkl. Verzugszinsen)
  34. 2002: Guido Westerwelle, FDP-Parteivorsitzender. Urteil: Schuldig, Strafe: 1 + 18% Eimer Wein
  35. 2003: Sven von Ungern-Sternberg, Regierungspräsident Freiburg (CDU). Urteil: Schuldig, Strafe: 1 Eimer Wein und 100 Liter Rothaus Bier
  36. 2004: Friedrich Merz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU. Urteil: Schuldig, Strafe: 2 Eimer Wein
  37. 2005: Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes (CDU). Urteil: Erster und einziger Freispruch bisher, aber: Ordnungsstrafe wegen Ungebührlichkeiten gegenüber dem Gericht in Höhe von 2 Eimer Wein und Teilnahme am Laienschauspiel in Stockach.
  38. 2006: Franz Josef Jung, Verteidigungsminister des Bundes (CDU). Urteil: Schuldig, Strafe: 2 Eimer Wein
  39. 2007: Günther Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg (CDU), späterer EU-Kommissar für Energie. Urteil: Schuldig, Strafe: 4 Eimer Wein
  40. 2008: Andrea Nahles, Stellvertretende SPD-Parteivorsitzende und spätere Generalsekretärin. Urteil: Schuldig, verurteilt zu 4 Eimern Wein.
  41. 2009: Willi Stächele, Finanzminister des Landes Baden-Württemberg (CDU). Urteil: Schuldig, verurteilt zu 3 Eimern Wein plus eine Weinprobe und eine Vesper.
  42. 2010: Renate Künast, ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und amtierende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grüne. Urteil: größtenteils schuldig, Strafe: 1½ Eimer Wein und eine Bürgermeisterkandidatur in Stockach.
  43. 2011: Frank-Walter Steinmeier, ehemaliger Außenminister, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Urteil: schuldig in 2 von 3 Anklagepunkten, verurteilt zu 4½ Eimern Wein.
  44. 2012: Philipp Rösler, Wirtschaftsminister, Vizekanzler und Parteichef der FDP. Urteil: schuldig in 1 von 3 Anklagepunkten, verurteilt zu zwei Eimern Wein.
  45. 2013: Heiner Geißler, ehemaliger Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, ehemaliger CDU-Generalsekretär. Urteil: schuldig in 2 von 3 Anklagepunkten, verurteilt zu drei Eimern Wein, aus dem eigenen Weinberg.
  46. 2014: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.[8] Urteil: schuldig in 1 von 3 Anklagepunkten, diesen aber verschärft schuldig zu drei Eimern Wein plus 200 Liter Bier.[9]
  47. 2015: Peter Altmaier, Bundesminister für besondere Aufgaben (Chef des Bundeskanzleramtes).[10] Zeuge des Fürsprechs: Cem Özdemir; Urteil: schuldig in 1 von 3 Anklagepunkten, Strafe ein Eimer Wein.[11][12]
  48. 2016: Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Urteil: wurde am 4. Februar verhandelt.[13] Als Zeugin der Anklage trat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf. Dobrindt wurde in einem von drei Anklagepunkten für schuldig befunden und zu drei Eimern Wein verurteilt, zusätzlich zur Nachhaftung der Zerstörung Stockachs durch die Bayern muss Dobrindt das 18-köpfige Gerichtskollegium auf das Münchner Oktoberfest einladen.

Literatur

  • Gustav Bender: Das hohe grobgünstige Narrengericht zu Stockach. In: Herbert Berner (Hrsg.): Fasnet im Hegau. Singen 1959, S. 136–145.
  • Alfred Eble: 625 Jahre Stockacher Narrengericht: 1351 - 1976. herausgegeben für Hohes Grobgünstiges Narrengericht (Stockach). 1976.
  • Alfred Eble: 650 Jahre Stockacher Narrengericht. Das Stockacher Narrengericht in Vergangenheit und Gegenwart. Konstanz 2001.
  • von Kaiser: Das Narrengericht und Narrenbuch zu Stockach. In: Johann Müller, Johann Falle (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte. Band 1: Bilder und Züge aus dem Leben des deutschen Volkes. März bis Augustheft. 1856. S. 316–322.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Nils Köhler (Interviewer), Thomas Warndorf (Interviewter): „Die Beklagten sind viel normaler als man vorher dachte.“ In: Südkurier vom 8. Februar 2013, S. 3
  2. Fastnächtliche Gerichte In: Südkurier vom 8. Februar 2013, S. 2
  3. Nils Köhler: Ein Bayer ohne jede Einsicht. In: Südkurier vom 5. Februar 2016.
  4. Susanne Ebner: Kein Mangel an Beweisen. In: Südkurier vom 13. Februar 2015.
  5. Übertragung des „Stockacher Narrengerichtes“ im SWR am 16. Februar 2012 von 20:15 bis 21:00.
  6. Die Beklagten des Stockacher Narrengerichts
  7. Nachfolgend stehen alle Beklagten seit dem ersten Narrengericht der Neuzeit im Jahre 1965
  8. Der Beklagte 2014: „Diesmal ist es kein fundamental politischer Irrtum“ – Winfried Kretschmann, „Der Lehrer aus Laiz“, muss 2014 vor das Stockacher Narrengericht
  9. Narrengericht in Stockach Kretschmann zu drei Eimern Strafwein verurteilt Stuttgarter Zeitung mit dpa vom 27. Februar 2014
  10. Der Beklagte 2015 - „Ein Modernisierer vor dem altehrwürdigen Narrengericht“ - Peter Altmaier, „Der Twitterkönig“, muss 2015 vor das Stockacher Narrengericht
  11. Ein Eimer Strafwein für Altmaier auf stuttgarter-zeitung.de mit Material von dpa/lsw vom 12. Februar 2015
  12. Stockacher Narrengericht verdonnert Altmaier zu einem Eimer Strafwein Rhein-Neckar-Zeitung vom 12. Februar 2015
  13. Stockacher Narrengericht lädt Alexander Dobrindt vor auf suedkurier.de vom 6. Januar 2016

Weblinks

 Commons: Fasnet in Stockach – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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