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Stammbuch (Freundschaftsalbum)

Aus Jewiki
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Doppelseite mit Eintragungen vom August 1553 aus dem Stammbuch des Johann Valentin Deyger
Illustration des Stammbuchs Rupstein (1773)
Eintrag Friedrich Hölderlins im Stammbuch des Studenten Johann Camerer, Jena, März 1795
Koloriertes Stammbuchblatt Rhenania II, Heidelberg, 1822

Das Stammbuch (auch Album Amicorum), eine frühe Form des Poesiealbums, entstand während der Reformation, als es Mode wurde, Autographe berühmter Reformatoren zu sammeln. Noch im 18. Jahrhundert waren Stammbücher eher eine Mode unter Protestanten als unter Katholiken. Verbreitet waren diese Stammbücher vor allem bei Studenten, und zwar bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts.

Zweck

In einem Stammbuch versicherten sich zwei oder mehrere Personen ihrer Freundschaft, indem sie sich gegenseitig ein Blatt in einem Album ausfüllten. Dies geschah meist zu besonderen Anlässen, etwa bei Festen oder beim Weggang vom Studienort. Diese Eintragung konnte – etwa bei einem Wiedersehen oder aus Anlass eines Festes – wiederholt werden. Auf diese Weise hatten die Besitzer der Stammbücher bis an ihr Lebensende eine Erinnerung an ihre Jugendfreunde.

Daneben diente es dem Sammeln von Autographen der Professoren (vgl. die Schülerszene in Goethes Faust) und anderer „Respektspersonen“ (Pfarrer, Adlige, Prominente), da die Eintragungen wie Empfehlungsschreiben genutzt wurden, wenn ein Student an eine neue Universität kam. Durch das Herantragen eines Albums mit der Bitte um Eintrag an einen sozial höherstehenden Inskribenten eröffnete sich für den Halter eine Möglichkeit, potentielle Gönner und Protektoren kennenzulernen.

Inhalt und Bedeutung

Die Eintragung bestand zumindest aus einem handschriftlichen Gruß, meistens mit einem (wenn möglich selbstverfassten) Gedicht oder einem anderen literarischen Text. Gedichte mit Titeln wie An * (statt des * kann auch ein (Vor)name stehen) waren meist ursprünglich für ein Stammbuch bestimmt.

In der Idealform steht neben dem Textteil, der ein Gedicht, Literaturzitat, Lied oder sonst wie geartete Sentenz wiedergibt, die Orts- und Datumsangabe, wann und wo der Eintrag getätigt wurde. Oft nennt der Inskribent auch ein als Symbolum oder Wahlspruch bezeichnetes Lebensmotto. Unerlässlich ist die Nennung des Namens des Eintragenden, die in der Regel mit Angabe der Fakultät, an welcher er studiert und der des Herkunftortes versehen ist. Dem Namen wurde meist eine Dedikationsformel (=Widmungstext) vorgesetzt, die manchmal den Adressaten (Halter des Stammbuchs) nennt und in der meist um ein künftiges Gedenken gebeten wird (memoriae causa scripsi… oder „bei Durchlesung dieser Zeilen gedenke…“). Diese standardisierte Form hat sich bis heute formal in den Poesiealben (primär) junger Mädchen vor der Pubertät erhalten.

Ganz besonders interessant sind Stammbücher mit eigenen, oft kolorierten Federzeichnungen der Eintragenden. Da nicht bei allen Personen die entsprechende Begabung zu erwarten war, bildete sich im 18. Jahrhundert eine eigene Industrie, die vorgefertigte Grafiken als „Stammbuchblätter“ anbot, die individuell beschriftet und dann eingeheftet wurden. Beliebte Motive waren Ansichten der Universitätsstädte oder Szenen aus dem studentischen Leben.

Die Themen der Eintragungen stammten verständlicherweise aus dem Bereich, den die Studenten gemeinsam erlebten oder der sie besonders verband. Die verschiedenen, in den betreffenden Jahrhunderten üblichen Formen der studentischen Zusammenschlüsse spiegelten sich dann auch in diesen Blättern wider. Da diese (von den Studenten selbst verwalteten) Zusammenschlüsse bis 1848 in der Regel verboten waren, stellen diese Stammbuchblätter eine wichtige historische Quelle für diesen Bereich der Universitätsgeschichte dar. Besonders von den Studentenorden aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist nur sehr wenig Schriftliches überliefert. Hier stellen die Stammbuchblätter mit ihren teilweise sehr persönlichen Einträgen oft die einzige Quelle dar. Aus Geheimhaltungsgründen erfanden sie eine Vielzahl von kryptographischen Elementen, mit denen sie die Zugehörigkeit zu ihrem Orden bestätigten, ohne dass ein Außenstehender etwas nachweisen konnte.

Aus diesen kryptographischen Elementen sind die Identitätssymbole entstanden, die teilweise auch heute noch von den Verbindungen verwendet werden. So zum Beispiel der Zirkel oder – in ausgeweiteter Form – das Bundeszeichen, das bis heute in praktisch jedem Studentenwappen vorkommt.

Neue Moden

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam das Stammbuch außer Mode. Die Funktion des Freundschaftssouvenirs aus der Studentenzeit übernahmen jetzt verschiedene Couleurgegenstände, die mit Widmungen versehen und verschenkt („dediziert“) werden. Großer Beliebtheit erfreuten sich Bierkrüge mit Couleurbemalung, aber auch andere Formen von Geschirr. Der Erinnerung dienten auch bald Silhouetten der Schenkenden in Schwarzweiß-Lackmalerei mit ausgearbeiteten Couleurfarben. Nach Erfindung der Fotografie kamen die Couleurfotos in Mode, bis heute meist in Schwarzweiß, wobei die Farben von Band und Mütze oft von Hand einkoloriert wurden.

Diese Sitte des „Dedizierens“ von Couleurgeschenken ist bis heute bei Verbindungsstudenten üblich und sehr beliebt.

Als Geschichtsquellen

Stammbücher sind für die Geschichte von Studenten und Universitäten oft eine wertvolle Quelle. Zunächst lässt sich mit ihrer Hilfe nachweisen, wer wann wo studierte. Außerdem trug mancher Stammbuchbesitzer weitere Lebensdaten seiner ehemaligen Freunde ein, wodurch man eine Vielzahl zumindest grober Lebensläufe von weniger bekannten Gelehrten besitzt. Daneben treten prosopografische und kultur- oder kommunikationsgeschichtlich ausgerichtete Fragestellungen in den Vordergrund. Die zitierten Dichter in den Stammbüchern geben Hinweise auf literarische Moden unter Studenten.

Die in Stammbuchversen herausgestellten Tugenden sind eine wichtige Quelle für die Mentalitätsgeschichte. Dies bedeutet aber nicht, dass jede Äußerung wörtlich zu nehmen ist, sondern dass die Eintragenden ein Bild von sich vermitteln, wie sie von künftigen Lesern gesehen werden wollen. Für die Textvorlagen gab es zahlreiche Textsammlungen, die quasi für jede Gelegenheit den passenden Spruch boten.

Da Stammbücher nur in privaten Zirkeln kursierten und damit nicht der Zensur unterworfen waren, kann man dort auch recht freimütige politische Äußerungen erwarten. Deshalb sind Stammbücher eine wichtige Quelle der deutschen Jakobinerforschung. In der Tat gibt es vielfache Hinweise auf die Französische Revolution, wie Datierungen nach dem Revolutionskalender oder Zitate von Revolutionären. Bei Bekenntnissen zur Freiheit ist aber häufiger die studentische „libertät“ als die politische Freiheit gemeint.

Berühmte Stammbücher

Stammbuch Richertz: Rostocker Studenten (1737)
Satzreproduktion der Dedikationsseite des Stammbuches Richertz mit den Memorabilien des Angelius Johann Daniel Aepinus

Siehe auch

Literatur

  • Herzog August d. J. – Das Stammbuch (1592–1605). 10 Postkarten. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel [Betr. Tübingen], o. J.
  • Robert Keil, Richard Keil: Die deutschen Stammbücher des XVI. bis XIX. Jahrhunderts. Ernst und Scherz, Weisheit und Schwank in Original-Mittheilungen zur deutschen Kultur-Geschichte. Berlin 1893. GoogleBooks
  • Walter Blankenburg, Fritz Lometsch: Denkmal der Freundschaft. Studentenstammbücher 1790–1840. Kassel 1969
  • Lotte Kurras: Zu gutem Gedenken. Kulturhistorische Miniaturen aus Stammbüchern des Germanischen Nationalmuseums 1550–1770. München 1987
  • Hans Günther Bickert, Norbert Nail: Liebenswertes Lahn-Athen. Das 300jährige Jubelfest der Philipps-Universität. Die erste Ehrenpromotion einer Frau. Ein Blick in Marburger Stammbücher. Marburg 1992 (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg; 65).
  • Christine Göhmann-Lehmann: „Freundschaft – ein Leben lang…“ – schriftliche Erinnerungskultur für Frauen, Ausstellungskatalog. Cloppenburg 1994.
  • Norbert Nail: „Semper lustig. Nunquam traurig.“ Marburger Studenten im Stammbuch des Conrad Westermayr. Alma mater philippina, Sommersemester 1994, 22–25; Illustr.
  • Horst Steinhilber: Von der Tugend zur Freiheit. Studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740–1800 (Historische Texte und Studien, Bd. 14), Hildesheim 1995.
  • Werner Taegert: Edler Schatz holden Erinnerns – Bilder in Stammbüchern der Staatsbibliothek Bamberg aus vier Jahrhunderten. Staatsbibliothek Bamberg 1995. ISBN 3-924530-08-4.
  • Rolf Wilhelm Brednich: Denkmale der Freundschaft. Göttinger Stammbuchkupfer. Quellen der Kulturgeschichte. Niedernjesa 1997. ISBN 3-9803783-1-4
  • Walter M. Brod: Aus einem fränkischen Stammbuch – Bütthard und Umgebung. Stammbuchblätter aus der Studienzeit des Michael Joseph Weber, Würzburg 1817–1822. Institut für Hochschulkunde, Würzburg 1997.
  • Gilbert Heß: Literatur im Lebenszusammenhang. Text- und Bedeutungskonstituierung im Stammbuch Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg (1579–1666). Dissertation LMU München (Mikrokosmos, Bd. 67). Frankfurt am Main 2002. ISBN 978-3-631-38070-3
  • Werner Wilhelm Schnabel: „Kurtz=Sinn=reiche Sprüche“. Barocke Mustersammlungen für Albuminskriptionen. In: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 12 (2002), S. 101–133.
  • Rosemarie Schillemeit: Das Stammbuch des Benedict Christian Avenarius. Zeugnisse eines Studenten- und Hofmeisterlebens in Göttingen, Braunschweig und Leipzig des jungen Goethe. Mit Erläuterungen und einer Lebensbeschreibung. Bielefeld 2002 (Braunschweiger Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur; 4).
  • Der Freundschaft Denkmal. Stammbücher und Poesiealben aus fünf Jahrhunderten. Eine Ausstellung im Buchmuseum der SLUB, 25. Februar bis 27. Juni 1998. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden 1998
  • Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003
  • Volker [Karl] Schäfer: Das Stammbuch des Tübinger Stiftlers August Faber mit seinem Hölderlin-Eintrag von 1789. Tubingensia. Impulse zur Stadt- und Universitätsgeschichte. Festschrift für Wilfried Setzler zum 65. Geburtstag, hg. von Sönke Lorenz und Volker [Karl] Schäfer in Verbindung mit dem Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen. Redaktion: Susanne Borgards. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008 (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte, 10), 397–426. ISBN 978-3-7995-5510-4
  • Stammbuch des Johann Bernhard Wilhelm Sternberger aus Meiningen, seit 1773 Student der Rechte in Jena. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Stb. 90. Faksimile. Friedrich-Schiller-Universität Jena 2008.
  • Stammbuch des Johann Bernhard Wilhelm Sternberger aus Meiningen, seit 1773 Student der Rechte in Jena. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Stb. 90. Kommentar [zum Faksimile] Joachim Ott. Friedrich-Schiller-Universität Jena 2008.
  • Ulrich Rasche: Cornelius relegatus in Stichen und Stammbuchbildern des frühen 17. Jahrhunderts. Zur Memoria studentischer Standeskultur in deren Formationsphase. Einst und Jetzt, Bd. 53 (2008): 450 Jahre Universität Jena, 15–47.
  • Werner Wilhelm Schnabel: Selbstinszenierung in Bildern und Texten. Stammbücher und Stammbucheinträge aus Helmstedt. In: Jens Bruning / Ulrike Gleixner (Hg.): Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576-1810. Wiesbaden 2010, S. 68–77.
  • Werner Wilhelm Schnabel: Stammbücher. In: Ulrich Rasche (Hg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Wiesbaden 2011 (Wolfenbütteler Forschungen, 128), S. 421–452.
  • Ralf-Torsten Speler (Hrsg.): Vivat Academia, Vivant Professores! Hallesches Studentenleben im 18. Jahrhundert. Halle 2011. ISBN 978-3-86829-348-7.
  • Ferdinand Ahuis, Walther Ludwig (Hrsg.), Das Album Reformatorum Cygnaeum (1542/1543) in der Prachtbibel des Zwickauer Bürgermeisters Oswald Lasan. Mit einer Einleitung von Ferdinand Ahuis, Stuttgart 2013.
  • Jan-Andrea Bernhard: Das Album Amicorum von Ursula Staehelin aus St. Gallen. Ein Beitrag zur Peregrinations- und Kommunikationsgeschichte, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 131. Heft 2013, ISBN 978-3-7995-1719-5, S. 185–197
  • David Paisey: A German student’s album in the British Library: Lauingen, Wittenberg and Tübingen, 1580–1588. In: William A. Kelly / Jürgen Beyer (Hrsg.): The German book in Wolfenbüttel and abroad. Studies presented to Ulrich Kopp in his retirement (Studies in reading and book culture, 1), Tartu: University of Tartu Press 2014, S. 261–278
  • Werner Wilhelm Schnabel: Das Album Amicorum. Ein gemischtmediales Sammelmedium und einige seiner Variationsformen. In: Anke Kramer, Annegret Pelz (Hg.): Album. Organisationsform narrativer Kohärenz. Göttingen: Wallstein 2013, 213-239, open access: FWF-E-Book-Library: https://e-book.fwf.ac.at/o:340
  • Margarete Zimmermann, Stephanie Bung: Salonalben. Kollektive Gedächtniswerke der Frühen Neuzeit mit einem Exkurs zu 'La Guirlande de Julie. In: Anke Kramer, Annegret Pelz (Hg.): Album. Organisationsform narrativer Kohärenz. Göttingen: Wallstein 2013, 254-270, open access: FWF-E-Book-Library: https://e-book.fwf.ac.at/o:340
  • Georg Objartel: Sprache und Lebensform deutscher Studenten im 18. und 19. Jahrhundert. Aufsätze und Dokumente. Berlin / Boston 2016 (Studia Linguistica Germanica; 123). [Größeres Kap. zu "Memorabilien" in Studenten-Stammbüchern]. ISBN 978-3-11-045399-7.
  • Peter Hartwig Graepel: Pharmaziehistorisch relevante Stammbücher. Autographen deutscher Apotheker. Miniaturen mit Apothekenansichten und pharmazeutischen Tätigkeiten. Gladenbach 2016 (Gladenbacher Beiträge zur Geschichte des deutschen Apothekenwesens, Heft 3). ISBN 978-3-00-050342-9

Weblinks

 Commons: Stammbuch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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